hr-online
18 August 2006

Oper Frankfurt, 7. Oktober 2006
"Caligula" Oper in vier Akten, frei nach Camus

Mit "Caligula" feiert die Oper Frankfurt nicht nur Premiere, sondern eine Uraufführung. Die Oper in vier Akten von Detlef Glanert wurde frei nach Albert Camus inszeniert, das Libretto stammt von Hans-Ulrich Treichel. hr2-Hörer sind live mit dabei.

Detlev Glanert
Detlev Glanert

Caligula, der machtbesessene römische Kaiser (37-41 n. Chr.), ist die Titelfigur der neuen Oper von Detlev Glanert: eine Tragödie des Kampfes um unumschränkte Macht. Vier chronologisch aufeinander folgende Akte zeigen Stationen von Caligulas größenwahnsinniger Obsession: Er strebt ein absolutistisches Gottkaisertum an.

Doch durch seine despotische Herrschaft isoliert sich der Kaiser immer mehr – bis er irgendwann erkennt: Die Welt besitzt keine Bedeutung, aber gerade dieses Wissen führt zur Freiheit. Auf dem Höhepunkt seiner Tyrannei wird Caligula vom Hofstaat und den Patriziern ermordet.

Die im Rahmen der Uraufführung von Detlev Glanerts Oper Caligula geplante Lesung unter dem Titel "Menschenflug" am Mittwoch, dem 4. Oktober 2006, um 11.00 Uhr im Holzfoyer mit dem Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel, der das Libretto des Bühnenwerkes verfasst hat, muss leider ersatzlos entfallen. Bereits erworbene Karten können am 4. Oktober an der Abendkasse oder zu einem späteren Zeitpunkt an der Vorverkaufskasse der Oper am Willy-Brandt-Platz zu den üblichen Öffnungszeiten erstattet werden.

Detlev Glanert

Der aus Hamburg stammende Komponist Detlev Glanert, Jahrgang 1960, hat bereits einige erfolgreiche musikalische Bühnenwerke geschrieben. Sein "Caligula", für den ihm der Hermann-Hesse-Preisträger Hans-Ulrich Treichel das Libretto verfasste, entstand im Auftrag der Opernhäuser von Frankfurt und Köln. Vorlage war das Theaterstück von Albert Camus aus dem Jahr 1938. Der Kölner Generalmusikdirektor Markus Stenz – wie Glanert Kompositionsschüler von Hans Werner Henze – dirigiert die Uraufführung. Die Titelrolle singt der britische Bariton Mark Holland, der an vielen Bühnen Europas auftritt, einer der profiliertesten Sänger seines Fachs

Die Besetzung

Musikalische Leitung: Markus Stenz
Regie: Christian Pade
Bühnenbild und Kostüme: Alexander Lintl
Dramaturgie: Norbert Abels
Licht: Olaf Winter, Joachim Klein
Chor: Alessandro Zuppardo

Caligula: Ashley Holland
Caesonia: Michaela Schuster
Helicon: Martin Wölfel
Cherea: Gregory Frank
Scipio: Jurgita Adamonyte
Mucius: Hans-Jürgen Lazar
Merea, Lepidus: Dietrich Volle
Livia: Barbara Zechmeister

Sonderveranstaltungen im Rahmen der Uraufführung von "Caligula"

Dienstag, 19. September 2006, um 20.00 Uhr im Holzfoyer
Komponisten-Forum I Detlev Glanert im Gespräch

Dienstag, 26. September 2006, um 20.30 Uhr im Opernhaus
Happy New Ears I Werkstattkonzert mit dem Ensemble Modern / Portrait Detlev Glanert

Sonntag, 1. Oktober 2006, um 11.00 Uhr im Holzfoyer
Oper Extra I Einführungsveranstaltung zu Caligula

Samstag, 7. Oktober 2006, um 18.30 Uhr im Chagallsaal
Einführung zur Uraufführung Caligula I Opernintendant Bernd Loebe im Gespräch mit Detlev Glanert

Freitag, 13. Oktober und Sonntag, 15. Oktober 2006, jeweils im Anschluss an die Vorstellung von Caligula im Chagallsaal I Diskussionsrunde mit Mitgliedern des Ensembles und dem Dramaturgen Norbert Abels

Dienstag, 24. Oktober 2006, um 20.00 Uhr im Foyer im 3. Rang
Salon im Dritten Rang I Musikalisch-literarischer Abend zu Caligula

 

Frankfurter Neue Presse
26.09.2006

Zu Besuch bei einem Diktator im alten Rom
Am 7. Oktober wird in der Frankfurter Oper das Musiktheaterstück „Caligula" von Detlev Glanert nach Camus uraufgeführt.

Von Birgit Popp

Mit der Oper „Caligula" präsentiert Bernd Loebe in Koproduktion mit der Oper Köln die erste Uraufführung seiner Intendanz. Loebe hatte sich mit Detlev Glanert für einen der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten entschieden. Der 1960 in Hamburg geborene, heute in Berlin lebende Komponist nahm den Auftrag gerne an, konnte er doch den Frankfurter Opern-Intendanten für seine Idee begeistern, Albert Camus’ 1938 geschriebenes und 1945 uraufgeführtes Drama über den römischen Kaiser und Gewaltherrscher Caligula (12–41 n. Chr.) als Grundlage für eine Vertonung zu nehmen. Eine Idee, die in Glanert bereits seit zehn Jahren gereift war. Die Themen, die der ehemalige Henze-Schüler bereits vertont hat, sind unterschiedlich. Zu seinen bisherigen Opern zählen „Der Spiegel des großen Kaisers" (1995), „Joseph Süß" (1999), „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (2001)" sowie die Kinderoper „Die drei Rätsel" (UA 2003), die in Frankfurt in der Spielzeit 2005/06 ein großer Erfolg war.

Mit „Caligula" hat Glanert ein Drama vertont, von dem er sagt, „Es hat viele ironische, gar komische Szenen, aber seine Grundfolie ist Terror und Diktatur, der menschliche Abgrund. Ich nehme immer nur Stoffe, die mir persönlich etwas zu sagen haben; auch, wenn sie alt sind. ,Caligula’ ist jedoch die erste Oper, bei der ich mich musikalisch ganz auf eine Person konzentriere, die Titelrolle ist der Fixstern im Universum, um den alle anderen Planeten kreisen. Alle anderen Personen erlebt der Zuhörer so, wie Caligula sie erlebt. Mit dem Camus-Drama hat die Oper gemein, dass sie das seelische Innenleben einer Ideologie, eines Diktators zu erforschen sucht. Es ist das Drama eines sehr mächtigen Menschen, der vom Besitz der Wahrheit überzeugt ist. Er ist auch überzeugt, die totale Freiheit zu besitzen und produziert Terror." Und, so der Komponist weiter: „Mit der Antike hat das Drama nichts zu tun. Es ist bekannt, dass Camus sein Stück als eine Metapher auf Hitler und Stalin geschrieben hat. Leute, die sich im Besitz der Wahrheit glauben und auch noch Macht haben, sind ungemein gefährlich."

Die Handlung: Caligula ist verschwunden. Während seine Freunde sich sorgen und der Hofstaat die Machtübernahme plant, kehrt er plötzlich völlig verwandelt zurück. Seine bis dahin vorbildliche Herrschaft wird zur grausamen Prüfung für das Volk von Rom. Auf dem Höhepunkt seiner blutigen Macht wird er schließlich ermordet.

Die Berufung zum Komponisten verspürte Detlev Glanert früh. „Schon mit elf oder zwölf Jahren habe ich angefangen zu komponieren. Ich war schon vom Aussehen der Noten fasziniert, bevor ich schreiben konnte. Mehr als von allem anderen. Mein Vater war begeistert von der klassischen Musik und hat mich schon früh in die Oper und zu Konzerten mitgenommen." Nach dem Abitur hat Glanert, der zu seinen Vorbildern Mahler und Ravel zählt, Komposition zunächst an der Musikhochschule in Hamburg bei Diether de la Motte studiert, dann vier Jahre in Köln bei Hans Werner Henze. „Ich finde, die Oper ist die schönste Erfindung, die die europäische Menschheit je gemacht hat. Die Oper ist das am meisten totgesagte Kunstwerk der Welt und deshalb das vitalste. Was mich am Musiktheater auch fasziniert, ist die mit intellektuellen Mitteln verlängerte Kindheit. Wir spielen mit unseren Gedanken und uns selbst auf der Opernbühne. Es sind unsere Grunderfahrungen im Leben: Liebe, Hass und Tod." Abgeschlossen hat Glanert seine Partitur nach dem Libretto von Hans-Ulrich Treichel im Juni. Nach den derzeitigen Orchesterproben, die ebenso wie die Uraufführung von dem Kölner Generalmusikdirektor Markus Stenz geleitet werden, nimmt Glanert noch Änderungen vor: „Wir sind noch mitten im Entstehungsprozess. Das Kind ist noch gar nicht geboren, bisher schaut erst ein Arm heraus."

 

Augsburger Allgemeine
30.9.2006

Opernkomponist Glanert: "Caligula"-Uraufführung fragt nach Ideologie

Frankfurt/Main (dpa) - Die Frage nach der Macht von Ideologien sieht Opernkomponist Detlev Glanert im Zentrum seines Werkes "Caligula", das am nächsten Samstag (7.10.) in Frankfurt uraufgeführt wird.

"Es geht um die Besitzer der Wahrheit beziehungsweise diejenigen, die meinen, die Wahrheit zu besitzen - das kann die Bush- Regierung sein oder der Islamismus", sagte der 46-Jährige in einem dpa-Gespräch. "Caligula" nach einem Schauspiel von Albert Camus von 1938/1944 ist eine Auftragsproduktion der Opern Frankfurt und Köln.

Gereizt habe ihn an dem Stoff die "absolut dominante Titelpartie": Der machtbesessene römische Kaiser Caligula bietet nach Glanerts Auffassung eine "ganz einzigartige Innenansicht eines Terroristen, eines Diktators, eines Monsters". Nach dem Tod der Schwester, der Caligula in inzestuöser Zuneigung verfallen war, schwingt sich der Kaiser zum gottgleichen Herrscher auf. Die Oper, deren Libretto von Hans-Ulrich Treichel stammt, erzählt in vier Akten von der Tyrannei.

Die Musik zu "Caligula", an der Glanert drei Jahre gearbeitet hat, ist ganz auf die Titelfigur zugeschnitten. "Alles, was tönt, ist Caligulas Psyche und Physis: Nerven, Gehirnzellen, Sinne", erläuterte Glanert. "Wenn wir eine andere Figur sehen, hören, riechen dann geschieht das mit Caligulas Augen, Ohren, Nase." Auf mittlere Instrumente wie zum Beispiel Bratschen und Hörner verzichtete der Komponist, um die Extreme zu unterstreichen: "Ich wollte Caligulas Unwucht in der Grundklanganordnung schon angeordnet haben." Glanert betonte jedoch: "Ich bin keineswegs der Auffassung, dass grauenhafte Figuren auch grauenhafte Musik benötigen - es ist manchmal viel infamer, einen Dur-Akkord unter ein "Monster" zu legen."

"Caligula" ist die siebte Oper des gebürtigen Hamburgers Glanert. Dass trotz des Bemühens vieler Opernhäuser um Zeitgeist und jüngeres Publikum Uraufführungen relativ wenig Raum bekommen, erklärt sich Glanert wie folgt: "Jede Generation kann sich ihren Mozart, ihren Verdi neu erfinden. Das geht mit lebenden Komponisten nicht: Bei ihnen sind der Ausdeutungshoheit Grenzen gesetzt und die Rezeption ist langsam - damit tun sich viele Theater schwer."

 

DeutschlandRadio Kultur

Aufstieg und Fall eines Kaisers
Detlev Glanerts Oper "Caligula"
Caligula ist die Tragödie des Kampfes um unumschränkte Macht. In einer Bilderfolge werden die Stationen dieser sich zum Größenwahn auswachsenden Obsession gezeigt. Immer mehr isoliert sich der Kaiser, bis er erkennt, dass die Welt keine Bedeutung besitzt. Gerade dieses Wissen ist der Weg in die Freiheit. Auf dem Höhepunkt seiner Tyrannei wird Caligula vom Hofstaat ermordet.

Albert Camus' gleichnamiges Schauspiel ist Grundlage der Oper, in diesem wird die Absurdität des Daseins beschrieben - die Welt kennt Wahrheit nur als eine sich stets wandelnde fiktive Größe, in Wirklichkeit aber ist sie ohne jede wirkliche Bedeutung.

Caligula ist das Porträt eines Despoten, der dem Traum von Wahrheit nicht mehr folgen will, ein Mann aber auch, der aus Treue zu sich und zu dieser Erkenntnis den Menschen untreu wird. Nach dem Tod seiner im Inzest geliebten Schwester stellt er fest: "Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich!" Diese Sätze des Kaisers sind eine Art Leitmotiv, ziehen sich durch alle vier Akte. Am Schluss der Oper ruft er aus: "Noch lebe ich!" - dann treffen ihn die Dolchstöße der Verschwörer. Caligula erkennt zu spät, dass kein Mensch sich allein zu retten vermag.

Glanert dringt musikalisch in den Leib und das Gehirn der Titelfigur tief ein, zeichnet Atmung, Puls und Erregungskurven nach, zieht den Zuhörer in dessen Wahrnehmungsstrom hinein. Die Musik zu Caligula entsteht aus seinem Inneren - Chemie und Seele, Gefühl und Kontraktion, Kreislauf und Gedanke. Alles Äußere, die ganze Welt wird durch sein imaginäres Ohr gesehen und geschmeckt, sein Gehirn scheint zu klingen.

 

WIESBADENER KURIER
05.10.2006

"Das Phänomen der Diktatur bewältigen"

Detlev Glanert
Der Komponist Detlev Glanert vor der Frankfurter Uraufführung seiner Oper "Caligula"
Loslassen ist schwer: Der Komponist Detlev Glanert hängt an seinem neuen Werk.
Freese

FRANKFURT Am kommenden Samstag wird Detlev Glanerts "Caligula" in Frankfurt uraufgeführt. Die Oper ist ein Auftragswerk der Opernhäuser in Frankfurt und Köln.

Herr Glanert, Sie sind seit einigen Wochen hier in Frankfurt, begleiten die Proben. Wie ist es denn, den ganzen Tag von "Caligula" umgeben zu sein?

Glanert: Ja, ich bilde mir ein, dass ein Geburtsakt so verläuft, allerdings verlängert auf einen Monat.

Das klingt schmerzhaft.

Glanert: Es ist langsam, es gibt natürlich Geburtsschmerzen, vor allem, weil man nicht ganz genau weiß, wie das Kind aussehen wird, ob es alle Zähne und Finger hat. Sagen wir mal: Gerade kommt ein Arm heraus. Bei einer Uraufführung ist ein Stück nie fertig. Bei anderen Sachen habe ich noch bis eine Minute vor Beginn geändert.

Sie sind ständig bei den Proben dabei?

Glanert: Ich weiß, meine Kollegen machen das zum Teil anders, jeder hat da so seine eigene Auffassung. Ich finde, dass das Material in einem so frischen, knetbaren Zustand ist, dass es bearbeitet werden muss. Und ich muss sagen, dass die Faktur der Neuen Musik seit hundert Jahren eigentlich so gestaltet ist, dass sie immer wieder bestimmten Realitäten akustisch angepasst werden muss. Gustav Mahler zum Beispiel hat wahnsinnig viel revidiert in seinen Sinfonien, und wenn er Opern geschrieben hätte, hätte er vermutlich genauso gearbeitet wie ich. Es sind eben Dinge am Schreibtisch nicht mehr zu kalkulieren.

Sie sind in der glücklichen Situation, dass Ihre Stücke nicht nur ur-, sondern auch wiederaufgeführt werden...

Glanert: Ja, das freut mich.

Ihre Oper "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" gehört zu den derzeit meistaufgeführten Gegenwartsopern. Kann man, um im Bild zu bleiben, das Kind auch einmal loslassen?

Glanert: Das ist schwer, aber man muss es natürlich lernen. Wissen Sie, der Rezeptionsfluss bei Opern ist immer sehr langsam, die Opernästhetik hinkt immer um 30 Jahre hinterher. Da muss man das zarte Pflänzchen vielleicht auch einmal gerade rücken. Aber je mehr eine Oper inszeniert wird, umso weniger mische ich mich ein.

Auch Ihrem Libretto liegt ein gut 60 Jahre alter Camus-Text zugrunde.

Glanert: Alle Opern neigen zu Stoffen aus der Vergangenheit. Ich bin einmal gefragt worden, ob ich noch im 20. Jahrhundert lebe. Dann hat Verdi im Grunde im 14. Jahrhundert gelebt. Das ist alles unwichtig. Es geht um die Metaphorik des Stoffes. Man greift auf metaphorische Stoffe zurück, weil sie überschaubar sind. Die Oper neigt zu zurückliegenden Geschichten. Weil sie eine Identität haben und weil sie in der tieferen Bedeutung, im Subtext anders ausgeleuchtet werden können. Man muss dazu sagen, dass der "Caligula" auch ohne die Theorie des Existenzialismus lebensfähig ist. Denn ohne etwas von Existenzialismus zu wissen, hat Camus 1938 die erste Fassung geschrieben. Entscheidend ist der Versuch, das Phänomen der Diktatur zu bewältigen, der Ideologie von Hitler und Stalin. Und das Grundproblem, was mit Leuten passiert, die mächtig sind und sich im Besitz der Wahrheit glauben. Das ist der entscheidende, zeitlos gültige Punkt dieses Stücks von Camus.

Wieviel steckt trotzdem noch von der historischen Figur Caligula in Ihrem Stück?

Glanert: Kaum etwas. Sie war schon bei Camus nicht wichtig. Und er schrieb auch im Vorwort, bitte keine Togen, bitte keine Säulen. Er hat, ausgehend von Sueton, der Sache zu Grunde gelegt, dass Caligula zunächst ein sehr guter Kaiser war und dann einen entscheidenden Verlust erlitten hat mit der Schwester Drusilla, daraufhin unberechenbar wurde und von den eigenen Leuten umgebracht wurde. Das sind die ganz trockenen Fakten, die Camus als Grundbausteine gesetzt hat. Sueton ist übrigens, wenn ich das nebenbei sagen darf, als ziemliche Klatschbase angesehen worden, als außerordentlich unzuverlässig in seinen Cäsaren-Portraits. Fand ich auch eine ganz witzige Information.

Ist Ihr Librettist Hans-Ulrich Treichel jetzt bei der Arbeit noch dabei?

Glanert: Der Arbeitsprozess mit Treichel war in dem Moment beendet, als ich die Partitur abgegeben habe. Er arbeitet außerordentlich genau und ohne jeden Substanzverlust. Treichel ist einer, der ganz wunderbar für Komponisten geeignet ist, er ziert sich nicht, er hält einem den Rücken frei, und wenn der Komponist überzeugt ist, das ist zu lang, das ist zu kurz - dann ändert er das.

Wie ist der Entstehungsprozess gewesen, kann man das mit der Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal vergleichen, die so viele Briefe geschrieben haben?

Glanert: Der Witz ist, wir haben genauso gearbeitet, und man kann auch gar nicht anders arbeiten. Bei uns waren es nicht Briefe, sondern E-Mails. Noch mal zurück zur Genesis des Stücks: Die Idee selbst ist zehn Jahre alt, und ich brauche immer so eine lange Anlaufphase für ein Opernprojekt. Ich habe das Stück im Kopf herumgewälzt, und dann kam zum Glück vor vier Jahren Loebe (der Opern-Intendant, Anm. d. Red.), als er neu in Frankfurt war. Ich habe ihm den Stoff vorgeschlagen, und er hat ihn sofort akzeptiert, sich gewünscht.

Sie schreiben kantabel, auch mit Arien. Was sagen Sie Kollegen, die meinen, man könne heute eigentlich nicht mehr singen lassen?

Glanert: Das ist die Verwechslung von Können und Sollen, nicht? Natürlich kann man heute alles, die Frage ist immer, was ein Komponist will, und das ist in großen Teilen eine individuelle Frage. Ob das dann gut oder schlecht ist, muss die spätere Rezeption entscheiden. Ich mache das, was ich nach reiflicher Überlegung der Lage für richtig halte. Ich habe eine große Abneigung gegen Moden und gegen Diktate. Sicher: Es gibt so etwas wie einen Zeitstil. Neulich habe ich ein ganz interessantes Konzert gehört, da gab es Stücke von Henze, Boulez und Ligeti, und ich dachte, die haben doch etwas gemeinsam, auch wenn sie sich ästhetisch noch so sehr die Köpfe einschlagen.

Finden Sie sich dann konsequenterweise auch in Ihren eigenen Zeitgenossen wieder?

Glanert: Ja, ja, aber manchmal steht man zu nah am Wald. Man sieht viele Bäume, aber wir sind noch zu nah dran.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Regisseur? Sie geben sehr genaue Szenenanweisungen.

Glanert: Eine Uraufführungs-Regie ist eine ganz besondere Sache. Der Regisseur hat eine Musik zu berücksichtigen, die er noch gar nicht kennt. Es sind zwar Noten da, aber das sagt noch nicht viel. Da, wo es in der Partitur schwarz ist, ist es schnell, und da, wo es weiß ist, eher langsam. Er muss eine Lesart finden - die Regieanweisungen sind dabei Versuchsanordnungen - , und er muss das gleichzeitig unter Berücksichtigung der nicht existierenden Klänge tun. Man bespricht sich doch viel mehr als mit der Musik eines verblichenen Kollegen. Ein Job, um den ich ihn nicht beneide, aufregend, gefährlich. Aber es gibt Regisseure, die das lieben, und da gehört der Christian Pade, glaube ich, dazu.

Und die Sänger? Sie wussten stets, wer in Frankfurt welche Partie singt. Konnten Sie ihnen also wie Mozart und Rossini die Noten auf die Haut schreiben?

Glanert: Ja, das ist optimal, wenn man das vorher weiß. Das hatte auch für Loebe eine ganz hohe Priorität. Ich weiß jetzt, wie Alban Berg das einmal sagte, wie weit ich zu weit gehen darf.

Das Gespräch führte Axel Zibulski.

 

Boosey & Hawkes
NEWS CENTRE
September 2006

Glanert in interview about his new opera Caligula
Detlev Glanert introduces his new opera Caligula, staged in Frankfurt and Cologne this autumn

What first interested you in creating an operatic adaptation of Albert Camus’s play Caligula?

I’d written operas where a group of characters interact with each other, but what struck me about Caligula was the way in which Camus creates a drama surrounding one person who dominates all the others. This offered a new adventure to me.

Do you see Caligula as a historical or a philosophical drama?

It is not about Caligula, the historic Roman emperor, but rather about modern dictators such as Stalin and Hitler. If it is a philosophical play Camus wrote that it only presents a simple idea that "People die, and they are unhappy". The consequence of this for Caligula is that he can only make people happy by demonstrating his total freedom, at whatever cost. What is most important to me, however, is that the play works brilliantly as a true drama, examining the self-destruction of Caligula and the absurdity of the human situation.

Historians have questioned the exact nature of Caligula’s madness. How do you view Camus’s depiction of this?

Camus is not interested in the historic background to Caligula’s madness, such as the murder of family and friends as he grew up, or the epilepsy inherited from Caesar. The opera starts with the death of his sister and lover Drusilla, which unhinges him and sends his inner sense increasingly out of balance. He is not, however, a madman but rather an intelligent, rational creature who skilfully experiments with human beings, just like Hitler or Stalin. And the horrific truth is that we understand him, because we all have the capacity to become such a monster.

Caligula describes himself as "the only free man in the Roman Empire". What does the drama tell us about the nature of freedom?

Camus understood the nature of the dictator, that his total freedom breeds terror. Uncontrollable, with no boundaries of convention, nature, politics, or morals, the result is chaos – the flattest form of existence. And those in his court are trapped as if in a closed room with no escape. In this claustrophobic world Caligula sets up his human laboratory in which he forces the characters to react like chemical agents – they have no alternative, other than death.

The mirror is a potent symbol in this opera. Does it here reflect the true nature of human society as in your opera The Mirror of the Great Emperor?

Not in the same way. The physical mirror in the imperial bedroom only allows Caligula to see himself – it is a reflection of his inner voices. But Caligula functions also as a metaphorical mirror to the other characters, as he reveals the truth of society through the dictator’s cynical role as ‘great teacher of the people’. With the treasury depleted his ministers insist that balancing the books is the absolute priority. But his proclamation that citizens assign their wealth to the state before they are murdered is met with horror. This extreme outcome of money being more important than life itself carries a terrifying logic.

Have you adopted the structural elements found in the play?

There are a series of dialogues in which Caligula provokes the characters around him, always revealing an aspect of his own mind. Also running like an accelerating ritornello is the theme of death, starting with Drusilla’s before the curtain rises and ending with Caligula’s murder by the conspirators. I had to find a musical counterpart to the centrality of Caligula within the dramatic structure, and decided to associate him with a 29 note chord, from which the material for all the other characters could be drawn, as if they are only aspects of the emperor.

How have you characterised through voice type?

I was interested in the notion that the natural speaking pitch has dropped over the centuries, so rather than writing the lead roles for soprano and tenor, Caligula is a baritone and his wife Caesonia a mezzo. The servant Helicon is a countertenor, as historically he could well have been a eunuch. Of the other roles the young patrician is a trouser role for a contralto, and the other palace inmates are spread around the voice types. Overall there is a dark tinge to the vocal tessitura.

How do you musically depict Caligula’s inner thoughts?

The chorus, in its offstage capacity, plays a major role, expanding Caligula’s inner life. Their material is centred in his tessitura, elaborating his thoughts until their voices become bigger than his own. I also use a tape at the beginning and end of each act, containing heartbeats and sounds of breathing, from which the music evolves, and into which it expires.

Camus offers great opportunities for plays within the play. How have you adapted these for the opera?

Camus was much closer to the theatre than many of his contemporaries such as Sartre. Caligula is particularly rich in set pieces, such as the Act 3 circus presentation of the emperor as Venus where I have the characters playing percussion. There is also Caligula’s dance and the charades of his supposed death, playing a horrible joke on the would-be conspirators. Best of all is the absurd poetry contest with the emperor acting as referee with a whistle – this comic scene before the final tragedy shows how well Camus knew his Shakespeare.

What role can the opera composer have in exposing truths about society and politics?

When I’m asked if music can change society I have to answer "No". A composer can, however ask the right questions, even if he cannot always provide the correct answers. What I’ve attempted in all my operas is to find subjects that can engage modern audiences. Joseph Süss or Jest, Satire, Irony of Deeper Meaning may be set in a historic period, but the issues they raise are burningly relevant today. Even in a small provincial town, an ideological devil like Caligula could appear. As he cries out, when murdered: "I am still alive".

Interviewed by
David Allenby