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20. Mai 2006

Oper Frankfurt, 22. Juni 2006
"La finta semplice" von Wolfgang Amadeus Mozart
Im Mozartjahr steht nun mit La finta semplice im Bockenheimer Depot eine der ersten Opern des Wunderkindes auf dem Programm. Regie führt Christof Loy, „Regisseur des Jahres" 2003 und 2004, der in Frankfurt bereits u.a. mit Mozarts Entführung aus dem Serail erfolgreich war.

Inszeniert La finta semplice: Christof LoyAnfang des Jahres 1768 hielt sich der fast zwölfjährige Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) in Wien auf. Eine Audienz bei Kaiser Joseph II. im Januar 1768 regte ihn zur Komposition einer Oper an; den Auftrag erhielt er kurz darauf durch Giuseppe Afflisio, den Pächter der Wiener Theater. Eine Wiener Uraufführung kam jedoch aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände und Intrigen nicht zustande. Mozarts erster Beitrag zur italienischen Oper wurde vermutlich erstmals 1769 in Salzburg gegeben.

Zum Inhalt: Der Weiberfeind Don Cassandro hält sich und seinen Bruder Don Polidoro von den Frauen fern. Als sich der ungarische Hauptmann Fracasso in Giacinta, die Schwester der Brüder, verliebt, ist eine Einwilligung der beiden zur Hochzeit des Paares unwahrscheinlich. Rosina, die Schwester Fracassos, greift daher zu einer List: Als vorgeblich Einfältige verdreht sie beiden Brüdern die Köpfe und macht sie zu Konkurrenten um ihre Gunst. Im Eifer des Gefechts willigt Cassandro schließlich in die Hochzeit seiner Schwester und Fracassos ein.

Die musikalische Leitung dieser Neuproduktion liegt bei der Britin Julia Jones, die 2003 an der Oper Frankfurt mit Mozarts Entführung debütierte. Mit diesem Werk stellte sie sich 2004 auch erstmals bei den Salzburger Festspielen vor. Der Bariton Robin Adams (Don Cassandro) sang in der vergangenen Spielzeit in Brittens Curlew River im Bockenheimer Depot, während Nicholas Phan (Don Polidoro) in dieser Produktion sein Frankfurt-Debüt vorlegt. Alexandra Lubchansky (Rosina) begeisterte bereits als Blonde in Loys Erfolgsinszenierung der Entführung. Der Frankfurter Musikhochschüler Christian Dietz (Fracasso) war kürzlich in Monteverdis Combattimenti im Depot erfolgreich. In weiteren Partien sind die Ensemblemitglieder Jenny Carlstedt (Giacinta), Britta Stallmeister (Ninetta) und Florian Plock (Simone) besetzt. (nrc)

 

Frankfurter Neue Presse
09.06.2006

Der Geniestreich eines Zwölfjährigen
Christof Loy inszeniert für die Oper Frankfurt Mozarts „La finta semplice". Premiere ist am 22. Juni im Bockenheimer Depot.

Von Birgit Popp

Mit „La clemenza di Tito" eröffnete die Oper Frankfurt am 27. Januar, dem 250. Geburtstag des Salzburgers, das Mozart-Jahr. Mit Mozarts Frühwerk „La finta semplice" (Die Einfältige aus Klugheit) und Händels „Agrippina", die am 23. Juni im Opernhaus Premiere hat, endet dann die Reihe der Neuproduktionen der Oper Frankfurt für diese Spielzeit.

1768 schrieb Mozart seine erste Opera buffa, seine erste komödiantische Oper im italienischen Stil. Die Anregung zur Komposition und zum eigenen Dirigat des Werkes soll bei einer Audienz direkt vom österreichischen Kaiser Joseph II. gekommen sein. Der Kaiser konnte die Oper allerdings nicht in Auftrag geben, dieser soll vom Wiener Theaterdirektor Giuseppe Afflisio erfolgt sein. Der zwölfjährige Mozart traf jedoch auf eine Wand von Neidern, unter ihnen wohl Christoph Willibald Gluck, die Sänger und Orchester gegen den jungen Komponisten aufbrachten. Dass die 558 Seiten umfassende Partitur gar nicht von Mozart stammen würde, sondern von seinem Vater Leopold, widerlegte dieser, indem er vor den Augen berühmter Zeitzeugen seinen Sohn eine ihm unbekannte Arie samt Orchestrierung vertonen ließ.

Die kaum fassbare Genialität des Zwölfjährigen, seine Meisterschaft in der musikalischen Charakterisierung der Personen, seine Freude am Buffonesken, seine musikdramatische Gestaltungskraft spiegeln sich bereits in „La finta" wider. Trotz seiner Jugend konnte Mozart als Vollender dessen angesehen werden, was die zeitgemäße Oper hervorgebracht hatte, weniger denn als Revolutionär. Es gelang ihm, die vielen Einflüsse aufzunehmen und zu einem eigenen Stil zu verarbeiten Von dieser Perfektion zeugen Opern wie der „Figaro", „Don Giovanni" oder „Cosí fan tutte". Vorgänger für seine in diesen Opern zur Berühmtheit gelangten Figuren finden sich bereits in seiner ersten Opera buffa. Die Basspartie des cleveren Sergeanten und Dieners Simone lässt Leporello erahnen, die Zofe Ninetta eine Despina.

Intrigen und Geldschwierigkeiten Alffisios verhinderten die Aufführung der bis Sommer 1768 komponierten Oper in Wien, für eine vermutete Uraufführung 1769 in Salzburg fehlen eindeutige Zeugnisse. Über eineinhalb Jahrhunderte hinweg wurde den Frühwerken Mozarts keine Beachtung geschenkt. Dies hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts geändert.

Mit „La finta semplice" leistet die Oper Frankfurt ihren Anteil an der Renaissance der mozartschen Frühwerke. „Mozart muss für mich in jedem Opernspielplan eine dominierende Rolle spielen, denn es ist ganz wichtig, dass junge Sänger nicht überfordert werden", so Intendant Bernd Loebe. „Wenn sie die richtigen Partien lernen und singen, können sie sich damit ein Fundament für eine langangelegte Karriere schaffen. Mozart muss man sehr diszipliniert und bewusst singen. Die Technik wird bei Mozart automatisch geschult.Auch, wenn die Sänger es manchmal als unangenehm empfinden, Mozart singen zu müssen, und sie sagen, sie hätten keine natürliche Stimme mehr für Mozart – um so wichtiger ist es für sie, sich in dieses Korsett zu fügen."

In „La finta semplice" deute sich, so Loebe, an, was in „Cosí fan tutte" richtig hervorkommt: die Wechselhaftigkeit der Gefühle, die typische mozartsche Unsicherheit, wie sehr kann ich meinen eignen Gefühlen vertrauen, inwieweit kann sich mein Partner auf mich verlassen, wie gut kenne ich meine eigenen Gefühle.

Die musikalische Leitung der Neuproduktion liegt in den Händen der britischen Dirigentin Julia Jones, die bereits 2003 zum Erfolg der Frankfurter „Entführung" beitrug. Das Sängerensemble setzt sich aus einer Mischung aus Gästen und Frankfurter Ensemblemitgliedern zusammen: Der reiche „Weiberfeind" Don Cassandro und sein dümmlicher Bruder Don Polidoro werden von Robin Adams und Nicholas Phan verkörpert, ihre heiratswillige Schwester Giacinta von Jenny Carlstedt, deren ebenso heiratswillige wie listige Zofe Ninetta von Britta Stallmeister, der in Giacinta verliebte ungarische Hauptmann Fracasso von Christian Dietz, sein mit Ninetta verbandelter Sergeant Simone von Florian Plock und Fracassos Schwester Rosina, die Einfältige aus Klugheit, von Alexandra Lubchansky.

Frankfurter Neue Presse
21.06.2006

Das Werk eines Wunderkinds

Wurde das Mozart-Jahr im Januar an der Oper Frankfurt mit der Premiere von „La clemenza di Tito" – einem der letzten Bühnenwerke des Komponisten – eingeläutet, so steht nun mit „La finta semplice" eine seiner ersten Opern auf dem Programm: Mozart war, als er die Oper 1768 schrieb, erst zwölf Jahre alt und wurde am Wiener Hof als Wunderkind herumgereicht. Regie führt wieder Christof Loy, „Regisseur des Jahres" 2003 und 2004, der in Frankfurt bereits unter anderem mit Mozarts „Entführung aus dem Serail" erfolgreich war; die musikalische Leitung hat Julia Jones, die 2003 an der Frankfurter Oper mit dem gleichen Werk debüttierte.

 

Frankfurter Rundschau
20.06.2006

Sopranistin Britta Stallmeister im FR-Interview
"Mozart verzeiht nichts"

Frankfurter Rundschau: Frau Stallmeister, ist eigentlich noch Mozart-Jahr?

Britta Stallmeister: Natürlich! Das ganze Jahr!

Rein rechnerisch schon. Doch mit Fußball-WM und Sommerwetter kann man den Eindruck gewinnen, Mozart habe ausgespielt, das Feuerwerk ist verglüht.

Das ist nur ein kleines Zwischentief. Mit den Salzburger Festspielen geht es dann wieder richtig los, dann mit den Opernneuproduktionen im Herbst, unser Le nozze di Figaro kommt erst im nächsten Frühjahr, wenn das Mozart-Jahr eigentlich dann wirklich vorbei ist. Eigentlich ist Mozart-Jahr ja immer.

Das sagt auch Ihr Chef, Intendant Bernd Loebe. Denn für Sänger sei Mozart die beste Schule. Oder wörtlich: Mozart müsse man sehr diszipliniert und bewusst singen. Warum denn?

Mozart ist pur. Bei ihm muss jeder Ton sowohl technisch als auch musikalisch und emotional sitzen. Mozart verzeiht nichts, sagen wir Sänger. Bei Puccini oder auch bei vielen russischen Opern kann man sich mit viel Herz auch mal über ein technisches Tief hinüberretten. Wenn man aber bei Mozart nicht denn Punkt trifft, führt das sofort zu Irritationen. Man muss bei ihm manchmal noch sehr barock, sehr instrumental denken. Mozart ist gnadenlos, aber dadurch auch so ungeheuer schön.

Wie bei einem Steak also, das auf die Sekunde gebraten sein muss, während ein Gulasch auch mal weiter schmoren darf?

Kein schlechter Vergleich. Oder wie Pasta, die al dente sein muss. Für Mozart muss man immer auch frisch sein, ihn müde zu singen funktioniert nicht.

Nun ist aber Mozart nicht gleich Mozart. Sie hatten kürzlich in seiner späten, großen opera seria "La clemenza di Tito" gesungen, jetzt sind Sie die Ninetta im frühen dramma giocoso "La finta semplice. Braucht es für den frühen Mozart einen anderen Stimmansatz als für den reifen?

Ein bisschen schon. Der Titus ist schon wesentlich dramatischer, und meine Partie der Servilia dort ist nicht mehr mit der Ninetta vergleichbar. Eine Ninetta muss doch wesentlich leichter klingen, wobei ich mit "leicht" nicht anspruchslos meine. Als ich zum ersten Mal den Klavierauszug las, dachte ich: Ganz nett, unkompliziert, lernt sich rasch. Das aber hat sich schnell relativiert - was am leichtesten aussieht, ist ja oft letztendlich am schwersten. Man muss die Freiheit, die man hier hat, auch nutzen, etwas mit Verzierungen, man ist in der Gestaltung fast mehr gefordert als in einem Titus, der ja schon eine gewisse festgeschriebene Interpretationsgeschichte hat. Nach der Arbeit an La finta semplice werde ich vielleicht Repertoirestücke wie Die Zauberflöte auch wieder neu hinterfragen und die Frische darin suchen, die man jetzt hier entdeckt hat.

Hört man, dass "La finta semplice" das Werk eines Zwölfjährigen ist?

Wenn ich überlege, was ich mit zwölf gemachte habe: Schlecht Geige gespielt und sonst Neue Deutsche Welle gehört. Und er schreibt eine abendfüllende Oper, die schon ganz Mozart ist, da gibt's nichts dran zu rütteln. Spannend ist ja, was für einen Blick hier ein Kind auf eine Erwachsenenwelt geworfen hat, wie er Charaktere zugeordnet, wie er die Personen gepackt hat. Das sind absolut moderne, heutige Konstellationen.

Die Grundkonstellation könnte man folgendermaßen beschreiben: Männer mit wenig Hirn werden gesteuert von Frauen mit viel Kalkül. Ins Heute gedacht, fällt einem bei der "finta semplice", der "Einfältigen aus Klugheit" Verona Poth ein: Die doofe Maus spielen und kräftig davon profitieren.

Ja, das passt. Doch typisch für den Regisseur Christof Loy ist, dass er an jeder Figur mehrere Seiten herauszuarbeiten versteht. Das sind nicht nur Männer ohne Hirn, sie können auch rührend, naiv, jung sein. Alle Beteiligten sind auch widersprüchliche Charaktere, sie sagen oft das Gegenteil von dem, was sie fühlen - auch das ein sehr modernes Menschenbild. Das ist ja überhaupt der Reiz bei Mozart, in allen seinen Opern: Man erkennt sich selbst, die Interaktionen gehen einen immer etwas an. Es gibt andere Opern mit toller Musik, die man eher distanziert betrachtet, weil es mit dem eigenen Sein überhaupt nichts zu tun hat. Mozart aber ist immer menschlich und damit zeitlos.

Interview: Stefan Schickhaus

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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 19.06.2006 um 18:00:16 Uhr
Letzte Änderung am 19.06.2006 um 18:39:13 Uhr
Erscheinungsdatum 20.06.2006

Britta Stallmeister
Interview

Britta Stallmeister singt seit 1998 im Ensemble der Oper Frankfurt. Die Sopranistin übernahm hier bereits zahlreiche Partien in Mozart-Opern, von Pamina bis zur Servilia in "La clemenza di Tito". Jetzt ist sie als Ninetta in "La finta semplice" zu hören, einer Oper des zwölfjährigen Mozart.
Im Bockenheimer Depot trifft das Team der so erfolgreichen "Entführung aus dem Serail" aus dem Jahre 2003 zusammen: Christof Loy als Regisseur und Julia Jones als Dirigentin.