Frankfurt Rundschau
29. Mai 2006

Ponchiellis "La Gioconda" in der Alten Oper
Mit Gift, Dolch und Rosenkranz

VON BERNHARD USKE

"Rollendebüt" und "Debüt an der Oper Frankfurt" - kein Name stand auf dem Besetzungszettel der konzertanten Aufführung von Amilcare Ponchiellis La Gioconda, die von der Oper Frankfurt in der Alten Oper veranstaltet wurde, der nicht unter eine der beiden Premium-Kategorien gefallen wäre. Bis auf einen - den von Alessandra Rezza, denn diese Sängerin hat die Titelrolle bereits in Warschau, Berlin und Modena gesungen. Gottseidank, muss man sagen, denn als am Tag der Aufführung klar wurde, dass die für die Titelpartie einstudierte Paoletta Marrocu nicht würde auftreten können, schien das Ende des halbveristischen Eifersuchtsdramas von 1876 schon besiegelt, bevor es überhaupt über das Podium des großen Saals gegangen war.

Man setzte bei der Oper Frankfurt alles auf eine Karte und ließ per Flugzeug kommen, was die Agenturen bei diesem nicht an jeder Straßenecke gespielten Stück in Petto hatten. Glück im Unglück war, dass Alessandra Rezza zur Verfügung stand, die man von der konzertanten Opernproduktionen am selben Ort vor fast genau einem Jahr in bester Erinnerung hatte. Eine Dreiviertelstunde vor Aufführungsbeginn kam die Einspringerin in Frankfurt an, aber mit ihr ließ sich das Abenteuer eines Kaltstarts ohne Probe wagen. Die Rezza hatte schon damals, als Leonora in Giuseppe Verdis Die Macht des Schicksals extrem beherrscht gewirkt, wie ein Fels in der Brandung des Tönewogens. Nicht einmal eine Warmlauf- und Anschubphase war bei ihr nötig, nachdem Paolo Carignani mit gewohntem Italo-Brio den Ponchiellischen Arien-, Ensembles- und Chöreparcours eröffnet hatte.

Absurde Verwicklungen

Der helle und wohlgeformte Stimmhabitus, der, bei nicht allzu großer Offenheit und feinem, gleichmäßigem Metall-Glanz, zu starken Vokalemissionen ausholen kann, passte gut zu der Rolle der eifernden, aber schließlich doch zur Entsagung fähigen Liebenden. Diese Gioconda agiert in einer absurd komplizierten Dreiecks- und Überkreuz-Verwicklung, die alles hat, was man nicht versteht, aber immer gerne hören will: zwei Frauen samt blinder Mutter, dazu drei Männer sowie Gift, Dolch und Rosenkranz. Zu hören also gab es die Fülle, denn der singenden Gioconda-Statue Rezza gesellten sich als mütterlicher Alt Elzbieta Ardam und der dramatische Mezzosopran Michaela Schusters, die sehr nachdrücklich die Rivalin Laura Adorno gab.

Auf Seiten der Männer postierten sich zwei stimmliche Großkaliber: Zeljko Lucic war als Barnaba der notwendige Bösewicht, Johan Botha der edle und gute Grimaldo. Alle zusammen waren Garanten eines Sängerfests, wie es das jubelnde Publikum sich erhofft hatte. Aus schier unerschöpflichen Potenzialen speiste sich der satte, streichzarte Tenor Bothas neben den baritonalen Druckwellen, die Lucic ins Auditorium sandte. Dazu kam der würdige Bass von Magnus Baldvinssons und der sehr bewegliche und klare Simon Bailey in zwei kleineren Rollen.

Singen vorm Notenpult

Spätestens nach der tumultuarischen großen Ensemble-Nummer des ersten Akts Ribellion! Che? La plebe or qui si arroga war das Frankfurter Debütantenkollektiv mitten drin im Geschehen. Jetzt griffen die Stimmen ineinander und waren etwas steife anfängliche Vokalsetzungen vergessen. Was die konzertante Performance anbelangt, hatte man die Solisten anscheinend ganz sich selbst überlassen, was zu einem drögen Vom-Blatt-Singen führte. Nur Michaela Schuster zeigte, dass man, auch wenn man vor einem Notenpult steht, schön singend auch packend spielen kann. An Vortragsblässe schoss Magnus Baldvinssons den Vogel ab, so sehr vermittelte er den Eindruck, etwas aus einem Telefonbuch vorsingen zu müssen, in dem er eigentlich angestrengt nach einem Gesprächsteilnehmer sucht.

Das Opernorchester unter Paolo Carignani zündelte, wo es nur konnte. Es ging aber auch anders, wie die wunderbaren Celli nicht nur zu Beginn der Ouvertüre mit ihrem Solo-Quartett zeigten. Der Opernchor mit wie ein Mann singender Bass -und Tenor-Homogenität und gleißenden Sopranen wirkte wie ein megalomaner Solist und war eine Wucht.

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Dokument erstellt am 28.05.2006 um 17:00:10 Uhr
Erscheinungsdatum 29.05.2006

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rhein-Main-Zeitung
29.05.2006

"Gioconda" in der Alten Oper
Warten auf den Tanz der Stunden

[…] Mit glühender Intensität und dem Entfaltungsvermögen ihres leuchtenden, auch im hohen Register mühelosen Soprans vermochte Alessandra Rezza als Gioconda von Anbeginn für sich einzunehmen. Michaela Schusters leichter, in Sopranhöhe mühelos sich aufschwingender Mezzo in der Rolle der Laura stand dieser Leistung kaum nach. Der Tenor Johan Botha war ein auch in der Höhe betörender, feine Legati in einem fließenden Melos gestaltender Enzo Grimaldo. Mit erstaunlicher Flexibilität seines Timbres und enormer Gestaltungsfähigkeit verkörperte der Bariton Zeljko Lucic beeindruckend den Bösewicht Barnaba. Die kleinere Rolle der Cieca wurde von Elzbieta Ardam souverän gemeistert. Anstelle von Yan-Lei Chen und Jin-Soo Lee übernahm Simon Bailey verschiedene Nebenrollen. Magnus Baldvinsson wirkte als Alvise zunächst leicht indisponiert, fand dann aber doch zu eindringlicher Gestaltung seiner Rolle.

Am vortrefflichen Gelingen dieser Aufführung hatten Chor, Extrachor und Kinderchor der Oper Frankfurt unter der Leitung von Alessandro Zuppardo großen Anteil. Zu Recht gefeiert wurde auch Generalmusikdirektor Paolo Carignani für einen vor Esprit nur so sprühenden Orchesterklang. […]

HARALD BUDWEG

 

Frankfurter Neue Presse
29.05.2006

Intrigantes Verwirrspiel
Die Frankfurter Oper führte Amilcare Ponchiellis Oper „La Gioconda" konzertant in der Alten Oper auf.

Christoph Loy hat sie 1995 in Bremen in Szene gesetzt, die Erfahrung und Kompetenz hätte die Oper also im Haus gehabt. Auch die entsprechenden Sänger mit ausreichend darstellerischer Routine konnten in der Alten Oper aufgefahren werden. Dennoch entschied sich die Frankfurter Oper zu einer konzertanten Aufführung von Ponchiellis (1834–1886) einziger Oper.

Das Verwirrspiel voller Intrigen im Venedig des 17. Jahrhunderts geht von dem Inquisitions-Spitzel Barnaba (Zeljko Lucic) aus. Er ist in die Straßensängerin La Gioconda (Alessandra Rezza) verliebt, die sich zu dem deklassierten Prinzen Enzo (Johan Botha) hingezogen fühlt. Dieser kann sich nicht von der einstigen Geliebten Laura (Michaela Schuster) lösen, die mittlerweile mit Alvise (Magnus Baldvinsson), einem Protagonisten der Inquisition, verheiratet ist. Barnaba gelingt es, Enzo in eine Falle zu locken und ihn dann zu befreien – unter der Bedingung, dass sich Gioconda ihm hingibt. Die muss erleben, wie Laura und Alvise miteinander glücklich werden und sieht ihr Heil nur noch im Selbstmord.

Von all dieser Spannung und Dramatik geht in einer konzertanten Aufführung einiges verloren, dennoch ist es dem großartig disponierten Ensemble gelungen, ein wenig von der Atmosphäre der Handlung zu transportieren. Vor allem war das der Sopranistin Alessandra Rezza zu verdanken, die in letzter Minute für Paoletta Marrocu eingesprungen war. Zwei Stunden zuvor war sie am Flughafen gelandet und gestaltete ihre Partie doch, als ob sie sich unter optimalen Bedingungen darauf vorbereitet hätte.

Faszinierend ihre ausdrucksstarke Mimik, der man die szenische Erfahrung mit dem Werk anmerkte. Ihre große Stimme, die manchmal gezielt scharf und schneidend werden kann, setzte sie ohne Anflug von Überanstrengung ein. Mühelos gelangen ihr große Intervallsprünge, ihre Erzählungen waren immer packend. Außerdem ist sie mit einer bemerkenswerter Tiefe ausgestattet. Daneben etablierte sich Michaela Schuster (Mezzosopran) erfolgreich, Elzbieta Ardam empfahl sich mit sattem, nie zu üppigem Alt in der Rolle der blinden Mutter Giocondas.

Unter den Männern stach Tenor Johan Botha hervor, der effektvolle Akzente setzte, Zeljko Lucic gab einen kernigen Barnaba, lediglich Magnus Baldvinsson blieb etwas farblos. Paolo Carignani spornte das Museumsorchester und die packend agierenden Chöre des Hauses zu Höchstleistungen an, die sich auch im begeisterten Schlussapplaus widerspiegelten. (hon)

 

Allgemeine Zeitung
30.05.2006

Vokale Sternstunden
"La Gioconda" konzertant in der Alten Oper

Von Axel Zibulski

FRANKFURT Wenn man versierte Kenner italienischer Opern verunsichern möchte, empfiehlt sich die kurze Bitte, doch einmal in möglichst wenigen Sätzen die Handlung von Ponchiellis Vierakter "La Gioconda" nachzuerzählen. Auf die vielleicht vorgetragene Bekundung, das Stück schon einmal oder gar mehrfach im Wege einer konzertanten Aufführung erlebt zu haben, folgt dann in der Regel das Eingeständnis, dieses vokale venezianische Intrigen-Spektakel beim besten Willen nicht in Kürze fassen zu können.

Wohl ist "La Gioconda", diese 1876 in Mailand uraufgeführte Oper zwischen Verdi und musikalischem Verismo, auf italienischen Bühnen auch heute noch im Repertoire vertreten. Aber in Deutschland lässt sich das Werk des Puccini-Lehrers Ponchielli nur selten und dann zumeist in einer konzertanten Aufführung erleben - wie jetzt in einer Koproduktion der Oper Frankfurt mit der Alten Oper Frankfurt.

Dass Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani den kraftvollen musikalischen Aplomb mit dem Frankfurter Museumsorchester, dem vorzüglich disponierten Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt nicht scheute, gab der Aufführung einen feurigen, lebendigen Grundton. Zugleich klang das Orchester farblich bestens austariert, wie es besonders eindrucksvoll in der populären Wunschkonzert-Nummer des "Tanz der Stunden" zu erleben war. Vor allem aber entwickelte sich diese konzertante "Gioconda" bald zu dreieinhalb vokalen Sternstunden.

In der Titelpartie war die Italienerin Alessandra Rezza so kurzfristig für die erkrankte Paoletta Marrocu eingesprungen, dass sogar der Beginn der Aufführung um eine halbe Stunde verzögert werden musste. Vor diesem Hintergrund war es nur verständlich, dass sie ihren glutvollen, eher dunkel timbrierten Sopran vor allem im dritten und vierten Akt leidenschaftlich bis exaltiert entfaltete. Koordinatorische Probleme hatte es freilich von Anfang an nicht gegeben. In der Partie der Genueserin Laura Adorno wirkte Michaela Schusters Mezzosopran ausgeglichen, artikulatorisch sauber. Die Herren standen diesem hohen vokalen Niveau nicht nach: Johan Botha lieh dem Enzo Grimaldo seinen so belcantistisch kultivierten Tenor. Aber auch Zeljko Lucic als profunder Barnaba trug in Frankfurt zum Sängerfest bei.

 

WIESBADENER KURIER
29.05.2006

Stark gefeiertes Sängerfest
Oper Frankfurt in der Alten Oper: "La Gioconda" konzertant

Von Axel Zibulski

FRANKFURT Wenn man versierte Kenner italienischer Opern verunsichern möchte, empfiehlt sich die kurze Bitte, doch einmal in möglichst wenigen Sätzen die Handlung von Amilcare Ponchiellis Vierakter "La Gioconda" nachzuerzählen. Auf die vielleicht vorgetragene Bekundung, das Stück schon einmal oder gar mehrfach im Wege einer konzertanten Aufführung erlebt zu haben, folgt dann in der Regel das Eingeständnis, dieses vokale venezianische Intrigen-Spektakel beim besten Willen nicht in Kürze fassen zu können. Selbst Librettist Arrigo Boito, auch verantwortlich für die Texte von Giuseppe Verdis bedeutenden Spätwerken "Otello" und "Falstaff", versteckte sich für die Victor-Hugo-Adaption um die "Gioconda" genannte Straßensängerin im Venedig des 17. Jahrhunderts hinter dem Buchstaben-Pseudonym "Tobia Gorrio".

Wohl ist "La Gioconda", diese 1876 in Mailand uraufgeführte Oper zwischen Verdi und musikalischem Verismo, auf italienischen Bühnen auch heute noch im Repertoire vertreten. Aber in Deutschland lässt sich das Werk des Puccini-Lehrers Ponchielli nur selten und dann zumeist in einer konzertanten Aufführung erleben, die bestenfalls das in musikalischer Hinsicht Zündende, den insoweit mitreißenden Effekt des Werks hervorkehren kann, wie es jetzt in einer Koproduktion der Oper Frankfurt mit der Alten Oper Frankfurt gelang.

Dass Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani den kraftvollen musikalischen Aplomb mit dem Frankfurter Museumsorchester, dem vorzüglich disponierten Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt nicht scheute, gab der Aufführung einen feurigen, lebendigen Grundton. Zugleich klang das Orchester farblich bestens austariert, wie es besonders eindrucksvoll in der populären Wunschkonzert-Nummer des "Tanz der Stunden" zu erleben war. Vor allem aber entwickelte sich diese konzertante "Gioconda" bald zu dreieinhalb vokalen Sternstunden, waren doch gerade die Hauptpartien durchweg großartig besetzt.

In der Titelpartie war die Italienerin Alessandra Rezza so kurzfristig für die erkrankte Paoletta Marrocu eingesprungen, dass sogar der Beginn der Aufführung um eine halbe Stunde verzögert werden musste. Vor diesem Hintergrund war es nur verständlich, dass sie ihren glutvolle, eher dunkel timbrierten Sopran vor allem im dritten und vierten Akt leidenschaftlich bis exaltiert entfaltete. Koordinatorische Probleme hatte es freilich von Anfang an nicht gegeben, wie sich bereits in Giocondas Eröffnungsduett mit ihrer blinden Mutter (La Cieca) zeigte, die von Elzbieta Ardam mit ihrem so exakt geführten wie tragfähigen Alt gegeben wurde. In der Partie der Genueserin Laura Adorno wirkte Michaela Schusters Mezzosopran ausgeglichener, artikulatorisch sauberer als zuletzt bei ihrem Frankfurter Auftritt als Kundry in Richard Wagners "Parsifal".

Die Herren standen diesem hohen vokalen Niveau in der Alten Oper im wesentlichen nicht nach: Johan Botha lieh dem Enzo Grimaldo seinen so belcantistisch kultivierten Tenor, sorgte mit seiner dezent strahlenden, schwerelos gesungenen Arie "Cielo e mar" für besonders intensiven Zwischenapplaus. Aber auch Zeljko Lucic als profunder Barnaba und der in mehreren kleineren Partien zu hörende Bassbariton Simon Bailey garantierten in Frankfurt ein stark gefeiertes Sängerfest.

 

OFFENBACH POST
29. Mai 2006

Ponchiellis Sängerfest
Konzertante "La Gioconda" entfacht in Frankfurt Vokalzauber

Wenn man versierte Kenner italienischer Opern verunsichern möchte, empfiehlt sich die kurze Bitte, doch einmal in möglichst wenigen Sätzen die Handlung von Amilcare Ponchiellis Vierakter "La Gioconda" nachzuerzählen. Das vokale venezianische Intrigen-Spektakel lässt sich beim besten Willen nicht in Kürze fassen. Selbst Librettist Arrigo Boito versteckte sich für die Victor-Hugo-Adaption um eine Straßensängerin im Venedig des 17. Jahrhunderts hinter dem Pseudonym "Tobia Gorrio".

Wohl ist "La Gioconda", diese 1876 in Mailand uraufgeführte Oper zwischen Verdi und musikalischem Verismo, auf italienischen Bühnen heute noch präsent. Aber in Deutschland lässt sich das Werk des Puccini-Lehrers nur selten und dann zumeist in konzertanter Aufführung erleben, die bestenfalls das in musikalischer Hinsicht Zündende, den insoweit mitreißenden Effekt des Werks hervorkehren kann, wie es jetzt in einer Koproduktion der Oper Frankfurt mit der Alten Oper Frankfurt gelang.

Dass Generalmusikdirektor Paolo Carignani den kraftvollen musikalischen Aplomb mit dem Museumsorchester, dem vorzüglich disponierten Chor und Kinderchor der Oper nicht scheute, gab der Aufführung einen feurigen, lebendigen Grundton. Zugleich klang das Orchester farblich bestens austariert, besonders eindrucksvoll in der populären Wunschkonzert-Nummer des "Tanz der Stunden" zu erleben. Vor allem aber entwickelte sich die konzertante "Gioconda" zu dreieinhalb vokalen Sternstunden.

In der Titelpartie war die Italienerin Alessandra Rezza so kurzfristig für die erkrankte Paoletta Marrocu eingesprungen, dass sogar der Beginn der Aufführung um eine halbe Stunde verzögert werden musste. Vor diesem Hintergrund war es nur verständlich, dass sie ihren glutvolle, eher dunkel timbrierten Sopran vor allem im dritten und vierten Akt leidenschaftlich bis exaltiert entfaltete. Koordinatorische Probleme hatte es freilich nicht gegeben, wie sich bereits in Giocondas Eröffnungsduett mit ihrer blinden Mutter (La Cieca) zeigte, die von Elzbieta Ardam mit ihrem so exakt geführten wie tragfähigen Alt gegeben wurde. In der Partie der Genueserin Laura Adorno wirkte Michaela Schusters Mezzosopran ausgeglichener, artikulatorisch sauberer als zuletzt bei ihrem Frankfurter Auftritt als Kundry in "Parsifal".

Die Herren standen diesem hohen vokalen Niveau nicht nach: Johan Botha lieh dem Enzo Grimaldo seinen so belcantistisch kultivierten Tenor, sorgte mit seiner dezent strahlenden, schwerelos gesungenen Arie "Cielo e mar" für besonders intensiven Zwischenapplaus. Aber auch Zeljko Lucic als profunder Barnaba und der in mehreren kleineren Partien zu hörende Bassbariton Simon Bailey garantierten ein stark gefeiertes Sängerfest.

AXEL ZIBULSKI

 

klassik.com
26.05.2006

Mitreißendes Belcanto-Fest
Amilcare Ponchiellis Oper ‚La Gioconda’

Kritik von Midou Grossmann

‚La Gioconda’ ist auch heute immer noch, 130 Jahre nach ihrer Uraufführung in Mailand, eine der populärsten Belcanto-Opern in Italien und in den USA. In Deutschland ist das Werk in den letzten Jahren zumeist nur konzertant zu erleben gewesen. Vielleicht liegt das auch an dem etwas abstrusen Inhalt. ‚La Gioconda’ bedeutet soviel wie die Heitere, die Unbeschwerte und ausgerechnet hinter diesem Titel verbirgt sich eine Handlung, die einer Straßensängerin (La Gioconda) eine blinde Mutter, eine unglückliche Liebe und Verrat zumutet und die dann auch noch die Titelheldin in den Opfertod für ihren Geliebten und dessen neu aufgeflammte alte Liebe gehen lässt. Doch das Publikum in Frankfurt schien sich daran nicht zu stören und feierte die Aufführung nach knapp drei Stunden mit Bravo-Stürmen.

Dass die Vorstellung, eine Produktion der Oper Frankfurt, überhaupt stattfinden konnte, verdankte man der Sopranistin der Titelpartie, Alessandra Rezza, die kurz vor Vorstellungsbeginn aus Rom angeflogen kam. Die eingeplante Palotta Marrocu hatte krankheitsbedingt kurzfristig absagen müssen. Alessandra Rezza war ein Glücksfall, stand mit ihr doch eine Sängerin auf der Bühne, die der Partie, mit der Marie Callas 1947 ihr Karriere begründete, vollkommen gerecht wurde. Ihr warmer, ausgeglichener Sopran zeigte auch in den dramatischen Momenten ein großartiges Format und die Gestaltung des ‚Suicidio’ ging unter die Haut. Johan Botha in der Partie des Enzo war ebenfalls eine Idealbesetzung. Sein heldenhafter Tenor besitzt eine dynamische und auch feine Gestaltungspalette, Dramatik und Poesie sind gleichermaßen abrufbar. Nach der wohl bekanntesten Arie der Oper ‚Cielo e mar’, gab es begeisterten Applaus. Gleiches gilt auch für Željko Lučić ( Barnaba), der seinen enorm tragfähigen Bariton mit einer großen Kantabilität und Stilgefühl erklingen ließ. Da hatte es Michaela Schuster als Laura schwerer, obwohl ihr kräftiger, ausdrucksintensiver Mezzosopran sich behaupten konnte, fehlte ihrem Vortrag doch etwas Italianità. Bewegend dagegen Elzbieta Ardam als blinde Mutter La Cieca, etwas blass Magnus Baldvinsson in der Rolle des Alvise.

Dagegen zeigte sich der Dirigent Paolo Carignani als musikalisches Kraftpaket. Seinem eleganten und äußerst musikalischen Dirigierstil fehlte es nicht an Präzision und es gelang ihm immer wieder die Musiker zu Höchstleistungen anzufeuern. Klanglich effektvoll und zwischentonreich, erlebte man eine feurige und bezwingende Aufführung. Der Applaus des Publikums nach der Ballettmusik im dritten Akt bestätigte diesen Eindruck. Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt waren wie immer perfekt einstudiert von Alessandoro Zuppardo und Apostolos Kallos. Übrigens, das Werk erlebte seine deutsche Uraufführung 1884 im Hessischen Staatstheater Wiesbaden.

 

online musik magazin
Freitag, 25. Mai 2006

Überraschungen

Von Thomas Tillmann

Große Aufregung herrschte nicht nur am Pressetisch in der Alten Oper in Frankfurt, sondern auch in den Foyers: Der Beginn der für 19 Uhr angesetzten konzertanten Aufführung von Ponchiellis La Gioconda musste um letztlich vierzig Minuten verschoben werden, weil Last-Minute-Einspringerin Alessandra Rezza erst um 18.45 Uhr am Veranstaltungsort eingetroffen war (Paoletta Marrocu, die für diesen Abend ihr Rollendebüt geplant hatte, fühlte sich am Morgen des Konzerts aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Partie zu singen, und hat auch die zweite Vorstellung am 30. Mai abgesagt). Die Erstgenannte war für die Frankfurter Intendanz freilich keine ganz unbekannte, hatte sie in der Mainmetropole doch vor gut einem Jahr bereits als Leonora di Vargas debütiert. Die venezianische Straßensängerin hatte die 1975 in Velletri geborene Künstlerin bereits im polnischen Wroclaw, aber auch an der Deutschen Oper Berlin und in Modena interpretiert, so dass sie couragiert auf eine Verständigungsprobe verzichtete, ohne dass man im Verlauf des Abends Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den übrigen Mitwirkenden oder dem Dirigenten bemerkt hätte. Die gab es eher und mitunter schmerzlich mit der Attacke von Tönen oberhalb des Systems, die sie einfach nicht oder zum Teil erheblich zu tief erreichte, mitunter in Kombination mit einem unschönen Flackern. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es sich vielleicht weniger um ein technisches Problem handelt, sondern um ein psychologisches, das heißt dass sie einfach Angst hatte vor diesen exponierten Tönen und sich dann verkrampfte, was angesichts der Umstände mehr als verständlich wäre. Leider gelang es ihr so natürlich nicht, die vielen Ensembleszenen mit den glanzvollen Spitzentönen zu krönen, die man von einer Gioconda-Interpretin erwartet. Und doch gab es vieles zu bewundern an dieser wunderbaren, jungen, üppig-saftigen, aber nicht fetten Stimme, die von Zeit zu Zeit auch eine gewisse nicht unangenehme Schärfe zeigt, die herrlich gesund klingt in der reichen Mittellage und auch tiefe Töne unverkrampft erreicht, wobei es der Italienerin hoch anzurechnen ist, dass sie sich gerade in dieser Lage nicht zum Forcieren und zum unkontrollierten Einsatz der Bruststimme verleiten ließ, wie sie überhaupt an vielen Stellen eher auf subtiles, durchaus gehaltvolles Piano und Verinnerlichung als auf grobe Dramatik setzte - ein im besten Sinne altmodisches Singen in der Tradition einer Tebaldi und anderer italienischer Sängerinnen dieser Zeit, wobei die Optik eher an die junge Callas oder die Cerquetti erinnert. Ihre Interpretation und die Durchdringung des gesungenen Wortes allerdings bleiben im Moment noch eher Versprechen als Erfüllung - sie sollte noch ein paar Jahre die Finger von den sehr dramatischen Partien lassen (wie die Amelia in Un ballo in maschera, Abigaille in Nabucco, Lady Macbeth und Norma!), die Höhe stabilisieren und an der Agilität der Stimme weiter arbeiten, ihre expressiven Möglichkeiten erweitern und erst dann die Schritte zur ganz großen Karriere einleiten, die man ihr aufgrund der Qualität der Mittel zweifellos zutraut.

Auch über Johan Bothas interpretatorische Fähigkeiten und die Schönheit des vergleichsweise hellen, "geraden" Timbres mag es geteilte Meinungen geben - die Mühelosigkeit seines Singens auch in einer solch schwierigen Partie verdient jede Anerkennung (den Enzo sang er erstmals 1998 in Chicago), die endlosen Legatobögen, das heldische Auftrumpfen und die Forteraketen in den entscheidenden Momenten, aber noch mehr die vollendete messa di voce, die Risikobereitschaft, das heftig akklamierte "Cielo e mar" mit einem zarten Piano zu beenden.

Die vielleicht bemerkenswerteste, idiomatischste Leistung des Abends gelang Zeljko Lucic, der den Barnaba in der kommenden Saison auch an der New Yorker Met singen wird. Dabei ist es gerade in dieser langen Rolle leicht, sich mit Deklamieren als eindimensionaler Brunnenvergifter zu präsentieren und vokale Qualitäten hintan zu stellen. Der Bariton überzeugte dagegen mit der unangestrengten Virilität seines Singens, mit einer beeindruckenden klanglichen Fülle, mit großem Differenzierungsvermögen auch und gerade hinsichtlich der Dynamik, mit einer durchdachten Textwiedergabe - Maestro Carignani hätte ruhig eine Pause für verdienten Applaus nach dem prachtvollen "O monumento!" lassen können.

Nicht ganz nachvollziehen konnte ich den Jubel für Michaela Schuster, die sich nicht nur beim bunten Sommerkleid vergriffen hatte, sondern auch mit ihrer Neigung zu penetrantem Überspielen, zu aggressiven Effekten und aufdringlicher, vordergründiger Expressivität, die zu einer Preziosilla passen mögen, die sie am selben Ort gegeben hat, vielleicht auch zur Kundry, mit der sie im Opernhaus vor kurzem reüssierte, nicht aber zu Laura Adorno, die ja keine Chansonette ist. Die Stimme ist in erster Linie laut und metallisch, die Register sind nicht vollendet verbunden, die Höhe klingelt und verrät mindestens an diesem Abend nicht, warum die Künstlerin eine Soprankarriere anstrebt, die Mittellage klingt mir phasenweise zu quallig, die Tiefe zu vulgär. Dagegen war Elzbieta Ardam mit pastosem, reifen, nur beim Aufschwung in die Höhe etwas verspannt und steif werdenden Ton eine nicht nur im berühmten "Voce di donna o d'angelo" eine sehr schlichte, berührende La Cieca. Und sie ist eine der wenigen Sängerinnen, denen die tiefe Tessitur der Mutterpartie kaum Probleme bereitet - erstaunlich, dass auch sie an diesem Abend ihr Rollendebüt gab. Hörbar in die Jahre gekommen ist der zwar charaktervolle, aber doch auch ziemlich brüchig-heisere, an Nebengeräuschen reiche Bass von Magnus Baldvinsson, aber natürlich hatte sein Alvise immer noch Format, und ein netter Charakter ist der ja auch nicht. Simon Bailey nutzte anders als sein Tenorkollege Riccardo Iturra aus dem Chor nicht nur stimmlich jede Möglichkeit, um auf seine Mitwirkung in den kleineren Basspartien hinzuweisen.

Paolo Carignani setzte sich am Pult des Museumsorchester sehr für die Oper Ponchiellis ein, der Boitos antithetischer Dramaturgie verpflichtetem Libretto und damit eine grand opéra italien beschwörenden Ästhetik keineswegs vertraute, der wie manch anderer, aber vielleicht am wenigsten gerechtfertigt Opfer der dominierenden, ja übermächtigen Stellung Giuseppe Verdis im italienischen Musikleben der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war und der vielen eher als Lehrer von Puccini und Mascagni denn als eigenständiger Komponist bekannt sein dürfte. Wie stets bewies der Generalmusikdirektor große Sorgfalt im Detail, beschwor gefühlvoll tolle Farben und dichte Stimmungen, betörende Momente von großer Süße und solche überrumpelnder Dramatik, ohne dabei derbe oder knallige Effekte zu riskieren, auch nicht in den ausgelassenen Momente in der Furlana oder der berühmten Danza delle ore, wobei ich bei aller Bewunderung für die mitreißende Wiedergabe nicht verschweigen möchte, dass die Damen und Herren des Kollektivs nicht immer ganz zusammen waren und ins Schwimmen gerieten, was mir bei dem verstärkten Chören samt dem hervorragenden Kinderchor in der offenbar sorgfältigen Einstudierung von Alessandro Zuppardo nicht aufgefallen ist. Insgesamt könnte man sich das Werk rhythmisch pointierter, straffer, flotter und transparenter musiziert vorstellen, aber das bleibt Geschmackssache.

FAZIT
Das war ein überzeugendes Plädoyer für ein pralles Meisterwerk, das man gern häufiger wieder wenigstens in konzertanten Aufführungen erleben möchte (wie noch vor einigen Jahren an der Deutschen Oper am Rhein - wenn auch in heikler Besetzung - oder an den Wuppertaler Bühnen mit der individuellen, aber auf ihre Art hinreißenden Gudrun Volkert). Zsolt Horpácsy hat Recht, wenn er La Gioconda, dem "umstrittene(n) Melodramma" bescheinigt, es vermittle bei aller "Wildwüchsigkeit Momente echter musiktheatralischer Größe".