Frankfurter Rundschau
30. Januar 2007

Wagners "Tannhäuser"
Schmunzelnde Ritter, erregte Vereinsmeier

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

"Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig", meinte Richard Wagner im Alter. Dabei hatte er den ersten Akt für Paris bereits "nachgebessert" und die Venusbergszene mit Tristan-Raffinement echauffiert. Doch anders als das Publikum war er nie zufrieden mit dieser Oper und ihrer Zwei-Welten-Philosophie, ihrem Schwanken zwischen himmlischer und irdischer Liebe, zwischen Kreuz und Sündenpfuhl. Wagner selbst hatte auf seinem innerlichen Spieltisch die Partie zwischen dem Doktor Marianus und dem Diaboliker der Lüste nicht recht zur Entscheidung bringen können.

Die ins Großballettöse gelenkte Pariser Version und ihre veredelte Herrenclub-Animation ist neuerdings auf den Bühnen selten geworden - schon deshalb, weil der Profitanz aus den Operninszenierungen vertrieben wurde. So wählte auch Frankfurt die stilreine "Dresdner Fassung" mit abgerundeter Ouvertüre. Für die in Frankfurt debütierende bulgarische Regisseurin und Konwitschnyschülerin Vera Nemirova wurde diese zum Anlass, bereits eine ganze Geschichte zu erzählen: von einer unterm mitgebrachten Kreuz lagernden frömmelnden Hippie-Menge, die sich beim Erklingen des züngelnden Venusbergthemas ins Orgiastische, in wollüstig wogende Verschlingungen entkleideter Körper, verwandelt und später wieder ins Büßerisch-Zerknirschte zurückmutiert. Die Demonstration des etwas hysterischen Tannhäuser-Generalthemas war so plausibel, dass es der kommenden vier Stunden Oper dafür kaum noch bedurft hätte.

Etwas schwer taten sich danach Venus (mit tragendem, leicht klirrenden Organ: Elena Zhidkova) und Tannhäuser bei ihrem sowieso verhältnismäßig ledern musikalisierten erotischen Nachlaufspiel. Für den hin- und hergerissenen Ritter (Ian Storey zeigte hier noch einiges tenorale Metall, aber auch schon die störende Neigung zum gleichförmigen Dauer-Vibrato) konnte man eher wieder Interesse zeigen beim Abschied aus der Lusthöhle, wenn er Gitarre und Rucksack ergriff, seinen Hut aufsetzte und trotzig davonstapfte.

Drollig-belebte Regiearbeit

Höhlenähnliches gab es freilich bei Johannes Leiackers offener Spielfläche nicht, die, mit fast bühnenhoher Bogenlampe und Wolkenprospekt, nur im zweiten Akt durch eine Chortribüne modifiziert wurde. Die schöne Pastoralszene des Hirtenjungen (glasklar intoniert vom Calwer Aurelius-Sängerknaben Silvin Bumiller), gewöhnlich aus dem Off erklingend, war liebevoll inszeniert. Nochmals ist der Bub ein stumm-freundlicher Gefährte für Tannhäuser am Opernschluss, indem er ihn (der Titelheld bleibt am Leben) durch die Prospekttür ins Licht begleitet.

Der Auftritt der Minnesänger vor der Wartburg geriet lustig als improvisierter Treff von Popmusikern bei einer Autopanne. Der spätere Sängerkrieg funktioniert recht passabel als vereinsmeierische Gaudi mit Fernsehbeteiligung (vergrößerte Sängergesichter auf dem Rückprospekt). Zum Sängerskandal gerät auch der versammelte Chor tüchtig in Erregung. Spätestens im dritten Akt dankt die schmunzelnd aktualisierende Pop-Optik ab, und das traurig-tröstliche Finalisieren der jetzt eher balsamischen Handlung setzt sich durch. Elisabeth stirbt in Wolframs Armen, und mit seinem Sang an den Abendstern (einem bieder herabkultivierten Venus-Preislied) meint er eigentlich sie, wenn nicht die über beiden funzelnde Bogenlampe. Nett und drollig-belebt mutete die Regiearbeit überwiegend an, bei den Ernstlichkeiten auch herzlich und mitfühlsam. Im Vergleich zum Tannhäuser der Gielenära vor 30 Jahren war's eine merkliche szenische Ermunterung. Genialisch dreinfahrender Interpretations-Impetus war aber nicht zu verspüren.

Zum Ereignis des Abends wurde der Wolfram von Christian Gerhaher: ein schmiegsam timbrierter Bariton von selten nobler, feinschattierter Ausdrucksintensität. Einprägsam auch die Diktion der aus dem etwas Ungefügen aufblühenden Elisabeth von Danielle Halbwachs, die ihre Hallenarie gleichsam zur Begrüßung des Publikums absolvierte. Eine leicht angeraute Landgrafen-Würde vermittelte Magnus Baldvinsson. Die Romerzählung Tannhäusers im 3. Akt geriet zum gerade noch zureichenden Erweis der Durchhaltekraft in einer schweren abendfüllenden Partie.

Als Wagnerdirigent hatte Paolo Carignani schon Überzeugenderes geleistet als diesen Tannhäuser, der in den Bläsermischungen gelegentlich verblüffend nach Keybord-Imitat klang und wenig dramatischen Furor mitteilte. Recht zahm blieben vor allem die Venus-Imaginationen, und am Schluss der Ouvertüre schienen die zum majestätischen Pilgerchorthema im Viervierteltakt aufzischenden Streicherfiguren eine im Unwesentlichen verbleibende Verzierung. Nicht optimal in Form zeigte sich diesmal auch der Frankfurter Opernchor, insbesondere die flackrigen Venusberg-Frauenstimmen, sogar noch die Festgästeversammlung, deren Koordinierung mit dem Orchester schwerfiel. Erst das geschmetterte Tableau der zurückgekehrten Romwanderer präsentierte die gewohnten Meriten der Einstudierung von Alessandro Zuppardo. Die zu dieser Premiere zahlreich wie nie ins Opernmekka Frankfurt angereisten Musikfachleute erlebten, dass auch hier mit Wasser gekocht wird. Nicht immer, aber manchmal.

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Dokument erstellt am 29.01.2007 um 16:32:01 Uhr
Letzte Änderung am 29.01.2007 um 16:54:37 Uhr
Erscheinungsdatum 30.01.2007

 

WIESBADENER KURIER
30.01.2007

Superstar im Sängerkrieg gesucht
"Tannhäuser"-Premiere in Frankfurt / Gerhaher als Wolfram gefeiert

Von Axel Zibulski


Nicht nur fromme Pilger zeigt die "Tannhäuser"-Inszenierung von Vera Nemirova.
Rittershaus

FRANKFURT Schon die jugendlichen Pilger, die während der Ouvertüre womöglich auf dem Weg zu einem Weltjugendtag Station auf der Frankfurter Opernbühne machen, halten es mit der Religion so lustvoll wie mit dem Eros. Erst flattern dem aufgestellten Kreuz fanatisch Hände mit der Intensität eurythmischer Bewegungsabläufe entgegen, dann lässt man die Kleider fliegen und wendet sich einander so heftig und deftig zu, dass nur die fleischfarbene Unterwäsche einen frühen Premieren-Eklat verhindert - und das, obwohl in Frankfurt die doch eigentlich sittsamere, 1845 uraufgeführte Dresdner Fassung von Richard Wagners "Tannhäuser" gegeben wird.

Eine Straßenlaterne und eine am Ende brüchig werdende Leinwand mit einem blau-weißen Himmel bilden über drei Akte die optische Klammer dieser Neuinszenierung von Vera Nemirova, und schon die Pilgerszene während der Ouvertüre verankert die Szene in der Gegenwart. Da ist auch der Sängerkrieg des zweiten Aufzugs eine pompös medial mit Kameras und Jury inszenierte Angelegenheit, die vielleicht daran erinnern soll, wie Deutschland heute seine Super-Stars sucht (Ausstattung: Johannes Leiacker). Die Sänger selbst sind so etwas wie eine Revival-Band im Stil der Comedian Harmonists, die mit Tannhäuser ihren Frontman wieder gefunden haben.

Man mag das alles mehr oder weniger spektakulär finden; kohärent inszeniert ist hier fast gar nichts. Da singt Elisabeth ihre "Hallen"-Arie in den hell erleuchteten Publikumsraum, ohne dass dieser Effekt in irgendeiner Weise weitergeführt wird. Und auch warum Wolfram von Eschenbach zu seinem "Abendstern"-Lied in sanfter Umarmung Elisabeth erwürgt hat, mag sich glaubhaft nicht im Ansatz erschließen. Auf der Bühne eine Klasse für sich bleibt in der Premiere freilich, wie Christian Gerhaher die Wolfram-Partie gestaltet, nämlich mit allen Qualitäten eines versierten Liedsängers, sonor, klangschön; auch ist er der einzige, der jedes Wort deutlich verstehen lässt.

Etwas handfeste Liebe hier, Kunst-Kommerz-Kritik dort. Gags ersetzen kein Konzept, und leider fällt auch die musikalische Seite dieses Frankfurter "Tannhäusers" überwiegend unerfreulich aus. Ian Storey debütiert in der Titelpartie mit schlecht fokussiertem, nahezu unverständlichem Tenor; Elena Zhidkova ist eine outrierte Venus, Danielle Halbwachs immerhin singt als Elisabeth ihr Gebet mit ansonsten seltener Inwendigkeit. Auch Paolo Carignani kann am Pult des Museumsorchesters kein rechtes Konzept erkennen lassen; die Tempi sind unorganisch, willkürlich und tendenziell zu zäh. Selbst der Frankfurter Opernchor wirkt erstaunlich heterogen, so dass einzelne "Buh"-Rufe für ihn am Ende nicht ausbleiben. Emotional so stark wie gemischt reagiert man auf die Regie, gefeiert wird Christian Gerhaher für seinen Wolfram von einsamer Exzellenz.

 

OFFENBACH POST
30. Januar 2007

Wagners ewiger Rebell darf noch nicht sterben
"Tannhäuser" mutiert an Frankfurts Oper zum Rockstar

Ob nun göttliche Venus, gottvolle Elisabeth oder brave Chordame. Der Mann hat einen Schlag bei Frauen: Richard Wagners ewiger Rebell "Tannhäuser" ist nach etwa 30-jähriger Abwesenheit auf der Frankfurter Opernbühne zurück. Gnadenlos, aber immer spannend ins Hier und Heute versetzt hat den zum rockigen Superstar avancierten die junge bulgarische Regisseurin Vera Nemirova. Ihre vielen starken Bilder, mangelnde Textverständlichkeit vergessen machend, Wagners energetische Musik, von Paolo Carignani druckvoll dramatisiert, und die vielen Rollendebüts gaben der großen romantischen Oper eine Frische, die vier Stunden zur Kurzweil werden ließen. Die wenigen Buhrufer vermissten wohl eine gewisse Weihe. Doch so erhaben ist nun mal ein Künstlerleben nicht, ob nun Minnesänger, Komponist oder Rockstar.

In "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" bedient sich Wagner zweier Sagenkreise. Dem des jungen Titelhelden im Bann von Venus sowie der Historie um die heilige Elisabeth. Dabei wird der Konflikt zwischen irdisch-sinnlicher und himmlisch-spiritueller Liebe personifiziert. In Frankfurt hat man sich für die Dresdner Urfassung entschieden, auch wegen ihrer emotionalen Unmittelbarkeit.

Schon zur Ouvertüre, von Carignani und dem vor allem in den Bläser-Sektionen ideal disponierten Museumsorchester mit großer Gelassenheit angegangen, um die klangzüngelnde Venus-Sphäre umso intensiver erglühen zu lassen, ergießt sich eine Pilgerschar auf die schräg ansteigende Bühne mit ihrem unruhigen Wolkenprospekt im Hintergrund, eine Peitschenlaterne gibt bläuliches Licht ab (Ausstattung und Kostüme: Johannes Leiacker). Mit ihren Rucksäcken könnten sie dem Kölner Katholikentag entstammen. In strenger Choreografie huldigen sie dem Kreuz - und leben auch ungeniert ihre Sinnlichkeit aus.

Mitten im Menschenknäuel wirken die jedem Tingeltangel zur Ehre gereichende Venus - Elena Zhidkovas Sopran hat mehr Schärfe als sinnliches Flair, gleichwohl gibt sie nicht das Flittchen, sondern eine ernsthaft liebende Frau - und der sich von ihr nach dezent verhülltem Liebesakt verabschiedende Tannhäuser keineswegs als Fremdkörper: "Stets soll dir mein Lied erklingen". Doch er entzieht sich ihrem Zauber, trifft seine alten Kumpel, zu einer Art Comedian Harmonists mutiert, und zieht mit ihnen zur heiligen Elisabeth. Um diese grundehrliche, treue, gläubige, aber durchaus auch der sinnlichen Liebe zugetane Frau zu charakterisieren, spielt die Regisseurin sogar mit den Gegebenheiten. Als Elisabeth grüßt Danielle Halbwachs, deren warmer, vor allem in Schmerzensgesten intensiver Sopran spontan einnimmt, die "teure Halle" hautnah am Publikum.

Und dann dreht die Inszenierung mächtig auf. Zum Einzugschor echter Choristen erscheint auf dem Prospekt der ironische Hinweis auf ein Brauhaus, eine Kamera lichtet die wie Blues Brothers anmutenden Helden auf Schritt und Tritt ab. Pin-up-Girls im Zylinder führen bei der Show Regie, die in einen Skandal mündet. Denn Tannhäuser, dem Herzschmerz nicht genügt, um das Wesen der Liebe zu ergründen, greift wie im Traum in den Gesang seiner Kollegen ein und preist die Venus als wahre Göttin der Liebe. Nur tätige Reue und die Pilger, einen Kordon um den aufgebrachten Chor-Mob bildend, verhindern, dass der nach wie vor Unangepasste gelyncht wird. Zerknirscht schließt er sich den Bußfertigen nach Rom an.

Einprägsame Bilder auch im Schlussakt. Wie menschliches Gewürm wirken die ausgemergelten Pilger, von Elisabeth mit Wasser versorgt. Ein feste dramaturgische Bank ist wieder einmal der Frankfurter Opernchor, Engelsstimmen wie gleichermaßen girrende Sirenen (Einstudierung: Alessandro Zuppardo). Suggestiv singen die Männer "Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden". Freilich nicht Tannhäuser, dem der Papst die Erlösung versagt.

In seiner anrührenden Rom-Erzählung bezeugt Debütant Ian Storey aus Neuseeland das lyrische Potenzial seines Tenors, der zuvor ein wenig unentschlossen wirkte. Nur der Opfertod Elisabeths, die sich der Jungfrau Maria anvertraut, kann Tannhäuser retten. Sie stirbt in den Armen jenes Wolfram, der sie uneigennützig geliebt hat. Mit samtigem, ausdrucksstarkem Bariton und glaubwürdiger Darstellung avanciert Christian Gerhaher zum wahren Helden des modernen Künstlerdramas. Sein Lied an den Abendstern weiß zu ergreifen. In der Norm seine Mitstreiter, die klangfesten Tenöre von Peter Marsh (Walther von der Vogelweide) und Michael McCown (Heinrich der Schreiber), die zornig aufbegehrenden Bassisten Gregory Frank (Biterolf) und Jacques Does (Reinmar von Zweter). Als "Bandleader" gibt Bassist Magnus Baldvinsson einen souveränen Landgraf.

Doch Tannhäuser, der maßlose Rebell, der alles will und alles verliert, darf nicht sterben. Anhand des Knaben (Silvin Bumiller von den Aurelius Sängerknaben Calw), dessen klarer, feiner Maiengesang schon zuvor aufhorchen ließ, geht er einer hellen Zukunft entgegen.

Knappes Fazit: Frankfurts "Tannhäuser", erste Wagner-Inszenierung der jungen Bulgarin, kann sich hören und vor allem sehen lassen. Durchaus glaubhaft, dass Vera Nemirova auch den "Ring" gründlich entrümpeln könnte.

KLAUS ACKERMANN

 

Frankfurter Neue Presse
30.01.2007

Wir alle sind Tannhäuser
Ihre Frankfurter Inszenierung der Wagner-Oper siedelte Regisseurin Vera Nemirova zwischen Woodstock und Kirchentag an.

Von Michael Dellith

„Sex-Chaos in der Oper", titelte ein Boulevardblatt skandalheischend vorab. Doch was das Publikum bei der „Tannhäuser"-Premiere zu sehen bekam, war alles andere als skandalträchtig, eher harmlos, erinnerte vielmehr an rhythmische Sportgymnastik mit Bildern von durchaus ästhetischem Reiz. Schon bevor die Musik anhob, betraten moderne Pilger in Jeans und T-Shirt mit Rucksack und Wasserflasche die Bühne, machten es sich unter einer Straßenlaterne auf ihren Iso-Matten bequem – eine Atmosphäre wie beim Kirchentag oder beim Papst-Besuch. Zu den Klängen der Ouvertüre falteten sie die Hände und streckten sie flehentlich zu einem hereingetragenen Holzkreuz. Doch dann wechselt die Stimmung. Die Venusberg-Musik wirkt wie eine Befreiung. Die Pilger reißen sich bis zur hautfarbenen Unterhose die Kleider vom Leib, baden in einem dampfenden See und üben sich in den Verrenkungen freier Liebe – ein Gelage wie in Woodstock, allerdings so erotisch wie einst Oswalt Kolles Aufklärungsfilm „Helga".

Die junge, aus Bulgarien stammende Regisseurin Vera Nemirova, eine Berghaus- und Konwitschny-Schülerin, und ihr Bühnenbildner Johannes Leiacker haben Wagners „Tannhäuser" (übrigens in der stilistisch einheitlicheren „Dresdner Fassung") vom Mittelalter-Pathos entkleidet, dabei aber auch radikal entsinnlicht. Von der Wolllust im Venusberg keine Spur. Stattdessen Ironie und eine Kritik an der Vermarktung von Wagners Musik zur Radeberger-TV-Werbung im zweiten Akt beim von Fernsehkameras zum Medienereignis aufgeblähten Festtagsaufzug: Die Sängerkonkurrenten (eine spaßige Truppe à la Comedian Harmonists) ölen sich zuvor mit einem Bierchen die Stimme, und auf der Leinwand erscheint „Mit freundlicher Unterstützung von Rödelheimer Pilsener" – ein allzu schaler Faschingsscherz!

Nemirova will in ihrer Regie die Rolle der Kunst thematisieren, vor allem die des Künstlers Tannhäuser, der kein Minnesänger, eher eine Art Bob Dylan ist, innerlich zerrissen, ein Einzelgänger, schwankend nicht nur zwischen zwei Frauen, Venus und Elisabeth, Triebhaftigkeit und reiner Liebe, sondern auch zwischen der Geborgenheit der moralisch wie künstlerisch einengenden Gesellschaft der Sängerfreunde auf der einen und einer freien, individuellen Kunstreligion auf der anderen Seite, stets strebend nach spiritueller Erlösung. Tannhäuser, das sind wir alle, ist Nemirovas entscheidender Ansatz. Dazu verwendet sie Laterne, Licht-Pforte, Kreuz und Lederjacke (Tannhäusers Rocker-Outfit) symbolhaft – Zutaten zu einem Konzept, das freilich nicht mit letzter Konsequenz aufgeht und, womöglich ganz bewusst, einige offene Fragen hinterlässt.

Zwiespältig blieb auch der musikalische Eindruck. Paolo Carignani und das Museumsorchester fanden nach einem Beginn, den man sich durchaus noch glutvoller hätte vorstellen können, zu einer intensiven Klangsprache, wobei die Inszenierung insgesamt gerade im dritten Akt an Eindringlichkeit gewann. Wunderbar intim gestalteten hier die Holzbläser. Bei den Sängern sorgte Ian Storey in der Titelpartie für eine Enttäuschung, zu sehr flackerte sein Tenor. Elena Zhidkova als Venus forcierte stark, eine Liebesgöttin wünscht man sich souveräner. Herausragend und mit Recht umjubelt dagegen Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach, ein Tenor, der mit allen Fasern Liedinterpret ist, ein hochkultivierter dazu. Respektabel debütierte Danielle Halbwachs als Elisabeth (auch wenn ihre „Hallen-Arie" noch vibrierender vor Erregung hätte sein dürfen), grundsolide bereicherten Magnus Baldvinsson als Landgraf Hermann und weitere Ensemblemitglieder das Team. Grund zu Freude gaben auch der von Alessandro Zuppardo akribisch auf seine mannigfaltigen Aufgaben vorbereitete Chor und der lupenrein singende Aurelius-Sängerknabe in der Partie des Hirten. Am Ende kräftiger Beifall, aber auch heftige Buhs für die Regie.

 

Darmstaedter Echo
30.1.2007

Tannhäuser ist in uns
Musiktheater: Vera Nemirova inszeniert Richard Wagners Oper in Frankfurt als Sinnbild für Geist, Eros und Religion

Von Heinz Zietsch

FRANKFURT. Was die Ouvertüre zu Wagners Oper „Tannhäuser" entfaltet, das ist eine Utopie, die im weiteren Verlauf des Stückes nicht eingelöst wird: die Vereinigung von geistiger und sinnlicher Liebe. Denn Wagner führt am Ende dieser instrumentalen Einleitung beide Sphären musikalisch zusammen in Form des Pilgerchors und der bacchanalischen Venusbergmusik. Die Regisseurin Vera Nemirova hat das in ihrer Sicht auf „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" in der Oper Frankfurt inszeniert. Junge Pilgerscharen richten zu den Klängen des Pilgerchores ein Kreuz auf. Kaum setzt die Venusbergmusik ein, reißen sich die Jugendlichen die Kleider vom Leib, berühren sich in sinnlicher Leidenschaft und wälzen sich auf dem Boden. Doch plötzlich kommt der Choral der Pilger hinzu. Dabei klingen beide Motive gleichberechtigt und harmonisch miteinander.

Was machen die jugendlichen Pilger jetzt? Sie legen das Kreuz sanft auf den Boden, ihre Leiber umschmiegen es, als wollten sie es vor Zudringlichkeiten schützen. Erotik und Religion bringt die Regisseurin hier zusammen; denn aus religiöser Ekstase wird leicht eine sinnliche. Religion braucht körperliche Nähe und profitiert von ihr. Religiöse Massenveranstaltungen von heute legen derlei nahe. Paolo Carignani am Dirigentenpult holt diese Sinnlichkeit heraus. Sorgfältig achtet er auf die Balance der Klangfarben, geradezu kammermusikalisch lotet er sie aus. Es herrscht keine dicke Luft bei Wagner, sondern sinnliche Lust am Klang, mehr noch am Gesang, denn Carignani breitet einen sehr italienischen Wagner aus, so dass selbst das Orchester in Belcanto-Tönen schwelgt.

In eine stilisierte Gegenwart haben die Regisseurin Vera Nemirova und ihr Bühnen- und Kostümbildner Johannes Leiacker den „Tannhäuser" verlegt. Die Titelfigur könnte ein Rockpoet unserer Tage sein, wie er da mit seiner lädierten Gitarre umherläuft. Und seine Sänger-Kumpane bilden mit ihm eine jener Vokalformationen, die derzeit immer beliebter werden. Sie legen eine regelrechte Show auf, wenn sie in Anwesenheit des Fernsehens wettstreitmäßig singen. Die Regisseurin hat hier, getreu dem Titel der Oper, einen veritablen „Sängerkrieg" inszeniert. Es kommt zu Handgreiflichkeiten unter den Sängern, und Tannhäuser wäre beinahe von der Wartburg-Gesellschaft auf der Tribüne gelyncht worden.

Der Venusberg ist kein muffiges Bordell, sondern nur die Kehrseite der geistig-geistlichen Liebe: die sinnliche Liebe, die Tannhäuser durch Venus erfahren hat. Wie Visionen ziehen am Ende die Venusberg-Erfahrungen an Tannhäuser vorüber. Tannhäuser macht sich erneut auf den Weg, nachdem sich Elisabeth für ihn geopfert hat und stirbt. Ein junger Hirte (wunderbar: Silvin Bumiller von den Aurelius-Sängerknaben aus Calw) weist ihm den Weg ins blendende Licht einer ungewissen Nirwana-Zukunft.

Mit solchen einfachen wie einsichtigen szenischen Mitteln versucht die Regisseurin, Wagners Oper beizukommen. Am Ende der mit zwei Pausen rund vier Stunden dauernden Premiere muss Nemirova am Sonntag Buhrufe in Kauf nehmen, die aber rasch durch den kräftigen Beifall übertönt werden. Ein großes Wagnis hat die Frankfurter Oper unternommen, fast alle Sänger mit einem Rollendebüt zu betrauen. Ian Storey fehlen allerdings die Kräfte, den Raum mit seinem Tenor zu füllen. Danielle Halbwachs kommt der Gesangspartie der Elisabeth ebensowenig bei, zu ungenau ist ihre Tongebung und zu farblos. Während Elena Zhidkova als Venus zwar genug Potenzial in ihrer Stimme hat, diese aber noch etwas zu angestrengt wirkt. Einzig Christian Gerhaher wird als Wolfram seiner Partie gerecht, dabei kommen ihm auch seine Erfahrungen als Liedersänger zugute, wie er jeder Ausdrucksnuance nachspürt und seinen schönen wie kraftvollen Bariton glänzen lässt und durchweg gut verstehbar seine Töne aussingt. Ein Sänger, dessen Format dem eines Dietrich Fischer-Dieskau in nichts nachsteht, zumal Gerhaher weitaus musikbetonter artikuliert. Großartig auch die Leistungen des von Alessandro Zuppardo einstudierten Chores.

Tannhäuser ist in der faszinierenden Inszenierung von Vera Nemirova, die zum Kern der Wagner-Oper vorstößt, ein ewig Suchender. Sind wir heute nicht ebenso wie er auf der Suche nach dem Sinn dieser Welt und was sie zusammenhält? Tannhäuser steckt wohl in jedem von uns.

Weitere Aufführungen am 1., 4., 8., 17., 22. und 25. Februar sowie am 3. März, am 15., 20., 24. und 28 Juni sowie am 1. Juli. Kartentelefon 069 1340400. Am 14. Februar spricht Peter Steinacker, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, um 19.30 Uhr im Chagallsaal der Oper Frankfurt über „Die Utopie der Liebe. Über Erotik und Religion in Richard Wagners ‚Tannhäuser‘".

 

DER TAGESSPIEGEL
29. Januar 2007

"Tannhäuser"-Inszenierung: Nemiròva in Frankfurt überschwänglich gefeiert
Richard Wagners Oper "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" in der Regie von Vera Nemiròva ist an der Oper Frankfurt mit großer Begeisterung aufgenommen worden.

Frankfurt/Main - Das Premierenpublikum applaudierte begeistert, als die bulgarische Jung- Regisseurin am Sonntag ihre erste Wagner-Arbeit vorstellte. Nemiròva, eine Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny, gilt als Hoffnungsträgerin in der jungen deutschen Regietheater-Szene. Überschwänglichen Applaus erhielt auch der Bariton Christian Gerhaher in der Rolle des Wolfram von Eschenbach.

Pilgern zum Weltjugendtag

Vera Nemiròva verlegt in ihrer Inszenierung die mittelalterliche Handlung in die Gegenwart. Die Pilger werden bei ihr zu jungen Menschen, die nach Rom zum Papst reisen oder zum Weltjugendtag. Sie tragen Rucksäcke, haben Iso-Matten und Schlafsäcke dabei. Tannhäuser selbst ist ein moderner Sänger, ein Künstler, irgendwo in der Nähe von Bob Dylan angesiedelt. Seine Mitmusiker wirken wie die Comedian Harmonists, sind Mitglieder irgendeiner Combo.

Nemiròva und ihr Bühnenbildner Johannes Leiacker thematisieren mit ihrem Ansatz in der 1845 in Dresden uraufgeführten Oper die Rolle der Kunst. Es gehe im "Tannhäuser" um die Zerrissenheit der Titelfigur. Um Flucht und Einsamkeit. Tannhäuser könne nur "schöpferisch tätig sein, wenn er seine Körperlichkeit, seinen Eros zurückzuhalten imstande ist", sagte Nemiròva.

"Marktwert ist entscheidender als Inhalt"

Durch die Verlegung der Handlung in die Gegenwart äußert Nemiròva gleichzeitig Kunstkritik: "Wie inhaltsfern Kunst sich heute überall verkaufen muss, finde ich einfach grenzwertig, Marktwert ist entscheidender als Inhalt", meint sie. So wird in ihrer Inszenierung der Sängerwettstreit zu einem multimedialen Fernsehshow mit Kameras, Gogo-Tänzerinnen und Werbe-Einblendungen.

Die gebürtige Bulgarin Nemiròva lebt seit 1982 in Deutschland und arbeitet seit 1998 als freie Regisseurin. Zu ihren letzten Arbeiten zählen "Otello" an der Semperoper in Dresden, "Le nozze di Figaro" an der Lettischen Nationaloper in Riga sowie "Die Dreigroschenoper" in Luzern.

(tso/dpa)

 

Neue Zuercher Zeitung
30. Januar 2007

Der Künstler, die Frauen und die Gesellschaft
Richard Wagners "Tannhäuser" zweimal - in Hannover und Frankfurt am Main

Seit Beginn dieser Spielzeit steht die Niedersächsische Staatsoper Hannover unter der Leitung von Michael Klügl. Der Österreicher, zuvor Intendant in Linz, ist Nachfolger des nach Stuttgart berufenen Albrecht Puhlmann, der das Haus aus langem Dornröschenschlaf geweckt und mit provokativen Inszenierungen - etwa des Katalanen Calixto Bieito - für Aufruhr gesorgt hatte. Klügl scheint das Erbe Puhlmanns publikumsfreundlich zu verwalten: Bei einem ambitionierten, aber durchmischten Spielplan konnte er bis Ende 2006 die Auslastung von unter 70 Prozent im Vorjahr auf über 80 Prozent steigern und schwarze Zahlen schreiben. Nun bleibt abzuwarten, wie sein Publikum die Neuinszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser" - dem zweiten Schwergewicht nach Verdis "Otello" zu Saisonbeginn - aufnehmen wird. Bei der Premiere hielten sich Bravo- und Buhrufe ungefähr die Waage. Doch um eine künstlerische Debatte auszulösen, dürfte das Konzept von Philipp Himmelmann nicht genügend Substanz aufweisen.

Wettstreit im Stadion

Was ist denn eigentlich provokativ daran? Dass alle drei Akte vor Zuschauertribünen mit Schalensitzen wie in einem Sportstadion spielen (Bühne Elisabeth Pedross)? Dass Tannhäuser zum Beweis seines Künstlertums mehrere entblösste Frauenkörper mit einem Filzstift "beschriftet", bevor er dem Venusberg entflieht? Dass der Landgraf und sein Gefolge nicht als Jagdgesellschaft, sondern als Golfer-Gruppe auftreten? Dass vor dem Sängerwettstreit ein Mädchen ausgepeitscht wird, weil es "Lust empfunden" hat? Dass die Ritter sich für den Wettstreit als Minnesänger verkleiden (Kostüme Petra Bongard)? Dass sich Elisabeth am Schluss in den Mantel einer Madonnenstatue hüllt und deren Strahlenkranz aufs Haupt setzt? Dies alles eröffnet keine tieferen oder gar neuen Einblicke in das Werk, Himmelmann überträgt den Konflikt zwischen Künstler und Gesellschaft einfach in eine heutige Bildsprache.

Eine Besonderheit könnte in der Charakterisierung der Titelfigur bestehen: wie dieser langhaarige, vergammelte Rebell in dem offenen Spielraum unbehaust bleibt, stets im Aufbruch begriffen ist. Doch dazu müsste Robert Künzli mehr einbringen als seinen solid fundierten, kraftstrotzenden und über weite Strecken auch klangschönen, doch intonatorisch unstabilen Tenor. Das ist die eigentliche Schwachstelle der Inszenierung. Die Personenregie kommt bei Himmelmann entschieden zu kurz. Nur gerade Brigitte Hahns auch stimmlich eindrücklich gestaltete Elisabeth zeigt darstellerisch differenziertere Züge. Khatuna Mikaberidze pflegt als Venus ein Dauerforte, das ihren Mezzosopran scharf klingen lässt. Der Chor profiliert sich vor allem im Schlussbild. Da erhebt sich eine Schar Nonnen von den Tribünensitzen und schwenkt angesichts des frisch erblühten Stabes frenetisch die Arme - wie bei einem Sportereignis.

Bei Wolfgang Bozic, dem neuen Generalmusikdirektor der Staatsoper Hannover, ist Wagners romantische Oper (in der Dresdener Fassung) in erfahrenen Händen. Er versteht sich auf grosse Entwicklungslinien wie auf dramatische Kontraste und führt das nicht immer sattelfeste Orchester mit sicherer Hand über die rhythmischen und intonatorischen Klippen der Partitur.

Heutige Pilger

Auch in Frankfurt steht bei der "Tannhäuser"- Neuinszenierung der Generalmusikdirektor am Pult, Paolo Carignani, und auch er pflegt einen schlanken, unpathetischen Ton, wobei das Museumsorchester klangliche Nuancen weit besser zu realisieren vermag und die motivischen Strukturen klarer nachzeichnet als das Niedersächsische Staatsorchester in Hannover. Defizite bestehen hier im musikalischen Teil vor allem bei der Sängerbesetzung. Der Sopran von Danielle Halbwachs (Elisabeth) klingt flackrig und wird zu wenig gestützt, Elena Zhidkova ist eine elegante, doch im Timbre kühle Venus, und Ian Storey (Tannhäuser) verfügt zwar über mehr (auch zarte) Zwischentöne und grössere Stabilität als sein Kollege in Hannover, doch wird sein Tenor durch ein starkes Vibrato beeinträchtigt. Die herausragende Erscheinung im Frankfurter Solistenensemble ist Christian Gerhaher, der dem Wolfram mit der Gestaltungskraft des Liedersängers vokale Kontur verleiht.

Der Chor ist in Frankfurt nicht nur weit grösser als in Hannover, er erhält in der Inszenierung von Vera Nemirova zentrale Bedeutung (ohne seiner Funktion allerdings sängerisch immer ganz gewachsen zu sein). Ausgangspunkt für ihre Regie waren die Bilder, die nach dem Tod des letzten Papstes und beim Kölner Weltjugendtag durch die Medien gegangen sind: Massen von Menschen mit Rucksäcken und Decken, die sich in buntem Gemisch zusammenfanden: So sehen heutige Pilger aus. Aus diesen Bildern hat Nemirova zur Ouverture ein szenisches Vorspiel entwickelt, das auf verblüffende Art dem musikalischen Geschehen entspricht. Wie sich in der Ouverture Pilger- und Venusberg-Motive verschränken, so wird auf Johannes Leiackers Bühne aus dem innigen Gebet der um das Kreuz versammelten Gläubigen eine kollektive Umarmung. Nahtlos geht dieses Vorspiel in den ersten Akt über, wobei die bewegte Massenszene und die Auseinandersetzung zwischen Tannhäuser und Venus auf der leer gewordenen Bühne wirkungsvoll kontrastieren.

Auch die folgenden Szenen und Akte hat die junge bulgarische Regisseurin in heutige Bilder umgesetzt, stets gruppiert um jenen hässlichen Kandelaber, der die optische Konstante dieser Aufführung bildet. Die Natur, zu der sich Tannhäuser zurücksehnt, verkörpert ein Kind (ein Sängerknabe, der den Hirten mit phänomenalem Knabensopran singt), das mit Kreide Felder auf den Boden zeichnet und darauf "Himmel und Hölle" spielt. Die Jagdgesellschaft des Landgrafen (Magnus Baldvinsson) betritt den Schauplatz wegen einer Autopanne und erweist sich als Sängergruppe im Stil der Comedian Harmonists, die in Tannhäuser ihren abtrünnig gewordenen Inspirator wiederfindet - für die Rückkehr wird er mit einem Rüschenhemd eingekleidet und mit einem Ständchen beehrt.

Professionell ist danach der Sängerwettstreit organisiert: mit geschmückter Zuschauertribüne, Blumen, Kamerateam, Leinwand (auch die Bierwerbung fehlt nicht). Doch das Illustrative wird bei Nemirova nie dominant, dazu ist ihre Personenregie zu stark. So auch, wenn sie beim Sängerwettstreit nicht nur Elisabeth, sondern sämtliche Frauen Partei ergreifen lässt für Tannhäuser, der die körperliche Liebe besingt. Doch nachdem er die Provokation zu weit getrieben und den Aufenthalt im Venusberg bekannt hat, wendet sich das Blatt, legen die Männer Elisabeth den Mantel einer Heiligen um und fallen vor ihr auf die Knie. So, als demütige Wohltäterin, spendet sie dann im dritten Akt den erschöpft zurückgekehrten Rom- Pilgern Wasser, bevor sie sterbend niedersinkt, zärtlich umfangen von Wolfram. Bis auf die hektisch vorbeihuschenden Venus-Dienerinnen ist der Schluss bei Nemirova sehr ruhig, dunkel und offen, nur die wolkige Himmelsszenerie und der nochmals erscheinende Knabe lassen die vielschichtige, manchmal auch überdeutliche und plakative, doch stets spannende Aufführung mit einem Hoffnungsschimmer ausklingen. Während sich Himmelmann in Hannover mit einer vordergründigen Aktualisierung begnügt hat, ist Nemirova in Frankfurt eine echte Vergegenwärtigung von Wagners "Tannhäuser" gelungen.

Marianne Zelger-Vogt

 

STUTTGATER NACHRICHTEN
31. Januar 2007

Vera Nemirovas "Tannhäuser"
Frankfurt sucht den Superstar

Frankfurts Opernintendant Bernd Loebe hat einen sechsten Sinn für Sänger. Ihm vor allem verdankte sich 2005 die Auszeichnung seines Hauses als Opernhaus des Jahres, und seinetwegen lohnt sich immer wieder ein Besuch in der einstigen Brutstätte der Regietheater-Avantgarde - auch wenn diese am Main heute nur noch gelegentlich schüchtern hinter freundlichen Kulissen freundlicher Inszenierungen hervorlugt.

VON SUSANNE BENDA

Lauter gute Sänger beim "Tannhäuser"? Das wäre wirklich was gewesen. Doch sängerisch war die Aufführung in Frankfurt enttäuschend. Ian Storey sang die Titelpartie mit kaum verständlicher Aussprache (ausnahmsweise hatte man in Frankfurt einmal nicht das Deutsche deutsch übertitelt - schade!). Vor Storeys weitem Tremolo und vor seiner gefährdeten Intonation graute nur derjenigen nicht, die es ihm in allen Belangen gleich tat: Elena Zhidkova als Venus.

An diesen beiden Sängern gemessen, wirkten sogar die oft mehr gestemmten als gestützten Töne Magnus Baldvinssons als Landgraf ziemlich solide, und Danielle Halbwachs lief als Elisabeth mit stimmlicher Kraft, Fülle und Eleganz ihrer weiblichen Konkurrentin im Venusberg und all den Frauen des Frankfurter Opernchors, unter denen viele reichlich Tremolierende dringend ausgemustert gehörten, spielend den Rang ab.

Ein Sänger freilich stellte alle in den Schatten: Wolfram von Eschenbach, Bariton und als solcher traditionell nur der zweite Mann am Platze, ließ den Heldentenor Tannhäuser hier schon deshalb alt und blass aussehen, weil er ein Mann des Wortes ist. Christian Gerhaher, als Liedsänger auch in Stuttgart kein Unbekannter mehr, formt jede Phrase, bis sie im letzten Winkel des Saals deutlich zu verstehen ist, und jedes musikalisch-sprachliche Detail tastet er auf sein Ausdruckspotenzial hin ab.

Ausnahmslos steht bei Gerhaher am Anfang immer das Wort, die textnahe Deklamation. Sein Rollendebüt als Wolfram sorgte für eine feine, stille Sensation, der Paolo Carignani am Pult des Frankfurter Museumsorchesters mit oft fast kammermusikalischer Zurückhaltung und sämig-samtenem Streicherklang zuarbeitete.

Das Bild, das Vera Nemirovas Inszenierung und Johannes Leiackers atmosphärisch schöne, aber oft beengende Bühne boten, war hingegen so zerrissen wie die Seele des Heinrich Tannhäuser.

Dabei war es zunächst lobenswert, dass es die Regisseurin hier wagte, das lange Orchestervorspiel zu illustrieren, indem sie eine Masse sehr heutiger Pilger auftreten ließ. Doch als anschließend auch die Venusberg-Musik nach Bildern verlangte, fiel Nemirova nur ein, was seit jeher bei "Tannhäuser"-Inszenierungen zum Peinlichsten zählt: Lauter Beinahe-Nackedeis wälzen sich um- und aufeinander, was weder lustvoll noch erotisch wirkt. Dazu passt eine Venus, die hier ganz bürgerlich im Jeans-Minirock daherkommt. Visuelle Entschädigung bietet am Ende des ersten Aktes immerhin die Begegnung mit den Minnesängern als fetziger A-cappella-Boygroup.

Im zweiten Akt verschandelt (wieder einmal) ein Kamerateam mit Videoprojektionen die an sich zwingende Idee eines "Wartburg sucht den Superstar"-Verschnitts. Ungetrübt bleibt nur ein starker Gedanke im letzten Aufzug: Zu seinem Lied an den Abendstern umarmt Wolfram Elisabeth - man ahnt, wer wirklich mit dem besungenen "lieblichsten der Sterne" gemeint ist und dass das vom Sänger postulierte Ideal einer reinen Liebe zu seinem Begehren nicht passen kann. Indem Wolfram den "sel"gen Engel" besingt, zu dem Elisabeth einmal werden soll, bringt er die Geliebte um - nur aus der Ferne kann er sie weiter lieben.

Der Zauber dieses Bildes wirkt lange nach. Die meisten anderen Ideen dieser Inszenierung wollen sich jedoch zur großen Linie nicht fügen. Auch Vera Nemirova bleibt der Welt noch einen "Tannhäuser" schuldig.

 

DER TAGESSPIEGEL
03.02.2007

Heiliger Klimbim
Zwei junge Regisseure inszenieren Wagners „Tannhäuser" – in Frankfurt und in Hannover

Von Sybill Mahlke

Die Pilger sind unter uns. Das beobachten zwei junge Regisseure in der Wagner-Oper „Tannhäuser": Vera Nemirova in Frankfurt (Main) und Philipp Himmelmann in Hannover. „Der Sünden Last" muss nun nicht mehr so schwer drücken wie im Mittelalter, als Tannhäuser auf ungeklärte Weise aus der Wartburggesellschaft in den Venusberg geriet. Beide Inszenierungen gehen vielmehr von der näher liegenden Erfahrung aus, dass moderne Wallfahrt ein touristisches Kollektiverlebnis ist: Rucksäcke überall.

In Frankfurt wird schon vor und während der Ouvertüre gepilgert, und wenn die Venusmusik erklingt, denken alle an Sex und tun so als ob, und das Ganze erscheint wie ein aus den Fugen geratener Jakobsweg. Unwillig verabschiedet sich Tannhäuser von einer lolita-artigen Venus (mit expressivem Mezzo: Elena Zhidkova). Die Sänger-Kollegen demonstrieren, dass man Musical-Terrain betritt. Putzfrauen und Blumenkübel gehören zum Open Air (Bühne Johannes Leiacker), Kamera läuft, Staatsakt. Die inhaltliche Stringenz des Sängerkrieges aber, Tannhäusers dämonischer Zwang, das Preislied auf die Liebesgöttin zu singen, teilt sich kaum mit. Rührend dagegen ein Konwitschny-Zitat aus dessen Dresdner „Tannhäuser": Beim Lied an den Abendstern stirbt Elisabeth in Wolframs Armen.

Knapperen Applaus nach einer Wagner-Oper als diesen in Frankfurt hat es wohl nie gegeben: Die Leute streben nach Hause, weil der Streit um Nemirovas Regie nicht lohnt. Denn die großen Partien der Elisabeth (Danielle Halbwachs), des Landgrafen (Magnus Baldvinsson) und des Titelhelden (Ian Storey) sind unzulänglich besetzt, die Interpretation des Dirigenten Paolo Carignani bleibt eigenschaftslos. Man stelle sich vor, dass in einem „Tannhäuser"-Ensemble der Wolfram (Christian Gerhaher) und der junge Hirt (Silvin Bumiller, ein wahrhaft göttlich singender Solist von den Aureliusknaben) den intensivsten Beifall ernten. Mit vollem Recht.

Vitaler geht es in Hannover zu. Diesem Tannhäuser schiebt sich alles ineinander: Ferne und Nähe, Venusberg und Wartburg, der junge Hirt mit dem blutenden Lämmchen, Thüringens Fürst, der Papst aus Rom mit seinem ergrünten Priesterstab, die Ritter, die Pilger. Ein unheimliches Bild, das sich Regisseur Philipp Himmelmann als Fazit erdacht hat: denn es zeigt zunächst die totale körperliche Identifizierung der heiligen Elisabeth mit der Jungfrau Maria. So, wie Tannhäuser im ersten Aufzug unbewusst Elisabeths gedenken dürfte, wenn er ruft: „Mein Heil ruht in Maria" – so verwandelt sich die sterbende Geliebte in die Gottesmutter.

Man erschrickt, wenn sie sich in gläubiger Kühnheit in das blaue Gewand der Marienstatue hüllt, sich den Heiligenschein des Muttergottesbildes aufsetzt. Die Betende ist sich keiner Blasphemie bewusst, ein Lächeln spielt um ihren Mund. So hört sie – wie eine Statue! – Tannhäusers Romerzählung, bevor der Regisseur ihr eine Himmelfahrt und zum Schluss eine Rückkehr ins schrille Final-Tableau gestattet. Unter das Personal mischt sich eine Gruppe verfremdeter weißer Ordensfrauen, die sich Erlösung und Halleluja nur noch als Gaudi und la Ola vorstellen können. Die Bühne (Elisabeth Pedross) – eine Arena, in der Sünde und hohe Liebe wechseln, Kostüme (Petra Bongard) mittelalterlich als Verkleidung – für den Sängerkrieg – bis zur Jetztzeit. Elisabeth betritt die „teure Halle" im Trenchcoat, bevor sie zum Burgfräulein mutiert.

Dieses Wunschbild Tannhäusers ist unabhängig vom Kostüm. Dennoch bedeutet das Ritterkostüm Theater im Theater. Die Katastrophe, Tannhäusers Venuslob auf der Wartburg, bedingt, dass die Vorstellung des Kostümfestes aus ist. Anekdotisches wie das Auspeitschen einer vermeintlichen Sünderin wirkt störend. Dagegen steht beobachtungsreiche Personenregie: Tannhäusers eitles Verhalten als Popstar von gestern unter den Sängern; Demütigungen Elisabeths durch ihren Onkel als unverblümte Bedrohung.

Hannovers neuer GMD Wolfgang Bozic kommt aus Graz und hat die Schule Bruno Madernas genossen. Zurückhaltend beginnt er die Ouvertüre, beinahe asketisch aus dem Geist der Neuen Musik, um sein Heil in Geheimnissen der Dynamik zu finden. Eine zwingende Interpretation, die in der Durchleuchtung des Männerensembles mit der einzigen führenden Frauenstimme „Ich fleh’ für ihn" gipfelt. Diese Elisabeth ist Brigitte Hahn: Mit edlem ausdrucksvollem Sopran dominiert sie ein Ensemble, in dem sich profilieren: Jin-Ho Yoo (Wolfram), Albert Pesendorfer (Landgraf). Robert Künzlis Tannhäuser ist ein Tenor mit scharfem Rohr und fesselnder Bühnenpräsenz. – Mit dem Mut zum Devotionalienkitsch geht Himmelmanns Inszenierung auf Entdeckungen aus, die sich lohnen.

 

DIE WELT
03.02.2007

Oper
Wagner goes Woodstock
Die Regisseurin Vera Nemirova inszeniert Wagners Oper "Tannhäuser" in Frankfurt. Wie bei einem Rockkonzert zum Kirchentag lässt sie junge Statisten bunt über die Bühne laufen. Eine Orgie gibt es - wie originell - auch. Allerdings lassen die Schauspieler dabei ihre Unterwäsche an.

von Uwe Wittstock

Die Regisseurin Vera Nemirova ist eine Schülerin von Peter Konwitschny, dem die Opernwelt schon manch fabelhaften Eklat verdankt. Auf den Spuren ihres Lehrers liebäugelt auch sie ein wenig mit dem Skandal. Schon während der Ouvertüre zu "Tannhäuser" (Dresdner Fassung) lässt sie auf der Bühne der Frankfurter Oper junge Statisten in bunten Haufen zu einer Mischung aus Open Air Rockkonzert und Kirchentag antreten. Macht Wagner zu Woodstock: Mal sitzen sie brav betend auf ihren Isomatten, mal schmusen sie paarweise, dann wieder scharen sie sich inbrünstig um ein Kreuz, bevor sie sich die Kleider vom Leib reißen und sich (in Unterwäsche) in eine von Bühnennebel umwogten Orgie stürzen.

Was Vera Nemirova in Wagners Oper entdeckt hat, ist nicht unbedingt neu: Tannhäusers Welt teilt sich manichäisch strikt in leidenschaftliche Hingabe entweder an die körperliche oder an eine komplett vergeistigte, religiöse Liebe. Folglich gibt es in dieser Welt für die Frauen nur zwei Lebensmöglichkeiten: die Hure (Venus) oder die Heilige (Elisabeth). Für die Mittelwerte irgendwo zwischen Gebet und Orgie ist da kein Platz. Schaut man näher hin, zeigt sich allerdings, dass Tannhäuser in beide Welten nicht glücklich ist, weder bei Venus, noch mit der angebeteten Elisabeth und dass er so zu der Sprengsatz wird, der die Tragödie vorantreibt.

Vom halbherzigen Skandalversuch (Orgie in Unterwäsche!) zu Beginn abgesehen, konzentriert sich Vera Nemirovas Inszenierung vor allem auf Elisabeth. Denn die scheint in Nemirovas plausibler und präziser Regie nicht recht zufrieden mit der Rolle der Heiligen, die ihr die (Männer-)Gesellschaft am Hofe ihres Onkels zudiktiert. Vielmehr findet sie während des Sängerstreites schüchternen Gefallen an Tannhäusers Plädoyer für mehr Sinnlichkeit.

Doch genau die will ihr am Hofe keiner zugestehen. Denn eine idealisierte Heilige, die sich nach ein wenig irdischer Liebe sehnt, rührt an die Grundfesten des ritterlichen Weltbildes, weshalb Wolfram von Eschenbach sie im Schlussakt, während er den "holden Abendstern" besingt, in Frankfurt ganz unritterlich erwürgt - und so auf seine Weise dafür sorgt, dass Elisabeth "entschwebt dem Tal der Erden, / ein sel'ger Engel dort zu werden."

Die überzeugende und wunderbar ironische Schlusspointe zu einer Inszenierung, die vor allem im zweiten Akt während des Sängerwettstreites mit vielen amüsanten Regieeinfällen prunkt. Leider ist die Aufführung musikalisch nicht in allen Teilen auf ähnlich hohem Niveau. Vor allem Ian Storey als Tannhäuser hatte offenbar keinen guten Tag erwischt, seine Stimme war dünn und wirkte wie belegt. Auch der Frankfurter Chor, der sonst oft zu glänzen weiß, zeigte insbesondere zu Anfang deutliche Schwächen. Elena Zhidkova dagegen war als Venus sowohl stimmlich wie schauspielerisch ein Genuss. Zu einem Triumph wurde der Abend allerdings nur für Christian Gerhaher, der mit seinem machtvollen, klaren Bariton als Wolfram alle anderen, auch dem von Paolo Carignani souverän geführten Orchester, musikalisch die Schau stahl.

 

das opernnetz
28.1.2007

Tannhäuser dreht auf


Tannhäuser ist ein paradigmatischer Mensch, ein Künstler vielleicht, der auf seiner Suche nach Ekstase im Konflikt zwischen innerlich-religiösem Erlösungswunsch und äußerlich-sinnlichen und sexuellen Wünschen zerrieben wird. Um diesen Konflikt darzustellen – man mag dies aus heutiger Perspektive belächeln – hat Wagner zwei antagonistische Frauengestalten auf die Bühne gestellt. Elisabeth, die Reine und Holde, die sich am Ende für den Helden opfert (ein immer wiederkehrendes Element in Wagners Oeuvre und anscheinend auch fester Bestandteil seiner Phantasie), auf der anderen Seite die verführerische Venus, die den armen Kerl durch ihre weiblichen Lockungen ins Verderben führt – und dabei auch noch auf ihren eigenen Vorteil aus ist. Böse ist das.

Soweit so schlecht. Es kann sicher nicht schaden, wenn sich eine Regisseurin mal Gedanken über dieses Phantasma macht. Dennoch ist es meines Erachtens kaum möglich, den paradigmatisch anhand zweier Frauenfiguren dargestellten Widerspruch zwischen sinnlichen Verlangen und Erlösung außer acht zu lassen oder auch nur abzuschwächen. Ob es uns passt oder nicht, aber darum dreht sich im Tannhäuser alles und der Titelheld scheitert letztlich an der völligen Unvereinbarkeit beider „Welten".

In ihrer ersten Regiearbeit an der Oper Frankfurt hat die Konwitschny- und Berghaus-Schülerin sich bewusst von diesem Konflikt wegbewegt. Für sie sind Venus und Elisabeth gar nicht so polar, sondern Elisabeth ist auch eine Liebende und die Venus nicht nur schlecht. Diese Annahme ist ziemlich banal und trägt meines Erachtens kaum als Konzept für eine Regiearbeit. Zumal beide Frauencharaktere erstaunlich passiv agieren und wenig Profil entwickeln. Venus (Elena Zhidkova) ist eine Art postmodernes Hippie-Mädchen oder Bad Girl, das sich seine eigene treue Peer Group hält – junge Menschen, die aussehen als wären sie beim katholischen Weltjugendtag an den falschen Info-Stand in die Fänge einer Lust-Heiligen geraten - mitsamt ihren Iso-Matten.

Bereits in der ersten Szene, während des Tannhäuser-Vorspiels, dürfen diese befreiten Christen nach inbrünstigem Gebet endlich (Ekstase!) ihre Kleider vom Leib reißen, hopsen, jauchzen und auch ein wenig tatschen. Sobald ein Kreuz in Sicht kommt sind diese jungen Menschen jedoch wieder ganz bei der Sache. Hier lernt der geneigte Betrachter, dass sich religiöse und sinnlich-erotische Ekstase in ihrer Struktur ähneln.

Tannhäuser ist offenbar der momentane Lebensabschnittsgefährte der zickigen Venus. Dennoch will er unbedingt weg – wie wir alle wissen, zieht es ihn zu den Menschen hin, soviel göttliche Nähe erträgt er nicht mehr. Doch als wir dann seiner Kumpane von früher ansichtig werden, den Wolfram, den Walther, Heinrich, Biterolf und Reinmar, fragt man sich dann doch, weshalb er unbedingt dahin zurück wollte. Offenkundig war Tannhäuser vor seinem Ausflug zu den christlichen Hippies als Gitarrist bei einer eher zweitklassigen Combo tätig, jedenfalls wirken die Jungs in ihren schwarzen Jacketts und tief-violett glänzenden Hemden wie ein schlechtes Blues-Brother-Cover aus der Vorstadt.

Im zweiten Akt kommt Elisabeth (Danielle Halbwachs) ins Spiel. War sie einmal die Lead-Sängerin der Combo? Irgendwie gehört sie jedenfalls dazu. Die Sängerhalle ist ein festlich geschmücktes Fernsehstudio. Offenbar naht die Live-Übertragung eines großen Sängerfestes. Der Chor marschiert ein, die Combo nimmt Platz, der erste Vortrag beginnt. Davor hat netterweise der sponsorende Bierkonzern noch eines seiner Erzeugnisse kredenzt. Im Hintergrund die Werbeeinblendung. Schließlich kommt es zwischen Wolfram und Tannhäuser zu Eskalation. Tannhäuser beharrt auf seinen im Venusberg neu erworbenen Erkenntnissen über die Liebe und demonstriert sie zugleich vor laufenden Kameras an der weiterhin passiven Elisabeth. Das ist nun zuviel des Guten, weshalb er sich dann auf den Weg nach Rom macht, um zu büßen – was bei dieser Inszenierung allerdings als völliges Rätsel erscheint, weil ihm niemand abnimmt, dass er sich als Sünder empfindet. Und wo liegt überhaupt die Sünde? Und wo der Konflikt?

Im dritten Akt, der in einem recht leeren Raum abläuft, wird dann nur noch recht lieblos der Rest der Handlung erzählt. Irgendwann ist Elisabeth dann tot. Weshalb, erschließt sich aus der Szene nicht. Irgendwann ist Tannhäuser wieder da und erzählt Wolfram die Ablehnung seines Gesuchs durch den Papst. Auch das wirkt reichlich unsinnig in diesem Kontext. Weshalb sollte dieser Mensch wegen so einer Lapalie (zwei etwas unterschiedliche Frauen die ihn lieben und er kann sich halt schlecht entscheiden, ob er lieber etwas bürgerlicher oder etwas flippiger leben möchte) zum Papst pilgern?

Gesanglich wurde der Inszenierung Ebenbürtiges geboten. Herausragend war einzig Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Ein Sänger der seine Partie gestalten konnte. Alle anderen verfügten zwar durchaus über die Stimme, aber von einer Interpretation des Textes war wenig bis nichts zu spüren. Das mag daran liegen, dass fast alle Sänger ihr Rollendebüt gaben. Ian Storey als Tannhäuser, Elena Zhidkova als Venus, die an sich wunderbare Danielle Halbwachs als Elisabeth, Gregory Frank als Bierolf und Magnus Baldvinsson hinterließen deshalb leider nur einen recht blassen Eindruck – und das bei diesen Partien. Wirklich unangenehm klang der Solist der Aureliuser Sängerknaben als Hirt. Auch wenn das nur eine klitzekleine Partie ist, wäre man gut beraten, hier eine Sängerin aus dem Ensemble in die Pflicht zu nehmen, denn für die Knaben ist das trotz allem ein bis zwei Nummern zu groß. Ich erwähne dies nur deshalb, weil mir bereits bei der letzten Tosca der betreffende Sängerknabe unangenehm aufgefallen ist.

Die Publikumsreaktion auf diese Produktion war dennoch einigermaßen positiv, was an mehreren Dingen liegen mag. Erstens ist das Frankfurter Publikum sowieso recht gutherzig, zweitens sah man hier lange keinen Tannhäuser und drittens sitzen wohl eher wenige Hardcore-Wagnerianer im Publikum, die über einen Erfahrungsschatz von zwanzig verschiedenen Produktionen in fünf verschiedenen Ländern verfügen. Und das ist auch gut so. Dennoch war der Applaus für die Sänger zwar freundlich, aber auch nicht mehr. Nur Gerhaher konnte sich im Jubel sonnen. Carignanis Dirigat war wieder einmal ordentlich, akkurat, aber ohne erkennbare „große Linie". Dies mag wie Erbsenzählerei erscheinen und ist es vielleicht auch, aber wer in Berlin oder auch (nur) in Hamburg Wagner-Dirigate gehört hat, ahnt, was mit Linie gemeint ist.

Fazit: Eine Produktion, die teilweise unterhaltsam, größtenteils jedoch beliebig und belanglos ist und Etliches der Handlung einfach nicht nachvollziehbar macht. Dennoch könnte dieser Tannhäuser etwas für Operneinsteiger sein, die mit Wagner bislang nichts anfangen können und die man mit seinen starken Thesen erst gar nicht einschüchtern möchte. (sr)

Points of Honor
Musik 3/5
Gesang 3/5
Regie 2/5
Bühne 2/5
Publikum 4/5
Chat-Faktor 4/5

 

Der Neue Merker
28.01.2007

Frankfurt/Main Opernhaus
Richar Wagner Tannhäuser

Ähnlich wie ihr Regielehrer Konwitschny bei der Stuttgarter Götterdämmerung und anderen Wagner-Inszenierungen, nimmt es sich jetzt seine ehemalige Assistentin Vera Nemirova heraus, völlig unernst an den Tannhäuser heranzugehen und ihn etwa wie ein Kaleidoskop von Imaginationen zusammenzusetzen sowie auf jegliche dramaturgische Stringenz (die ja schon bei Wagner eher prekär erschien) zu pfeifen. Das wird in der ausverkauften Frankfurter Oper vom Publikum überwiegend positiv aufgenommen, auch wenn sich die Regisseurin wohl wegen negativen Zurufes nur einmal vor dem Vorhang zeigt. Für die 1.Venusberg-Szene (Dresdner Fassung) lässt sie sich von der christlichen Jugendbewegung, wie sie sich bei den Reisen der letzten Päpste manifestierte, inspirieren. Die auch an bunte Freizügigkeit erinnernden Hippies scheinen aber mit dem Kreuz, das sie zwar zu Beginn aufrichten, nicht zuviel im Sinn zu haben. Tannhäuser und Venus sind hier die erwarteten (Rock)stars. Das Bild spielt sich unter einem prägnanten Peitschenlichtmast ab, der auch in den weiteren Szenen nachdrücklich im Bild verbleibt (Bb und Kost. Johannes Leiacker). Der Hirt stellt ein Grossstadtkind dar, das sich seine Hüpffelder mit Kreide auf den Asphalt malt und mit dem von Venus wegtrampenden Tannhäuser Freundschaft schliesst. Wegen Reifenpanne kommt die Bardentruppe des Landgraf Hermann in der obligatorischen schwarzen Gewandung und natürlich mit Koffern (ist das schon wieder Selbstironie?) hier vorbei. Sie nehmen Tannhäuser in ihre Truppe auf, nicht ohne ihn vorher korrekt einzukleiden. Elisabeth, auch im grossen Schwarzen, hat offenbar eine rechte Neigung zu Wolfram, dem sie Küsschen gibt und auch mit Heinrich trifft sie sich plötzlich in Umarmung wieder, bis diesen neckischen Spielen der Landgraf mit Löwenmähne ein Ende macht, während der Chor als diskret einstudierter Klangkörper auftritt, ohne pompösen Gäste-Einzug. Die Edeldamen in Zylinder und knappen Western dirigieren die folgende Show, die natürlich direkt als Video aufgezeichnet wird. Die vortragenden Sänger werden auf Grossbildleinwand projiziert, manchmal kommt auch die an der Harfe begleitende Elisabeth(!) ins Bild, Werbespots dazwischen fehlen nicht. Im 3.Akt versorgt Elisabeth die schlafenden Pilger mit Getränk. Sie lässt sich dann auf ihrem letzten Weg von dem so linkisch wie treu dargestellten Wolfram des Christian Gerhaher geleiten, sie umklammern sich geradezu mit ihren Fingern, und er gibt ihr Sterbehilfe, indem er sie fast erwürgt. Der verzweifelte Tannhäuser schleppt sich wieder in die laszive Sphäre des Venusberg mit Tanzmädchen und Elena Zhidkova mit schwarzen Netzstrümpfen, Minirock und rauchend ganz die Sünde. Doch Tannhäuser entscheidet sich, vermttelt durch Wolfram für die tote Elisabeth.

Während die Ouvertüre in der Dresdener (Ur)fassung nicht so berauschend gelang, findet GMD Paolo Carignani und das Orchester im 2.und 3.Akt zu grosser Form: Spannend gespielt bis zum Siedepunkt der "Sängerkrieg", und die Bläser während der Soli von Elisabeth und Wolfram wachsen berstend über sich hinaus, elastisch koordiniert vom Dirigenten, der auch die Schlussapotheose gleichmässig homogen aufbaut und nicht hohl verpuffen lässt. Gesanglich scheint der Hirt Silvin Bumiller (Aurelius Sängerknaben Calw) doch überfordert, weil er seiner angenehmen Stimme bei den schwierigen Intervallen nicht freien Lauf lassen kann. Die Sänger ergeben mit Peter Marsh, Michael McCown Jaques Does und Gregory Frank ein exzellentes Quartett, das aber Staffage bleibt und vom Herrenchor aufgesogen wird. Elena Zhidkova kann ihre hell leuchtenden Venus-Stimme mit ihrem verführerisch samtenenen Timbre verbinden. Magnus Baldvinsson ist der ideale Landgraf mit sonor packender Basslinie. Christian Gerhahers hingeschmolzenes Lied an den Abendstern wird hier tatsächlich zur Sternstunde, und er braucht den Vergleich mit berühmtesten Wolfram-Sängern nicht zu scheuen. Das Mädchenhafte der Danielle Halbwachs (Elisabeth) kommt auch in der fast ätherisch anmuten Sopranstimme zum Ausdruck. Der grosse Einsatz für ihren Sünder Heinrich kommt aber mehr durch grosse Geste des Überwurfs einer grossen weissen Pilgerstola zum Ausdruck. Mit angenehm zurückgenommener, hellgetöntem Tenor trägt Ian Storey zu Beginn sein Lied an Venus vor, verfällt im weiteren Veralauf fast ins Markieren oder lässt sich vom Orchester zudecken, erst die Romerzählung sieht ihn wieder präsent im Timbre.- Ein Kompliment für diese SängerInnen, die keine Übertitelung nötig haben.

Friedeon Rosén

 

BLOOMBERG
January 30, 2007

Wagner Hero Is Aging Rocker in Frankfurt `Tannhauser'

By Catherine Hickley

Jan. 30 (Bloomberg) -- Tannhauser is an aging rocker forced to choose either social respectability or degenerate exile with the bewitching and vampish Venus in Vera Nemirova's Frankfurt production of Wagner's 1845 opera.

It's the 34-year-old Sofia-born director's way of dramatizing Wagner's conflict between profane and sacred love, which has lost relevance in an age when sex is used to sell everything from tires to insurance. More typically, Tannhauser is a medieval troubadour whose fling with Venus brings exile and misery, but also forgiveness from the saintly burg-dwelling Elizabeth.

Nemirova starts the show during the overture, bringing up the curtain on a group of young pilgrims strewing mats and backpacks on a near-empty stage. Clad in unstylish camping gear, they clamor around a large wooden crucifix, arms outstretched in ecstasy.

They then toss aside their clothes to bathe, before morphing, trance-like, into a group of writhing, heaving bodies. Remorse and more crucifix-worshipping follow.

Enter Venus (Elena Zhidkova), with a bottle of red wine and her boyfriend Tannhauser (Ian Storey). Zhidkova looks great, with a mane of honey-blonde hair that she tosses and preens to show- stopping effect. She is beautiful and yet verges on the sluttish in her frilled spotted skirt, red fishnet stockings and cowboy boots. No aging rocker would resist.

Middle-Aged Crooners

When Tannhauser finally escapes from Venus to find his way back to the Wartburg, the first people he meets are his former singing friends. In Nemirova's version, the Minnesaenger are a bunch of middle-aged crooners of the type often invited to sing at weddings. Johannes Leiacker's inspired costumes include purple frilled shirts under black suits for the singers.

Nemirova's satirical Act Two transforms the singing contest into a modern-day provincial German fest, complete with live coverage by regional television, ribbon-cutting by a local politician, hostesses in black top hats and an advertisement for the beer company sponsoring the event beamed onto a screen at the back of a stage. It's perfect and drew a chuckle from the opening- night audience.

The third act is sparser and focuses on the emotions of the players. The singing at the premiere was wonderful, with Danielle Halbwachs giving a memorable performance as the unfortunate Elisabeth. Her voice is rich and expressive. Zhidkova skulks broodingly in the background, the lighting (by Olaf Winter) creating a halo of smoke from her cigarette, while Tannhauser wrestles with his conscience.

Baritone Christian Gerhaher, singing Wolfram, won the loudest bravos from a largely appreciative audience. Paolo Carignani, the house music director, also earned warm applause. Nemirova, whose Dresden ``Euryanthe'' was highly acclaimed last February, had to field some boos for her lively, humorous and highly watchable take on this old tale.

``Tannhauser'' is in repertory at the Frankfurt Opera through March 3.

(Catherine Hickley is a writer for Bloomberg News. The opinions expressed are her own.)