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18. August 2006

Oper Frankfurt, 28. Januar 2007
"Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" von Richard Wagner

Tannhäuser, die fünfte Oper von Richard Wagner (1813-1883), gilt als wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des Komponisten. Die Oper Frankfurt zeigt Wagners Oper in der Dresdner Fassung, wie sie im Oktober 1845 am Hoftheater Dresden uraufgeführt wurde.

Im Tannhäuser wurde die noch im Fliegenden Holländer beibehaltene Nummerneinteilung zugunsten einer eher durchkomponierten, stark mit der Dichtung verschmolzenen Szenenform aufgegeben.

Zum Inhalt: Der Minnesänger Tannhäuser hat mit der Göttin Venus die sinnliche Seite der Liebe erlebt. Dem gegenüber steht die spirituelle Reinheit, die Elisabeth – die Tochter des Landgrafen Hermann – für ihn verkörpert. Als Tannhäuser bei einem Sängerwettstreit seinen Beitrag dem körperlichen Sinnengenuss widmet, bringt er seine Künstlerfreunde gegen sich auf. Durch eine Pilgerfahrt nach Rom soll er seinen Frevel büßen, aber der Papst vergibt ihm nicht. Gebrochen kehrt Tannhäuser zurück, doch bevor er sich erneut Venus zuwenden will, erfährt er vom Tod Elisabeths, die sich für ihn geopfert hat. Im Sterben wird Tannhäuser die erhoffte Vergebung zuteil.

Die musikalische Leitung dieser Neuinszenierung hat Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani. Für die Regie zeichnet Vera Nemirova, Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny, verantwortlich. Sie gilt als eine der führenden Regisseurinnen der jüngeren Generation. Zu ihren letzten Arbeiten gehören Webers Euryanthe und Verdis Otello in Dresden. In der Titelpartie stellt sich der englische Tenor Ian Storey erstmals dem Frankfurter Opernpublikum vor. Zu seinen aktuellen Verpflichtungen gehören Engagements an den Opernhäusern von Cardiff, Edinburgh, Neapel und Washington sowie an der English National Opera und der Mailänder Scala. Christian Gerhaher (Wolfram) gehört zu den renommiertesten Liedsängern seiner Generation, was er mit einem reinen Schubert-Programm im Juni 2006 auch in Frankfurt unter Beweis stellen konnte. Doch auch auf der Opernbühne gelang es dem Sänger zu überzeugen, u.a. als Monteverdis Orfeo im Frankfurter Bockenheimer Depot und als Papageno in der Zauberflöte bei den Salzburger Festspielen 2006.

Ihr Wagner-Repertoire führte die Russin Elena Zhidkova (Venus) u.a. an die Opernhäuser von München, Stuttgart, Frankfurt, Berlin und Amsterdam sowie 2001 bis 2003 zu den Bayreuther Festspielen. Alle weiteren Partien sind aus dem Ensemble der Oper Frankfurt besetzt. Angeführt von „Neuzugang" Danielle Halbwachs (Elisabeth) singen Magnus Baldvinsson (Hermann), Peter Marsh (Walther), Michael McCown (Heinrich der Schreiber), Franz Mayer (Reinmar) und Gregory Frank (Biterolf). Für die Vorstellungen im Sommer 2007 sind Umbesetzungen der Hauptpartien vor allem mit Ensemblemitgliedern geplant. Am Pult alterniert mit Paolo Carignani Kapellmeister Johannes Debus.

Quelle: Oper Frankfurt

 

Franfurter Neue Presse
17.01.2007

Das Geheimnis des Venusbergs
Richard Wagners „Tannhäuser" hat am 28. Januar Premiere an der Oper Frankfurt. Alessandro Zuppardo leitet den Chor.

Von Birgit Popp

Wenn der Vorhang aufgeht zu Wagners 1845 in Dresden uraufgeführter Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg", unter der musikalischen Leitung von Frankfurts GMD Paolo Carignani und in der Inszenierung von Vera Nemirova, dann hat der Chor des Frankfurter Opernhauses eine wichtige Partie. „Für mich ist Wagners ,Tannhäuser’ die wichtigste Neuproduktion in dieser Spielzeit. Dem Chor kommt eine große Bedeutung zu, denn ob als Gäste beim Sängerwettstreit oder als Pilger: Er stellt die Gesellschaft dar, die die Regeln für Religion, Ehre und gutes Verhalten festlegt. Die Mitglieder dieser Gruppen entscheiden darüber, ob sich einzelne Charaktere wie Tannhäuser als Teil der Gesellschaft fühlen dürfen oder isoliert sind." So Allessandro Zuppardo, der seit der Spielzeit 2003/2004 den Chor des Frankfurter Opernhauses künstlerisch leitet.

Der Italiener, dessen Ausbildung auch eine Karriere als Konzertpianist oder Orchesterdirigent erlaubt hätte und der, wenn es seine Zeit zulässt, auch heute noch Sänger bei Liederabenden begleitet, hat sich ganz bewusst für seine Arbeit als Chordirektor entschieden. „Die Sänger und der Gesang sind mein Thema. Ich kann mich als Klavierbegleiter oder Chorleiter am besten ausdrücken und den Klang der Sänger ausarbeiten. Für mich ist es noch faszinierender, am Klang der Stimme zu arbeiten, als mit einem Orchestermusiker. Ich denke, Sänger können noch kreativer mit ihrer Stimme sein als Musiker mit ihrem Instrument."

Eine der beiden wichtigsten Stellen für den Chor im „Tannhäuser" ist das Sängerfest im zweiten Akt. „Der Einzug der Gäste ist sehr berühmt, aber diese Stelle ist musikalisch eher konventionell geschrieben und für den Chor relativ einfach zu singen. Der Chor begleitet die Zeremonie des Einzugs, vermittelt aber kein tieferes Gefühl. Für viel interessanter halte ich die Rolle des Chores während des Sängerwettstreits. Während der Eskalation werden die Damen und Herren, die dem Wettstreit beiwohnen, auf einmal persönlich engagiert – die Chormitglieder werden wirklich zu Darstellern. Meiner Meinung nach ist der schönste Teil für den Chor das Ende des zweiten Aktes. Dort besitzt der Chor die Chance, viele Farben zu zeigen, viele Akzente zu setzen, seine Gefühle zu beschreiben und ihnen Ausdruck zu verleihen." Ein weiterer Höhepunkt für den Chor ist der Auftritt der Rom-Pilger im dritten Akt. „Ich finde den Pilgerchor schöner als den Einzug der Gäste, auch wenn dieser der bekanntere ist. Der Chor der Pilger ist viel bedeutungsvoller. Das Finale der Oper geht für mich in Richtung ,Parsifal’. Es ist ein Hallelujah-Finale. Die Stimme von oben, das Wort Erlösung, da sind viele Parallelen vorhanden."

„Wichtig ist bei Wagner," so der Chordirektor weiter, „die tiefe Bedeutung in der Musik zu finden und sie auszudrücken. So ist im ,Parsifal’ die Musik nicht nur Musik, sondern sie besitzt auch eine spirituelle Qualität. Für mich stellt sich dann die Frage: Welchen Klang muss ich finden? Der Klang muss überirdisch sein, in andere Dimensionen transferieren. Wir müssen etwas dahinter sehen und den besonderen Klang entdecken. Das betrachte ich als meine Pflicht. Nicht einfach Töne und Worte zu produzieren, sondern auch die Qualität, die Nuance des Klanges zu finden. Wir sind wie Maler. Wir benutzen eine Palette der Farben. Wir müssen herausfinden, welche Farbe passt mit welcher Bedeutung zusammen. Wenn die Chormitglieder Personen wie Soldaten oder Zigeuner verkörpern, ist das einfach, aber wenn sie Nonnen, Engel oder Priester sind, dann muss in dem Klang auch etwas Zauberhaftes, Magisches oder Spirituelles liegen." Hinzu kommt: „Der Pilgerchor ist wegen der korrekten Intonation sehr schwierig. Die Sänger müssen den Ton immer sehr genau kontrollieren und halten. Es ist sehr einfach, tief zu werden. Auch beim Pilgerchor muss der Klang sehr verführend, sehr magisch, zauberhaft sein, etwas verschleiert und geheimnisvoll. Wenn es um spirituelle Symbole geht, ist der Klang eine Herauforderung. Der Klang darf dann nicht extravotiert, nicht so einfach und direkt sein."

Eine weitere Oper dieser Spielzeit, bei welcher der Chor für Alessandro Zuppardo eine wichtige Bedeutung besitzt, ist die konzertante Aufführung von „Andrea Chènier". Hierzu meint er: „Das Volk ist die Seele der Revolution, eine solche Oper hat ohne die Seele keine Bedeutung, das gilt in gewisser Weise auch für ,Simone Boccanegra’. Was die noch bevorstehenden Wiederaufnahmen betrifft, vielleicht auch für den ,Maskenball’, wenngleich der Chor dort nicht eine so wichtige Rolle spielt wie zum Beispiel in ,Macbeth’ oder in ,Il trovatore’. ,Pique Dame’ ist ebenfalls eine wunderschöne Oper für den Chor."

Im „Tannhäuser" wird der britische Tenor Ian Storey in der Titelpartie sein Frankfurter Debüt geben. Nach seinem Schubert-Liederabend kehrt der Bariton Christian Gerhaher als Wolfram nach Frankfurt zurück. Das neue Frankfurter Ensemblemitglied Danielle Halbwachs betet als Elisabeth für das Seelenheil Tannhäusers, während die Russin Elena Zhidkova als Venus ihn in ihre Sinneswelt entführen will.

 

Franfurter Neue Presse
15.01.2007

"Tannhäuser": Oper Frankfurt und Evangelische Kirche kooperieren

Frankfurt/Darmstadt. (dpa) Kirchlichen Beistand erhält die Frankfurter Oper zur Neuinszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser": Die Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und die Oper präsentieren zur Premiere am 28. Januar erstmals ein gemeinsames Begleitprogramm. Wie beide am Montag in Frankfurt mitteilten, wird Kirchenpräsident Peter Steinacker die religiösen und theologischen Aspekte des Werks in den Mittelpunkt eines Vortrags und eines Gottesdiensts stellen. Steinacker gelte als Spezialist für theologische Bezüge bei Wagner.

Der Vortrag mit Musikbeispielen (14. Februar, Oper Frankfurt) widmet sich dem Thema "Die Utopie der Liebe. Über Erotik und Religion in Richard Wagners "Tannhäuser"". Der Gottesdienst (18. Februar, St. Katharinenkirche, Frankfurt) - bei dem Ensemblemitglieder der Oper Frankfurt Arien aus dem Werk vortragen - hat den Titel "Die Sinnlichkeit des Pilgers". Steinacker wird dabei die Liebesgeschichte im "Tannhäuser" mit dem Hohelied der Bibel vergleichen.

Franfurter Neue Presse
16.01.2007

Kirchenbeistand für die Oper

Kirchlichen Beistand erhält die Frankfurter Oper zur Neuinszenierung von Wagners „Tannhäuser": Die Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und die Oper präsentieren zur Premiere am 28. Januar erstmals ein gemeinsames Begleitprogramm. Kirchenpräsident Peter Steinacker wird die religiösen und theologischen Aspekte des Werks in den Mittelpunkt eines Vortrags und eines Gottesdiensts stellen. Der Vortrag mit Musikbeispielen (14. Februar, Oper Frankfurt) widmet sich der „Utopie der Liebe". Der Gottesdienst (18. Februar, St. Katharinenkirche, Frankfurt) – bei dem Ensemblemitglieder der Oper Arien vortragen – hat den Titel „Die Sinnlichkeit des Pilgers".

Franfurter Neue Presse
29.01.2007

Nemiròvas "Tannhäuser"-Inszenierung überschwänglich gefeiert

Frankfurt (dpa) Die Inszenierung von Richard Wagners Oper "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" durch Vera Nemiròva ist an der Oper Frankfurt mit großem Jubel gefeiert worden. Das Premierenpublikum applaudierte begeistert, als die bulgarische Jung-Regisseurin am Sonntag ihre erste Wagner-Arbeit vorstellte. Nemiròva gilt als Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny als Hoffnungsträgerin in der jungen deutschen Regietheater-Szene. Überschwänglichen Applaus gab es auch für den Bariton Christian Gerhaher in der Rolle des Wolfram von Eschenbach.

Vera Nemiròva verlegt in ihrer Inszenierung die mittelalterliche Handlung in die Gegenwart. Die Pilger werden bei ihr zu jungen Menschen, die nach Rom zum Papst reisen oder zum Weltjugendtag. Sie tragen Rucksäcke, haben Iso-Matten und Schlafsäcke dabei. Tannhäuser selbst ist ein moderner Sänger, ein Künstler, irgendwo in der Nähe von Bob Dylan angesiedelt. Seine Mitmusiker wirken wie die Comedian Harmonists, sind Mitglieder irgendeiner Combo.

Nemiròva und ihr Bühnenbildner Johannes Leiacker thematisieren mit ihrem Ansatz in der 1845 in Dresden uraufgeführten Oper die Rolle der Kunst. Es gehe im "Tannhäuser" um die Zerrissenheit der Titelfigur. Um Flucht und Einsamkeit. Tannhäuser könne nur "schöpferisch tätig sein, wenn er seine Körperlichkeit, seinen Eros zurückzuhalten imstande ist", sagte Nemiròva.

Durch die Verlegung der Handlung in die Gegenwart äußert Nemiròva gleichzeitig Kunstkritik: "Wie inhaltsfern Kunst sich heute überall verkaufen muss, finde ich einfach grenzwertig, Marktwert ist entscheidender als Inhalt", meint sie. So wird in ihrer Inszenierung der Sängerwettstreit zu einem multimedialen Fernsehshow mit Kameras, Gogo-Tänzerinnen und Werbe-Einblendungen.

Die gebürtige Bulgarin Nemiròva lebt seit 1982 in Deutschland und arbeitet seit 1998 als freie Regisseurin. Zu ihren letzten Arbeiten zählen "Otello" an der Semperoper in Dresden, "Le nozze di Figaro" an der Lettischen Nationaloper in Riga sowie "Die Dreigroschenoper" in Luzern. Für das deutsche Feuilleton gilt sie als eine der wichtigsten und viel versprechendsten Nachwuchregisseurinnen.

 

OFFENBACH POST
26. Januar 2007

Dem Unangepassten schlägt die Stunde
Die junge Bulgarin Vera Nemirova inszeniert Richard Wagners "Tannhäuser" an der Oper Frankfurt neu

Beim Fototermin zieht sie auch mal kokett die Augenbraue hoch. Ansonsten scheint Vera Nemirova von tiefem Ernst durchdrungen. Die Bulgarin gibt in Frankfurt mit "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" ihr Regie-Debüt. Nach Webers "Euryanthe" und Verdis "Otello" in Dresden inszeniert die junge Künstlerin erstmals eine Wagner-Oper.

Die musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor Paolo Carignani, der auch den "Tannhäuser" wieder italienisch befeuern wird. Erstmals an der Oper Frankfurt ist der englische Tenor Ian Storey in der Titelrolle zu erleben, den Wolfram singt der hier schon bewährte Christian Gerhaher. Als Venus bringt die Russin Elena Zhidkova Bayreuth-Erfahrung mit. Die Elisabeth verkörpert Danielle Halbwachs, neu im Frankfurter Ensemble. Premiere ist am Sonntag um 18 Uhr.

Im "Tannhäuser" wird der Konflikt zwischen irdisch-sinnlicher und himmlisch-spiritueller Liebe personifiziert. Ein Künstlerdrama, das Richard Wagner Zeit seines Lebens nicht los ließ. Tannhäuser, hin und her gerissen zwischen der verführerischen Venus und der gläubigen Elisabeth.

Vera Nemirova, die in Berlin bei Ruth Berghaus (legendärer Frankfurter "Ring" der Gielen-Ära) gelernt hat, "dass auf dem Theater nichts zufällig geschieht" und die als Meisterschülerin von Peter Konwitschny dessen Leidenschaft schätzt, mit der er Oper inszeniert und dabei auch vor extremen Mitteln nicht zurückschreckt, hat sich für die Dresdner Urfassung des "Tannhäuser" entschieden. Wegen ihrer emotionalen Unmittelbarkeit, ein erster brennender Impuls Wagners. Und sie wagt wie bei ihren bisherigen Inszenierungen auch die Aktualisierung des mittelalterlichen Stoffs.

Dieser Heinrich alias Tannhäuser sei ein maßloser Rock-Star, der alles will und durch seine Unangepasstheit alles verliert. Ihr ins Gespräch einbezogener Dramaturg Malte Krasting sieht zudem verblüffende Parallelen zwischen Minnesängern und den Pophelden unserer Tage. Liebe, Sex und Revolte sei schließlich auch im Mittelalter deren großes Thema gewesen. Tannhäuser könnte der Frontmann einer Gruppe von Wartburg-Sängern sein, die durch seinen Weggang (ins Reich der Venus) ihren Stachel verloren habe. Auch nach seiner Rückkehr zur "Kunstmetropole Wartburg" (und deren Sängerkrieg) bleibt er unangepasst, preist spontan die Liebe als urmenschlichen Trieb - und wird dafür von den Kollegen fast gelyncht.

Wagners Wartburg-Gesellschaft habe die Kunst vereinnahmt - wie ihr opulenter Einzugsmarsch mittlerweile als Werbemelodie einer Bierbrauerei diene, erläutert Vera Nemirova, die auch einen dezidierten Blick auf die starken Frauen dieser Oper wirft. So sei Elisabeth, gemessen an "Dich teure Halle grüß ich wieder" keineswegs nur die fromme Heilige, sondern sehne sich intensiv nach Sinnlichkeit, die sie mit Tannhäuser teile. Und die Venus ist für sie keine Hure, sondern eine Frau, die nach Wärme, nach einer intensiven Bindung verlange. So will die Regisseurin denn auch eine Übereinkunft beider Welten, jener der Venus und der bußfertigen Pilger. Die sieht sie im Vorspiel begründet, das den Pilgermarsch bis zur Unkenntlichkeit mit irisierenden Venus-Klängen vermische: "Beide Sphären vereinigen sich zum heiligen Kuss der Liebe." Deshalb darf Tannhäuser, der rebellische Impulsgeber, auch nicht sterben.

Seit 1982 lebt Vera Nemirova in Deutschland, hat freilich noch viele Koffer in ihrer bulgarischen Heimat, wo sie Kraft für ihre Arbeit tankt. Und hofft, dass die EU-Annäherung nicht bulgarische Eigenheiten nivelliert. Darunter versteht sie Spontaneität, die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen auf ironische Distanz zu gehen, und Lebenslust - wie sie Tannhäuser praktiziert. Vielleicht liegt Wartburg ja doch am Schwarzen Meer.

KLAUS ACKERMANN

 

Frankfurter Rundschau
27. Januar 2007

Regisseurin Vera Nemirova
"Inseln der Hoffnung sind mir wichtig"
Die Regisseurin Vera Nemirova über den Künstler Tannhäuser, über Veränderung und Bewahrung in der realen und der Opernwelt.

Vera Nemirova
Frankfurter Rundschau:
Als Sie in Freiburg "Carmen" inszenierten, gab es keinen Stierkämpfer, bei Ihrer "Zauberflöte" hielt niemand eine Flöte oder ein Glockenspiel in der Hand, und Ihr Dresdner Othello war bleich wie die Wand. Über welche Abwesenheit vertrauter Elemente wird das Frankfurter "Tannhäuser"-Publikum sich wundern dürfen?

Vera Nemirova: Fragen wir lieber, was da sein wird. Und da kann ich sagen: Pilger wird es geben bei diesem Tannhäuser, und zwar in großer Zahl. Als der Bühnenbildner Johannes Leiacker und ich angefangen haben, uns mit Wagners Tannhäuser zu beschäftigen, war gerade der Papst gestorben, und plötzlich sah man überall Pilger, im Stadtbild, im Fernsehen. Überall waren sie unterwegs mit ihren Rucksäcken, in Rom ebenso wie auf dem Weltjugendtag in Köln. Die bleichen, aseptisch gekleideten Männer, die im Tannhäuser den Pilger-Chor singen, waren davor für mich immer etwas recht Abwegiges gewesen - und sind es nun nicht mehr. Diese Menschen, die ein spirituelles Gemeinschaftserlebnis suchen oder auch nur körperliche Nähe waren im Zusammenhang mit dem alten und dem neuen Papst wieder ganz präsent. Mein Frankfurter Tannhäuser hätte sicher anders ausgesehen, wäre der Papst nicht gestorben. Wir werden jedenfalls scharenweise Pilger haben hier in der Oper, mehr als Chorsänger notwendig wären.

Aber ich gehe, Ihre bisherigen Opernarbeiten im Hinterkopf, davon aus, dass Tannhäuser selbst kein mittelalterlicher Minnesänger mit Laute auf dem Rücken sein wird. Was wird er stattdessen sein?

Sicher ein Künstler, ein Sänger. Die Sänger der Wartburg sehen wir als eine Art Band oder Combo, die ihren Frontmann verloren hat.

Und Tannhäuser startet jetzt eine Solokarriere, wie es immer so schön heißt?

Er steigt zunächst einfach aus, den Zurückbleibenden fehlt nun die Inspiration, die künstlerische Potenz. Sie brauchen ihn als Ideenträger, als Gesicht unbedingt zurück. Mit Kunst, Kunstbetrieb, Vermarktung von Kunst hat das alles zu tun. Ein Tannhäuser-Chor hat es ja auch in die Radeberger-Bierwerbung geschafft, auch darauf nehmen wir Bezug. Wie inhaltsfern Kunst sich heute überall verkaufen muss, finde ich einfach grenzwertig, Marktwert ist entscheidender als Inhalt.

Ist für Sie Tannhäuser also in erster Linie ein Künstler und erst in zweiter ein Mann? Der Mann zwischen den beiden Frauentypen Venus und Elisabeth?

Nennen wir ihn den "schöpferischen Mann". Nach den Regeln der Wartburg kann er nur schöpferisch tätig sein, wenn er seine Körperlichkeit, seinen Eros zurückzuhalten imstande ist.

Also kein "Sex, drugs and Rock'n' Roll" wie bei herkömmlichen Rockbands.

Wir haben Tannhäuser in der Nähe von Bob Dylan angesiedelt, seine Mitmusiker wirken eher wie die Comedian Harmonists, zwei Welten prallen da aufeinander. Aber das sind nun Äußerlichkeiten, über die wir hier gerade sprechen. Im Kern geht es ja um die Zerrissenheit des Tannhäuser, darum, dass es für ihn keinen Ort gibt. Nur Einsamkeit und die Flucht. Und um Elisabeth, auch sie eine Außenseiterin, eine Gefangene, keine Heilige.

In Ihren Regiearbeiten suchen und finden Sie immer eine Übersetzung des Stoffes in die heutige Zeit, nie belassen Sie die Handlung in der sozusagen originalen Sphäre, statt Minnesänger jetzt Combo. Ist das ein Prinzip bei Ihnen?

Nein, kein Prinzip, aber es springen diese Bilder mir einfach ins Auge. Wenn ich eine Parallele mit dem Heute sehe, brauche ich die historische Querverbindung nicht mehr. Demnächst aber inszeniere ich den Faust, in Form von Charles Gounods Oper Margarethe, und das wird eine Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte werden mit entsprechenden Kostümen.

Der "Tannhäuser" ist Ihre erste Wagner-Oper. Hat dieses Debüt eine besondere Bedeutung für Sie? Ist Wagner, vielleicht schon wegen seiner Ausdehnung, eine besondere Herausforderung?

Wagner ist eine ebenso große Herausforderung wie Verdi, nur eben mit speziellen Bedürfnissen. Die Zeiteinheiten sind andere, man kann an Wagner viel lernen über den eigenen Umgang damit, das merke ich inzwischen in jeder Probe.

Das Feuilleton beäugt Ihre Regiearbeiten sehr aufmerksam. An eine Berghaus-Schülerin, eine Konwitschny-Elevin, an eine "angehende Jungstarregisseurin" (Die Deutsche Bühne), und "Hoffnungsträgerin im Musikregiegeschäft" (SZ) wird eine besondere Messlatte angelegt. Fühlen Sie sich auf dem Präsentierteller?

Mir wäre es wichtig, in Ruhe arbeiten zu können, was immer schwieriger wird, weil jede Arbeit an der vorangegangenen gemessen wird. Aber ich bin dabei immer noch sehr gelassen.

Auch die Wochenzeitung "Die Zeit" hat etwas sehr Schönes geschrieben über Sie: Vera Nemirova habe, aus dem Osten kommend, "ein Gespür für die Härte des Lebens". Lassen Sie es deswegen in Ihren Inszenierungen nie rote Rosen, sondern allenfalls - wie bei Ihrem Dresdner "Otello" - Taschentücher regnen?

Aus dem Osten kommend, Härte des Lebens, was heißt das? Ich bin in zwei Systemen aufgewachsen, das stimmt. Ich hatte die Gelegenheit, die politischen Systeme in Bulgarien und der DDR kennen zu lernen, mitten im Abitur kam dann die Wende, das war schon sehr interessant und prägend. Mit roten Rosen versus Taschentücher meinen Sie sicher, ob ich auch Raum lasse für utopische Momente? Ganz bestimmt, denn nur das Gleichgewicht von Hässlichkeit und Schönheit, von Tragik und Glück kann ein Leben ausmachen - und Opernaufführungen sind ja immer ein Spiegelbild des Lebens. "Aus Freuden sehn' ich mich nach Schmerzen", singt Tannhäuser. Horrorszenarien bringen die Stücke eigentlich von sich aus schon immer mit, darum sind mir die Inseln der Hoffnung schon sehr wichtig.

Aber Sie würden schon von sich behaupten, dass gerade die Abgründe Ihnen liegen?

Ja, sonst würde ich mich nicht mit diesem Genre beschäftigen. Ich will eigentlich immer wieder anhand der Stückfiguren, ihren Verhältnissen zueinander und gesellschaftlichen Verstrickungen aufzeigen, in welcher Wirklichkeit wir leben und dass man so miteinander nicht umgehen kann. Das haben die Komponisten schon gut gemacht, haben Impulse gegeben für das bessere Verständnis unserer Wirklichkeit. Das möchte ich, mit den Bildern unserer Erfahrungswelt, einem heutigen Publikum übersetzen. Nichts anderes will ich. Jede Veränderung, die ich vornehme, soll ein Bewahren sein.

Ein Übersetzen von Oper in heutige Bilder ist für Sie also wie ein Update in ein aktuelles Format, wie von Diskette auf CD-Rom, damit man die Inhalte auch morgen noch lesen kann?

So kann man es sagen, ja. Wobei die Veränderung dramaturgisch so stark sein muss, dass sie mit dem Werk und dem Autor in einen Dialog treten kann. Sonst ist sie nur billig, nur Firlefanz.

Interview: Stefan Schickhaus

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Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 26.01.2007 um 16:36:01 Uhr
Letzte Änderung am 26.01.2007 um 18:22:51 Uhr
Erscheinungsdatum 27.01.2007

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
24. Januar 2007

Oper
Vom Zwiespalt zwischen Geist und Lust

Von Ellen Kohlhaas

Zu Beginn der Konzeptionsarbeit für die Frankfurter Neuinszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser", so erinnert sich die in Deutschland aufgewachsene und bei Ruth Berghaus und Peter Konwitschny ausgebildete bulgarische Regisseurin Vera Nemirova, „starb gerade Papst Johannes Paul II. Plötzlich gehörten Rom-Pilger ganz selbstverständlich zu unserem Alltag". Diese Aktualität hat Vera Nemirova davon überzeugt, dass wirklich Pilger in eine „Tannhäuser"-Inszenierung gehören, nicht etwa gesichtslose Arbeitermassen wie 1972 in Götz Friedrichs zunächst umstrittener Bayreuther Festspiel-Inszenierung.

Doch wichtiger ist die grundsätzliche Dichotomie in diesem Werk: „Die Welt, auch Tannhäuser wie Wagner selbst, ist gespalten in eine sinnliche und eine geistige Sphäre", weiß Nemirova. Schon die Ouvertüre bringe dies in der Konfrontation von Pilgermotiv und Venuswelt ganz klar zum Ausdruck. Am Schluss überlagern, vereinigen sich beide Motive – „Versöhnung in Tod oder höchster Ekstase"? Seinen künstlerischen Trieb schöpft Tannhäuser aus dem Eros.

Tannhäuser, der Anarchotyp

Doch in der Wartburg-Gesellschaft und im dortigen Kulturbetrieb gilt die Ideologie der Lustverteufelung und Triebunterdrückung, ebenso wie in unserer christlich-patriarchalisch geprägten Kultur. Aber Tannhäuser ist ein eruptiver, impulsiver Anarchotyp, der entschieden gegen die dort herrschenden Normen rebelliert: Er braucht den Diskurs und den Widerspruch, er möchte sein ganzes Sein, auch seine Körperlichkeit in seiner Kunst ausdrücken", so Nemirova. „Tannhäuser ist ein Getriebener auf der Suche nach sich selbst. Er ist nirgendwo zu Hause, weder im Venusberg noch in der Wartburgwelt."

Anders als Götz Friedrich und einige andere Regisseure sieht Vera Nemirova, die begeistert, einfallsreich und geradezu druckreif ihre Entdeckungen in „Tannhäuser" im Gespräch mit der F.A.Z. ausbreitet, die beiden Frauen nicht als zwei Facetten derselben Männerphantasie. Sie erlebt Elisabeth und Venus vielmehr als verschiedenartige, in sich mehrdeutige Individuen, die folglich auch nicht von einer einzigen Sängerin dargestellt werden können. „Elisabeth ist ebenso wenig nur Heilige wie Venus nur Hure", erläutert die Regisseurin. „In ihrer berühmten Hallenarie (,Dich, teure Halle, grüß’ ich wieder‘) zeigt sich Elisabeth, einsame Gefangene der Wartburg-Gesellschaft, eben auch als begeisterungsfähige, sinnenfrohe Frau, die Tannhäuser liebt, weil sie die sinnliche Liebe zu allem Lebendigen mit ihm teilt. In die Rolle der Heiligen wird sie bloß von der Männergesellschaft gedrängt – letzten Endes auch von Tannhäuser selbst."

Ketzerischer Unterton

Auch in Venus sieht Vera Nemirova ein ganzheitliches weibliches Wesen. Neben ihrer erotischen Ausstrahlung – eine Urform des sinnlichen Aspekts von Kundry in „Parsifal" – stelle sie auch handfeste, biedere Bindungsansprüche an Tannhäuser. Das Werk beginne deshalb mit einer exemplarischen Beziehungskrise im Venusberg, den Tannhäuser, total gefühlsüberflutet, denn auch nicht mehr aushalte. Der Venus- oder Hörselberg ist für die Regisseurin „kein konkreter Ort, sondern ein Zustand im Kopf, eine Art des Seins, generiert etwa durch zwischenmenschliche Beziehungen. Der Venusberg kann also überall sein."

Der Papst in Rom hat dem Tannhäuser, der durch sein radikales Lebens- und Kunstkonzept gegen die herrschende Gesellschaft gesündigt hat, die Absolution verweigert. Doch Vera Nemirova freut sich über den ketzerischen Unterton des utopischen Erlösungsendes, in dem Elisabeths Opfertod den Geliebten entsühnt und der Pilgerstab grünt – wenn auch erst nach Tannhäusers Tod: „Wagner widerlegt die Weigerung des Papstes, indem eine höhere, nicht kirchlich kanonisierte Instanz dem Tannhäuser verzeiht."

Paolo Carignani, der sich lebhaft am Gespräch beteiligt, trägt Wesentliches zum musikalischen Werkverständnis bei. Er und die Regisseurin haben sich für die Dresdner Urfassung von 1845 entschieden, weil sie konziser und stilistisch einheitlicher sei als die Pariser Version von 1861, in deren instrumentaler Farbigkeit und Chromatik die „Tristan"-Erfahrung mitklingt. „Doch schon die Frühfassung", findet der Dirigent, „enthält Kontraste, Effekte und Zukunftsmusik, etwa in den Hörselberg-Klängen oder in Tannhäusers Rom-Erzählung. Schon hier wird die Trennung zwischen Rezitativ und Arie aufgehoben." Darin ähnelt der „Tannhäuser" der frühen Oper, etwa bei Monteverdi. Zwar beziehe Wagner schon Leitmotive als Strukturelemente ein, aber noch nicht als geschlossenes System motivischer Verknüpfungen.

„Ein ständiges Drängen, als sei das Leben zu kurz"

Carignani hat in Frankfurt bisher Wagners „Meistersinger", „Tristan"" und „Parsifal" dirigiert. In der Dresdner „Tannhäuser"-Fassung hat er nicht allein eine „Initialzündung für den ganzen späteren Wagner" entdeckt, sondern auch ein Tempo-Gegenstück zu „Parsifal": Dort ein Epos der Langsamkeit, hier eine „schnelle Muskulatur: Da ist ein ständiges Drängen, als sei das Leben zu kurz." Der Dirigent hört Tannhäusers Fluchtverhalten in der Partitur, aber auch Webers „Freischütz" am Ende des ersten Akts und Schumanns Liedkunst in Wolframs Hymne an den Abendstern im dritten Akt.

„Christian Gerhaher wird dieses Lied tatsächlich wortmusikalisch wie ein Liedsänger bieten, nicht wie ein Opernsänger", fasst Carignani die bisherigen Probenerfahrungen zusammen. Und er verweist auf eine Besonderheit: Gerhaher und alle übrigen Sänger werden in der Frankfurter „Tannhäuser"-Premiere am 28. Januar in ihren Rollen debütieren. „Und für mich ist das überhaupt die erste Wagner-Regie", fügt Vera Nemirova hinzu. Dirigent und Regisseurin sind sich einig, dass sie in ihrer dichten Zusammenarbeit „täglich Neues in ,Tannhäuser‘ entdecken" und so in gemeinsamer Gesamtverantwortung Szene und Musik eng ineinanderbinden.