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Oper Frankfurt, 11. Dezember 2005
"Werther" von Jules Massenet

Nach Manon von Jules Massenet (1842-1912), die im Sommer 2003 an der Oper Frankfurt zu erleben war, steht nun als dritte Premiere der Spielzeit 2005/06 mit Werther ein weiteres Werk des französischen Komponisten auf dem Spielplan.

Die nach Goethes Briefroman entstandene Oper wurde in Frankfurt, von einer konzertanten Aufführung im Dezember 1984 abgesehen, während der gesamten Nachkriegszeit nicht gezeigt – Grund genug, sie dem hiesigen Opernpublikum nun endlich auch szenisch zu präsentieren.

Die Uraufführung des Werther fand 1892 in Wien statt, seinerzeit in der deutschen Übersetzung von Max Kalbeck, da Massenet nicht das Interesse einer französischen Opernbühne wecken konnte; in Frankreich erklang das Werk erstmals im folgenden Jahr. Seine äußerst erfolgreiche Aufführungsgeschichte läßt sich nur mit der von Bizets Carmen oder Gounods Faust vergleichen.

Die Titelrolle in Frankfurt verkörpert der polnische Tenor Piotr Beczala, dessen Karriere ihn regelmäßig an die Opernhäuser von Zürich, Wien und London führt. Das Frankfurter Opernpublikum konnte den Sänger bereits im April diesen Jahres als Alfredo in Traviata erleben. Im Sommer 2006 gastiert er bei den Salzburger Festspielen als Don Ottavio in Don Giovanni. Die Amerikanerin Kristine Jepson, Gast an den Opernhäusern von Dresden, London und Barcelona, gibt mit der Partie der Charlotte ihr Frankfurt-Debüt. Aus dem Ensemble singen u.a. Britta Stallmeister die Sophie und Nathaniel Webster den Albert. Die musikalische Leitung übernimmt der Italiener Carlo Franci. Seit 1974 gastiert er hier regelmäßig – vorwiegend im italienischen Fach – und wird sich nun nochmals der musikalischen Neueinstudierung eines Werkes seines Repertoires widmen. Die Inszenierung, eine Originalproduktion der De Nederlandse Opera Amsterdam aus dem Jahre 1996, stammt von Willy Decker, zu dessen jüngsten Projekten die Salzburger Traviata mit Anna Netrebko im vergangenen Sommer zählt.

 

rhein-main.net
1 Dezember 2005

Werther

Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu. Die Quellen? In der Nacht zum 30. Oktober 1772 schied in Wetzlar der gerade erst fünfundzwanzigjährige Justizassessor Karl Wilhelm Jerusalem, ein Freund des ebenso am dortigen Reichsgericht beschäftigten jungen Goethe, freiwillig aus dem Leben. Diese Tat beging er – wie es heißt – aus unglücklicher Liebe zu der Frau eines höheren kurpfälzischen Beamten.

Die Pistolen für diese Verzweiflungstat lieh er sich "zu einer vorhabenden Reise" von dem Legationssekretär Johann Christian Kestner. Kestner wurde Bräutigam eben jener Charlotte Buff, in die Goethe sich ebenso unglücklich verliebt hatte. Noch fast vier Jahrzehnte später erinnerte sich der Dichter schaudernd daran, wie er "damals den Wellen des Todes zu entkommen" trachtete. Stattdessen schrieb er, mit durchaus autotherapeutischer Intention, den berühmtesten Briefroman überhaupt, entfachte das Werther-Fieber in den Herzen vieler junger Menschen und löste die Epoche der Empfindsamkeit aus.

Bei einem Besuch Wetzlars auf der Rückkehr von Bayreuth Mitte der achtziger Jahre fasste Massenet den Entschluss zur Komposition seines wohl lyrischsten Werkes: "In mich kam Leben, Glück durchflutete mich. Dies war die Arbeit, die meiner quälenden, fieberhaften Aktivität entgegenkam..."

Massenets vieraktiges "drame lyrique", das zur Melancholie des Goethe’schen Werther noch die Sentimentalität der "Belle epoque" hinzumischte, und gar – des melodramatischen Effektes wegen – Lotte zu unendlich trauriger Musik an Werthers Leiche stehen ließ – wurde neben Manon sein wohl größter Bühnenerfolg.

 

Frankfurter Rundschau
08.12.2005

PREMIERE: JULES MASSENETS "WERTHER"
Oper mit Ohrwurm

VON STEFAN SCHICKHAUS

Die Arie "Pourquoi me réveiller" aus Jules Massenets Oper "Werther" ist ein Tenor-Paradestück. Ob Marcelo Álvarez oder Rolando Villazón, keiner der gerade durch die Lande ziehenden Tenorstars lässt diese Nummer aus. Die Oper um diesen Ohrwurm herum aber kennt kaum einer, am wenigsten vermutlich die Startenöre selbst. Es handelt sich dabei um eine Vertonung von Goethes berühmten Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers", den Massenet 1892 als "Drama lyrique" der Opernwelt vorgestellt hatte. Gerade Frankfurt, die Goethe-Stadt, trug bis jetzt nicht eben viel zur Popularität dieser Oper bei: Abgesehen von einer konzertanten Aufführung 1984 wurde dieser "Werther" in der gesamten Nachkriegszeit hier nicht mehr gespielt.

Jetzt hat er Premiere in einer Inszenierung von Willy Decker, dessen "La Traviata" bei den diesjährigen Salzburger Festspielen in aller Munde war, weil dort Anna Netrebko und eben Rolando Villazón als medienwirksames Traumpaar zueinander geführt wurden. Der polnische Tenor Piotr Beczala wird hier das berühmte "Pourquoi me réveiller" nun endlich einmal in seinem sinnvollen Kontext singen, als Dirigent kehrt der mittlerweile 78-jährige, vom Frankfurter Opernorchester hoch verehrte Carlo Franci wieder einmal ans Pult zurück.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 07.12.2005 um 10:24:30 Uhr
Erscheinungsdatum 08.12.2005

 

OFFENBACH POST
9. Dezember 2005

Carlo Franci dirigiert Jules Massenets "Werther"
Maestro großer Fan der Oper Frankfurt

Wenn er so im locker über die Hose getragenen Hemd im Foyer des Hotels Frankfurter Hof sitzt, geht er als italienischer Tourist durch, der sich gerade vom Besuch des Goethehauses im Hirschgraben ein wenig erholt. Doch schon der erste Satz, von intensiver Gestik mit den Händen begleitet, wischt dieses Klischee weg. Zwar ist der international geschätzte Dirigent Carlo Franci ein Globetrotter, aber in Sachen Musik. Ob nun die Mailänder Scala, die New Yorker Met oder die Pyramiden von Gizeh, wo er 1987 Verdis Oper "Aida" dirigierte - kaum ein berühmtes Opernhaus, das er nicht in- und auswendig kennt.

Allein Goethe geht ihm derzeit wohl kaum aus dem Sinn: Steht er doch in Jules Massenets (1842-1912) "Werther" am Dirigierpult der Oper Frankfurt. Am Sonntag hat das lyrische Drama um 18 Uhr Premiere, in einer Inszenierung, die der ebenfalls erfahrene Willy Decker für die Nederlandse Opera Amsterdam geschaffen hatte - in Frankfurt szenisch einstudiert von Johannes Erath. In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln sind die Leiden des jungen Werthers zu erleben, der bekanntermaßen an seiner Liebe zur Wetzlarer Charlotte zerbricht, die einem anderen versprochen ist. Zu Goethes Zeiten löste Werther eine Selbstmord-Welle aus.

Carlo Franci, der den Stoff verinnerlicht hat, erkennt freilich bei Massenets lyrischer Oper ein total anderes Konzept. Ist Werther bei Goethe der Typus Künstler schlechthin, so sieht ihn Franci beim französischen Komponisten als uneingeschränkt starken Liebenden mediterraner Herkunft. Nicht das erotische Moment - nur die Affekte seien ausschlaggebend. Dabei sei Charlotte eher der mütterliche Typ, die sich - anders als bei Goethe - am Ende sogar zu Werthers rückhaltloser Liebe bekenne. Die übrigen Beziehungen - selbst die Schwärmerei von Sophie, der Schwester Charlottes, für Werther - seien pure Garnitur.

Entsprechend habe auch die Musik Massenets diesen glutvollen wie empfindsamen südlichen Touch, eine ungemeine Eleganz und feine Stilistik, so der Maestro, voller Lob fürs Frankfurter Museumsorchester, mit dem er nun schon seit über dreißig Jahren regelmäßig arbeitet. Das beruht auf Gegenseitigkeit, denn die Damen und Herren im Orchestergraben haben Franci eigens auch in dieser Saison als Gastdirigenten auserwählt.

Nicht Bruckners Bläserweihen seien gefragt, sondern eine absolut feine Dynamik, ohne die es keine Klangpoesie gebe - und natürlich auch kein lyrisches Drama. Jeder Musiker müsse das Gefühl haben, allein in einer Telefonzelle zu spielen, so Carlo Franci mit dem gewissen Lächeln im Gesicht, der gar nicht mehr weiß, wie oft er diesen "Werther" schon dirigiert hat. Und an Willy Deckers Inszenierung, in Frankfurt von dessen Assistenten Erath betreut, schätzt er vor allem, dass die Szene nicht gegen die Musik arbeite - wie das beim heutigen Regietheater oft der Fall sei. Franci kennt sie alle, die selbstgefälligen Herren am Regiepult. Manche hält er für böse, aber dennoch für genial. Und bei anderen dirigiert er nur mit geschlossenen Augen, um nichts von der Bühne mitzubekommen - "eine Tragödie".

In Frankfurt schätzt er auch die Harmonie zwischen Sängern, Musikern und dem Produktionsteam, was selten vorkomme. Da versuche jeder, ein bisschen mehr zu geben, was dann auch ihm als erfahrenen Dirigenten noch Überraschungen beschere. Leuchtende Augen bekommt der Maestro, wenn er auf seine eigenen Kompositionen angesprochen wird. Etwa auf sein nicht nur auf dem schwarzen Kontinent erfolgreiches "Afrikanisches Oratorium". Überhaupt komponiert er in letzter Zeit mehr als dass er dirigiert - meist in seinem privaten italienischen Refugium in Umbrien.

Auf den im TV geschickt geschürten Konflikt zwischen Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und dem Superstar Adriano Celentano angesprochen, benutzt Franci sein Lieblingswort - "eine Tragödie" - und meint das italienische Fernsehen, dessen Seichtheit den Maestro anwidert. Leider ist auch die deutsche Glotze nicht mehr weit entfernt davon ...

KLAUS ACKERMANN



 

Frankfurter Rundschau
10. Dezember 2005

Vorsicht mit dem Gummi
Piotr Beczala, nun Frankfurts Werther, über Sängerkarrieren


INTERVIEW
Der Tenor Piotr Beczala, gebürtiger Pole, katapultierte sich 1996 ins Rampenlicht, als er, vom Stadttheater Linz kommend, in Zürich einsprang und am nächsten Tag dort einen Vertrag unterschrieb. Ein Jahr später debütierte er als Tamino bei den Salzburger Festspielen. In Frankfurt singt er nun die Titelpartie in Jules Massenets "Werther", der in einer vor Jahren in Amsterdam erfolgreichen Inszenierung Willy Deckers auf die Bühne kommt. Die musikalische Leitung hat Altmeister Carlo Franci. gor

Frankfurter Rundschau: Herr Beczala, Sie sind gerade dabei, sich als Tenor weltweit zu etablieren. Worin liegt auf dem Weg dahin eigentlich die größte Gefahr?

Piotr Beczala: Man muss sich unbedingt treu bleiben und seinen Weg, seine Ziele konsequent verfolgen. Man muss geduldig sein mit der eigenen Stimme. Es gibt so viele verlockende Angebote, die den schnellen Ruhm verheißen, aber langfristig ungemein gefährlich sind, weil sie einfach zu früh kommen und die Stimme ruinieren. Man muss lernen, Nein sagen zu können, Rollen abzulehnen. Dafür braucht man Mut, und den immer aufzubringen, das ist das Schwierigste.

Aber es gibt natürlich Tenöre, die sind in Ihrem Alter längst ein Weltstar mit Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon und haben bis an ihr Lebensende ausgesorgt.

Das stimmt, aber darum geht es ja nicht. Man kann heute aus einem Tenor in einer Woche einen Star machen. Und wenn er dann fünf Jahre oben ist, ist das schon lang. Früher sprach man nur dann von einer Karriere, wenn ein Sänger dreißig, vierzig Jahre lang auf hohem Niveau gesungen hat. Das will ich auch erreichen. Und dafür lasse ich mir Zeit.

Rolando Villázon verglich Singen neulich mit einem Marathonlauf, es ginge nicht darum, nach 100 Metern der Erste zu sein, sondern am Ende der 42 Kilometer.

Es ist mehr: ein Marathon mit Hindernissen. Es ist keine gerade, flache Strecke, wie es der Begriff Marathon suggeriert. Es ist voll von Hindernissen - und den unzähligen Verlockungen, denen man widerstehen muss.

Wie genau planen Sie, wann Sie welche Partien singen?

Ganz genau.

Haben Sie da einen Fünfjahresplan? Oder sind es zehn Jahre?

Eher fünf. Aber darum geht es gar nicht unbedingt. Wichtiger ist, Rollen zu singen, die zueinander passen. Der ständige Wechsel kann enorm ermüden. Sie müssen sich eine Stimme wie den Bund einer Unterhose vorstellen: Ist der Gummi einmal überdehnt, es ist nie wieder gut zu machen.

Was passiert dann?

Man verliert vor allem das Gefühl für die Feinheiten. Für das also, was jede Partie besonders macht.

Was steht bei Ihnen erst in fünf Jahren oder noch später an?

Der Don Jose zum Beispiel. Auch Cavaradossi. Die dramatischen Charaktere also. Und natürlich eine Rolle wie Otello. Dafür bin ich einfach noch nicht reif. Für ihn muss ich noch zwanzig Jahre wachsen.

Wann ist man denn im besten Sängeralter?

Zwischen vierzig und fünfzig. Wenn man noch gut bei Stimme und im Kopf schon weit genug entwickelt ist. Selbst bei einem Tenor wie Domingo, der schon mit dreißig unglaublich gut war und auch jetzt noch gut ist, stammen seine besten Aufnahmen aus genau der Zeit.

Sie sind jetzt 38. Das heißt, Sie haben Ihre besten Jahre noch vor sich.

Das finde ich ganz beruhigend zu wissen.

Und was kommt ab 50?

Dann kommt man in den Genuss von dem, was man früher richtig gemacht hat. Und wenn nicht, ist die Karriere bald zu Ende.

Suchen Sie die Opernhäuser, an denen Sie singen, genauso akribisch aus wie Ihre Rollen?

Nein, da bin ich spontaner. Das lässt sich auch nicht so minutiös planen. Seit vier Jahren bewege ich mich in den sogenannten 1A-Häusern: Scala, Covent Garden, Berlin, auch Frankfurt. Für Sänger stehen die nahezu auf der gleichen Ebene, nur das Marketing macht da Unterschiede. Und unter dieses Niveau möchte ich nicht mehr gehen. Aber wie oft ich im nächsten Jahr nun an der Scala singe, das hängt so sehr vom Spielplan und von den Rollen ab, das lässt sich nicht kalkulieren.

Wann wussten Sie, dass Sie es schaffen können, dass Sie irgendwann einmal eine Hauptrolle an der Scala singen können?

Als ich es nach Zürich schaffte, 1996 war das. Ich war am Stadttheater Linz engagiert, ein paar Jahre schon, habe da am Vormittag die Generalprobe in der Entführung aus dem Serail gesungen, bin am Abend in Zürich in Gianni Schicchi eingesprungen und hatte am nächsten Morgen dort einen Vertrag. Drei Wochen später bin ich dann in Wien eingesprungen, für ein Konzert, es war Bruckners Te Deum unter dem Dirigat Carlo Giulinis. Innerhalb weniger Wochen hat sich mein Horizont fundamental verändert. Und da wusste ich, ich kann es schaffen. Ich muss nicht bis zu meinem Lebensende in Linz im Ensemble bleiben, sondern kann ganz nach oben kommen.

Kann man auch das Glück des Einspringens planen, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein?

Nein, das kann man nicht planen. Da muss man die Gunst der Stunde nutzen. Mut haben. Und zugreifen.

Interview: Tim Gorbauch

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Dokument erstellt am 09.12.2005 um 16:56:02 Uhr
Erscheinungsdatum 10.12.2005