WIESBADENER KURIER
28.04.2007

Die Kraftprobe eines Waldwesens
Eröffnung der Schwetzinger Festspiele

Von Axel Zibulski

SCHWETZINGEN Vielleicht ist alles nur ein Traum: Giustino singt und sehnt den Schlaf herbei. Da erscheint ihm Fortuna, scheucht ihn gehörig auf, verspricht ihm Reiche und Schätze. Und tatsächlich: Giustino, der Bauer, wird zum wackeren Kämpfer an der Seite des Kaisers Anastasio, und später sogar selbst zum Kaiser gekrönt. Georg Friedrich Händel hat den Stoff einer seiner Opern zugrunde gelegt, doch jenes Melodramma "Il Giustino", mit dem jetzt die Schwetzinger Festspiele eröffnet wurden, stammt von einem anderen, dem heute nahezu vergessenen Komponisten Giovanni Legrenzi.

Mehr als 300 Jahre ist Legrenzis "Il Giustino" in seiner venezianischen Erstfassung aus dem Jahr 1683 nicht mehr aufgeführt worden. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Thomas Hengelbrock sorgte neben der musikalischen Leitung auch für eine kritische Neuausgabe der Oper. Das Publikum im italienischen Barock dürfte an dem Stück vor allem die Opulenz geschätzt haben, mit der seinerzeit, etwa bei den Kämpfen des Titelhelden mit Waldschraten und Ungeheuern, die Bühnenmaschinerie in Bewegung geriet.

Auf zündende theatralische Effekte mochte auch Nicolas Brieger in seiner Schwetzinger Inszenierung, einer Koproduktion mit dem Grand Théatre de Luxembourg, nicht verzichten: Schon anfangs, am Hof des Kaisers Anastasio und der Kaiserin Arianna, knallt es gewaltig. Scherben bedecken fortan die Bühne, in deren Hintergrund Ausstatterin Katrin Nottrodt einen variablen Rahmen errichtet hat. Im dritten Akt verlängern und vervielfachen sich diese Szenen nach hinten - die Intrigen haben ihren kaum noch zu durchschauenden Höhepunkt erreicht.

Dabei bleibt die Bühne zugleich offen genug, um die fast filmschnittartigen Szenenwechsel des Librettos von Nicoló Beregan schnell abzuspielen. Überhaupt geht es in jeder Hinsicht rasant zu in dieser mit leichten Kürzungen gegebenen Oper. Nicht weniger als 81 Arien enthält sie, doch sind dies keine weit ausladenden Innenschauen, wie man sie etwa aus den Opern Händels kennt, sondern oft nur minutenlange Bekenntnisse.

Je höher der Rang einer Person, desto mehr Arien werden ihr zugestanden: Entsprechend stark ist Georg Nigl als Kaiser Anastasio gefordert, ein viril-markanter Bariton, neben dem Cornelia Ptassek als Kaiserin Arianna kaum mehr als durch solide vokale Gestaltung glänzen kann. Höchst ausdrucksstarke Leistung innerhalb des zehnköpfigen Solisten-Ensembles bieten Countertenor Terry Wey (Andronico), vor allem aber Mezzosopranistin Elisabeth Kulman in der Titelpartie des Giustino.

Dass die erste Kraftprobe dieses eben durchaus feminin gehaltenen Giustino darin besteht, ein wild gewordenes Waldwesen von seinem üppigen Phallus zu trennen, sorgt in Schwetzingen weniger für Aufregung als für Amüsement. Denn insgesamt ist Nicolas Brieger eine anschaulich nacherzählende Für-jeden-etwas-Inszenierung gelungen, mit Licht- und Verkleidungseffekten, auch mit poetisch bewegten Bildern und einem Spiel, das bisweilen bis in den Zuschauerraum hinein reicht.

 

Frankfurter Neue Presse
28.04.2007

Bei der Hochzeit platzt die Bombe
Mit Giovanni Legrenzis Oper „Il Giustino" sind die Schwetzinger Festspiele eröffnet worden.

Von Andreas Bomba

Es gibt Opern, deren Handlung in allen Verästelungen man besser gar nicht erst zu verstehen versucht. Giovanni Legrenzis „Il Giustino", 1683 in Venedig entstanden, gehört dazu.

Das Stück spielt in Byzanz. Eingangs heiraten Kaiser Anastasio und Kaiserin Arianna. Im Schwetzinger Rokokotheater ziehen sie, goldgewichtig beschleppt, durch das Auditorium auf die karge Bühne. Als das Fest gerade auf Touren kommt, platzt, tatsächlich, eine Bombe. Glassplitterartige Plastikchips bedecken fortan die Bühne. Vitaliano und Polimante drohen mit Krieg. Daneben versuchen Andronico und Eufemia, sich zu lieben, flankiert von weiteren Handlangern und Komparsen, und schließlich dem Bauern Giustino, der in Samurai-Manier kämpft und siegt und das Reich rettet. Ein echter Aufsteiger! Bevor er sich heillos in die laufenden Intrigen verstrickt, schaffen Nicoló Beregan (Libretto) und der Komponist das Happy End. Das ergibt drei Stunden (mit Strichen) beste Unterhaltung, weil Legrenzis Ideen nur so sprudeln und er stets der Versuchung entgeht, ihre Substanz zu überstrapazieren. Kurze, aber viele Rezitative, kurze, aber viele Arien, ständiger Wechsel der Affekte und Leidenschaften und, dank der Einrichtung Thomas Hengelbrocks, der Orchesterklangfarben.

Besonders das vielfältige Continuo (Cembali, Orgel, Regal, Harfe, Theorben und Barockgitarren) beleuchtet die schwankenden Seelenzustände des Personals; manche Tanzszene und Arie wird sogar jazzig, mit Pizzicato-Bass und Gitarrenspiel aufgepeppt. Das Balthasar-Neumann-Ensemble spielt in Hochform – Barock kann ganz schön munter sein! Nicolas Briegers Inszenierung vertraut dem Stück. Bei ihm stehen die Personen im Zentrum. Der Witz der kargen Bühne (Katrin Nottrodt) besteht in einem Podest, das aus der schwarzen Rückwand herausgefahren und vielseitig genutzt werden kann: als Kampf- und Präsentationsfläche, als Drohkulisse, Versteck und Rahmen für den Blick in die düstere Weite des Hinterlandes. Jorge Jaras Kostüme geben den Personen Kontur – hier majestätisch, dort ritterähnlich oder auch harlekinesk. Alles ist bereitet, um die großartig singenden Darsteller zu unterstützen: Cornelia Plasseks selbstsicher fokussierte Arianna, den leicht flatterhaften Bariton Georg Nigl (Anastasio), den standfesten, wunderbar ausgeglichenen Alt Elisabeth Kulmans (in der Titelpartie), Delphine Galous geheimnisvoll dunkel timbrierte Eufemia, den kernigen Counter von Peter Kennel (Vitaliano) und, überragend, die herrlich geschmeidige Altus-Stimme von Terry Wey (Andronico), bei der man – unterstützt durch die bigotte Kostümierung – bis zuletzt das Geschlecht nicht errät. In dieser Art und Form ist „Il Giustino" etwas fürs Repertoire – wenn das Drumherum entspannt genug ist, wie in Schwetzingens aufblühenden Garten- und Schlossanlagen.

 

HZ online
28.04.2007

OPER. Festspiele Schwetzingen mit "Il Giustino"
Lieber Heldentaten sammeln als Kohlköpfe

"Il Giustino": vorn Cornelia Ptassek und Georg Nigl, hinten Hermann Oswald.
Foto: Monika Ritterhaus

"Altes wiederentdecken, Neues initiieren, dem Nachwuchs eine Chance", heißt es bei den Schwetzinger Festspielen. Zum diesjährigen Auftakt wurde Altes wiederentdeckt: Mit Giovanni Legrenzis Barock-Oper "Il Giustino" wurde das Festival fulminant eröffnet.

Giovanni Legrenzi (1626-1690) war ein vielbeschäftigter Mann. Venedig, in all seiner Pracht, war opernverrückt damals, besaß 17 Opernhäuser. "Il Giustino" ging erstmals 1683 über die Bühne. Sage und schreibe 81 Arien, mit instrumentellen Zwischenspielen, den sogenannten Ritornellen, eingebettet in einen rezitativischen Fluss, wie man ihn von Monteverdis Opern kennt. Jetzt gab es das Spektakel zur Premiere der Schwetzinger Festspiele. Die Sache ist bunt, das Libretto dramaturgisch geschickt. Auf eine triumphierende Arie folgt ein Liebesduett, auf eine Arie der Trauer ein tänzerisches Ritornell. Die Geschichte ist kompliziert: Byzanz Kaiserin Arianna ist verwitwet, verliebt sich in Anastasio, krönt ihn zum Regenten. Hörig sind sie einander, verfallen. Doch nicht einmal eine ungestörte Hochzeitsnacht ist ihnen gegönnt: Tyrann Vitaliano will sich selber die Kaiserin und damit den Thron krallen: Krieg. Der Kaiser geschlagen, die Kaiserin gefangen. Doch da gibts den Bauer Giustino. Der will lieber Heldentaten statt Kohlköpfe sammeln. Er rettet Byzanz und verliebt sich in des Kaisers Schwester Eufemia. Natürlich gibts auch hier wieder einen Nebenbuhler - den Bruder des Tyrannen. Zum guten Ende wird Giustino zum Mitregenten ernannt. Giustinos Entwicklung vom Bauer zur Kampfmaschine und, was interessanter ist, zum Liebenden ist das Thema der Oper. Nikolas Brieger hat sie im Rokokotheater inszeniert. Schwarze Bühne (Katrin Nottrodt), an deren Ende auf halber Höhe ein großer stählerner Kasten, der sich mit Drehtüren blitzschnell von einem goldglänzenden Gemach in ein düsteres militärisches Monster verwandeln kann. Die Barock-Oper verlangt solche Szenenwechsel innerhalb kürzester Zeit. Brieger setzt ganz auf fein ausgeklügelte Personenregie in dem faszinierenden Bühnenraum. Die Kostüme (Jorge Jara) siedeln das Ganze in einem mythischen Irgendwo an: Soldaten in Rüstungen die aus dem "Krieg der Sterne" zu kommen scheinen und gleichzeitig aus asiatischen Reiterheeren. Die edlen Gewänder am Hofe mit viel Krinolinen, die Herrscher ganz in Gold. Spannung pur auf der Szene. Noch mehr auf der musikalischen Seite. Thomas Hengelbrock musste eine Spielpartitur erstellen, um das Werk mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble einzustudieren. Die Oper ist in drei unvollständigen Kopien überliefert. Weitgehend nur Singstimmen und Generalbass. Es galt also zu instrumentieren. Das gelang absolut überzeugend: Je doppelt besetzte Streicher, dazu historische Saiteninstrumente wie Gambe, Lirone, Theorbe, Harfe, zwei Flöten, eine Trompete sowie die Tasteninstrumente Cembalo, Orgel und Regal. Hengelbrock macht draus ein ungeheuer farbige Sache, lässt klar phrasieren und setzt auf schnelle Tempowechsel. Dazu gab"s ein exquisites Sängerensemble. Herausragend Elisabeth Kulmann in der Titelrolle. Den schmierigen Andronico gab mühelos der junge Countertenor Terry Wey. Bariton Georg Nigl und Cornelia Ptassek, die nur zu Beginn ein wenig intonationsunsicher wirkte, sangen ein glanzvolles Herrscherpaar. Auch das restliche Ensemble sang auf großartigem Niveau. Jubel für einen fulminanten Festspielauftakt.

THOMAS ROTHKEGEL

 

Deutschland Radio
27. Avril 2007

Eröffnung der Schwetzinger Festspiele mit "Il Giustino" von Giovanni Legrenzi

Giovanni Legrenzi ,1626-1690, brachte es in Venedig bis zum Amt des Kapellmeisters an San Marco. Etliche seiner 20 Opern hatten Erfolg, darunter die Götter-Parodie "La divisione del mondo" und "Il Giustino". An diese 1683 uraufgeführte Oper, seine letzte, die erhalten blieb, wurde jetzt anlässlich der Eröffnung der Schwetzinger Festspiele erinnert - ein Werk, das weithin wie eine Vorwegnahme der Musical comedy des 20. Jahrhunderts wirkt.


Das Rokokotheater in Schwetzingen
(Bild: Schwetzinger Festspiele)

Von Frieder Reininghaus

Wie können die Paläste des antiken Byzanz noch einmal zu Theaterleben erwachen? Und wie lassen sich gewaltige Schlachten um das Oströmische Reich (und damit um den Schlüssel zur Herrschaft über die Alte Welt) auf einer gerade einmal zwölf Meter breiten Bühne eines Rokoko-Theaterchens inszenieren?

Vielleicht am ehesten durch Klang - durch Musik, deren eigentlich spröder Ton aus der frühen Neuzeit herüberfunkelt, die dann freilich nach Geschmacksvorgaben des späten 20. Jahrhunderts aufbereitet wurde. Was unter Leitung von Thomas Hengelbrock als "historische Musizierpraxis" exekutiert wird, reicht ja durch exzessive Aussetzung des Generalbasses und stark anreichernde Instrumentierung wie Auszierung an einen zweiten Kompositionsvorgang heran.

Cornelia Ptassek und Georg Nigl geben stimmlich ein treffliches Herrscherpaar ab, auch wenn ihnen dann Idealkonkurrenz erwächst in Delphine Galou als gertenschlanker Schwester des Kaisers und Elisabeth Kulman, die in der Titelpartie den zu höchsten militärischen Ehren strebenden Bauern Giustino beglaubigt und bei dieser Gelegenheit nicht nur über Stimmvirtuosität zu verfügen, sondern auch mit schlichtem Volkston anzurühren hat. Dabei sieht sie aus wie ein Samurai. Die Ackerbaubemühungen erinnern an Archäologie, dem eloquenten Fuchteln mit der scharfen Klinge fallen diverse Ungeheuer zum Opfer - bis der naive Held, der Retter vom Dienst, selbst Opfer byzantinischer Palastintrigen wird.

Giustino erscheint als der veritable Vorläufer des Terminators (auch Gouverneur von Kolofonien könnte er noch werden). Trotz des Primats, den in Schwetzingen die Musik genießt - nicht zuletzt soll das akustische Resultat ja von der veranstaltenden Landesrundfunkanstalt als Hörfunk-Abend ausgestrahlt werden - wurde ein durchaus erheblicher Ausstattungsaufwand nicht gescheut. Mit ihm deutet sich das Goldgepränge der spätrömischen Kaiser, ihrer Frauen, Kurtisanen und deren Liebhaber an: Die schöne junge Cäsarenwitwe Arianna genießt die Schäferstündchen mit ihrem allerliebsten Anastasio und krönt diesen zum Kaiser. Doch rasch lässt Nicolas Brieger die vor angedeutetem Säulengang angesiedelte Idylle in einem Scherbenregen zerbersten und zeigt, wie kriegerisch die Zeiten damals ums Jahr 500 waren und mit welcher Lust Giovanni Legrenzi die Schlachtszenen und die in Seenot geratenden Protagonisten mit charakteristischer, manieristisch-lautmalerischer Musik bedachte.

Insbesondere sorgen die 17 Damen und Herren des Bewegungschors für edel-stilisierte Kampfszenen. Katrin Nottrodt und Jorge Jara, die Ausstatter, lassen Segel aufziehen für stürmische Überfahrt und eine Oase hereinfahren. So wird zur aufgezwirbelten Musik auch dem Auge reichlich Abwechslung geboten und - mit der übertrieben betrunkenen Gestalt des Dieners Brillo - auch dem Buffo-Affen kräftig Zucker gegeben. Wiewohl das Libretto von Nicoló Beregan auf einen Historienbericht von Prokopios rekurriert, häufen sich die Aventüren, Unwahrscheinlichkeiten, Rettungsaktionen und Abstürze wie in einschlägigen Hollywood-Produktionen. Gerade die Nähe zu dieser Art von Entertainment macht ein Prestige-Objekt wie die Ausgrabung dieser Oper von 1683 heute so zum einvernehmlich goutierten Erfolg.

 

Der Neue Merker
1.5.2007

Schwetzinger Festspiele
Giovanni Legrenzi Il Giustino

Mit der letzten und erfolgreichsten Oper Il Giustino von Giovanni Legrenzi, die 1683 in Venedig uraufgeführt wurde, setzen die Schwetzinger Festspiele die Tradition authentischer Aufführungen von Barockopern im Rokokotheater fort, in dem 2000 schon Legrenzis La divisione del mondo gezeigt wurde. Besonders bemerkenswert scheint in diesem Jahr, dass 'Barockoper', was die Inszenierung angeht, einmal wörtlich genommen wurde: eine derart prächtige Inszenierung, die ein Feuerwerk der Ideen impliziert, für die kleine Bühne sensationelle Bühnenbilder sowie aufwendigste Kostumierungen kennzeichnen diese Produktion, die von dem Team Nicolas Brieger, Katrin Nottrodt, Jorge Jara und Alexander Koppelmann (Licht) verantwortet wurde.

Es geht um den 'Bauerkaiser' Justinus, den Vorgänger seines Neffen Justinian, der zur byzantinischen Kaiserherrschaft wie die Jungfrau zum Kind kam. Das Libretto des Nicoló Beregan hält sich insofern an einige historische Fakten, die aber gehörig dem mytholgischen Zeitgeist gemäss, ausgeschmückt wurden. Der Zuschauerraum des Rokokotheaters wird immer wieder in die barock berstenden Tableaus einbezogen, so wenn zu Beginn das Gefolge von links und rechts mit ausufernden Reifröcken zur Hochzeitszeremonie des Kaiserpaares Arianna-Anastasio einzieht. Den 'Gottähnlichen' werden die Kronen von Lakaien über den Häuptern gehalten. In einer längeren Kussszene werden sie von Venere (lieblich auch als Allegrezza/Fortuna: Marina Bartoli) in goldenen Tüchern umhüllt. Dies Idyll wird durch den Spruch des Polimante, Hautmann des Usurpators Vitaliano (Manfred Bittner mit durchdringend klarem, kantigen Bass)unterbrochen, der freischwebend angeseilt aus der Höhe des 2.Ranges verkündet, dass der Usurpator nur um den Preis Ariannas bereit sei, auf den Krieg gegen Byzanz zu verzichten. Damit ist der Knoten geschürzt und die turbulente Handlung nimmt ihren Lauf. Neben der Hauptspielebene öffnet sich für die Innenraumszenen balkonartig darüber eine weitere Bühne, die auch oft die gesamte Bühnentiefe, sicherlich über 20 Meter, freigibt (Bb: Katrin Nottrodt). Das ist für das kleine Rokokotheater ein erstaunlicher Raum, der in dieser Weise wohl noch nie genutzt wurde. Bei einigen Szenen wird die 'Innnenbühne' als Gatter auch hochgezogen, wenn an ihr die Gefangenen Vitaliano und Andronico hängen. Pompös sind auch die Kriegsszenen und Kämpfe mit Ungeheuer seitens Giustino gelöst, sehr ironisch hängt dem Bauern Justinus, den man anfangs auf einem stilisierten Rübenacker mit viel weissem 'Kies' arbeiten sieht, eine beleuchtbare 'Allzweckwaffe über dem Rücken.-

Ganz die Waage hält dieser taffen Bühne die Musik Legrenzis und ihre Ausführung. Das ist bestes, nie langweiliges Barock, das sehr sportiv in der gemeinsamen Atmung und Bewegung vom Balthasar-Neumann-Ensemble exekutiert wird. Die bis auf Trompete, Harfe und Violone doppelt besetzten Instrumente (auch 2 Cembalisten, die zusätzlich Regal bzw.Orgel spielen, produzieren immer wieder bemerkenswert intensiven superben Klang, der unter der smarten Leitung von Thomas Hengelbrock sogar mal ins Jazzige abgleiten kann. Thomas Stache gibt einen tumb-tolpatschigen Diener der Kaiserinschwester Eufemia, der Amantio ist als kaiserlicher General (Hermann Oswald) ein scheinbar kluger Tenor, der sich am Ende auch mal zu einem Staatsstreich hinreissen lässt. Vitaliano wird von Peter Kennel, einem Countertenor mit schönstem "Sopran", gegeben, so dass er als Bösewicht eigentlich nicht durchgeht. Eufemia ist die phänomenale Delphine Galou, die mit ihrem tollen, in in dicken Farben strömenden Altus auftrumpft, und dafür von Andronico und später auch Giustino geliebt wird. Der Andronico des Terry Wey ist ebenfalls ein stimmlich glänzender Countertenor, der in der Verkleidung als "Flavia" als wirklich hübscher 'Junge' herüberkommt, im Liegestuhl Eufemia kurz für sich begeistern kann, dann aber zu härteren 'männlichen' Mitteln greift. Elisabeth Kulmann gibt den derben Bauern auch ganz eckig im Spiel und mit fast derbem, aber kompetenten Barock-Mezzo. Das Kaiserpaar wird von Georg Nigl mit mächtigem Bariton und Cornelia Ptassek mit grosser Einfühlung und lieblich smarter, beweglicher Stimme gesungen.

Friedeon Rosén

 

Frankfurter Rundschau
10. Mai 2007

Der höfische Groove
Giovanni Legrenzis Barockoper "Il Giustino" in Schwetzingen

VON GEORG RUDIGER

Arianna liebt Anastasio, Eufemia liebt Giustino, Andronico liebt Eufemia, Vitaliano liebt Arianna. Neben den nicht gerade übersichtlichen Liebesbeziehungen gibt es in Giovanni Legrenzis Oper Il Giustino (nach dem Libretto von Nicoló Beregan) auch einen Waldmenschen, einen dummen Diener, einen Mann in Frauenkleidung, ein Ungeheuer, einen Schiffbruch, mehrere Schlachten und insgesamt 81 Arien. Opulentes Barocktheater eben, das nach seiner Entstehung 1683 zum Kultstück wurde und die Opernhäuser füllte. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist das Werk jedoch von den Bühnen verschwunden. Mit der im byzantinischen Kaiserreich angesiedelten Geschichte um den Aufstieg des Bauern Giustino zum Kriegshelden, der gefangene Frauen befreit, allein gegen Heerscharen kämpft und nebenbei Ungeheuer erlegt, konnten die aufgeklärten Europäer nichts mehr anfangen.

Nicolas Brieger inszenierte zur Eröffnung der Schwetzinger Festspiele den prallen Opernstoff. Im Rokoko-Theater zieht der in grüne Satinkleider gewandete Hofstaat (Kostüme: Jorge Jara) vom Parkett aus ein. Gefeiert wird die Hochzeit von Kaiser Anastasio (Georg Nigel) und Kaiserin Arianna (Cornelia Ptassek). Thomas Hengelbrock sorgt mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble für die Festmusik, Venere (Marina Bartoli) für erotische Spannung. Plötzlich knallt und blitzt es so heftig, dass das Festspielpublikum zusammenzuckt, und eine Ladung Schutt ergießt sich über die Bühne. Ein Bote mit Stahlhelm (Manfred Bittner) verkündet von der höchsten Loge, dass sein Herrscher Vitaliano (Peter Kennel) entweder Arianna möchte oder Krieg. Die Herren entscheiden sich für letzteres: Damit fangen aber die Beziehungsprobleme, Brutalitäten und Begierden erst an.

Eine Schlacht ist eine Schlacht

Nicolas Brieger vertraut der Dramaturgie des Barocktheaters, seinen schnellen Schnitten, seinem Hang zu Übersinnlichem, seinen Effekten und Affekten - und macht damit alles richtig: Eine Krone ist eine Krone, eine Schlacht eine Schlacht. Ganz nah am Text ist diese Inszenierung und doch voller Fantasie. Das Ungeheuer streckt bei Brieger seine Fänge durch einen Latexboden, bei der Schiffskatastrophe singen Anastasio und Giustino (Elisabeth Kulman) ihre Rezitative auf einem hin und her schwingenden Segelmast. Stets findet der Regisseur überraschende Lösungen für Stimmungsumschwünge und Szenenwechsel und hält damit das Tempo hoch.

Katrin Nottrodt hat ihm dafür eine variable Stahlbühne gebaut, die den Acker des Bauern Giustino blitzschnell in einen Kaiserpalast verwandeln kann. Kurz vor der Schlacht kommt der große Stahlwürfel auf den Orchestergraben zugefahren und mit einem lauten Krachen klappt die Falltür herunter: Die Armee steht drinnen bereit. Diese Knalleffekte unterstützen die ebenso intelligente wie musikalische Inszenierung.

Die überraschende Attacke findet man auch im Orchestergraben, der in Schwetzingen fast keiner ist, so nah ist die Musik beim Geschehen, so selbstverständlich werden instrumentale Impulse szenisch aufgenommen und umgekehrt. Dirigent Thomas Hengelbrock und Cembalist Michael Behringer haben viele Stimmen der Urfassung teils ergänzt, teils ganz neu geschrieben und dabei gleich eine neue Edition herausgegeben. Das Balthasar-Neumann-Ensemble ergreift jede Gelegenheit zur Dramatisierung, lässt in den vielen intimen Momenten mit weichem, meist von tiefen Flöten grundiertem Streicherklang die Zeit still stehen und erzielt in den Schlachtszenen einen fast brutalen musikalischen Ausdruck. Für die Continuobegleitung wird das schnarrende Regal genauso verwendet wie das sanfte Orgelpositiv, die gezupfte Theorbe, die geschlagene Barockgitarre oder das helle Cembalo. Und der Kontrabassist darf auch mal in Jazzmanier swingen, um dem höfischen Tanz noch ein bisschen mehr Groove zu geben.

Der Reichtum des Orchesters ist auch bei der Altistin Elisabeth Kulman zu finden. Dunkle Farben, die in der Tiefe bedrohlich wirken, gewaltige, glasklare Spitzentöne, aber auch warm Timbriertes im Mezza-Voce-Bereich. Cornelia Ptassek ist eine Arianna, die die Fülle ihrer Arien mit hoher Ausdruckskraft bewältigt, bei dramatischen Passagen jedoch intonatorisch leicht aus der Spur gerät. Georg Nigls Bariton gewinnt im Laufe des Abends an Format und bleibt am Ende auch im Forte wohltönend. Die Countertenöre Terry Wey (Andronico) und Peter Kennel (Vitaliano) haben für Kriegshelden vielleicht etwas zu wenig Durchschlagkraft, Delphine Galou kann als kaiserliche Schwester Eufemia auch musikalisch deutlich machen, weshalb sie gleich von zwei Männern begehrt wird. Schauspielerisch ist das ganze Ensemble eine Wucht, was sicherlich auch der Regiearbeit des Schauspielers Nicolas Brieger zu verdanken ist.

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Dokument erstellt am 09.05.2007 um 16:32:01 Uhr
Erscheinungsdatum 10.05.2007

 

Il giornale della musica
2 maggio 2007

Schwetzingen apre con Legrenzi

Il Festival di Schwetzingen apre con "Il Giustino" di Giovanni Legrenzi nella revisione critica di Thomas Hengelbrock, anche direttore. Assecondato da un ottimo gruppo di interpreti, il regista Nicolas Brieger racconta con misurata ironia la complessa trama del libretto di Nicolò Berengan. Pienamente convincente la prova del Balthasar-Neumann-Ensemble che ridà vita ad una delle partiture più di successo della seconda metà del Seicento veneziano.

Dal 1952, anno della sua fondazione, il Festival di Schwetzingen si è affermato come uno degli eventi musicali di rilievo sia per le creazioni che per le riscoperte ed il rilancio di capolavori del teatro barocco. Per l'edizione del 2007, Thomas Hengelbrock ha riproposto la versione originale veneziana del 1683 de "Il Giustino" di Giovanni Legrenzi, di cui ha anche curato la revisione critica. Per Hengelbrock si tratta di un ritorno, non tanto a Schwetzingen dove da più di 10 anni è di casa con il suo Balthasar-Neumann-Ensemble, ma a Legrenzi, di cui eseguì "La divisione del mondo" nel 2000.

Da secoli scomparso dalle scene, "Il Giustino" ebbe un successo tale da essere seguito da revisioni (una firmata da Alessandro Scarlatti) e da vari rifacimenti di compositori come Albinoni, Vivaldi e Händel, che utilizzarono lo stesso sapiente libretto di Nicolò Berengan.

Il regista Nicolas Brieger ne racconta con chiarezza e misurata ironia la complessa trama e le acrobazie amorose, passando dal registro drammatico a quello comico con cinematografica vitalità grazie anche all'estro della scenografa Katrin Nettrod e del costumista Jorge Jara. Lo asseconda nel gioco scenico un buon cast di interpreti che trova i suoi punti di forza nell'espressivo e preciso Giustino di Elisabeth Kulman, nel brillante contraltista "en travesti" Terry Wey come Andronico/Flavia, e nella sensuale Eufemia di Delphine Galou.

Da parte sua, il Balthasar Neumann Ensemble offre una prova brillantissima grazie soprattutto all'incalzante e teatralissima conduzione di Hengelbrock, assai efficace nel valorizzare una partitura che ben figurerebbe nei repertori accanto alle relativamente più note versioni di Vivaldi e Händel.

Calorosissima l'accoglienza del pubblico nel piccolo teatrino rococó di Schwetzingen.

Stefano Nardelli