das opernnetz
16. Dezember 2001 (Premiere)

Richard Wagner Die Walküre
Patriarch; Beleidigt; Im Selbstgespräch

Welttheater und private Konflikte - das zusammenzubringen misslingt Robert Carsen eklatant. Auf der Bühne ein Schlachtfeld, doch Wotan räsonniert über die Missachtung seines "Grimms". An dem stoischen Pensionisten prallen die hysterischen Ausbrüche Frickas und die Tochterliebe Brünhildes ab, der pensionierte Patriarch neigt zum "so what". Kommunikation wird verweigert, das selbstgerechte Selbstgespräch ist ihm genug. Nicht mal Loge vermag er zum "Feuerzauber" zu bewegen, er macht's mit Feuerzeug eben selbst.

Die Bühne ist meistens leer (Patrick Kinmoth), verweist auf Krieg (die Walküren in 50er Jahre Kostümen wie aus der Kleidersammlung, ein kaputter Jeep - Koreakrieg? Wieso?), bietet im zweiten Akt ein monumentales Wohnzimmer, in dem Whisky getrunken und zelebrierend Kaffee eingeschenkt wird; Fricka beendet ihren verbalen Sieg über Wotan mit dem Blick in ihren Make up-Spiegel.

Die Walküren beleben die gefallenen Krieger durch Berührungen zur "Auferstehung", und die klettern gen Walhall. Darstellerisch ausdrucksvoll und stimmlich exzellent - wunderbar ausgeglichener Sopran! - wird Nina Stemme als Sieglinde zum gefeierten Star des Abends. Christopher Ventris gibt einen hervorragend disponierten Siegmund, Doris Soffel eine ungemein stimmkräftige Fricka, Alan Titus einen voluminösen Wotan; Kristinn Sigmundsson zelebriert einen handfesten Hunding und Renate Behle kommt mit der ihr zugeschriebenen Brünnhilde nicht recht klar, beeindruckt durch treffsichere Höhen, hat bisweilen Probleme mit den Schärfen. Die Walküren beweisen stimmliche Kompetenz, leiden unter der konfusen Personenführung Carsens, beeindrucken aber schlussendlich durch hochklassigen Ensemblegesang.

Mit Jeffrey Tate leitet ein ungemein "erzählsicherer" Dirigent das flexibel reagierende Gürzenich-Orchester: Wagners Musik ist vom (unbegriffenen!) Pathos befreit, wird nicht zum alternativen Experiment, lebt als orchestral vermitteltes Kommunikationsangebot einer hochdramatischen Menschheitsgeschichte mit viel Verständnis für archetypische Situationen menschlichen Erlebens. Eine musikalische Großtat!

Das eigentümliche Kölner Premierenpublikum mit den unvermeidlichen Damen der Gesellschaft und den bukolisch blökenden Buh- und Bravo-Brüllern lauscht hingebungsvoll und kommt beim Schlussapplaus zu den richtigen Werten auf der Skala des fiktiven "Applausometers". (frs)

Points of Honor
Musik 5/5
Gesang 4/5
Regie 2/5
Bühne 4/5
Publikum 3/5
Chat-Faktor 4/5

 

das opernnetz
14. Dezember 2003

Richard Wagner Siegfried
Endzeit


Die Idylle wird zum Grauen, der Jubel zur Depression: Kölns "Siegfried" gerät zum beklemmenden Szenario der postindustriellen Ausweglosigkeit. Robert Carsen inszeniert den "Naturburschen" als Sinnsuchenden in zerstörter Natur, zeigt Mime als schlitzohrigen Schrotthändler, Wotan als schließendlich gescheiterten Paten und Brünhilde als skeptische Braut.

Patrick Kinmoths Bühnenlandschaft ist ein desolater Schrottplatz als Mimes Werkstatt, eine desaströse Ansammlung vernichtete Baumstämme vor Fafners Höhle und eine leere Fläche zwischen rostigen Platten als desolaten Begegnungsort von Siegfried und Brünhilde.

Jeffrey Tate gelingt mit dem fulminanten Gürzenich-Orchester - abgesehen von einigen Einsatzpatzern! - eine faszinierende Performance: die pastoralen Passagen brechen in extreme Dissonanzen, die zerstörten Individuen finden orchestrale Entsprechungen; insgesamt eine selten gehörte Realisierung der Forderung nach "Musik als Kommunikation"!

Gerhard Siegel ist in diesem Kontext als Mime eine überwältigend kaputte Existenz, Christian Franz lebt den Naturburschen mit aller romantisch-gebrochenen Unbefangenheit, Alan Titus ist als Wotan der Machthaber im Hintergrund, unnahbar selbstsicher, aber zutiefst am Ende, und Renate Behle ist schon jetzt die betrogene Brünnhilde. Und alle singen auf höchstem Niveau!

Das Nicht-Premieren-Publikum in Köln ist durchaus begeisterungsfähig und Connaisseurs bestimmen hingebungsvoll den Applaus - doch das moving auf scheinbar freie Plätze nach den Pausen lässt die kultivierte Contenance vermissen. (frs)

Points of Honor
Musik 5/5
Gesang 4/5
Regie 5/5
Bühne 5/5
Publikum 2/5
Chat-Faktor 4/5

 

das opernnetz
23. Oktober 2003

Richard Wagner Götterdämmerung
Brüche


Wagners Musik artikuliert Erinnerungen, Trauer, Entsetzen, Hoffnungen - und das Gürzenich-Orchester erzählt die Tragödie der Menschen und der leidenden Welt. Jeffrey Tate dirigiert hochsensibel, lässt die Emotionen toben - der Trauermarsch wie ein Aufschrei - und tiefe Gefühle lodern - Brünhildes Schlussgesang.

Robert Carsens Inszenierung setzt auf Brüche - Brüche in der Zeit (der erste Akt in diktatorischen Zwanzigern, das Ende in einer zerstörten Zivilisation), Brüche in den persönlichen Schicksalen (Siegfried mit seiner verlorenen Erinnerung, Brünhilde mit ihren getäuschten Hoffnungen, Gunther und Hagen mit ihren unerfüllten Ambitionen).

Die Bühne von Patrick Kinmonth wirkt in ihren faszinierendem Widerspruch von Monumentalität (der riesige Herrscher-Schreibtisch Gunthers) und absoluter Leere am Schluss ungemein zwingend, lässt Raum für existentielle Verstrickungen.

Mit Christian Franz ist ein permanent reflexionsfreier Söldnercharakter zu erleben, souverän im Spiel, stimmgewaltig mit vielen Facetten in den Zwischentönen - eine hinreißende Vorstellung: Jayne Casselman gibt der verzweifelten Brünhilde außerordentliche Statut, beweist riesige Stimmkompetenz wie auch Doris Soffel als rhetorisch scheiternde Waltraute! Beeindruckend Samuel Youn als untypisch kraftstrotzender Gunther; Danie Sumegis Hagen dröhnt etwas hohl, interpretiert den gescheiterten Retter der alten Strukturen mit großer Intensität. Ute Dörings Gutrune ist das ausweglose Opfer der gebrochenen Männer-Welt, Oskar Hillebrandt ein fast verzweifelter Alberisch. Den drei Nornen (Dalia Schaechter, Viola Zimmermann, Friederike Meinel) und die Rheintöchter Ausrine Stundyte, Regina Richter, Joslyn Rechter garantieren ein überaus sängerisches Niveau.

Die hochkarätige Aufführung ist in der Oper Köln nicht ausverkauft, das Publikum bejubelt in seiner Mehrheit das Geschehene, Gehörte und Verstandene - schade, dass es einige Frohnaturen nicht abwarten können, ohne Applaus ihre Plätze so schnell wie möglich zu verlassen. (frs)

Points of Honor
Musik 5/5
Gesang 4/5
Regie 4/5
Bühne 4/5
Publikum 2/5
Chat-Faktor 4/5