DPA
16. Juni 2007

Mannheim: 140 Jahre alte Oper zum ersten Mal aufgeführt

Mannheim. Eine fast 140 Jahre alte Oper wird heute, 19 Uhr, in Mannheim zu ersten Mal auf die Bühne gebracht. Das Stück "Fiesque" des französischen Komponisten Edouard Lalo aus dem Jahr 1868 geht auf Schillers Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" zurück, das 84 Jahre zuvor in Mannheim uraufgeführt worden war. Regisseur Jens-Daniel Herzog hat zuvor in Mannheim bereits "Così fan tutte" und "Die Entführung aus dem Serail" inszeniert. Der Komponist Lalo ist in der Opernwelt bislang nur wegen seiner Oper "Le Roi d'Ys" bekannt. Sein einziges weiteres vollendetes Opernwerk ist "Fiesque", das nun im Rahmen der Mannheimer Schillertage präsentiert wird.

 

Mannheimer Morgen
18. Juni 2007

SCHILLERTAGE: Jens-Daniel Herzog erzählt mit Lalos Oper "Fiesque" eindringlich, wie persönliche Machtlust auch ohne politische Utopie auskommt - eine Uraufführung
Des Playboys Traum, Tyrann anstelle des Tyrannen zu werden

Von unserem Redaktionsmitglied Stefan M. Dettlinger

Um 21.23 Uhr fällt das Porträt des Genueser Dogen Andrea Doria von der Wand. Ein kolossales Krachen. Der Palast wird gestürmt. Akten werden zerrissen. Gewehrsalven abgefeuert. Computer über die Bühne geschleppt. Jetzt zieht der Republikaner Verrina dem Prinzen Gianettino die Hosen runter und ersticht ihn. Skrupellos. Blutrünstig. Auch andere werden an die Wand gestellt und - tackatackatackatack - erschossen. Das Orchester tönt martialisch. So klingt ein Putsch, so ist es, wenn eine Diktatur der anderen das Feld des Terrors räumt. Die Denkmuster werden bleiben. Nur die Richtung ändert sich. Von links nach rechts und umgekehrt. Alles ist heillos. Bedrohend. Ein Orkan der Gefühllosigkeit.

Das ist "Fiesque" von Edouard Lalo und Librettist Charles Beauquier, wie Mannheims Ex-Schauspieldirektor Jens-Daniel Herzog sich diese Grand Opéra von 1867 vorstellt. Das Nationaltheater zeigt jetzt die szenische Uraufführung. Mit Ausstatter Mathis Neidhardt hat Herzog das nach Schillers "Verschwörung des Fiesco zu Genua" entstandene Werk in ein staatstragendes Einheitstableaux gegossen, das beherrscht ist vom tristen Sozialismus-Muff à la DDR.

Wir befinden uns in einer auf einen Fluchtpunkt zulaufenden Säulenhalle. Hier wird Politik gemacht. Verhandelt. Vergewaltigt. Der Mensch ist weit weg. Die Sehnsucht ganz nah. Solche Räume der öffentlichen Depression kennen wir; Marthalers Ausstatterin Anna Viebrock zeigt sie. Aber Herzog und Neidhardt legitimieren den Raum, konzentrieren sie sich doch auf den Punkt, wo das Private - die Liebe von Fiesco zu Julie und Léonore und die Machtbesessenheit des Fiesco - mit dem Öffentlichen verschmilzt. So gibt es beim Eintreten des Kamerateams nach dem Putsch auch keine Staatsrede, sondern das Süßholzgeraspel Fiescos und Léonores. Es geht nicht um Inhalte. Es geht um Macht und Hegemonie.

Er ist ein Playboy, dieser Fiesco, der seine Gala- irgendwann gegen die Kampfmontur tauscht, so sehr Playboy, dass er es nicht nur mit Julie, der Tochter des alten Doria, keck auf dem Waschbecken treibt, sondern auch mit seinem Festpersonal eine broadwayreife Tanzeinlage hinlegt. Im Hintergrund zieht er die Strippen. Er ballt die Kräfte Parmas, Piacenzas, die Schiffe des Papstes und das Gold Frankreichs, um die Tyrannei der Dorias zu stürzen, die bei Lalo fast nicht mehr in Erscheinung treten. Aber Herzog zieht den Schiller aus der Tasche und integriert die Gegenmacht Andrea und Gianettino Doria als oft stumm auf der Bühne agierendes Gespenst. Ein kluger Schachzug gegen eine Schwäche von Lalos Oper, überhaupt: Herzog fesselt - nicht mit Überwältigungstheater zwar, wohl aber mit dem Herauskristallisieren der Protagonisten-Psychen und bewegender Personenführung.

Zwei Schlüsselszenen gibt es. In der wunderbar schwerelosen G-Dur-Arie "Dans le livre de mes amours" erzählt Fiesco von einem Traum, in dem er zum Dogen gekrönt wurde. Francesco Petrozzi singt sich dabei mit der Whiskeyflasche in der Hand eindrücklich die Seele aus dem Leib, bis zum hohen "B" hinauf, während sein Sesselnachbar, der Auftragskiller Hassan, genüsslich ein Schläfchen hält. Humor hat Herzog also auch. Auslöser des Aufruhrs aber war die Vergewaltigung der Tochter von Fiescos Komplizen Verrina durch den jungen Dogen Gianettino. Sie zeigt Herzog während des Vorspiels zu Akt II, und wie die Hilfeschreie des Mädchens, das sich später die Pulsadern aufschneidet, mit den Motiven der Flöten, Oboen und Klarinetten fusionieren, zeigt, wie musikalisch Herzog ist - und inszeniert.

Überhaupt die Musik. Weitgehend wunderbar. Fast ohne Durchhänger. Der vergangene Woche verstorbene Ulrich Schreiber hatte Recht: "eine Unterlassungssünde", diese Oper nicht zu spielen. Aber nun ist sie ja geboren. Und Mannheim entbindet sie musikalisch in ein Wunderreich der Klangkunst. Zu verdanken ist das auch ihm: Alexander Kalajdzic. Mannheims neuer Erster Kapellmeister führt das Orchester und den von William Spaulding präparierten Chor mit einer ungeheuren Disziplin und sängerfreundlichen Klanggebung durch die Partitur, ohne den Klang ins Pauschale abdriften, sondern, im Gegenteil, trotz Diskretion farbig aufblühen zu lassen.

Es ist aber auch ein brillanter Sängerabend. Francesco Petrozzi zeichnet den am Ende sterbenden Antihelden mit passioniertem Ton, lyrischer Intensität und großer Ausdruckspalette. Dass ihm in der extremen Höhe etwas Strahlkraft fehlt, kompensiert er mit Beseeltheit und Farbe. Galina Shesternevas Léonore lässt nichts vermissen. Ihrem dunklen und nobel geführten Sopranton entströmt in der e-Moll-Arie "Ah! Je le sens, ce sont les larmes" die ganze menschliche Tragik der ungeliebten Gattin. Als Kontrahentin klingt Andrea Szántós Mezzo als Julie majestätisch triumphierend, selbst in a-Moll noch hell und kokett, wie etwa im Chanson "Mon plaisir à moi". Einen ganz großen Tag hat Thomas Berau bei der Premiere. Sein Hassan klingt so wuchtig wie homogen und kultiviert, und Theodor Carlson als Verrina, der am Ende Fiesco im Waschbecken ertränkt, strahlt fast wotansche Göttlichkeit aus. Was für ein Solistenensemble! Unter den Chorsolisten fällt besonders der kernige Romano von Bariton Jun-Ho Lee auf, aber auch John Dalke (Gianettino), Giorgi Bekaia (Sacco), Hyun-Seok Kim (Borgognino), Bertram Paul Kleiner (Mann) und Anja Wollenweber (Page) fügen sich bestens ins exzellente Ensemble ein.

Am Ende kämpfen Buh- gegen Bravo-Rufer. Das ist gut für die Kunst! Theater muss aufregen! Ganz offenbar haben Lalo und Herzogs kluge Regie etwas bewegt.

 

WIESBADENER KURIER
19.06.2007

Eine spannende "Ausgrabung" mit Sex, Crime und Politik
Aus den Archiven auf die Bühne: Edouard Lalos vergessene Schiller-Oper "Fiesque" wird nach 140 Jahren in Mannheim aufgeführt

Von Martin Roeber

MANNHEIM Man glaubt es kaum: Da verstaubt die Oper eines der großen französischen Komponisten des 19. Jahrhunderts 140 Jahre lang in den Archiven. Normalerweise hat es seine guten Gründe, wenn musikdramatische Werke nicht den Weg ins Repertoire finden.

Bei Edouard Lalos "Fiesque" erscheint das aber völlig unverständlich. Die 14. Internationalen Schillertage am Mannheimer Nationaltheater können jetzt mit einer Ausgrabung prunken, die internationales Aufsehen erregen dürfte.

"Fiesque", die Grand Opera nach Schillers republikanischem Trauerspiel "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", erlebte am Samstagabend endlich ihre Uraufführung.

Lalo (1823 1892) hat sich erst als 43-Jähriger an seine erste Oper gewagt. Als Komponist von Kammer- und Orchestermusik konnte man in Frankreich des 19. Jahrhunderts kaum Anerkennung erwerben; entscheidend für die Breitenwirkung war die Komposition von Opern. Lalo reichte seinen Erstling bei einem Kompositionswettbewerb des Theatre Lyrique ein und wurde mit einem mageren dritten Preis abgespeist. Eine Inszenierung wurde abgelehnt. "Fiesque" verschwand im Archiv. Wer Orchesterwerke des Franzosen im Ohr hat, etwa die bekannte, farbenreiche "Symphonie espagnole", der ist über die Qualitäten Lalos als Opernkomponist nicht erstaunt. Seine Orchestersprache findet überzeugende Lösungen für die großen dramatischen Steigerungen, für Massenszenen und packende Chöre. Die Dialoge fließen in elegantem französischen Parlando. Dazu gibt es sensible lyrische Momente und schmissige Trinklieder. Das Textbuch von Charles Beauquier dampft Schillers kompliziert verflochtene Handlungsstränge auf das Wesentliche ein. Die völlig unglaubwürdige Episode, in der Fiesco bei Schiller seine Gattin Leonore "aus Versehen" absticht, ist gestrichen.

Es bleibt eine fast kolportagehafte, temporeiche Story aus Sex, Politik und Kriminalität. Regisseur Jens-Daniel Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhardt verlegen die Handlung aus der Renaissancerepublik Genua in einen imaginären Kleinstaat und zeigen so verblüffende Parallelen zu aktuellen Politskandalen. Alexander Kalajdzic führte das Orchester des Nationaltheaters sicher durch die bislang ungehörte Partitur, setzt dabei mit überlegenem Timing dramatische Akzente. Das Solistenensemble schlug sich mehr als achtbar. Francesco Petrozzi in der Titelrolle musste sich einige Buhrufe gefallen lassen.

 

Frankfurt Rundschau
20.06.2007

Edouard Lalos "Fiesque"
Der Putsch frisst seine Väter
VON JOACHIM LANGE

Natürlich steht bei den Mannheimer Schillertagen das Schauspiel im Zentrum. Eine Besonderheit aber, die man nicht jedes Jahr bieten kann, ist eine Opern-Uraufführung nach einem Stück von Schiller - eine reichlich verspätete Uraufführung allerdings. Denn anders als seinem italienischen Kollegen Verdi, der mit seinen Schiller-Opern Erfolg hatte, ist es dem Franzosen Edouard Lalo (1823-1892) nicht gelungen, seine 1868 vollendete Oper nach Schillers "Fiesco" auch nur einmal zur Aufführung zu bringen. Er hat zwar einzelne Teile daraus in andere Kompositionen gerettet, aber als Opernkomponist war ihm nur mit "Le Roi d'Ys" zwanzig Jahre später Erfolg beschieden. Bekannter ist er mit seiner für Pablo de Sarasate geschriebenen "Sinfonie Espagnol".

Nun wird sein "Fiesque" - auch nach der von Alexander Kalajdzic mit zupackender Verve dirigierten und von Jens-Daniel Herzog klug auf seinen politischen Nährwert hin inszenierten Mannheimer Uraufführung - sicher keinen Siegeszug über die Opernbühnen des 21. Jahrhunderts antreten. Auch ist es nicht der eine verkannte Geniestreich, der dringender Rehabilitierung bedürfte. Und doch hat es sich gelohnt. Selbst wenn die Musik meist mit großer Operngeste und effektvollem Rampen-Pathos neben der sehr französischen Eloquenz vor allem dem Illustrativen frönt. Doch blitzt gerade in den Ensemble- und Chorsätzen auch Originalität auf.

Schnell fällt die Maske

Obwohl man Schiller nicht für den Text des Librettisten Charles Beauquier in Haftung nehmen kann, bleibt trotz der genretypischen Vereinfachungen immerhin der Plot der 1783 veröffentlichten "Verschwörung des Fiesco zu Genua". Und der ist für eine szenische Projektion in die Gegenwart durchaus geeignet: Gegen die drohende Verfestigung der Willkürherrschaft der Dorias in Genua richtet sich ein Putschversuch der Unterdrückten. Deren Anführer Fiesco kann seine eigene Macht-Obsession nicht verbergen und lässt schon bei der Verabredung zum Putsch die Maske fallen.

Das ist alles ziemlich schnell klar. Der eigentliche, sozusagen demokratische Gegenspieler ist denn auch jener Verrina, der den Unmut über Dorias Herrschaft als erster artikuliert und dessen Tochter einer Vergewaltigung durch den jungen Doria, Gianettino, zum Opfer fällt. Verinna bringt diesen Jungtyrannen in einer Motivmischung aus privater Rache und Volkswohl um und bewahrt das Gemeinwesen dann auch noch vor der Alternative Fiesco, den er ebenfalls erledigt. Doch seine letzten Worte, mit denen er das Vaterland hochleben lässt, machen ihn in Herzogs Inszenierung nicht selbst zum Regenten. Er gibt die Insignien der Macht in einer pessimistischen Pointe an den alten Doria zurück.

Und weil alles in einer Art Kulturhausfoyer aus unseren Tagen spielt (Ausstattung: Mathis Neidhardt), und das Personal genauso gut in einen beliebigen Wahlkampf ziehen oder in Hinterzimmern kungeln könnte, fasst Herzog die Geschichte als Warnung vor den Gefährdungen der Demokratie auf, nutzt seine Bühne also ganz im Sinne Schillers als moralische Anstalt. Sage keiner, das zieme sich nicht fürs Theater.

Auch wenn das französische Idiom eine Herausforderung für ein international zusammengesetztes Protagonistenensemble bleibt, so vermochten doch vor allem zu überzeugen: Galina Shesterneva als Fiesques Frau Léonore in ihrer Mischung aus Liebe, Eifersucht und Lady-Macbeth-Ehrgeiz; und Andrea Szántó als Julie, ihre attraktive und vor aller Augen von Fiesque vergiftete Gegenspielerin, die hier mit Carmenverruchtheit in Szene gesetzt wird. Geriet Francesco Petrozzi mit der Tenorpartie des Fiesque deutlich an seine Grenzen, so lieferte Theodor Carlson einen soliden Verrina und Thomas Beraus Hassan einen allerdings nicht allzu dämonischen Vertreter in Sachen Intrige und Totschlag.

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Dokument erstellt am 19.06.2007 um 16:48:02 Uhr
Letzte Änderung am 19.06.2007 um 17:32:45 Uhr
Erscheinungsdatum 20.06.2007

 

Il giornale della musica
2 maggio 2007

Fiasco per Fiesco

Dopo quasi 140 anni arriva sulla scena del Nationaltheater di Mannheim il schilleriano "Fiesque" di Edouard Lalo in un brutto allestimento di Jens-Daniel Herzog. Una complessivamente buona compagnia di canto è mal servita da una direzione fragorosa e priva di qualsiasi finezza. Ottima la prova del coro. Molte contestazioni dal pubblico soprattutto al regista e al tenore Francesco Petrozzi.

Dopo quasi 140 anni arriva in prima assoluta sulla scena del Nationaltheater di Mannheim il "Fiesque" composto nel 1868 da Edouard Lalo su un libretto di Charles Beauquier tratto dal dramma giovanile "La congiura del Fiesco" di Friedrich Schiller rappresentato per la prima volta in questo stesso teatro nel 1784. Le ragioni dell'esclusione dalle scene dell'opera furono molteplici. Indubbiamente pesarono le simpatie repubblicane dei suoi autori. Non si tratta comunque di un capolavoro ma di un onesto lavoro di alto artigianato musicale, con numerose pagine felici e molto più frequenti luoghi comuni, che molto deve ai più grandi Meyerbeer e Berlioz per la dimensione corale e a Gounod per i momenti più intensamente lirici.

Di sicuro non gioverà al recupero di quest'opera il corrivo allestimento - firmato da Jens-Daniel Herzog per la regia e Mathis Neidhardt per la brutta scena e gli inevitabilmente moderni costumi - che si sviluppa fra insipienza e didascalismo banale, quando non gioca la carta di volgari gratuità e di trovate discutibili. Non si ricorderà neppure per la fragorosa direzione di Alexander Kalajdzic, che appiattisce la partitura di Lalo in un uniforme fortissimo orchestrale, privilegiando costantemente la magniloquenza alla grandiosità. Lo asseconda sulla scena il Fiesque del tenore peruviano Francesco Petrozzi, che affronta senza troppi pensieri le asperità del ruolo grazie a discreti mezzi vocali a discapito di una estrema povertà espressiva. Assai meglio le due primedonne, Galina Shesterneva focosissima Léonore e Andrea Szántó elegante Julie, ed il Verrina dagli accenti nobili di Theodor Carlson. L'eccellente coro del Nationaltheater, diretto da William Spaulding, restituisce con grande intensità le meyerbeeriane scene di massa del secondo e terzo atto.

Stefano Nardelli