DIE WELT
26. Oktober 2003

"Es kommt mir nun nicht mehr so übertrieben vor"
Der Kölner "Ring" ist rund - ein Gespräch mit Robert Carsen, dem Regisseur


Robert Carsen

Nun ist die Premiere der "Götterdämmerung" über die Bühne gegangen, der Kölner "Ring des Nibelungen" ist vollständig. Im ästhetischen Sinne vollendet ist freilich auch diese Produktion nicht, wie sollte sie auch. Und doch darf man diesen "Ring" füglich als gelungen bezeichnen, zumal mitunter sängerisch Grandioses geboten wird. Die Inszenierung von Robert Carsen mag von den einen als zu wenig mystifizierend empfunden werden, den andern (den Wagnerianern, wem sonst) wird sie naturgemäß nicht dicht genug an Richard Wagners Regieanweisungen entlang buchstabiert sein. Dafür ist dieser "Ring" ein durch und durch verstehbarer, ein psychologisch stimmiger, mithin ein zeitgemäßer und auch allen zu empfehlen, die bislang davor zurück schreckten. Eine Haltung, für die der Regisseur Robert Carsen übrigens größtes Verständnis hat, ihm ging es einst wohl selbst nicht anders. Wir sprachen mit ihm am Tag nach der Premiere.

WELT am SONNTAG: Sie haben nun die vier "Ring"-Opern hinter sich, vier Jahre lang Wagner. Haben Sie in der Zeit eine besondere, neue Erkenntnis gewonnen - über die Stücke und Wagner?

Robert Carsen: Natürlich versucht man von vornherein, dieses Werk zu überblicken. Aber vieles wurde mir erst im Lauf der Arbeit klar, zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen der Zeit und den Emotionen. Am Anfang konnte ich noch nicht recht verstehen, warum Wagner so viel Zeit braucht; warum seine Maßstäbe und Grenzen so anders sind als die anderer Komponisten. Aber nun kommt mir das gar nicht mehr übertrieben vor.

Worin liegt die besondere Qualität dieser Uferlosigkeit?

Diese Musik wirkt so persönlich - auf jeden, der sie hört. Jeder macht seine eigenen Erfahrungen damit.

Ihnen ist es wichtiger, dem Zuhörer seine eigenen Erfahrungen zu ermöglichen, als ihm Ihre Erfahrung mitzuteilen.

Als Zuhörer des "Rings", als Außenstehender sozusagen, fragt man sich ja manchmal, warum kommt denn nun dies; oder warum dauert nun gerade diese Szene eine dreiviertel Stunde, obwohl da eigentlich nicht viel passiert. Und unser Anliegen, die Idee unserer Konzeption war es eben, jede Szene in einen Zusammenhang zum großen Ganzen zu bringen.

Vor vier Jahren behaupteten Sie, noch wüssten Sie nicht, wie der Ring sich in Ihrer Inszenierung schließen würde.

Tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Natürlich wusste ich das. Sonst hätte ich mit diesem Ding nicht anfangen können. Von Anfang an stand fest, wie wir das Thema der Umweltverschmutzung zu Ende bringen würden: dass es am Schluss, wenn Brünnhilde den Ring wegwirft, anfangen würde zu regnen.

Jetzt haben Sie die wohl größte Unternehmung, die man als Opernregisseur machen kann, zu Ende gebracht. Ist das ein Gefühl wie nach jeder Inszenierung?

Nein, es ist natürlich etwas anderes. Ich bin aber gar nicht enttäuscht oder deprimiert, dass die Arbeit nun vorbei ist. Es ist so: Vorher konnte ich diesen "Ring" als Ganzes nicht überblicken. Jetzt weiß ich von jeder Stelle, was sie bedeutet. Klar, ich müsste ja doof sein, wenn ich das nach so langer Zeit der Beschäftigung nicht sagen könnte. Aber ich meine etwas anderes: Ich bin nämlich wirklich glücklich, dass ich und das ganze Team - dass wir dieses Stück durchdrungen haben. Weil es wie ein Bekenntnis ist; weil darin Wagners unglaubliche Fähigkeit steckt, sehen zu können, was verkehrt läuft in der Natur des Menschen. Und das ist ja wirklich besorgniserregend, wie sich Menschen wider ihre besseren Instinkte verhalten.

Seit dem Beginn Ihrer Inszenierung vor vier Jahren geschah ja in der Welt Besorgniserregendes. Haben die Geschehnisse Ihre Interpretation verändert? Leicht hätten Sie konkrete Anleihen am 11. September und den Folgen in Ihr Konzept integrieren können.

Das ist mir nie in den Sinn gekommen, denn wenn man das täte, würde man ein Stück wie den "Ring" nur verkleinern.

Im nächsten Jahr stehen alle vier "Ring"-Opern noch einmal zusammen auf dem Kölner Spielplan. Werden Sie für diese Wiederaufnahme etwas verändern?

Eigentlich sind es nur ein paar Kostüme, die wir ändern wollen.

Das Gespräch führte Andreas Fasel.

 

Koelner Stadt Anzeiger
29.03.2006

Wagner ist unglaublich eindeutig"


Markus Stenz (41), Kölns Generalmusikdirektor.

Der Generalmusikdirektor hat zum ersten Mal die komplette Tetralogie dirigiert. Markus Schwering sprach mit ihm über seine Erfahrungen.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Stenz, Sie haben Ihren ersten Kölner Ring"-Zyklus hinter sich - sind Sie jetzt k.o.?

MARKUS STENZ: Nein, sehe ich etwa so aus? Das war ein tolles Erlebnis.

Aber vielleicht sind ja Ihre Zuhörer k.o.

STENZ: Das glaube ich eigentlich auch nicht. Die meisten Zuhörer lassen sich doch ähnlich intensiv auf eine Wagner-Aufführung ein wie die Leute, die da spielen und singen. Ich hab das auch in meinem Rücken gemerkt, was da los war im Theater am Ende der Götterdämmerung".

Das war ja jetzt Ihr erstes Ring"- und Wagner-Dirigat überhaupt. Wie bereitet man sich da vor?

STENZ: Wenn man sich intensiv mit dem Werk befasst, dann vergegenwärtigt man sich zum Beispiel bestimmte Harmonien noch einmal am Klavier, dann geht es aber vor allem um das Wesen der Klänge. Das Erkennen technisch-handwerklicher Tricks, über die Wagner verfügt, hilft einem überhaupt nicht weiter bei der Gestaltung des Abends.

Was hilft denn?

STENZ: Wagner ernst zu nehmen. Das geht los bei den Tempi: Was heißt da mäßig bewegt" oder mäßig langsam"? Es geht also um den Fluss der Musik: Wie komme ich von A nach B? Dann die Orchestrierung. Und was erzählt die Musik? Was erzählen die über hundert Leitmotive, wenn man sich mal in sie hineingehört hat? Und da ist Wagner unglaublich eindeutig - ich kenne kaum einen eindeutigeren Komponisten. Ernst nehmen heißt auch: den Fluch einen Fluch, die Rheintöchter Rheintöchter sein lassen, das Ringmotiv, wenn es dann kommt, geschehen lassen.

Was fasziniert Sie an Wagner?

STENZ: Er ist halt doch irgendwie groß. Relevant ist nicht die politische Belastung, sondern das, was Wagner kann. Relevant ist die Souveränität, mit der er epische Dimensionen gestaltet, in die Hand nimmt - und zwar auf allen Ebenen. Was sich da mit Farben und Nuancen ereignet - unglaublich! Die Rückblenden aus der Vergangenheit - nu ja. Da hilft kein Hadern, sondern nur, dass man sich drauf einlässt.

Ist Wagner etwas Besonderes für Sie?

STENZ: Ja, und zwar seit ich zu Studienzeiten den Tristan" kennen lernte. Wie ist das, wenn man sich am Klavier in diesen Harmonien bewegt? Wenn plötzlich die Orchesterfarben Dinge erzählen, die ungeheuer mysteriös sind? Diese ursprüngliche intuitive Reaktion habe ich am eigenen Leib sehr früh erfahren. Und das lässt nicht nach. Wagner erfüllt für mich das, was ich bei vielen Komponisten suche: Er berührt die Gefühlsebene genauso wie den klaren nachvollziehenden Verstand.

Und was machen Sie mit dem Publikum? Wollen Sie beim Dirigieren argumentieren, überzeugen, überrumpeln?

STENZ: Ich möchte am liebsten durchlässig" sein. Unmittelbarkeit soll sich dadurch einstellen, dass man die Zuhörer in Kontakt mit dem bringt, was Wagner geschrieben hat. Ich möchte, dass die Orchesterfarben leuchten, dass die Sänger getragen werden, dass sich der Sog der Handlung durch das Timing überträgt. Wagner ist so gut - dem vertraue ich.

Also trotz Wagner-Premiere kein Lampenfieber?

STENZ: Die Sicherheit, mit der Wagner komponiert, hat auch mir Sicherheit gegeben. Ich hab nicht groß drüber nachgedacht, was alles schief gehen kann, sondern darüber, was alles möglich ist.

Was ist denn möglich - gerade auch mit dem Gürzenich-Orchester? Ist das ein Wagner-Orchester?

STENZ: Durch und durch, und das kommt natürlich von was: Jeder meiner Vorgänger hat einen Wagner-Zyklus gemacht, und im Übrigen spielen ja auch etliche Orchestermusiker im Sommer in Bayreuth - und das merkt man.

Wie?

STENZ: Das bringt sich vor allem ein in der Flexibilität. Wir haben in der Aufführung teilweise andere Tempi gewählt als in der Generalprobe - und die reagieren ganz spontan, auch übrigens bei der Dynamik, wenn es darauf ankommt, Transparenz herzustellen.

Am kommenden Wochenende dirigieren Sie den Ring" an zwei Tagen - je zwei Teile pro Tag. Ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten?

STENZ: Am Wochenende werden sich zwei treffen: ein Opernhaus, das versucht hat, alle Parameter zu berücksichtigen, die mit Qualität zu tun haben, und ein Publikum, das genauso weiß, auf was es sich einlässt. Da treffen sich zwei aus Neigung, niemandem wird etwas zugemutet. Das Publikum, das kommt, tut dies, weil es diese zwei Tage so erleben möchte. Wir haben Siegfried, Brünhilde und Wotan z. B. doppelt besetzt und so darauf geachtet, dass es nicht zur Überstrapazierung kommt.

Wie gefällt Ihnen die Inszenierung von Robert Carsen?

STENZ: Die ist sehr schlüssig, vor allem steht sie der Musik nicht im Weg, sondern lässt die wagnerschen Zeitverläufe sich entfalten. Sie positioniert die Sänger auch immer genau da, wo sie ans Publikum am besten rankommen.