Frankfurter Rundschau
17.01.2006

Traumwandler seiner Erinnerungen
Marc Neikrugs Holocaust-Kammeroper "Through Roses", von Guillaume Bernardi inszeniert an der Frankfurter Oper
VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Nach Auschwitz ist zwar schon wieder viel gedichtet, gemalt und gesungen worden, aber zu Auschwitz wenig. Eine der raren musikalisch-dramatischen Annäherungen stammt von dem Amerikaner Marc Neikrug (Jahrgang 1946). Dessen knapp einstündige Kammeroper Through Roses, uraufgeführt 1980 in London, wurde zum weltweit bekanntesten und am meisten gespielten Werk dieses Komponisten; eine Aufführung gab es vor 15 Jahren auch im Frankfurter Schauspiel. Jetzt stand eine Neuinszenierung der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot an.

Was tun, um das Grauen des Holocaust mit künstlerischen Mitteln zu vergegenwärtigen, in Erinnerung zu halten? Unmittelbarer Realismus scheint sich vor allem auf dem Musiktheater zu verbieten; er ergäbe dort so etwas wie potenzierten Verismo, eine auf Einfühlung oder auch ambivalente Horror-Rezeption zielende Dramaturgie, sozusagen ein Stahlbad von Emotionen. Von der Idiosynkrasie, die eine ästhetische Debatte angesichts dieser Thematik (besonders augenfällig bei einer auf Breitenwirkung bedachten Hervorbringung wie Schindlers Liste) aufwirft, ließ sich Neikrug indes nicht abschrecken. Ähnlich wie später Benigni in seinem Film Das Leben ist schön oder auch wie Haseks Der brave Soldat Schweijk geht er indirekt vor. Die (unabbildbare?)Lagerwirklichkeit wird in diskursiven Brechungen und Vermittlungsschritten evoziert.

Verhöhnung und Überlebenschance

Through Roses, eigentlich ein Monodram für einen Schauspieler und acht Instrumentalisten, arbeitet mit Textcollagen von Überlebenden, so dass sich Fragmente einer fiktiven Biographie herstellen: die Lagerkarriere eines jüdischen Geigers, der - wie in etlichen Lagern üblich - als Gefangener und unter den entwürdigendsten Umständen zu musikalischen Diensten herangezogen war, eine Verhöhnung von Kunst, zugleich eine eventuelle Überlebenschance.

Neikrugs Texte illuminieren so etwas wie den psychischen Innenraum eines Beschädigten und Bedrohten, der, um seine Situation zu bewältigen, sich eine Traumsphäre schafft, in die der reale Schrecken verharmlosend, harmonisierend eingebaut wird. Der Protagonist lobt die Kultiviertheit der SS und ihren Kunstsinn; er freut sich, dass das Wachpersonal keinen Anstoß an seiner Kleidung nimmt; und er reflektiert beim viehischen Menschentransport darüber, dass die Personenwaggons der Bahn nun wohl dringender für das Vieh gebraucht würden. In zahlreichen ähnlichen Passagen entsteht in Through Roses bitterer "schwarzer Humor", so dass die zunächst abwegig erscheinende Schweijk-Assoziation nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Die Wahrnehmung der Kluft zwischen geträumtem und wirklichem Leben ermöglicht vielleicht beim Zuhörer und Zuschauer eine kathartische Wirkung.

Der Bühnenbildner Moritz Nitsche arrangierte als Spielfläche ein quadratisches Feld (ähnlich einem Sportplatz), an dessen vier Seiten die Publikumstribühnen anstiegen. Das Instrumentalensemble spielte (auf sorgfältige Kammermusik-Transparenz hin einstudiert und dirigiert von Hartmut Keil) "unterirdisch", aber vage sichtbar durch eine transparente Bedeckung im Mittelfeld. Der Schauspieler Christoph Quest, als besonderer "Spezialist" dem Musiktheater vielfach verbunden (er war etwa in Frankfurt der Selim Bassa der Entführung aus dem Serail), agierte als Traumwandler seiner Erinnerungen (fast sein einziges Requisit der leere Geigenkasten) und glasklarer Sprecher des bei ihm niemals ins Pathetische abkippenden Textmaterials. Ein eher problematischer Faktor der insgesamt schlüssigen, ansprechenden Inszenierung von Guillaume Bernardi (die lediglich in Bezug auf absurde Komik etwas unterbelichtet blieb) war der Hinzuzug einer Tänzerin als zweiter Handlungsträgerin; sie hatte einer im Stück nur eben angedeuteten Liebesbeziehung materialisierte (Traum-)Gestalt zu geben.

Durchsäuernde Zitate

Gleichwohl blieben die Korrespondenzen zu schwach und beliebig, da die Frauenfigur (Heidi Strauss, zugleich Choreographin ihrer selbst), nach und nach in vielerlei Gestalten (Frisuren, Kleidern, hochhackig oder barfuß) präsent, sich überwiegend in einem mit dem Hauptgeschehen wenig kompatiblen körpersprachlichen Diskurs (phantasievoll-eklektizistisch kombiniertes Vokabular aus German Dance und "Klassisch" in Neumeier-Nachfolge) bewegte. Am meisten als Fremdkörper wirkte ihr als beinahe demonstrativ virtuoser Epilog nachgereichtes Solo zum 1. Satz der Bach'schen Solosonate g-moll - deren "untheatralisiertes" Erklingen wäre als sublime Rekapitulation eindrucksvoller gewesen. Dieses Bachstück und viele andere Zitate und Halbzitate durchsäuern die Textur von Neikrugs auf spröde Weise sprechender, plastisch-schmuckloser, gleichwohl mit musikalischem Gedächtnismaterial beladener Musik, die man auch minimalistisch nennen könnte, obwohl sie mit Steve Reichs expeditiver Neugier oder Philip Glass' Redseligkeiten nicht das Geringste zu tun hat.

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Dokument erstellt am 16.01.2006 um 17:04:14 Uhr
Erscheinungsdatum 17.01.2006

 

WIESBADENER KURIER
17.01.2006

Festgehalten am Geigenkasten
Premiere im Bockenheimer Depot: Marc Neikrugs "Through Roses"

Von Axel Zibulski


Die Frau (Heidi Strauss) reflektiert tanzend die Erzählungen des Mannes (Christoph Quest).
Foto: Runkel

FRANKFURT. Im Konzentrationslager war er das "Schwein mit der Geige", so riefen ihn die Wächter und Kommandanten, für die er musiziert, immerfort musiziert hat; das hat ihm das Leben gerettet, dem "Mann" in Marc Neikrugs Musikdrama "Through Roses" für einen Schauspieler und acht Solo-Instrumente. Einen Namen trägt er nicht - es sind die Berichte von zahlreichen Musikern, die das KZ überlebt haben, aus denen der amerikanische Komponist in seinem 1980 in London uraufgeführten Stück den zur Musik gesprochenen Text zusammengestellt hat. Jetzt hatte "Through Roses" in einer Neuinszenierung der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot Premiere.

Die Bühne: eine kahle, fast leere Fläche, Kreidestriche ziehen sich über sie und die wenigen Habseligkeiten des Mannes, eine Decke etwa. Selbst das kleine Orchester sitzt, nahezu unsichtbar, unter dem Podium. Regisseur Guillaume Bernardi stellt ganz und gar den Mann, seine Erinnerungen an die Zeit im Konzentrationslager und davor, als er noch Beethovens Violinkonzert in der Carnegie Hall spielte, ins Zentrum - und ihm zur Seite eine Frau, die Tänzerin Heidi Strauss, die mit ihrer eigenen Choreografie die Erzählungen reflektiert.

Sie sind in Neikrugs Text-Montage gerade in ihren Brüchen beklemmend: Eben noch berichtet der Mann von dem unerträglichen Erleben körperlicher Verwahrlosung im Lager, dann klingt fast so etwas wie Respekt für die Musikliebe der Schergen aus seinen Worten, berichtet er von der Perfidie des Lagers, hinter dessen Grenze die Frau des Kommandanten im Garten Rosen züchtet. Alltägliche Wendungen wie "Zug verpasst" gewinnen in diesem Kontext einen erschütternden Unterton, Bezugspunkt seiner Erinnerungen ist immer wieder die Musik, an der er sich, wie er es mit seinem Geigenkasten noch immer tut, festgehalten hat, und sei es, um zu verdrängen: "Wenn wir spielen und die Schornsteine rauchen, schaue ich nicht hin." Es ist die außerordentliche Leistung des Schauspielers Christoph Quest, dem unaufhörlichen Kreisen der Erinnerungen mit Würde Worte und Stimmungen zu geben.

Neikrugs von einer leitenden Zwölftonreihe geprägte Musik spiegelt mit Zitaten von Beethoven, Mozart, Bach oder einem verfremdeten "Deutschlandlied" die Berichte des Musikers teils unmittelbar wider, beschreibt aber auch, was nicht mehr mit Worten zu sagen ist: Mit schmerzhaften Dissonanzen der Bläser, Erschütterungen des Schlagwerks, irreal flirrenden Streicherpassagen halten die acht Mitglieder des Museumsorchesters unter der Leitung von Hartmut Keil eine knappe Stunde lang die unruhige Anspannung.

Am Ende erklingt der erste Satz aus Bachs erster Violinsonate, bevor der Applaus sehr zögerlich, dann umso intensiver einsetzt und auch den in Frankfurt anwesenden Komponisten einschließt.

 

OFFENBACH POST
18. Januar 2006

Schmerzhafter Klang grausiger Erinnerungen
"Through Roses" von Marc Neikrug im Bockenheimer Depot


Heidi Strauss und Christoph Quest
gestalten im Depot ein beklemmendes Spiel.
Foto: Runkel

Im Konzentrationslager war er das "Schwein mit der Geige", so riefen ihn die Wächter und Kommandanten für die er musiziert, immerfort musiziert hat; das hat ihm das Leben gerettet, dem "Mann" in Marc Neikrugs Musikdrama "Through Roses" für einen Schauspieler und acht Solo-Instrumente. Einen Namen trägt er nicht - es sind die Berichte von zahlreichen Musikern, die das KZ überlebt haben, aus denen der amerikanische Komponist in seinem 1980 in London uraufgeführten Stück den zur Musik gesprochenen Text zusammengestellt hat. Jetzt hatte "Through Roses" in einer Neuinszenierung der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot Premiere.

Die Bühne: eine kahle, fast leere Fläche, Kreidestriche ziehen sich über sie und die wenigen Habseligkeiten des Mannes, eine Decke etwa. Selbst das kleine Orchester sitzt, nahezu unsichtbar, unter dem Podium. Regisseur Guillaume Bernardi stellt ganz und gar den Mann, seine Erinnerungen an die Zeit im Konzentrationslager und davor, als er noch Beethovens Violinkonzert in der Carnegie Hall spielte, ins Zentrum - und ihm zur Seite eine Frau, die Tänzerin Heidi Strauss, die mit ihrer eigenen Choreografie die Erzählungen reflektiert: Sie sind in Neikrugs Text-Montage gerade in ihren Brüchen beklemmend. Eben noch berichtet der Mann von dem unerträglichen Erleben körperlicher Verwahrlosung, dann klingt fast so etwas wie Respekt für die Musikliebe der Schergen aus seinen Worten, berichtet er von der Perfidie des Lagers, hinter dessen Grenze die Frau des Kommandanten im Garten Rosen züchtet. Alltägliche Wendungen wie "Zug verpasst" gewinnen in diesem Kontext einen erschütternden Unterton,

Bezugspunkt seiner Erinnerungen ist immer wieder die Musik, an der er sich, wie er es mit seinem Geigenkasten noch immer tut, festgehalten hat, und sei es, um zu verdrängen: "Wenn wir spielen und die Schornsteine rauchen, schaue ich nicht hin." Es ist die außerordentliche Leistung des Schauspielers Christoph Quest, in Frankfurt zuletzt als Bassa Selim in Mozarts "Entführung aus dem Serail" zu erleben, der dem unaufhörlichen Kreisen der Erinnerungen mit Würde Worte und Stimmungen gibt.

Neikrugs von einer leitenden Zwölftonreihe geprägte Musik spiegelt mit Zitaten von Beethoven, Mozart, Bach oder einem verfremdeten "Deutschlandlied" die Berichte des Musikers teils unmittelbar wider, beschreibt aber auch, was Worte nicht ausdrücken können: Mit schmerzhaften Dissonanzen der Bläser, Erschütterungen des Schlagwerks, irreal flirrenden Streicherpassagen halten die acht Mitglieder des Museumsorchesters unter der Leitung von Hartmut Keil eine knappe Stunde lang die unruhige Anspannung. Am Ende erklingt der erste Satz aus Bachs erster Violinsonate, bevor der Applaus sehr zögerlich, dann umso intensiver einsetzt und auch den anwesenden Komponisten einschließt.

AXEL ZIBULSKI

Weitere Aufführungen am 20., 21., 25. und 27. Januar.

 

Frankfurter Neue Presse
18.01.2006

Monolog des Grauens

In den Konzentrationslagern wurde auch Musik gemacht. Was im Nachhinein als schwer erträglicher Zynismus erscheint, gab den Gefangenen bisweilen Trost und Hoffnung und unterhielt die Aufseher. Man weiß sogar (und kann nicht glauben), dass viele der Opfer bis zuletzt ihr Schicksal gar nicht wahrhaben wollten, bis die Schergen vor der Tür standen.

Mit dem Abstand zu den furchtbaren Geschehnissen wächst der Grad der Historisierung des Grausamen – die Vorstellungskraft darüber, was geschah, jedoch nicht. Marc Neikrugs Musikdrama für einen Schauspieler und acht Soloinstrumente „Through Roses" leistet einen eminenten Beitrag dazu. Das knapp einstündige Stück stimmt deshalb so nachdenklich, weil es nicht anklagt, sondern – jedenfalls in der Interpretation durch Guillaume Bernardi (Regie) und Christoph Quest (Schauspieler) – aus der Distanz Fragen stellt. Distanz heißt: Ein Geiger überlebt das Lager und monologisiert in Freiheit rational und emotionsarm über sein Leben, das vor und während des KZ bemerkenswerte Parallelen aufgewiesen hatte. Er schreitet dabei langsam über die schwarze, geometrisch streng abgekreidete Bühne (Moritz Nitsche). Auf vier seitlichen Tribünen sitzen die Zuschauer. Statt auf einen Boxring in der Mitte blickt man ins Tiefgeschoß, wo die Musiker sitzen. Fast wörtlich ist Neikrugs Melodram also ein Stück „über Musik". Musik und Macht, Musik und Verführung, Musik, die die Realität übertönt, während vor dem Tor die Familie des Lagerkommandanten Hecken schneidet. Durch die Rosen, daher der Titel, hätte sie das Unfassliche bemerken müssen. Zum bürgerlichen Leben gehört aber auch, bis heute, Selbsttäuschung und Wegsehen.

Neikrugs Musik bildet den Bewußtseinsweg des Geigers auf der Bühne ab. Sie kommentiert, illustriert, spinnt Gedanken fort und zitiert vor allem: der Deutschen liebste Musikkinder, von Bachs G-Moll-Sonate über Haydns Kaiser-Hymnen-Quartett und Beethovens Neunte bis zum Tristan sowie Märschen und Walzern. Das klingt sehr kunstvoll und schafft, wenn es so konzentriert und transparent gelingt wie hier unter Hartmut Keils Leitung, dichte Atmosphäre. Sie bedrückt nicht – das mag vor einem Vierteljahrhundert, als „Through Roses" in London herauskam, noch anders, weil unmittelbarer gewesen sein. Hier schwingt stets ein Stück Utopie mit, Hoffnung, die diffuse Kehrseite des Unfasslichen. Zum Schluss, zu zeitloser Violinmusik von Bach, sieht man eine tänzerische Pantomime von Befreiung, Gelöstheit und Neuaufbruch künden. Die Frau (Heidi Strauss) hatte dem Überlebenden bereits die ganze Zeit über still den Weg gewiesen, die wenigen Chiffren eines reisenden Violinvirtuosen (Geigenkasten, Frack, Koffer) sortiert, ihn unsichtbar, nornenhaft geführt. Übrig bleibt sie nun allein. (Bom)