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20.12.2005

Oper Frankfurt, 15. Januar 2005
"Through Roses" von Marc Neikrug
Das Stück "Through Roses" schildert die traumatischen Erinnerungen des jüdischen Geigers Karl. Er hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt, wo er als Häftling Tätern wie Opfern auf seiner Violine aufspielen musste.

Christoph Quest in der Rolle des Geigers
(Bild: Wolfgang Runkel)

Das Stück folgt keiner linearen Erzählung, vielmehr verbindet es zunächst scheinbar zusammenhanglose, sich allmählich verdichtende Erinnerungsmomente. Der Text wird gesprochen, ist aber durchgängig von einem kammermusikalischen Satz unterlegt, wobei sich die musikalische und die textliche Ebene konkret ineinander verschränken: In der Erinnerung des alten Mannes erklingt all jene Musik, die er in bestimmten Situationen gespielt hat und die sich in musikalischen Zitaten von Bach bis Berg manifestiert.

So ist Through Roses als ein Monodrama über die Funktion von Musik zu verstehen: Die Musik bedeutet für den Geiger das Zentrum seiner Existenz und stellt für ihn das einzige Mittel dar, seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

Marc Neikrug

Der Amerikaner Marc Neikrug (*1946) gilt als eine der vielseitigsten Musiker-Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte. Seine Studien in den Fächern Klavier, Dirigieren und Komposition schloss er in Deutschland an der Musikhochschule Detmold ab. Seither ist er vor allem als Komponist, aber auch als Pianist, Dirigent und Festival-Leiter hervorgetreten. Nach seinem erfolgreichen Debüt als Pianist 1966 stand die Kammermusik im Zentrum seines Schaffen. 1980 schließlich wurde sein erstes großes Orchesterwerk, Eternity’s Sunrise, erstmals zur Aufführung gebracht; die Uraufführung von Through Roses folgte einige Monate später in London.

Besetzung

Die musikalische Leitung dieser Neuproduktion übernimmt Hartmut Keil, der seit 2002 als Solorepetitor und Dirigent (u.a. Mozarts Zauberflöte) an der Oper Frankfurt tätig ist. Im letzten Jahr arbeitete er u.a. als Assistent von Pierre Boulez am neuen Bayreuther Parsifal mit. Als Regisseur kehrt der Kanadier Guillaume Bernardi nach Frankfurt zurück, der 2002/03 mit seiner Sicht auf Haydns L’isola disabitata im Bockenheimer Depot einen großen Erfolg verbuchen konnte. Die Rolle des Geigers übernimmt der renommierte Schauspieler Christoph Quest, der dem Frankfurter Publikum als Bassa Selim in Christof Loys Inszenierung der Entführung aus dem Serail in bester Erinnerung sein dürfte. In der Rolle der Frau ist die kanadische Tänzerin und Choreografin Heidi Strauss zu erleben. (nrc)

THROUGH ROSES
Musikdrama für einen Schauspieler und acht Solo-Instrumente von Marc Neikrug
Musikalische Leitung: Hartmut Keil; Inszenierung: Guillaume Bernardi
Mitwirkende: Christoph Quest (Mann), Heidi Strauss (Frau)

 

Frankfurter Rundschau
14.01.2006

PREMIERE: THROUGH ROSES
Ein groteskes Paradox
STEFAN SCHICKHAUS


"Der Mann" hat keinen Namen.
Wir wissen nur, dass er Geiger ist, Beethoven in der
Carnegie Hall gespielt hat und Walzer in Wien.
(Veranstalter)

Der Mann hat keinen Namen. Wir wissen nur, dass er Geiger ist, Beethoven in der Carnegie Hall gespielt hat und Walzer in Wien. Dann wurde er deportiert, in ein Konzentrationslager. Hier wird er nun zu Beethoven gezwungen und zu Walzer, der den Aufsehern nicht schnell genug sein kann. Das ist die Situation in dem 50-minütigen Musikdrama "Through Roses", vom Amerikaner Marc Neikrug 1979 komponiert. Gesungen wird dabei nicht, der Schauspieler Christoph Quest ist der "Mann", die kanadische Tänzerin Heidi Strauss eine "Frau". Acht Solo-Instrumentalisten spielen jene Musik, an die sich der Mann erinnert - Bach, Beethoven, Wagner klingen durch. Diese Musik an einem Un-Ort, ein Geiger, der nicht freiwillig musiziert, das ist Neikrugs Thema. "In der Tradition großer deutscher Komponisten", so der in diesem Jahr 60 werdende Neikrug, "sehe ich die Grundlage allen Geistes und aller höheren Humanität in der Musik. Solche Musik in jenem Lager zu spielen, ist ein groteskes Paradox, ein barbarischer Akt angeblich zivilisierter Menschen. Dafür habe ich keine Erklärung - aber ich spürte den Drang, diese Vorgänge aufzugreifen." Mit "Through Roses" gelang Marc Neikrug so etwas wie ein Klassiker in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es wurde in elf Sprachen übersetzt und bereits hundertfach weltweit aufgeführt.

So, 15.01. und Mi, 18.01. | jeweils 20 Uhr | Bockenheimer Depot | Frankfurt | Bockenheimer Warte | Tel. 1340400

 

Frankfurter Rundschau
13.01.2006

TAGESTIPPS
Trough Roses

Der Mann hat keinen Namen. Wir wissen nur, dass er Geiger ist, Beethoven in der Carnegie Hall gespielt hat und Walzer in Wien. Dann wurde er deportiert, in ein Konzentrationslager. Hier wird er nun zu Beethoven gezwungen und zu Walzer, der den Aufsehern nicht schnell genug sein kann. Das ist die Situation in dem 50-minütigen Musikdrama "Through Roses", vom Amerikaner Marc Neikrug 1979 komponiert. Gesungen wird dabei nicht, der Schauspieler Christoph Quest ist der "Mann", die kanadische Tänzerin Heidi Strauss eine "Frau". Acht Solo-Instrumentalisten spielen jene Musik, an die sich der Mann erinnert - Bach, Beethoven, Wagner klingen durch. Diese Musik an einem Un-Ort, ein Geiger, der nicht freiwillig musiziert, das ist Neikrugs Thema. "In der Tradition großer deutscher Komponisten", so der in diesem Jahr 60 werdende Neikrug, "sehe ich die Grundlage allen Geistes und aller höheren Humanität in der Musik. Solche Musik in jenem Lager zu spielen ist ein groteskes Paradox, ein barbarischer Akt angeblich zivilisierter Menschen. Dafür habe ich keine Erklärung - aber ich spürte den Drang, diese Vorgänge aufzugreifen." Mit "Through Roses" gelang Marc Neikrug so etwas wie ein Klassiker in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es wurde in elf Sprachen übersetzt und bereits hundertfach weltweit aufgeführt. ick

 

Frankfurter Rundschau
12.01.2006

Vom Missbrauch der Musik
Der Dirigent Hartmut Keil über "Through Roses", ein Musiktheaterstück über den Holocaust im Bockenheimer Depot

Frankfurter Rundschau: Herr Keil, wenige Komponisten nur haben es gewagt, das Thema Konzentrationslager in Musik zu fassen. Arnold Schönberg schrieb "Ein Überlebender aus Warschau", den Klassiker, Marc Neikrug gelang mit "Through Roses" im Jahr 1979 ebenfalls ein häufig aufgeführtes Stück. Eignet sich dieses Thema für die Opernbühne?

Hartmut Keil: Es gäbe noch einige andere, weniger bekannte Werke zur Holocaust-Thematik, aber eher im amerikanischen Kulturkreis. Es gibt Überlebende oder familiär Betroffene, die darüber komponiert haben, wobei dies für Marc Neikrug nun nicht gilt. Er ist weder jüdischen Glaubens noch hat er sonst eine nähere Beziehung zu diesem Thema. "Man darf keine Lyrik schreiben nach Auschwitz" - dieser Ausspruch Adornos mag viele auch abgehalten haben, dem Thema musikalisch zu begegnen. Das wurde in den 60ern und 70ern missverstanden als ein generelles Verbot, sich dem mit künstlerischen Mitteln zu nähern. Auch bei Through Roses meldeten sich Kritiker, die sagten, die einzig legitime Annäherung sei über die Dokumentation und den Augenzeugenbericht möglich, alles andere würde verharmlosen und stilisieren.

Neikrug lässt nicht singen, sondern nur sprechen auf der Bühne, ähnlich wie auch Schönberg seinen "Überlebenden" rezitieren lässt. Sieht auch Neikrug den Gesang als nicht adäquat an?

Da kann man nur spekulieren. Man kann sagen, dieser Mensch, ein Geiger, der das Konzentrationslager überlebt hat, spricht, weil er nicht mehr singen kann, weil er seine Stimme verloren hat. Und natürlich wirkt ein Melodram, also ein zur Musik gesprochener Text, sachlicher, authentischer als ein stilisierter Gesang. Was ich aber bemerkenswert finde: Marc Neikrug war ursprünglich gar nicht an dieser Thematik interessiert, der Impuls ging vielmehr von einer formalen Fragestellung aus: Er wollte ein Stück schreiben mit gesprochenem Text, in dem die Musik eine eigene, gleichwertige Ebene bildet. Dann machte er sich auf die Suche nach einem Thema, das zu dieser Fragestellung passt. Per Zufall lernte er bei einer Probe einen Cellisten kennen, der KZ-Überlebender war. Mit ihm führte er Interviews und verfasste daraufhin sein Libretto.

Spätestens an seiner 1988 entstandenen großen Oper "Los Alamos", die Atombombe thematisierend, erkennt man: Marc Neikrug ist ein politischer Komponist. Würden Sie auch schon "Through Roses" als dezidiert politisch bezeichnen?

Das ist schwierig zu beantworten. Natürlich macht alleine schon das Thema das Stück zwangsläufig politisch. Doch es ist kein "Betroffenheitsstück". Einerseits politisch, andererseits aber mindestens ebenso: Musik über Musik. Es geht nicht nur um das Schicksal dieses Geigers, das exemplarisch steht für Lebensläufe vieler, sondern es geht auch um die Rolle der Musik in dieser Zeit. Neikrug sagt: Es ist ein Missbrauch der Musik, Bach und Beethoven im KZ zu spielen. Die Musik wird in den Schmutz gezogen, die Musiker fühlen sich mitschuldig - ganz konkret dieser Geiger, weil er mit dem Musizieren nicht aufhörte, als seine Freundin zu Tode geprügelt wurde. Sie hat er in den Tod gespielt, sich selbst damit das Leben gerettet, das sind seine Vorwürfe. Musik zum Marschieren, zur Unterhaltung der SS, zum Antreiben der Arbeiter - so funktionalisiert, macht sie sich vielfach schuldig. Neikrug stellt Widersprüche dar, nicht aber mit erhobenem Zeigefinger.

Diese Januskopf-Gestalt macht der Komponist unter anderem an Joseph Haydns "Kaiserquartett" deutlich: An sich reine Musik, im "Deutschlandlied" aber missbraucht. Neikrug zitiert viel Bekanntes in diesem Musiktheaterstück. Oder könnte er den Musikmissbrauch auch an neu komponierter Musik darstellen?

Die Zitate sind sicherlich das auffälligste klangliche Merkmal des Stückes. Man hört Werke von Bach und Beethoven heraus, die der Geiger früher gespielt hatte, aber auch ein sehr ausladendes Zitat aus Wagners Tristan und Isolde - die Passage "ganz ohne Huld meiner Leidensschuld", Isolde beklagt Tristans Tod, macht ihm aber auch ein bisschen Vorwürfe, dass er ohne sie gestorben ist, ihr vorangegangen ist.

Kann der Hörer die Zitate so genau erkennen?

Das Wagner-Zitat steht ganz rein da, unverfälscht. Andere sind versteckter, und den einzelnen Takt aus Beethovens viertem Klavierkonzert wird dann wohl kaum einer heraushören können. Der Grad der Verfremdung ist eben unterschiedlich groß. Neben den tonalen Zitaten gibt es noch freie, atonale Musik von Neikrug und sogar ein streng zwölftöniges Thema. Auf avantgardistische Spieltechniken wird aber verzichtet, ich würde diese Musik "gepflegt modern" nennen.

Abgesehen davon, dass hier niemand singt: Erfüllt "Through Roses" die Bedingungen einer Oper?

Ich würde ein Stück, in dem nicht gesungen wird, nie als Oper bezeichnen. Es ist ein Melodram, auch wenn dieser Gattungsbegriff etwas belastet ist, man assoziiert damit etwas Pathetisches, Kitschiges, Übertriebenes, das Wort "melodramatisch" kommt einen in den Sinn. Aber es wäre die korrekte Bezeichnung. Bei uns auf den Plakaten steht "Musikdrama", wohl auch deswegen, weil unsere Produktion noch eine Ebene hinzufügt: Den Tanz. Eine Tänzerin steht für die Freundin des Geigers oder auch allgemein für das weibliche Prinzip. Das macht es auch für die Regie einfacher, man kann Beziehungen darstellen.

Marc Neikrug, den man, wenn nicht als Komponisten, dann doch eventuell als langjährigen Klavierbegleiter von Pinchas Zukerman kennen kann, ist Amerikaner. Hätte ein deutscher Komponist mit dem gleichen Libretto etwas Ähnliches machen können? Zitieren, das sich Bedienen in der Musikgeschichte, ist ja vielen US-Komponisten eigen.

Ich weiß gar nicht, wie sehr sich Neikrug als Amerikaner sieht. Er hat deutsche Vorfahren, hat in Deutschland studiert, lebt aber in den USA. Und er sagt, im Grunde bevorzuge er sogar die deutsche Übersetzung von Through Roses. Vielleicht ist es genau die richtige Mischung: Er hat die Distanz zum Thema, hat vielleicht nicht das Adorno-Verdikt im Hinterkopf, hat aber andererseits doch die Nähe zu unserer Musiktradition, um mit den Zitaten so sensibel umzugehen. Man kann das Zitieren plakativ nennen, aber es ist äußerst gekonnt gemacht, es ist wirklich Musik über Musik. Nur an einer Stelle hatte ich zunächst Bauchschmerzen und gedacht, hier ist nun wirklich die Inszenierung gefragt, damit das nicht kitschig wird: Der Schauspieler spricht das Schlagwort "Kraft durch Freude", und Klavier und Vibraphon stimmen das Motiv "Freude schöner Götterfunken" aus Beethovens Neunter an. Sehr assoziativ, warum nicht. Das sind so ein, zwei Stellen, die sarkastisch oder gar zynisch wirken könnten, wenn man es darauf anlegt. Aber unser Schauspieler, Christoph Quest, wird das sehr weich abfedern.

Interview: Stefan Schickhaus

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 11.01.2006 um 16:24:50 Uhr
Erscheinungsdatum 12.01.2006

Interview

Hartmut Keil gibt mit der kommenden Produktion der Oper Frankfurt sein Debüt als Premieren-Dirigent. Der 1978 geborene Solorepetitor, ein viel beachteter Nachwuchsdirigent, auch Assistent von Pierre Boulez 2004 in Bayreuth, wird im Bockenheimer Depot das knapp einstündige Musikdrama "Through Roses" leiten, das der Amerikaner Marc Neikrug 1979 komponierte. Im Musikdrama "Through Roses" für einen Schauspieler und acht Solo-Instrumente geht es um einen Geiger (gespielt von Christoph Quest), der auf seine Zeit als KZ-Musiker zurückblickt. Die Premiere ist am 15. Januar (20 Uhr). ick