Frankfurter Rundschau
09.10.2006

Libidinöser Lärm
Die Frankfurter Oper überzeugt mit einer konzertanten "Aida"

VON BERNHARD USKE

Aida zieht immer, einfach weil die Druckventile des Stücks perfekt funktionieren: Aida-Marsch, Priester-Hymnus, Priesterinnen-Tanz im ägyptisch-äthiopischen Exotik-Doppelpack samt abendländischer Liebes-Elaboriertheit. Insofern war der Erfolg in der Alten Oper programmiert, wo die Musiktheater-Oper vom Willy-Brandt-Platz das 1871 zur Einweihung des Suez-Kanals komponierte Werk konzertant gab.

Mit Norma Fantini als Aida und Ildikó Komlosi als deren Rivalin Amneris waren zwei Solisten gewonnen worden, die sich mit diesen Rollen bereits in Wien und New York exponiert haben. Dazu kam aus dem Frankfurter Ensemble Britta Stallmeister, die Verdis fremdtöniges Melisma für die ägyptische Priesterin sehr gut sang.

Eigentümlich, aber irgendwie den Außenseiterstatus der äthiopischen Sklavin Aida treffend war das Timbre von Norma Fantini. Exzellent wirkte es in den verhaltenen Passagen: rundes, modulierbares Material wurde da zum Glänzen gebracht, während bei stärkerer Forcierung sich eine Art prismatischer Brechung ergab, die das grundtönige Fundament in ein breites Frequenzspektrum auffächerte, wie bei einem aus vielen Ober- und Summationstönen bestehendes Orgelregister. Dann löste sich der feste Tonkern manchmal fast auf. Bei den Ensemble-Stellen des äußersten Drucks, da wo Verdis libidinöser Lärm den Saal bis an den Rand füllt, bot die Stimme eine perfekte Klangkrone. Zu ihr trug beachtlich bei die dunklere Stimme von Ildikó Komlosi, der die schönsten Modulationen gelangen.

Mit Macht und einer gehörigen Portion steifer Positur stellte Stuart Neill die Figur des Radames vor. Trotz schneidigen Stimmauftritts klebte der Sänger sehr an den Noten, nahm die gewichtige Figur überhaupt keinen Bezug auf ihr Umfeld. Magnus Baldinsson gab den Oberpriester und war diesmal perfekt besetzt. Die statuarische, den ordnungsgemäßen Ablauf der religiösen Vorbereitungen des Kampfes gegen die andrängenden Äthiopier beglaubigende Haltung war mit klarem und kräftigem Stimmeinsatz verbunden. Gleiches galt für Hans-Jürgen Lazar als Bote. Beweglich und gut disponiert der König von Bálint Szabó. Mit Verve und mimischer Beglaubigung besetzte Lucio Gallo den männlichen Spitzenplatz: ein kräftig konturierender Bariton, der den äthiopischen Finsterling gut ins Zentrum des Geschehens rückte. Den italienischen Sänger wird man in der Neuproduktion von Eugen d'Alberts Tiefland als Don Sebastian in dieser Saison hören können.

Brillanz - auch bei den Knalleffekten

Vor 25 Jahren hatte es die Aida zum letzten Mal in Frankfurt gegeben, damals als spektakuläre Realisierung unter der musikalischen Leitung Michael Gielens und in der Regie von Hans Neuenfels. Die Bilder von damals kamen einem jetzt bei manchen Stellen wieder in den Sinn, und beim Mitlesen des Textes, der doch weniger einfach zwischen Gut und Böse zu trennen weiß, als es die damalige Lesart suggerierte, mochte einem der einstige szenische Fundamentalismus der Unterdrücktenbefreiung tatsächlich ein Vierteljahrhundert alt scheinen. Insofern war die Leerstelle der Szene jetzt auch eine Chance, sich selber ein Bild zu machen von der verdischen Einheit von Musik und Text.

Generalmusikdirektor Paolo Carignani konnte es, was seine straffen Tempi anbelangt, mit der Gielen'schen Tat von 1981 locker aufnehmen. Jetzt war aber doch vieles flüssiger, weniger blockhaft und gedrungen aneinandergereiht und aufeinander gestapelt. Das Frankfurter Museumsorchester brillierte in ganz unterschiedlichen Facetten - vom durchgreifenden Knalleffekt und organisierten Lärm der großen Tableaus bis zu federleichten Exotismen und Stimmungsuntergründen.

Der Chor und Extrachor der Oper Frankfurt, einstudiert von Alessandro Zuppardo, war sowohl in der Priesterinnen-Anmut als auch mit Priester-Dogmatik sehr präsent und im Trubel der volksakklamatorischen Bewegung so etwas wie die Pumpe, die Verdis Druckventile richtig pfeifen lässt.

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Dokument erstellt am 08.10.2006 um 16:40:01 Uhr
Erscheinungsdatum 09.10.2006

 

Frankfurter Neue Presse
09.10.2006

Schönes Schaulaufen des Sänger-Ensembles
Die Frankfurter Oper gab Verdis „Aida" konzertant in der Alten Oper.

Vor genau 25 Jahren erlebte die Frankfurter Oper einen ihrer größten Skandale. „Eine Persiflage – verbindende und garnierende Worte: Hans Neuenfels, musikalische Untermalung: Michael Gielen" gifteten schon vorab verteilte Pamphlete gegen die im Januar 1981 herausgebrachte, neue „Aida"-Inszenierung. Sie wurde gleichwohl zu einem Dauerbrenner im Spielplan der Ära Gielen. Die Legende ist noch nicht verblasst, für eine konzertante, zwei Mal gespielte „Aida" in der opulenteren Alten Oper gibt es aber weitere gute Gründe: dem bald scheidenden Paolo Carignani eine weitere Verdi-Oper zu gönnen, und die gleichzeitig zu bauende, zu probende und uraufzuführende „Caligula"-Premiere am Opernhaus. Großen Respekt vorab für das Museumsorchester, dem beide Herausforderungen parallel zugetraut werden und das sich bei Verdi süffig, leidenschaftlich und klangschön aus der Affäre zieht!

Eine konzertante Oper ist zugleich Schaulaufen für die Sänger, die mehr als sonst an der Rampe stehen, mit nur wenigen Bewegungen die Dramatik der Musik vorführen müssen und auch, anders als sonst, das Publikum unmittelbar vor sich haben.

Norma Fantini, rot gewandet mit schwarzen, ärmellangen Handschuhen, ist eine berückende „Aida", einen Hauch kühl und distanziert, bringt aber ihre enorme stimmliche Weite ein, besonders in der gefühlvollen Romanze im 3. Akt. Ildikó Komlosi gibt die Amneris mit glutvoller Tiefe und dramatisch explodierender Höhe. Stuart Neill findet für den Hauptmann Radames auch lyrische Töne – angenehm, wie wenig forciert auch die wohltuend weichen Spitzentöne bestehen können. Lucio Gallos Amonasro hat überraschend finstere Züge, Magnus Baldvinssons Ramphis ist ein weniger weihevoller als nüchterner Oberpriester, Balínt Szabó ein eher zurückhaltender ägyptischer König. In den kundig ausgesuchten Stimmen ließ sich also viel Potenz für die Bühne erahnen. Tadellos der Chor (Alessandro Zuppardo), und viel Beifall, nicht nur für die diversen Sieges- und Triumphmärsche samt etwas kieksig geblasenen Spezialtrompeten. (Bom)

 

WIESBADENER KURIER
09.10.2006

Ohne Hühnerbein
Verdis "Aida" konzertant in der Alten Oper

Von Axel Zibulski

FRANKFURT Giuseppe Verdis "Aida" in Frankfurt: Diese Liaison setzte 1980 einen der Höhepunkte der so genannten "Ära Gielen". Frankfurts damaliger Generalmusikdirektor Michael Gielen dirigierte, Hans Neuenfels inszenierte das Werk nicht als ägyptischen Historienschinken, sondern als Angriff auf Imperialismus und Kolonialismus.

Was heute im Publikum wie im Ensemble wohl kaum noch für gesteigerte Erregung sorgen würde, ließ damals die Wellen der Empörung hoch schlagen. Bei der Premiere flogen Stinkbomben von den Rängen, und in seiner Autobiografie erinnert sich Gielen daran, wie ihn bei einer Probe gar ein Hühnerbein, geworfen von einem erzürnten Chormitglied, an der Brust traf.

Die Verklärung dieser Produktion wie der ganzen "Ära Gielen" hat dazu beigetragen, dass Verdis eigentlich ja populäre Oper in Frankfurt seitdem nicht mehr auf den Spielplan gesetzt wurde. Und selbst jetzt, als Frankfurts aktueller Generalmusikdirektor Paolo Carignani zwei "Aida"-Aufführungen leitete, musste sich kein Regisseur mit Neuenfels vergleichen lassen. Denn man gab Verdis 1871 in Kairo uraufgeführte Oper konzertant, als Koproduktion mit der Alten Oper in der Alten Oper, illustre Namen unter den gastierenden Solisten eingeschlossen.

Die Sopranistin Norma Fantini hat die Partie der Aida bereits an zahlreichen Opernhäusern, etwa der New Yorker Met, gesungen, kennt sie also bestens und konnte es sich leisten, das bei konzertanten Aufführungen immer ein wenig steif wirkende Steh-Singen hinter dem Notenpult gegen deutliche gestische, mimische Einlagen einzutauschen. Aber auch in vokaler Hinsicht war ihre Aida furios, mit einem dunkel-glühenden Piano-Gesang, der nicht weniger Ausdruckskraft hatte als ihr zuweilen fast schon outriert wirkendes Forte.

Etwas zu Unrecht stand daneben der amerikanische Tenor Stuart Neill weniger in der Publikumsgunst, vielleicht, weil der Schlusston seines frühen "Celeste Aida" flackerte, schließlich ein wenig wegrutschte; mit seinem sauberen Legato, auch seinen feinen dynamischen Differenzierungen überzeugte er insgesamt durchaus. Fragwürdiger die herbe, strapaziert klingende Amneris von Ildikó Komlosi, zuverlässig Lucio Gallos Amonasro. Opernchor und Museumsorchester klangen unter Carignani, wie erwartet, herzhaft, schwungvoll, mitreißend.

 

OFFENBACH POST
10. Oktober 2006

Schaulaufen starker Gesangssolisten
Konzertante Aufführung von Verdis "Aida" mit dem Frankfurter Museumsorchester in der Alten Oper

Giuseppe Verdis "Aida" in Frankfurt: Diese Liaison setzte 1980 einen der Höhepunkte der so genannten "Ära Gielen". Frankfurts damaliger Generalmusikdirektor dirigierte, Hans Neuenfels inszenierte das Stück seinerzeit nicht als ägyptischen Historienschinken, sondern als Angriff auf Imperialismus und Kolonialismus. Was heute die Wogen im Publikum wie im Ensemble wahrscheinlich nur noch kräuseln würde, sorgte damals für einen Skandal. Bei der Premiere flogen Stinkbomben von den Rängen, und in seiner kürzlich erschienenen Autobiografie erinnert sich Michael Gielen daran, wie ihn bei einer Probe gar ein Hühnerbein, geworfen von einem erzürnten Chormitglied, an der Brust traf.

Im Nachhinein sind an dieser Produktion wie an der "Ära Gielen" Spuren der Verklärung natürlich nicht vorbeigegangen; jedenfalls hat die Oper Frankfurt Verdis eigentlich viel gespielte Oper danach ein gutes Vierteljahrhundert nicht mehr auf den Spielplan gesetzt. Und selbst jetzt, als Frankfurts aktueller Generalmusikdirektor Paolo Carignani zwei "Aida"-Aufführungen leitete, musste sich kein Regisseur mit Neuenfels vergleichen lassen. Denn man gab die 1871 in Kairo uraufgeführte Oper konzertant als Koproduktion mit der Alten Oper, illustre Namen unter den gastierenden Solisten eingeschlossen.

Die Sopranistin Norma Fantini hat die Partie der Aida bereits an zahlreichen Opernhäusern gesungen, kennt sie also bestens und konnte es sich leisten, das bei konzertanten Aufführungen immer ein wenig steif wirkende Steh-Singen hinter dem Notenpult gegen deutliche gestische, mimische Einlagen einzutauschen. Aber auch in vokaler Hinsicht war ihre Aida furios, mit einem dunkel-glühenden Piano-Gesang, der nicht weniger Ausdruckskraft hatte als ihr zuweilen fast schon outriert wirkendes Forte. Etwas zu Unrecht stand daneben der amerikanische Tenor Stuart Neill weniger in der Publikumsgunst, vielleicht, weil der Schlusston seines frühen "Celeste Aida" flackerte, schließlich ein wenig wegrutschte; mit seinem sauberen Legato, auch seinen feinen dynamischen Differenzierungen überzeugte er insgesamt durchaus. Fragwürdiger die herbe, strapaziert klingende Amneris von Ildiko Komlosi, zuverlässig Lucio Gallos Amonasro. Opernchor und Museumsorchester klangen unter Cariganini, wie erwartet, herzhaft, schwungvoll, mitreißend. (zib)