Online Musik Magazin
9. Dezember 2000

"Weißt du, wie das wird?"

Von Gerhard Menzel

Natürlich nicht! Wie die zweite Norn auf diese Frage der ersten Norn im Vorspiel zur Götterdämmerung damit beginnt, die ganze Vorgeschichte des Rings vom Rheingold bis zum Siegfried zu rekapitulieren, können wir erst einmal begutachten, was wir hier im Rheingold zu hören und zu sehen bekamen.

Es beginnt erst einmal überraschend: kaum sind die Lichter im Zuschauerraum verloschen, erklingt aus dem Graben jenes magische, tiefe Es des Rheingold-Vorspiels. Kurz darauf hebt sich der Vorhang und lässt einen Nebelteppich in den Orchestergraben fließen. Damit beginnt auch schon die Geschichte, die uns Robert Carson und Patrick Kinmonth erzählen wollen:

Sie beginnen nicht am Anfang, sondern kurz vor dem Ende - sozusagen ein erweitertes Vorspiel zur Götterdämmerung. Es sind schon Jahrtausende vergangen und wir sehen das Hier und Heute. In Leserichtung laufen Menschen über die dunkle, leere Bühne und entledigen sich dabei allerlei Gegenstände, von leeren Zigarettenschachteln über ausgelesene Zeitungen bis hin zu lästigen Kleidungsstücken, wie es unsere Wegwerfgesellschaft eben so praktiziert. Als sich der Nebelteppich am Ende des Vorspiels lichtet, erscheinen drei "nette Schmuddelkinder", die auf einer "feuchten Müllkippe" leben, völlig verdreckt und verkommen.

Auch der herankriechende Alberich lebt in diesen Abfällen. Sein albernes Herumgekrieche erhält erst einen Sinn, als er nach seinem Fluch auf die Liebe den schon fertig geschmiedeten Ring entwendet, diesen an seine Hand steckt und sich ab diesem Moment auf seine zwei Beine erhebt, um es den "nichtswürdigen Menschen" zu zeigen und sie unter sein Joch zu bringen.

Soweit die wohl zentrale Aussage des Produktionsteams, das hier einen bewusst "grünen Ring" präsentieren möchte, mit Blick auf die ständige Ausbeutung und Misshandlung der Erde und aller Lebewesen, die ökologische Krise und den unaufhaltsamen, gemeinsamen Weg in den Untergang.

Die Ausstattung von Patrick Kinmonth beschränkt sich auf die "normalen Alltagsrequisiten". Neben Arbeitskleidung, Anzügen, Kleidern und Smoking erscheint weder Speer noch Hammer. Ersatz dafür liefern Gehstock und Golfschläger. Ansonsten dominiert der durch hochfahrbare Wände abgeschlossene, hallenartige Raum von Kölns geräumiger Hauptbühne, der mittels weniger Requisiten schnell verwandelt werden kann.

Dass die Szenenwechsel trotzdem bei geschlossenem Vorhang stattfinden, wird vor allem durch die Hervorhebung der Parallelität der Ereignisse gerechtfertigt: senkt sich der Vorhang am Ende der ersten Szene über Alberich, der in imposanter Pose den geraubten Ring in die Höhe streckt, steht am Beginn der nächsten Szene Wotan an derselben Stelle und in ähnlicher Haltung, begeistert von dem Anblick der in seinem Auftrag fertiggestellten Burg. Wie sich die Bilder gleichen.

Robert Carson erfindet nichts an den Haaren herbeigezogenes hinzu, sondern schärft den Blick für wesentliche Aussagen des Werkes. Vieles hat man zwar schon gesehen, was nun wirklich nicht verwundern kann, aber es fügt sich (fast) alles harmonisch zusammen.

Auch musikalisch legt sich diese Kölner Produktion ordentlich ins Zeug: mit Jeffrey Tate steht dem Produktionsteam auf der Bühne ein ebenso kompetenter als auch ausstrahlungsfähiger Dirigent vor der Bühne und entfacht im Graben mit dem Gürzenich-Orchester Kölner Philharmoniker über weiteste Strecken einen wahren Klangzauber. Blieb dem Vorspiel auch jener Zauber des noch Unberührten, erst langsam Entstehenden versagt, was allerdings der Inszenierung voll entspricht (das Geschehen setzt eben nicht am Beginn der Schöpfung ein, sondern erst kurz vor dessen Untergang), war das, was Jeffrey Tate im Laufe des Abends aus dem Orchester - trotz kleiner Schönheitsfehler - herausholte, schon sehr bewundernswert. Nie schleppend, immer mit Spannung gestaltete große Bögen und Phrasierungen zeichneten seine immens ausdrucksstarke Interpretation aus.

Von den Solisten, die sich insgesamt als ein homogenes Ensemble präsentierten, wurden vor allem Alan Titus, als imposanter Wotan, Hubert Delamboye, als dessen diplomatisch-listiger Diener Loge und Doris Soffel, als selbstbewusste First Lady Fricka, ausgiebig gefeiert. Mit Petra-Maria Schnitzer war die Freia übrigens erstklassig besetzt. So präsent und eindrucksvoll - auch von der Regie her liebevoll gestaltet - habe ich diese Partie noch nie gehört!

FAZIT
Alles in allem ein mehr als verheißungsvoller Auftakt zu einem neuen Ring-Projekt.

 

Online Musik Magazin
16. Dezember 2001

Todesstoß aus dem Graben

Von Thomas Tillmann

Wer eine actionreiche Neuinszenierung der Walküre von Robert Carsen erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Der Kanadier verlässt sich nicht selten auf die Wirkung der Bühnenbilder seines Ausstatters Patrick Kinmonth, der das Werk zurecht als ein von der entsetzlichen Realität des Krieges durchzogenes liest (Sieglinde und Hunding fristen, folgerichtig mit Kampfanzügen bekleidet, ihr tristes Dasein in einem ungastlichen Militärcamp, Walhalls Saal wirkt mit seiner protzigen, aber den rechten Sinn für Geschmack vermissen lassenden Einrichtung und den stets gegenwärtigen Wachsoldaten wie ein Offizierscasino, und das Schlachtfeld des dritten Aufzugs spricht ohnehin für sich), und die streckenweise beträchtlichen darstellerischen Fähigkeiten seiner Solisten, die er auf ein sehr natürlich wirkendes Agieren und sparsame, aber prägnante Gesten eingeschworen hat. Dass es dabei zu szenischem Stillstand kommt, mochten viele Zuschauer nicht verzeihen.

An vielen Stellen überzeugt Carsens gleichsam entmythologisierende Sichtweise jedoch: Der Einbruch des Lenzes etwa passiert hauptsächlich in den Herzen des Wälsungenpaares (auch wenn der ständig bemühte Bühnenschnee nun einhält), Sieglinde sackt fassungslos in sich zusammen, als Siegmund das Schwert aus der längst gefällten Esche löst, anstatt den berüchtigten Schrei zu tun, sie sucht den toten Geliebten unter den gefallenen Helden, als Brünnhilde ihre Schwestern um Beistand in der Not anfleht, während letztere keinen eigenen Felsen bekommt, sondern sich zum langen Schlaf unspektakulär zwischen die noch nicht abtransportierten Krieger legt. Solche Szenen gehen unter die Haut und bringen einem das Geschehen sehr nahe, während es in anderen Momenten ins allzu Banale abzurutschen droht, wenn Fricka beispielsweise nach ihrem Sieg über Wotan nonchalant ihr Make-up überprüft, Wotan als Alberich-Parodie über den Wohnzimmertisch krabbelt oder den Brand des Schlussbildes mit einem Feuerzeug entfacht, das er einem toten Soldaten aus der Manteltasche entwendet hat. Und wer sind diese neun Mädchen in ihren luftigen Sommerkleidchen, die leseabenteuerhungrig mit Büchern auf der Walstatt erscheinen, mit einem Lächeln auf den Lippen Recken für Wotans Privatarmee auf die Feuerleitern schicken und trotz permanenten Schneefalls nicht zu frieren scheinen? Erst als Papa Wotan der ungezogenen Brünnhilde die Leviten liest, schnappt sich diese fröstelnd den Mantel eines leblosen Kriegers. Nein, ein unterschiedliches Kälteempfinden ist wohl doch ein zu schwaches Bild für den Unterschied zwischen Götter- und Menschenwelt, die in diesem Werk aufeinandertreffen: Genau hier versagt das Konzept, zu viele Fragen bleiben offen - da helfen keine klugen Fontane-Zitate oder nicht enden wollende Erörterungen über den allgegenwärtigen Einfluss der düsteren Schopenhauerschen Philosophie auf Wagners Tetralogie im Programmheft. Dennoch empfand ich die heftigen Buhs für das Regieteam als überzogen, man hat Schlimmeres, Unausgegoreneres und Überflüssigeres gesehen an Rhein und Ruhr und anderswo.

Dass es trotzdem ein schaler, verärgernder Premierenabend wurde, hatte andere Gründe: Vor die Aufgabe gestellt, die Leistung des Gürzenich-Orchesters zu beschreiben (das ja nun wirklich Wagner-Erfahrung hat und die Tetralogie in den letzten Jahren konzertant unter Leitung von James Conlon in der Kölner Philharmonie aufgeführt hat!) drängt sich mir unweigerlich das Bild eines trüben stehenden Gewässers auf: Jeffrey Tate wählte derart lahme Tempi, dass der Fluss der Musik nicht selten zum Stillstand zu kommen drohte und die nicht gerade mit Riesenstimmen gesegneten Solisten mitunter beinahe nach jedem Ton atmen mussten (und auch die Kommunikation zwischen Bühne und Graben war nicht die beste) - da nützte es gar nichts, dass er ansonsten eine sehr lyrische Lesart der Partitur favorisierte, die an manchen Stellen freilich arg um ihren Farbenreichtum und ihre Wirkung beraubt klang. Zudem kann ich mich nicht erinnern, von einem professionellen, nicht schlecht bezahlten Orchester derart viele falsche oder klappernde Einsätze und so zahlreiche Spielfehler gehört zu haben, so dass man sich irritiert fragte, ob die im Programmheft aufgeführten Auszubildenden des Berufskollegs Wipperfürth wirklich als Statisten eingesetzt waren und warum sich hier nicht massivere Missfallensbekundungen erhoben.

Ähnlich skandalös fand ich Alan Titus' im zweiten Aufzug eher markierten als wirklich gesungenen Wotan - nein, das war kein lobenswerter, substanzreicher, gut gestützter Pianogesang in der langen Szene mit Brünnhilde, das war schlichtweg ein durch die pseudodramatische Konsonantenspuckerei kein bisschen aufgewertetes Geflüster, dessen eigentlicher Zweck wohl war, die inzwischen ohnehin nicht sehr belastbare, im Forte kratzige, in der Höhe wie in der Tiefe unzureichende und in der Mittellage maulige, aber wenigstens hier noch legatofähige Stimme für den kräftezehrenden dritten Teil zu schonen, und ein fesselnder Darsteller ist der meistens reichlich willkürlich über die Bühne stolzierende Sänger wahrlich auch nicht. Dagegen fand ich die Buhs, mit denen Renate Behle bedacht wurde, letztlich ungerecht: Niemand weiß besser als die Sopranistin, dass sie keine Hochdramatische ist und dass ihr einiges an Fundament gerade für die tiefer gelegenen Passagen fehlt, aber dafür hörte man die Partie endlich einmal sorgfältig und auf Linie gesungen (sieht man von den verdächtigen Hojotoho-Schreien ab) und musste sich nicht über unmusikalische, einzig auf eine hohe Dezibelstärke getrimmte Kraftmeierei und ein die vom Komponisten vorgesehenen Noten nur erahnen lassendes Vibrato ärgern; dass die Österreicherin eine kluge, unermüdlich alle textlichen Valeurs aufspürende Interpretin ist, die gerade auch durch ihr aktives Zuhören und Eingehen auf die Impulse ihrer Partner der statuarischen Inszenierung einiges an Spannung beizugeben vermag, steht ohnehin außer Frage.

Auch Nina Stemme ist eine unerhört involvierte, mitreißende Darstellerin, die zudem noch über die reicheren vokalen Mittel verfügt, über die kraftvollere, aber nicht künstlich verbreiterte Mittellage und Tiefe, über die attraktivere, mitunter vor Überschwang geradezu vibrierende Höhe, über eine exzellente Textverständlichkeit, ein bestechendes Gespür für Phrasierung und die Fähigkeit, die gesamte dynamische Skala überlegt auszuschöpfen - ihre die Erfahrung auch im italienischen Fach erkennen lassende Sieglinde war das eigentliche Ereignis dieser Neuproduktion. Ebenso bejubelt wurde Christopher Ventris für einen intensiv gespielten Siegmund; seinen vergleichsweise hell timbrierten, leicht ansprechenden Tenor fänd ich für Partien wie Max oder Hans vorerst zwar geeigneter, denn durch das Hochziehen der Bruststimme wird der schwerere Klang nur vorgetäuscht, was bereits zu ersten Schwierigkeiten im Passaggio führt, aber eine ansonsten ansprechende Leistung ist dem Engländer wahrlich nicht abzusprechen (die Portamenti am Ende der nicht eben imposanten Wälse-Rufe dagegen empfand ich als sehr überflüssig, das Vibrato streckenweise als zu ausladend).

Doris Soffel war eine reife, resolute Fricka; ich persönlich bevorzuge in dieser Partie wohl eine etwas üppigere, weniger drahtige Stimme, deren Register etwas organischer miteinander verbunden sind, aber was die Mezzosopranistin aus dem Text und der mitunter doch recht eindimensional gegebenen Rolle macht, das ist schon große Klasse. Kristinn Sigmundsson hingegen hat durchaus die Mittel für einen guten, schwarzstimmigen Hunding, aber seinem Rollenportrait fehlte es einfach an Präsenz und Tiefgang, was natürlich durch den Umstand begünstigt wurde, dass dem Regieteam wenig zu dieser Figur eingefallen ist - dass er sich permanent am Inhalt einer Schnapsfalsche gütlich tut, ist nicht abendfüllend. Bleiben die ebenfalls sehr leicht besetzten Walküren, bei denen sich wie an jedem Haus Licht und Schatten die Waage hielten.

FAZIT

Auch eine noch so spannende Inszenierung und eine ihren Aufgaben besser gewachsene Besetzung hätten keine Chance gehabt gegen die lähmende Schwere, mit der Wagners geniale, auch durch noch so viele Spielfehler nicht zu entstellende Musik unter Jeffrey Tates unzulänglicher Leitung aus dem Graben des Kölner Opernhauses wabberte!

 

Online Musik Magazin
28. November 2002

"Zu neuen Taten, teurer Helde, ..."

Von Ralf Jochen Ehresmann

Selten zuvor hat man Siegfried so lyrisch gehört, was man sowohl über ihn selbst wie auch über das Werk als Ganzes sagen darf. Überwog am Anfang noch der Unmut über die allzu zurückhaltende Gestaltung der Titelpartie, so dass man sich manchmal fragte, ob er denn überhaupt noch singe, dankte man Christian Franz später eine ungewohnte und v.a. ungehörte Sicht auf das Werk, zu der auch Alan Titus als Wanderer und Jadwiga Rappé als Erda kräftig beitrugen, was bei ihr allerdings zu sehr zu Lasten der unbedingt erforderlichen Tiefe ging. Doch allen voran ist hier Jeffrey Tate zu nennen, der die im Programmheft genannte Spieldauer von 5 Stunden, was gutem Durchschnitt entsprochen hätte, locker um fast eine halbe Stunde überzog. Die Idee einer kammermusikalischen Darbietung wäre allerdings auch dadurch nicht verloren gegangen, wenn er - genau wie der Titelheld - bisweilen etwas mehr forte gegeben hätte.

Die Inszenierung zeigte konzeptionelle Geschlossenheit eher in der Makro- als der Mikrostruktur. Intelligente Zitate oder Anspielungen ergaben sich deutlicher zu den vorangegangenen Ringteilen als zwischen den einzelnen Aufzügen des Siegfried. Vermochte die Wiederkehr des Rheingold- oder Walküreninventars durchaus stimmige Zusammenhänge zu stiften, so ergab die fortschreitende Entleerung der Bühne sich nicht aus zwingender Logik.

Doch nun der Reihe nach: Wie schon zu Beginn des Rheingolds finden wir uns gleich eingangs auf einem Müllplatz ein, wo Mime zwischen allerlei Zivil-Schrott in einem fahruntüchtigen Wohnwagen wohnt; seine Schmiede gleicht einer schlecht sortierten Hobbyfricklerheimwerkerbank. Wotan zeigt sich im Gegensatz zur sonst üblichen Darstellung als Edel-Wanderer Typ Taunusanlage mit walking-stick, very british! Später präsentiert sich Alberich in gleicher Aufmachung nur ohne Stock und als schäbiger Abklatsch, bekleckert und zerrissen. Carsens Personenführung zeitigt hier noch allerlei gute Einfälle, wenn etwa Mime versucht, 'den Lauernden loszuwerden', indem er ihn mit langem Messer überfällt oder wenn er sich vor der eigenen Gardinen behängten Schreckgestalt gewaltig ängstigt, mit der er doch eigentlich Siegfried das Fürchten lehren wollte. Mit seiner perfekten Mischung aus stimmlicher Fülle und beeindruckender Bühnenpräsenz ist er der unbestrittene Star des Abends, der selbst dann noch verständlich artikuliert, wenn er den eigenen Rollenwechsel vom Schmied zum Koch mit brennender Kippe feiert, mit der er anschließend eine Mülltonne entzündet, in deren hellem Flammenschein es zu einer beinah versöhnlichen Geste kommt, als Siegfried von Mime eine Flasche Bier annimmt und beide damit wie 2 Penner am wärmenden Winterfeuer - Arm auf Nachbars Schulter - beisammen stehen.

Auch der Meister der Lyrismen legt in seinen letzten Schmiedestrophen kräftig zu und zeigt, dass er auch pressfrei richtig forte singen kann; als Nothungs 1. Beute schlägt er zur vernehmlichen Freude des Publikums die Vorderwand des Wohnwagens herunter, in den sich Mime verkrochen hatte.

Darf der Wald niemals mehr heil und grün erscheinen? Nicht mal als Phantasmagorie? So sehr man sich auch den sauren Tannen satt gesehen hat, so sind die uneinheitlich versägten Stümpfe des Kölner Siegfried doch von zwingender Logik im Umfeld der steten Umweltzerstörung von Menschen Hand, wie sie uns schon im Vorspiel des Rheingolds begegnete, als man die armen Rheintöchter bedauerte, in solchem Dreckswasser baden zu müssen. Auch die Bebilderung des Programmheftes greift eben dieses Motiv ständig wieder auf, und das nicht ohne Grund: Wo weniger das Lied der hehren Helden gesungen, stattdessen vielmehr die Tragödie derer erzählt wird, die sich für Helden halten und damit eine Welt zu Schutt und Asche brennen, ist der Schmerz so authentisch wie unser Anteil an eben dieser Schuld.

Wie so oft lagen Gelungenes und Verunglücktes ach so nah beisammen. Freute man sich zu Ende des 1. Aufzuges schon über einen Abend, der eigentlich nicht mehr schief gehen kann, so war doch die Enttäuschung über den "Drachen" groß; die Teile stimmten einfach nicht überein. Zunächst öffnet sich nur eine dampfende Lichtspalte im Hintergrund, dann hängt unmotiviert eine Baggerschaufel vorne herein, und ebenso grundlos kommt schließlich ein blutender Bauarbeiter hereingewankt, um ohne Verstärker den Rest zu singen. Man meinte, eine schlechte Kopie aus Bonn zu sehen; dort war die Erschlagung des Bagger-Drachen noch ein Vorgang, dessen Technizität den logischen Zusammenhang wahrt und zugleich alle sinnstiftenden Ingredienzien versammelt, indem Nothung ein dickes Kabel gleich einer organischen Hauptschlagader durchschlägt, woraufhin Fafner aus dem Führerhäuschen heraustritt, in dessen Innerem man die Goldbarren glänzen sieht...

Völlig daneben das Waldvögelein: Zu gewohnt unverständlichem Gesang vom Rang ergreift Siegfried eine vogelförmige Stoffpuppe, die er von Hand flattern lassen muss und je nach Bedarf beiseite legt; da war das ornithologische Fachbuch schon origineller, welches Mime zückte, als er Siegfried zu erklären versuchte, was dem Vögelein der Vogel sei...

Auch Robert Carsen kombiniert die Wiederkehr alter Bekannter wie dem Tarnhelm als Kettentuch mit riskanten Slapsticks, wenn etwa Siegfried Mimes Gesicht in die mitgeschleppte Torte eintaucht, die dieser auf einem Klapptisch über Fafners Leiche zur Feier der gelungenen Aktion aufgebaut hatte. Auch der Oberkellner im Gammelfrack, den Mime mimt, ist eine dieser netten Ideen, die aber den Unmut über die Auslassung von Unverzichtbarem nicht wettmachen, solange auch keine Allegorie oder Karikatur zum Ersatz geboten wird.

Der Beginn des 3.Aufzuges versetzt uns zurück in Walhalls Saal: Die Möbel zusammen geschoben, Freias Äpfel verstreut, sitzt der Wanderer am erloschenen Kamin; um Erda zu erwecken, gibt Alan Titus sein Letztes. Es erwacht eine schlecht gekleidete Mamuschka, die wie in einer Zwangshandlung sofort nach Erwachen den Wischmopp ergreift und planlos herumfeudelt. Doch Wotan ist nur noch in seiner Gedankenwelt befangen, so dass er nicht mal bemerkt, wenn die alte Dame, die er hinabschicken will, den Saal bereits seitlich verlasen hat. Sein kratzerfrei glänzender Edelwanderstab, der an einen Speer nicht mal ansatzweise erinnert und dessen schwarzer Lack garantiert runenfrei ist, zerbricht durch Siegfrieds bloße Geste eines Hiebes. Wotan legt die Bruchstücke in den toten Kamin und sinkt dort sinnierend nieder in der Betrachtung eines Gemäldes vom Walkürenfelsen, das gerne schon bei der Uraufführung als Requisit gedient haben könnte.

Renate Behle als Brünnhilde ist eine treffliche Wahl, die erste richtige Frau nach fast 5 Stunden fast nur Männern und Naturwesen. Noch etwas mehr Kraftfülle wäre sicher auch erlaubt, doch auch so zaubert sie in der völligen Kargheit der Raumausstattung einen Stimmungsumschwung herbei. Schauspielerisch agiert sie voller Präsenz, besonders dort, wo Brünnhilde sich endlich in ihre neue Rolle als liebende Frau findet und des zum Zeichen ihren Mantel ablegt. Ihr einstiger Schlafplatz ist gähnend leer; außer einigen Resten der letzten Wal verliert sich das ungleiche Paar auf der freien Platte der Kölner Riesenbühne. Das ist nicht nur ihrem Gesang abträglich, der nirgendwo reflektiert wird, das hätte auch eine viel pronociertere Personenführung oder ein Mehr an Lichtregie erfordert. Doch allzu lang stehen sie unbewegt am Fleck, gegen Ende beide an der Rampe des Orchestergrabens, dort allerdings beeindruckend in ihrer stringent durchgehaltenen Berührungslosigkeit, jeder für sich an den äußersten Rändern, zuletzt dann ganz dicht im Lichtkegel auf der Bühnenmitte - kontaktfrei.

Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, doch ideal nach meiner persönlichen Meinung: die Reduktion des Klatschfaktors; so begann ein jeder Aufzug wie in Bayreuth aus der Stille heraus ohne Begrüßungsapplaus, wie auch vor Aufführungsende keine SängerIn vor den Vorhang trat.

Das Programmheft empfiehlt sich besonderer Lektüre, da es uns glücklicherweise jene Zitatsammlungen erspart, die viel zu oft in halbidentischer Einheitsfaktur wieder und wieder kompiliert werden. Ein exzellenter Originalbeitrag Oswald Panagls widmet sich Wagners Sprache und füllt dabei mehr als das halbe Heft. Auch Paul Bekkers Sorgen um die Zukunft Bayreuths von 1920 zeitigen aktuelle Bezüge angesichts der heutigen Nachfolgedebatte. Dagegen wirken die Eigenbeiträge der Dramaturgie völlig verunglückt: eine Collage aus Fehlzitaten und Falschdarstellungen, dazu in schlechtem Deutsch, so dass man empfehlen möchte, Ian Burton möchte demnächst doch lieber schreiben lassen.

FAZIT

Man wartet gespannt, wie's weitergeht und wünscht sich mehr Texttreue, mehr Bezug zum Ganzen bei den Einzelideen, mehr zwingende Logik in der Abfolge. Wenige Bravos, keine Buhs: eine angemessene Würdigung.

 

Online Musik Magazin
19. Oktober 2003

Putschist in Wartestellung

Von Ralf Jochen Ehresmann und Gerhard Menzel

Nun wäre es also geschafft, und im Reigen der aktuell nicht wenigen "Ringe" auf Deutschlands Bühnen gesellt sich Köln hinzu. Ob hiermit eine neue legendäre Interpretation vorliegt, die angeblich gleich hinter Chereaus Meilenstein von 1976 in Bayreuth rangiert, wie Jeffrey Tate sich nach der Premiere äußerte, will uns so rasch nicht aufgehen, doch mehr als nur bemerkenswert war es allemal.

Die Inszenierung wagt einen jener großen Bögen, denen stets auszuweichen ansonsten so oft zu beobachten und scheinbar konzeptionelles Muss geworden ist: Wer noch Zusammenhänge erkennt, ist quasi schon der Lüge anheim gefallen und outet sich als totalitarismusverdächtiger Anhänger eines veralteten Werkbegriffes und geschlossenen Weltbildes! Von derlei ideologisch verbrämten Zwang zur Ideogieferne und leider meist auch Ideenlosigkeit sind Carsen&Kinmonth glücklicherweise gleich weit entfernt, so dass ein wahrhaft spannendes Großwerk entstehen konnte. Der Bühnenraum ist noch immer derselbe. In der kahlen Riesenhalle begegnet man den alten Bekanten wieder: Die Reinigungsfirma "Erda&Töchter GmbH" ist genauso präsent wie der inzwischen akkumulierte Schrott und Unrat, sei es in Form nutzloser Palettentürme, sei es das wilde Mobiliarmischmasch der vorangegangenen Teile, alles zusammen in erbarmungswürdigem Zustand.

Doch nun tritt uns der Gibichungenhof als klassische Militärdiktatur entgegen - bei vertauschten Rollen. Nicht Hagen ist der Strippenzieher, der Kanzler am Hofe eines mitteldeutschen Kleinstaates, als den man ihn - nicht unzutreffend - sonst oft darstellt. Hier trägt Gunter die Uniform des Generals inmitten einer durchmilitarisierten Gesellschaft. Machtmensch pur administriert er herrisch eine ganze Gesellschaft, in der auch Hagen nicht allzu viel zu melden hat und das Kommen seiner Stunde erst noch abwarten muss, so sehr er auch auf nichts anderes hinarbeitet. Der Putschist in Wartestellung lauert als einziger Zivilist auf die Gelegenheit zur Machtergreifung, wobei er bisweilen zu früh zulangt und schließlich nach versuchter Ringbemächtigung an Siegfrieds Leiche von den Feldjägern abgeführt wird. Auf welche geheimen Seelenverwandtschaften es verweisen mag, dass er dazu ausgerechnet einen Anzug trägt, der dem Wotans auffällig ähnelt und er noch dazu im selben Raum agiert, der diesem zu Walkürenzeiten als Gebirgesberge gedient hatte, gibt eigene Rätsel auf, abgesehen vom gemeinsam geteilten Machtsinn.

Der Zeitsprung zeigt sich dabei sehr trefflich an den ausgetauschten Wandbildern, wenn Wotans Naturbilder vom Walkürenfelsen ausgetauscht sind durch übergroße Rheinlandkarten - freilich ohne Eintragung des aktuellen Frontverlaufes - als deren Kernpunkte man unschwer Xanten einerseits und Worms zum anderen erkennen kann (Kriege ließen sich damit eh nicht gewinnen, wo Mainz und Wesel auf die jeweils falsche Rheinseite gemalt wurden...).

Weitgehendste Abweichung vom Gewohnten bot die Schlussszene des 1. Aufzuges. Anstatt Siegfried in Gunters Verkleidung als notdürftig kaschierte Klamotte zu Brünnhilde zu schicken, geht diesmal gleich Gunter selbst auf den Walkürenfelsen, was mit Hilfe des Tarnhelmes auch nicht weiter schwer sein dürfte. Dazu singt Siegfried von hinten aus dem Off in entsprechender Unverständlichkeit. Angesichts solcher Schizophrenie in Transparenz bedarf es weiter keiner verstellten Stimme, und wen er ansingt, wenn Nothung zeugen soll von züchtiger Werbung, wird nur mit ebensolcher geistiger Verwirrtheit zu entschlüsseln sein, deren es eh bedarf, um angesichts des eben Gesehenen zu erklären, wie nach alledem der Ring an Siegfrieds Finger kommt, wo Brünhilde ihn im nächsten Aufzug vorfindet.

Völlig daneben liegt also jede Deutung, die auf vordergründiger Handlungslogik insistiert, und da uns Heutigen keine Runen mehr helfen, bleibt uns stattdessen nur, die Psychologie zu bemühen, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. Dass Siegfried eigentlich ganz gut an den Gibichungenhof passe, will uns schon die Bekleidung suggerieren, stolziert er doch nicht als Fellmensch oder Waldschrat sondern im schlabberig-zerknitterten Tarnanzug mit Feldrucksack in Gunters Kommandantur. Auch hält sich die Verwandlung via Zaubertrank in Grenzen; wer so flott und behende auf Gutrune losstürzt, wird unterwegs schon einige Frauen flachgelegt haben.

Die militärische Hochrüstung bleibt hier nicht aus und liefert keinen Bruch, wo man sich ohnehin in einer Art OHL befindet. Anstatt den dort kaum mehr unterzubringenden Speer gemäß neuerer Inszenierungsmode bloß zu verstecken, wird die bereits seit Rheingold eingespielte Technik der Umdeutung weiterentwickelt: Der ohnehin vorhandene Fahnenmast darf die Schwerspitzschwüre bezeugen und damit zugleich requisiten-logisch vollenden, was sich zuvor bei Gunthers Eintreffen als bedrückend-ergreifende Fahnenweihe angedeutet hatte.

Die alles entscheidende Frage einer jeden Götterdämmerung ist die Gestaltung des finalen Showdown. Auf brennenden Schrott mag auch Carsen/Kinmonth nicht verzichten, wie auch bei soviel Untergang. Dieser zeigte sich allerdings erst spät, denn nach dem Abzug der heimgekehrten Jagdgesellschaft, die gerade durch ihre reiche Auszierung mit Damen im Abendkleid in Verbindung der Uniformierten den Eindruck einer Feierlichkeit in den neumächtigen Kreisen der Reichshauptstadt zu Beginn der 40er Jahre vermittelt, schließt der eiserne Vorhang den gesamten Bühnenraum weg, auf dass dessen nachzüngelnde Wiedererscheinung um so mächtiger wirke. Angesichts daraus resultierender Temperaturen wurde der Hauptdarstellerin inszenierungsweise eine leibhaftige Dusche vorab zugedacht, die sie nach 5 1/2 Stunden Dauerpower sichtlich dankbar entgegen nahm.

Brünnhildes gewaltigen Worte als ihre unvergleichliche Art, Erkenntnis aus Elend zu erringen und erst aus bitterstem Leiden wissend zu werden, verständlich meist nur dem, der den Text eh auswendig weiß, erreichen das Publikum solcherart ungleich direkter, wo Brünnhilde eine derartige bauliche Hilfe erfährt, die gerade ihr weniger Not getan hätte. Ohne jeden Rückzug und ausgestattet mit einem zusätzlichen Resonanzboden hinterwärts, erfährt ihre Lösung der letzten Fragen eine ergreifende Unmittelbarkeit, die sich kaum mehr steigert, wenn die Metallwand wieder verschwindet und den Blick freigibt auf die sterbenden Reste eines Schwelbrandes, dessen Inventar als hypertrophe Universalsynthese die totale Akkumulation des Gewesenen in der perfekten Destruktion performiert.

Wo alles nur den Rhein hinab geht, ist es durchaus eine glaubhafte Variante von Erlösung, wenn ganz zuletzt der gesamte Zivilisationsschrott samt zahmer Flammenzüngelei wie auf 'ground zero nach 3-4 Tagen' rückwärts hinausgezogen wird und die Bühne frei macht für das blanke Nichts: Malewitsch als Bühnenprinzip.

Die Besetzung darf fast durchgängig als Glücksgriff betrachtet werden. Als Protagonisten begegnet uns in der Premiere dasselbe Paar, das heuer auch in Bayreuth zu hören war. Dabei sind Christian Franz' Tugenden schon so oft beschrieben und weiterhin dieselben: ein jugendlicher Elan, der ermüdungssicher und abnutzungsfrei durch diese Notenmasse durchmarschiert, mimisch noch stärker als gestisch auch schauspielerisch präsent. Wie ein schlecht erzogener Teeny mit ungeschlachten Sitten hockt er sich auf die Tischkante, ungeachtet des freien Sessels nebenbei. Zwar nicht sehr glänzend dringt seine Höhe dennoch kraftvoll pressfrei besser noch als in der Tiefe durch, deren Fundament manchmal etwas wackelt. Bei seiner Partie wäre das freilich auch weniger wichtig als bei Johannes von Duisburg (Gunther), der hier deutlich schwächelte und einen Gefahrenpunkt der Besetzung ausmachte. Mit seinem schauspielerischen Engagement machte er aber auch hier den Schaden wett und transportierte beispielhaft das Bild des allerorts Verrat witternden Militärdiktators. Bei der Zweitbesetzung durch Samuel Youn durfte man sich einer stärker intellektuellen und dabei gesanglich klar überlegenen Rollendeutung erfeuen, die an Machtinstinkt genauso nichts vermissen ließ und bei alledem eher souverän als achtsam witternd verfuhr.

Brünnhilde ist ebenfalls doppelt besetzt, und beide, Jayne Casselman nicht minder als Evelyn Herlitzius, entfalten auf je eigene Weise einen Zauber, der die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln versteht. Spürte man bei Herlitzius das frühe Durchschauen der ganzen Vergewaltigungsszenerie gerade so, als ob sie ohnedem ihren Widerstand nicht so rasch aufgegeben hätte, was hernach ihrer Ankunft an Gunters Hof im weißen Brautkleid und im vollen Ausdruck des Bewusstseins vom Eindruck ihrer Erscheinung einer willentlichen, immer noch souveränen Fügung in die Schicksalswendung gleichkommt, bewahrt Jayne Casselman angesichts dessen sich eine fast jugendliche Unverletzlichkeit, die auch im Leiden nie aufhört, sie selbst zu sein. Dabei wirkte ihr Spiel allerdings "einstudierter" und längst nicht so überzeugend wie bei Evelyn Herlitzius, deren Leid und Elend schon fast zu Tränen rührte.

Ute Döring ist - gemessen an Umfang und Gewicht ihrer Partie - die positive Überaschung des Abends: Gutrune wird endlich einmal eine Besetzung zuteil, die sie aus dem Dunst des Dummschwesterleins entlässt, indem sie bei der Intrige durchaus im Bewusstsein eigener Interessen handfest mitmischt und damit ihr eigenes Ende nicht mehr durch schuldhafte Naivität sondern auch eigenes Handeln erleidet. Ute Döring verleiht ihr ein reiches Maß Ausdruck bei exzellenter Textverständlichkeit und klarer, tragender, wenn auch etwas leichtgewichtigen Stimme, deren Klangschönheit dennoch nicht die Untergründigkeit abgeht.

"Alberich" Oskar Hillebrandt als Mann von unbestreitbaren Verdiensten war mehr zu gratulieren für sein Lebenswerk als seine Leistung dieses Abends. Seine Visite bei Sohn Hagen, um dessen Treue er nicht grundlos fürchtet, gerät zwar szenisch eindrucksvoll durch die Verzerrung seiner Gestalt in übergroßen Wandschatten, die Hagens durchgängig geschlossenen Augen aber kaum gesehen haben können und damit eher die Deutung eines inneren Dialoges mit der väterlichen Traumerscheinung nahe legen. Gegen solche Bilder ist seine Stimme (jedenfalls in der Premiere) zu schwach durchgekommen, deren fast tenorale Leichtgewichtigkeit das Düstere abging, worauf es an dieser Stelle - im Gegensatz zur Neidhöhlszene im Siegfried - alleine noch ankäme.

Hagen selbst, verkörpert durch Daniel Sumegi, spielt stärker als er singt. Seine flach klingende und wenig flexible Stimme kommt vor allem bei den exponierten Stellen schnell an seine Grenzen. Stilsicher beherrscht er jedoch die großen Gesten dessen, der zielorientiert mit jeder Kleintat seine Machtübernahme betreibt und anlässlich seines Heeresaufgebotes im Meer der Flatterflaggen die Feier des erfolgreichen Putsches antizipiert, nicht ahnend, dass dieser noch scheitern könnte.

Als Waltraute kehrt Doris Soffel wieder, die bereits zuvor als Fricka in Rheingold und Walküre zu erleben war. Gezeichnet von tiefer Traurigkeit gestaltet sich aus Brünnhildes Verständnisverweigerung eine sehr rührende Annäherung der ungleichen Schwestern, doch an ihrer Vokalfärbung besteht durchaus noch gewisser Verbesserungsbedarf.

Während die Chorszenen einiges an sorgsamer Arbeit und Präzision zu wünschen übrig ließen, durfte man sich an einer ausgefeilten Feinarbeit im Orchester erfreuen. Vor allem, wenn man sich an die katastrophale Walküren-Premiere erinnert, konnten die vereinzelten Unpässlichkeiten im Orchester die insgesamt ausgezeichnete Gesamtleistung kaum trüben. Jeffrey Tate setzte auf möglichst große Durchsichtigkeit des Orchesterklanges, scheute auch nicht davor zurück, die Dynamik bis zum leisesten Pianissimo herunterzufahren, aus dem sich dann einzelne Soloinstrumente eindrucksvoll herauslösen konnten (z. B. eine herzerweichende Klarinettenkantilene). Die feine dynamische Abstimmung bis zum gewaltigsten Fortissimo und die meist überzeugenden - generell langsamen - Tempovariationen schufen riesige, achitektonisch weitgespannte Bögen und Szenenkomplexe, die jedoch immer wieder fein ausbalanciert sein wollen, um nicht doch noch irgendwann in einzelne Klangsegmente zu zerbröseln.

Neben sehr abrupten Beschleunigungsvorgängen von erheblicher Rasanz, die sich allerdings nicht immer allen stets gleich gut vermitteln wollten, standen ungewöhnlich viele, lange Generalpausen, so dass die Aufführungsdauer der folgenden Vorstellungen bis über 10 Minuten (je Aufzug) länger dauerte. Die Theaterleitung halbierte daraufhin die Dauer der Pausen, um den BesucherInnen noch ein Heimkommen noch zu "sittlicher Stunde" zu ermöglichen.

Vielleicht hat es auch hier wieder Methode, wenn nach den Aktschlüssen niemand vor den Vorhang tritt und selbst das Orchester nach bester Bayreuther Art unbemerkt ohne konzentrationszersetzenden Begrüßungsapplaus aus der Tiefe des Nichts seinen Ton erhebt: Den Charakter des Mysteriums aus Tönen verstärkt es durchaus. Damit unterstreicht es zugleich den Impuls des Nornenvospiels, wo man den Eindruck gewinnen mochte, Brünnhilde und Siegfried spielten Seniorenkino betrachteten gemeinsam ihr früheres Leben - aus dem Abstand von 50 Jahren.

Das Programmheft verdient wieder besondere Beachtung, da es diesmal kein solches gibt. Stattdessen wird für 9 Euro eine Bilddokumentation von 168 Seiten Paperback angeboten, die umfangreiches Material auch aus Proben - durchgängig in schwarz-weiß - enthält und auch im Buchhandel zu beziehen ist, dort aber 15 Euro kostet und damit eigentlich eher dem Ausstellungskatalog im Museum entspricht. Dabei scheint die Einsicht vorgewaltet zu haben, dass heutige TheatergängerInnen eh nicht mehr lesen wollen, was sie vordem gesehen haben. Man beschränkt sich also auf jeweils nur ein Wortbeitrag je Werk, die allesamt aus der Feder des Hausdramaturgen Ian Burton stammen. Wer also zuvor die drei Einzelhefte (die jeweils noch zahlreiche andere Beiträge beinhalteten) erworben hat, wird auf einem Torso sitzen bleiben.

Immerhin erfährt man auf diese Weise auch die Termine der zyklischen Gesamtaufführungen, die beide unmittelbar nacheinander durchgezogen werden. Man gibt also allenernstes 8 Vorstellungen binnen 17 Tagen, welcher Schwachsinn nur aus theaterpraktischen Erwägungen veranlasst worden sein kann, denn effektiver kann man sich schwerlich sein Publikum vertreiben. Lägen nur wenigstens 6 Wochen, besser einige Monate zwischen den beiden Runden, so wäre sicher davon auszugehen, dass erhebliche Teile des Wagnerstammpublikums beide Zyklen abbonieren, während kaum jemand dafür zu gewinnen sein dürfte, nur 3 Tage nach Götterdämmerung das nächste Rheingold zu sehen! Bleibt nur zu hoffen, das dies nicht das Ende sei. Ein solcher Riesenaufwand mit erheblicher Beanspruchung öffentlicher Kulturkassen wäre kaum zu rechtfertigen, wenn das Produkt anschließend nicht längere Zeit lebendig gehalten wird, auch wenn eine derartig ärgerlich verschwenderische Praxis allenthalben (Dortmund, Essen, Münster, Bonn) Einzug hält. Es geht sehr wohl anders, und das nicht nur in München oder Berlin: Chemnitz bietet seinem Publikum im April den immerhin 7. Zyklus, und Köln will sich doch wohl kaum von Düsseldorf ausstechen lassen, wo der seinerzeit gemeinschaftlich produzierte Horres-Ring nach mehrjähriger Pause wiederaufgenommen wird und so die willkommene Wiederbegegnung mit einem alten Bekannten ermöglicht.

FAZIT
Brünnhilde tut das einzig Richtige, was nur ihr als bleibend Fremder freisteht: Sie geht einfach hinten hinaus. Die durchaus zahlreichen Brüche und dramaturgischen Schwachstellen hindern nicht eine angemessene Würdigung des Gesamtprojektes, dessen Ende in Asche von der Verdreckung des Rheines seinen Ausgang nahm und über leisem Autismus gestörter Individuen und lautem Kriegsgeschrei in einer Gewaltgesellschaft ohne Sympathiefiguren beredtes Zeugnis ablegt von moderner Varianz der Kaputtheit. Brünnhilde hat's verstanden!