Frankfurter Allgemeine Zeitung
7. Februar 2006

Spirale der Gewalt
Erste Wiederaufnahme von Strauss' "Elektra" an der Oper Frankfurt

Der einhellige Jubel nach der ersten von Orest Tichonov szenisch betreuten Wiederaufnahme von Richard Strauss' Oper Elektra galt nicht allein den grandiosen Sängern und der plastischen orchestralen Wiedergabe unter Lothar Zagrosek, sondern auch Falk Richters packender Inszenierung. Sämtliche Protagonisten erscheinen hier als wahnbefallene Opfer eines antiken Gewaltsystems, das sich in Orest fortsetzen dürfte bis in die Gegenwart. Selbst die Säuberungsaktion der Mägde, von denen diesmal vier nebst Aufseherin (Sonja Mühleck) neu besetzt waren, artet in einen Waschzwang wie bei der Lady Macbeth aus. Aber Richter entfesselt keine Blut- und Gewaltorgie, obwohl er mit Leichen an der Decke und in Müllsäcken unmißverständliche Zeichen setzt. Denn die Art der "Entsorgung" der Überreste des Mordes ist bei aller Konkretion so abstrakt, daß sie Distanz zum Geschehen ermöglicht, zugleich jedoch das Grauen in Erinnerung an das industrielle, angeblich "saubere" Vernichten von Menschen im nationalsozialistischen Deutschland und in anderen totalitären Regimen verstärkt.

Sämtliche Darsteller agierten Richters deutlich charakterisierende Vorgaben mit vollem Stimm- und Körpereinsatz aus. Neu besetzt war Caroline Whisnant in der Titelrolle. Exemplarisch übertrug sie die tierhaft nach allen Seiten sichernde Scheu, radikale Rachsucht und Reste verdrängter Zärtlichkeit bei der Begegnung mit Bruder Orest in ein reiches Spektrum an Körpersignalen und Sopranfarben von fülliger, expansiver Strahlkraft bis zu Piano-Nuancen. Als zweite Neubesetzung sollte Elzbieta Ardam die Klytämnestra singen. Für dieses erkrankte Ensemblemitglied sprang kurzfristig Renée Morloc von der Deutschen Oper am Rhein ein. Mit prallem, sattem Mezzo und geradezu expressionistisch ausladender Gestik verkörperte sie treffend eine psychisch gestörte Königin.

Die übrigen Besetzungen waren mit der Premiere vom 2. Oktober 2004 identisch. Wieder bot Ann-Marie Backlund ihre angstflatternde Chrysothemis mit klangvollem Sopran, Peteris Eglitis seinen sonorbassigen, derb-kriegerischen Orest, Hans-Jürgen Lazar seine Groteske als Ägisth, die von Strauss' parodistischer Musik gedeckt ist. Das Museumsorchester verlangte mit gemeißelten Splitterklängen den Sängern mitunter viel Durchhaltevermögen ab, verstand sich aber auch auf das dekadente Funkeln von Klytämnestras Klängen oder die Momente lyrischen Innehaltens für die beiden Schwestern. Insgesamt zeigte das Orchester große Spannung und Vielfalt als Antrieb für die Spirale der Gewalt.

ELLEN KOHLHAAS

 

Frankfurter Rundschau
6. Februar 2006

Kurz und gnadenlos
"Elektra" von Richard Strauss ist zurück in der Oper Frankfurt

VON STEFAN SCHICKHAUS

Nun ist Caroline Whisnant endgültig verrückt geworden. Sang die Sopranistin im letzten Monat an der Oper Frankfurt die Lady Macbeth noch mit recht gepflegtem Irrsinn, ja fast ein wenig zu moderat und hübsch, bringt sie jetzt als Elektra einen wahren Albtraum auf die Bühne. Elektra, dieser kurze, aber so radikale Operneinakter von Richard Strauss hatte seine Premiere im September 2004. Die Wiederaufnahme nun ist weitgehend neu besetzt, am Pult wie auf der Bühne. Der junge Regisseur Falk Richter hatte damals, bei seiner erst zweiten Opernarbeit überhaupt, eine Inszenierung von umwerfender Wucht zustande gebracht, mit das Beste, was in Frankfurt in den letzten Spielzeiten zu sehen war. "Abartiges Regietheater", so beschrieb es damals Bild.

Caroline Whisnant ist nun die Elektra, und so wie sie das stahlglänzende Beil ihres Vaters Agamemnon liebkost, möchte man ihr nicht nachts im Park begegnen. Ihre Stimme ist von wahnwitziger Durchschlagskraft, sie und das Beil sind von gleichem Schliff. Als Elektras Mutter Klytämnestra war kurzfristig Renée Morloc nach Frankfurt gereist, um die erkrankte Elzbieta Ardam zu ersetzen. In die Regie fügte sich die überaus bühnenpräsente Mezzosopranistin nahtlos ein, und mit dem Mann am Pult des fabelhaften Museumsorchesters bildete sie ohnehin bereits ein eingespieltes Team. Denn dort stand Lothar Zagrosek, gerade auf dem Sprung zum Chefdirigenten des Berliner Sinfonieorchesters, aber derzeit noch GMD der Stuttgarter Staatsoper, wo er kürzlich mit Renée Morloc eine Elektra herausgebracht hatte.

Beim Frankfurter Premieren-Dirigenten Paolo Carignani wurde damals sein überaus transparenter Klang gelobt. Auch Lothar Zagrosek meisterte die Riesen-Partitur jetzt klar und präsent, doch entwickelte sich bei ihm darüber hinaus ein Malstrom von enormer Sogwirkung. Diese knapp zwei Stunden Strauss bieten musikalisch nie nachlassende Energie, Entspannung nicht vorgesehen.

Szenisch geht es nicht weniger angespannt zu. Falk Richter bildet eine kalte Guantanamo-Umgebung ab, Elektras Rachebruder Orest (abgründig: Peteris Eglitis) ist ein Taliban, der über jedes Ziel hinausschießt. Wahnsinn in allen Lagern. Kurz und gnadenlos.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 05.02.2006 um 17:08:33 Uhr
Erscheinungsdatum 06.02.2006

 

Frankfurter Neue Presse
6.2.2006

Rache aus Sehnsucht
Die „Elektra" von Richard Strauss in der Inszenierung von Falk Richter wurde an der Oper Frankfurt wiederaufgenommen.

Von Rudolf Jöckle

Wunder, Zeit des atemlosen Staunens, gibt es immer wieder. So war es bei dieser „Elektra". Unter Lothar Zagroseks zwingender Leitung sang und spielte sich das Ensemble Herz und Seele aus dem Leib, getragen von einem Orchester, das es an dramatischer Inbrunst wie fast meditativer Versenkung trug: Frei von Schwulst und mit erstaunlich sinnlicher Kraft.

Zum zentralen Ereignis freilich wurde das Frankfurt-Debut von Caroline Whisnant (sie sang schon die Lady Macbeth) in der Titelpartie: in einer herzzerreißenden Darstellung zwischen dem unnachgiebigen Racheruf und einer unstillbar-verzweifelten Sehnsucht nach dem schöneren Leben, Augenblicken des Jauchzens und der Dunkelheit des Todes und einer unentrinnbaren Trauer ums verlorene Glück. Wundervoll verbindet die reiche, in der Höhe leuchtende Stimme diese Bilder der wilden Tragödin und der einsamen jungen Frau.

Dass das übrige Ensemble sich nicht in ihrer Übermacht verlor, zeugt von dessen Substanz, aber auch von der durchdachten Inszenierung. Renée Morloc, kurzfristig eingesprungen, ist eine präzise, bösartig-überkandidelte Klytemnästra, Ann-Marie Backlund eine mädchenhaft-bewegliche, auch vokal anrührende Chrystothemis, Peter Eglitis wiederum eine energischer und ebenso undurchsichtiger Orest. Dazu in genauer Präsenz und damit beispielhaft für alle anderen Hans-Jürgen Lazar (Ägisth), nicht zuletzt Barbara Zechmeister als leidenschaftlich aufbegehrende fünfte Magd. Jubel ohne Ende.

 

OFFENBACH POST
8. Februar 2006

Glaubhafte Seelenpein
Caroline Whisnant triumphiert als Frankfurter "Elektra"

Blut fließt schon zu den ersten Takten; aus Eimern gießen es die Mägde am Hof von Mykene. Und am Ende wird Elektra vor Leichen zusammenbrechen. Ihr Bruder Orest hat die Mutter Klytämnestra und ihren Liebhaber Ägisth getötet, aus Rache für deren Mord am Vater Agamemnon. Es steckt viel von den psychoanalytischen Erkenntnissen eines Sigmund Freud in diesem drastischen Einakter, in dem sich Hugo von Hofmannsthals Libretto so kongenial mit der Musik von Richard Strauss verbindet. Jetzt wurde "Elektra" an der Oper Frankfurt wieder in den Spielplan aufgenommen.

Regisseur Falk Richter hatte für die Premiere seiner Inszenierung in der vergangenen Spielzeit eine nicht weniger drastische Erzählweise gefunden, an deren tief pessimistischem Ende Orest weniger als Erlöser, vielmehr als nach Macht strebender Wiedergänger seiner Mutter Klytämnestra auftritt.

Erfreulicherweise ist die exakte Personenführung Falk Richters in der Wiederaufnahme nahezu bis ins Detail erhalten geblieben (szenische Leitung: Orest Tichonov), obwohl zwei Hauptpartien neu besetzt worden sind: Renée Morloc, Ensemblemitglied der Oper Düsseldorf, ist als Klytämnestra in Vertretung für die erkrankte Elzbieta Ardam mit auch vokal treffender, dunkler Dämonie zu erleben.

Die herausragende Leistung dieser Wiederaufnahme bietet freilich Caroline Whisnant als Elektra. Die Sopranistin, in Frankfurt zuletzt als Lady in Giuseppe Verdis "Macbeth" zu erleben, bietet in knapp zwei pausenlosen Aufführungsstunden nicht nur eine enorme konditionelle Leistung. Sie scheint für ihre Mammut-Partie Elektras seelische Turbulenzen regelrecht verinnerlicht zu haben, lässt sie noch an kleinsten mimischen, gestischen Details ablesen. Und überzeugt dabei vokal mehr durch ausdrucksstarke Ehrlichkeit als durch reinen Schönklang - in dieser Partie völlig zu Recht: Hier darf sich Sopran-Kraft durchaus in Schärfen, in Entfesselung, sogar in Ekstase entladen, wenngleich Whisnant natürlich auch die leisen, täuschend süßlichen Momente, etwa in Elektras Gespräch mit ihrer Mutter, exzellent gestaltet: Völlig verdient wird sie vom Publikum für ihre Ausnahme-Leistung beim Schlussapplaus enthusiastisch gefeiert.

Am Pult des Museumsorchesters hat Lothar Zagrosek die musikalische Leitung der "Elektra" von Paolo Carignani übernommen. Zagroseks Strauss-Deutung wirkt insgesamt klanglich vielschichtiger, zuweilen kantiger, herber, aber eben auch farblich differenzierter und verbindet sich auf diese Weise ideal mit Caroline Whisnants Elektra-Interpretation. Wie in der vergangenen Spielzeit ergänzen Ann-Marie Backlund als Elektras Schwester Chrysothemis, Peteris Eglitis (Orest) und Hans-Jürgen Lazar (Ägisth) in weiteren zentralen Partien die Besetzung zur ausgewogenen Ensembleleistung.

AXEL ZIBULSKI