Frankfurt Rundschau
5. Februar 2006

"Tristan und Isolde" in Kassel
Liebesnacht mit Äpfeln

VON GEORG PEPL

Es war zumindest mutig, das sanierte Kasseler Opernhaus mit einer derart kargen Inszenierung zu eröffnen. Viele hatten da wohl Opulenz erwartet. Der Regisseur und Bühnenbildner Johannes Schütz machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Seine Version von Richard Wagners Tristan und Isolde spielt auf der nackten, nach hinten offenen Bühne, die von einem Faden umspannt wird, der sich zunächst kaum merklich hebt, um sich ab der Mitte wieder zu senken. Ein Scheinwerfer unterstützt die Tag-Nacht-Symbolik des Musikdramas. Schlicht ist die Kleidung der Darsteller, Isolde trägt gar einen rosa Pulli. Eine unprätentiöse Regiearbeit mit genauer Personenführung? Leider durchkreuzen teils unbescheidene, teils platte Einfälle das Konzept.

Verbotene Liebe mag mit dem Verzehr verbotener Früchte verwandt sein, weshalb der Regisseur im großen Zwiegesang des zweiten Aufzugs Adam und Eva grüßen lässt. Als Requisit dient ein Apfel - oder besser gesagt eine Menge Obst, da Brangäne nicht nur die Liebenden warnt, sondern auch Apfelkörbe leert. Gemessenen Schritts betritt König Marke die Szene, mit einer Krone auf dem Kopf, wie man sie bei Kindergeburtstagen sieht. Melot schüttet Tristan rote Flüssigkeit aus einem bedeutungsschwer getragenen Becher über den Leib.

Am Beginn des dritten Aufzugs krümmt Tristan sich auf dem Boden, nur mit Unterhose be-kleidet und mit Kunstblut auf dem Bauch. So weit, so passend. Doch folgt eine ganz spezielle Idee. Mehrmals lässt Schütz die Akteure mit Tischen hantieren; in diesem Fall wird ein Kran-kenlager für den wunden Helden bereitet - eine szenische Verlegenheitslösung, die vor allem die Atmosphäre des Englischhorn-Solos abwürgt. Am Ende müssen Schütz und Kostümbild-nerin Claudia Billourou kräftige Buhs einstecken.

Die musikalische Umsetzung wird bejubelt. Zwei Gäste von internationalem Format geben die Titelpartien. Die Amerikanerin Adrienne Dugger, in Bayreuth als Senta und an der Met als Turandot hervorgetreten, macht aus ihrem Isolde-Debüt ein Fest der Nuancen. Sie verfügt nicht nur über Kraft, sondern auch über eine berückende Pianokultur und eine hochintelligen-te Phrasierungskunst. Und sie ist eine ganz starke Darstellerin. Der gleichfalls charismatische Russe Leonid Zakhozhaev, der im Sommer den Siegfried an der Met singen wird, imponiert durch die stimmliche Souveränität, mit der er die mörderische Tristan-Partie bewältigt. Allein sein Umgang mit der deutschen Sprache ist noch nicht völlig ausgereift.

Mit großem Engagement agieren die Kasseler Sänger Lona Culmer-Schellbach (Brangäne), Allan Evans (König Marke) und der leicht hervorzuhebende Stefan Adam (Kurwenal). Leistungsstark, wenngleich manchmal eine Spur zu laut musiziert das Staatsorchester Kassel unter der Leitung von Generalmusikdirektor Roberto Paternostro. Da Tristan ein Gipfelwerk ist, sei der Hinweis auf die nach wie vor maßstabsetzende Furtwängler-Aufnahme erlaubt: Gemessen daran ist Paternostros Interpretation eher durch eine schöne Oberfläche als durch lange, sehrende Spannungsbögen geprägt.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
05.02.2007

Herzoperation mit Holzbesteck

[...] Als Kassels Oberbürgermeister einen "vergnüglichen Abend" wünschte, wurde wieder evident, wie weit radikale Kunst und Repräsentation auseinanderdriften. Zumal der Bühnenbildner und Regisseur Johannes Schütz kein üppiges Theater vertritt, eher auf Reduktion setzt: Im kahlen schwarzen Bühnenraum stehen nur ein paar Tische, im ersten Akt Mannschaftstafel, im dritten Operationsliege: Tristan, Amfortas' Vorläufer. "O sink hernieder" wird zum entrückten langsamen Walzer: Vereinigung in Musik, keineswegs abwegig. Pathos bleibt aus, dafür spritzt Blut - ein Desperado-Stück. Das Titelpaar ist mit Leonid Zakhozhaev und Adrienne Dugger hochrespektabel besetzt, vom Lyrischen ausgehend, ohne heroisches Forcieren. Entsprechend differenziert klang auch das Orchester unter Roberto Paternostro, mit schönen Piano-Gespinsten der Holzbläser. Ein Beweis, wie das instrumentale Niveau generell gestiegen ist. Insgesamt eine bewegende Aufführung abseits festlichen Gepränges.

GERHARD R. KOCH

 

www.hna.de
04.02.2007

Kultur
Tristan und Isolde ganz privat

Von Werner Fritsch


Falsche Idylle: Leonid Zakhozhaev (Tristan) und Adrienne Dugger (Isolde) essen in ihrer Liebesnacht zusammen einen Apfel - scheinbar vertraut wie ein älteres Ehepaar. Fotos:Ketz

Kassel. Es war vor 150 Jahren eine verrückte Geschichte - und sie ist es auch heute noch. Aber wie sie erzählen in diesen unheldischen, unmythischen Zeiten? Johannes Schütz, der Regisseur und Bühnenbildner von Wagners "Tristan und Isolde", hat zur Wiedereröffnung des Kasseler Opernhauses nach zweieinhalb Jahren Sanierungszeit einen großen Wurf gewagt. Er hat im riesigen, weit gehend leeren Bühnenraum die Oper als großes Kunstprodukt, als Ort vielfältiger Symbolik vorgeführt. Und er hat gleichzeitig die uns so fernen Figuren ganz nah herangeholt.

So nah, dass Isolde im rosa Pulli und Tristan im offenen Hemd, wie beim heimischen Fernsehabend, ihre Liebesnacht feiern. Tristan und Isolde privat. An Claudia Billourous Kostümen gab es bei der Premiere viel Kritik. Doch ihr Effekt ist frappierend: Plötzlich geht es auch um Leonid Zakhozhaev und Adrienne Dugger. Die beiden Darsteller haben nicht nur die sängerisch anspruchsvollsten Opernparts zu bewältigen, sie stehen quasi bis auf die Haut für diese Figuren Tristan und Isolde ein. Unglaublich, welche Palette an Tönen, Färbungen, Gesten und Blicken Adrienne Dugger für Isolde findet, die als stolze Frau zwischen herrischer Gebärde, Rachegedanken und uneingestandener Verliebtheit, zwischen Verträumtheit und bitterem Sarkasmus hin- und hergeworfen wird wie ihr Schiff auf dem Meer.

Sensationell, wie Leonid Zakhozhaev das Delirium des liebes-todessüchtigen Tristan, nur in Badehose bekleidet und mit blutigem Wundmal am Körper, zwischen fahler Resignation und wildem Aufbegehren heraussingt und sich aus dem Körper windet. Die beiden Gaststars sind eingebettet in ein starkes Ensemble. Ein "Tristan" also, der sich in die große Kasseler Wagner-Tradition einreiht. Vor allem auch durch den Zugriff des Dirigenten Roberto Paternostro. So spannungsreich der Soundtrack insgesamt aus dem Graben kam, so tempovariabel und vielfarbig verzahnten sich Musik und Bühnenaktion vor allem im ersten Akt - Wagners Konversationsstil at its best. Etwas unruhiger und massiger begann der zweite Akt, die zarteren Töne Isoldes wurden teils überdeckt. Intensiv, voll innerer Bewegung dann der dritte Akt, beginnend mit dem düsteren, schweren Vorspiel. Paternostro krönte mit diesem "Tristan" seine hiesigen Wagner-Taten - Standing Ovations für ihn und die Musiker.

Dass Schütz‘ Regie von einem Teil des Premierenpublikums ausgebuht wurde, mag an Äußerlichkeiten liegen. Ein Liebestrank aus dem Milch-Tetrapak und heftig spritzendes Theaterblut bei Tristans Sturz in Melots Messer sind vielleicht nicht jedermanns Geschmack. Dennoch hat Schütz nicht nur die Charaktere lebensnah entfaltet. Er bietet auch starke Bilder und Tableaus: Der große Scheinwerfer in der Bühnenmitte, der schwingend im ersten Akt die Bewegung des Schiffes zeigt, wird im zweiten Akt sinnfällig als Fackel und im dritten als taghelle Sonne. Aber nicht alle Symbolik funktioniert. Wenn Isolde Tristan in der Liebesnacht einen Apfel reicht, dann gibt auch das Adam-und-Eva-Bild keine Antwort auf die Frage, was die Verstrickung der beiden Liebenden uns über die Erkenntnisse der Alltagspsychologie hinaus mitteilt. Das vermag allein Wagners verrückte Musik.

Tristan
Leonid Zakhozhaev ist ein Weltklasse-Tristan. Ermüdungsfrei sang er die Riesenpartie, was einer musikalischen Achttausender-Besteigung gleichkommt. Er verfügt über eine Heldentenorstimme mit baritonaler Färbung und metallischem Timbre, die so selten ist. Darüber hinaus ist er ein Sänger von außergewöhnlicher Bühnenpräsenz.

Isolde
Adrienne Dugger singt die Isolde so facettenreich, wie man diese Rolle kaum einmal hört. Vom zartesten Pianissimo (in jeder Stimmlage) bis zum strahlenden hochdramatischen Sopran-Fortissimo inklusive hohem C beherrscht sie die Wagner-Partie souverän. Und sie hat Gelegenheit, ihre großen schauspielerischen Qualitäten zu zeigen.

Kurwenal
Stefan Adam singt den Kurwenal mit breit angelegtem, strömendem Bariton. Das Kasseler Ensemblemitglied glänzt wie gewohnt durch starke Bühnen-ausstrahlung und zeigt als Schildträger Tristans eine große Ausdruckspalette - vom Spottlied auf Isolde im ersten Akt bis zum mitleidenden Gesang im dritten Akt.

Brangäne
Lona Culmer-Schellbach agiert als Brangäne, der Vertrauten Isoldes, stimmlich und darstellerisch mit großer Intensität. Von allen Bühnenpersonen spielt sie auch im Hintergrund am intensivsten mit. Ein großer Moment ist ihr weich-volltönender Gesang "Einsam wachend in der Nacht" als Intermezzo der Liebesnacht.

König Marke
Allan Evans ist als König Marke eine Schattengestalt. Sehr real ist aber sein dunkler, wenn auch vibratolastiger Bass im Anklage-Monolog des zweiten Aktes.
Weitere Rollen: Young-Hoon Heo singt den Seemann und den Hirten mit strahlendem Tenor, Jürgen Appel (Steuermann) und Mark Bowman-Hester (Melot) vervollständigen das Ensemble.

 

Goettinger Tageblatt
05.02.2007

Den Wagnerschen Rausch desillusionieren

Von Michael Schäfer

Wagners Opern dauern lange. Der „Tristan" mit seiner Spieldauer von reichlich vier Stunden ist rekordverdächtig. Wenn dann noch das Protokoll einer Opernhaus-Wiedereröffnung mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), dem Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) und Intendant Thomas Bockelmann hinzukommt, braucht man schon ein wenig Geduld.

Aber die lohnte sich. Nach den – nicht einmal langweiligen – Reden hatte mit dem Vorspiel zu „Tristan und Isolde" im abgedunkelten Zuschauerraum mit einem Schlag eine ganz neue Erlebnisdimension begonnen. Von Eile und Alltag entführen diese weit atmenden Klänge in ganz andere Sphären, ins Seeleninnere, in existenzielle Regionen, in denen angesichts der Fragen von Tod und Liebe alles andere zur Bedeutungslosigkeit schrumpft.

Damit agiert Wagner virtuos – und erzielt eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Dies dürfte der Ansatz für Regisseur Johannes Schütz gewesen sein, gegenzusteuern, den Rausch zu desillusionieren, ganz im Wortsinn. Denn Schütz – zugleich Bühnenbilder – verzichtet auf Illustration, belässt den Bühnenraum nackt und karg, die Akteure treten in Alltagskleidung auf. Was geschieht, ereignet sich in der Fantasie des Zuschauers, nichts wird eins zu eins abgebildet.

Das Ergebnis ist stellenweise erstaunlich: deshalb nämlich, weil Wagners Dramaturgie vielfach ihre verzaubernde Kraft auch in (oder trotz) dieser Nüchternheit zu bewahren vermag. Andererseits steht Schütz’ Ansatz quer zu gängigen Erwartungen, was ihm am Schluss auch Buhrufe einbrachte. Aber er konzentriert mit dieser Sicht konsequent den Blick aufs Wesentliche: auf die Unentrinnbarkeit des Liebestodes, der für Tristan und Isolde die einzig mögliche Erfüllung bedeutet.

Ein hochkarätiges Solistenensemble hat Kassel für diese Inszenierung aufgeboten, allen voran Adrienne Dugger als Isolde: hochdramatisch und lyrisch, mit enormer Bühnenpräsenz, nicht minder enormer Stimmkraft bis in die höchsten Spitzentöne. Leonid Zakhozhaev ist ein metallisch timbrierter Tenor, der die Riesenpartie ohne äußere Zeichen von Anstrengung durchzustehen vermag. Ein paar leisere Töne möchte man allerdings auch gern von ihm hören.

Mit nicht sonderlich großem Abstand von diesen sei Lona Culmer-Schellbach genannt, die stimmlich sehr kultiviert die Rolle der Brangäne meistert, manchmal vom Regisseur allein gelassen, wenn sie allzu lange mit aufgeregt rollenden Augen das Bühnengeschehen verfolgen muss. Als Kurwenal steuert Stefan Adams seinen prächtigen dunklen, stimmstarken Bass bei, dem sich der edle, mächtige Bass von Allan Evans als König Marke mit etwas älterem Ton beigesellt. Aufhorchen lässt der helle, geschmeidige Tenor von Young-Hoon Heo (Seemann/ Hirt); komplettiert wird das Ensemble durch Mark Bowman-Hester (Melot) und Jürgen Appel (Steuermann).

Roberto Paternostro hatte sein Orchester gründlich vorbereitet. Allein die mit langer Hand vorbereitete Temposteigerung im ersten Vorspiel zeigte, wie gründlich er sich mit der musikalischen Dramaturgie befasst hatte. Am Ende – nach gut fünf Stunden samt zwei Pausen – brausender Beifall samt einigen Buhrufen für die Regie.

 

Neue Westfaelische
20.02.2007

Das sanfte Weibchen und der große Junge

von Michael Beughold

[...] Musikalische war unter GMD Roberto Paternostro ein Fest garantiert. Das Orchester, in der "unendlichen Melodie" zwischen höchster Liebeslust und Todesverlangen wichtiger als in jeder anderen Wagneroper, präsentierte sich als Emotionszentrum einer klangreichen, dramatisch durchpulsten Wiedergabe in Hochform. Und das Titelpaar war mit der Bayreuther Senta-Sängerin Adrienne Dugger und leonid Zakhozhaev vom St. Petersburger Marinsky-Theater international namhaft und schlichtweg überragend besetzt. Für die Inszenierung zeichnete der Schauspiel-Bühnenbildner Johannes Schütz mit einer minimalistisch kargen, alltagsverkleinerte Sicht aufs Wagnersche Opus metaphysicum verantwortlich. Nur ein Haufen Tischchen, einige Stühle und eine Pendelleuchte zieren die riesige schwarze Bühne. Umso heftiger schlägt jedes sinnbildlich oder singfigüröich nicht ganz erfüllte Zuviel oder Zuwenig zu Buche. Es gibt bei den Beifiguren beides: Brangänes Tischeschleppen und Apfel-Drapieren verdiente wohl eine Extrazulage, einige überreife Töne Lona Culmer-Schellbachs leichten Punktabzug. Der Kurwenal des stimmprächtigen Stefan Adam greift als Gemütsmensch-Mentor zu kurz. Der unbewegliche graue Mann mit Krone bewegt in Allan Evans' Klage des von Frau und Freund Betrogenen nicht wirklich tief.

Missglückt ist die am Ende recht ungnädig aufgenommene Deutung darum keineswegs. Gut, der an der Essenstafel platzierte 1. Akt machte die Rächerin Isolde in Röhrenhose und rosa Pulli unmöglich und verläpperte die Magie des Tranktauschs zwischen Beipackzettel und H-Milch-Tüte. Aber zur Liebe - und das ist allemal das Wichtigste - hat Schütz was zu sagen, mehr als zuletzt die Kollegen Schlömer, Marthaler, Bachmann, Kosky. Das aktfüllende Liebesduett verelgt sich einmal nicht aufs krampfige Bloß-nicht-Berühren und -Angucken. Hier glückt eine Szene von kindlich-verspielter Intimität, die die Qualitäten der Titeldarsteller optimal ausspielt: das sanft-mütterliche Weibchen und der strubbelblonde große Junge.

 

Thueringer Allgemeine
13.02.2007

Liebe, Tod und Spotlight in Kassel

Die schnöden Tage des auch in Erfurt wohlbekannten Theaterzeltes sind in Kassel vorbei. Nach umfangreicher Sanierung mit 25 Millionen Euro Staatsgeldern wurde das Opernhaus wiedereröffnet.

Dem Anlass wurde die musikalische und szenische Gestaltung von Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde" absolut gerecht. Buhrufe für den Regisseur fielen auf die Schreihälse zurück. Johannes Schütz hat das Werk nämlich ebenso eigenwillig wie sinnträchtig inszeniert. Vor dem kahlen, abgedunkelten Bühnenraum konzentrierte er das Geschehen auf dem Proszenium. Tische bildeten dort die Versatzstücke, im 1. Akt zu einer Tafel gereiht, im 2. Akt weggeräumt und durch zwei Stühle ersetzt, im 3. Akt zusammengestellt als Tristans (in Badehose) Siechenlager. Darüber hing ein einzelner starker Scheinwerfer. Das Spotlight bündelte die Konflikte. Es konzentrierte auf die inneren Vorgänge. Es verdichtete die tragische Verquickung von Liebe und Verrat auf das Psychogene.

In äußerster Spannung dazu stand die statische Struktur der Personen. Bewegungen wurden minimiert; aller Ausdruck kam aus Wort (über der Bühne ablesbar) und Musik. Der betrogene König Marke erstarrte bei seinen zwei Auftritten zur Statue. Allein durch seine erregende sängerische Gestaltung machte ihn Allan Evans zum von Tragik geschlagenen Menschen. Tristan und Isolde saßen auf den beiden Stühlen zum großen Liebesduett und zur großen Liebesnacht nebeneinander und aßen einen Apfel. Das war überzeugender als jeder plakative Realismus. Daneben lag nur Claudia Billourou (Kostüme), die Isolde in Pullover und Hose aus dem Billigladen eines Shopping Centers steckte - Liebestöter. Ganz im Sinne der Inszenierung sangen Adrienne Dugger und Leonid Zakhoshaev die Titelpartien mit äußerster Expressivität und Durchschlagskraft in den Höhenlagen. Keine Belcanto-Orgie war in Kassel zu vernehmen, wohl aber die rigorose Gestaltung des verzehrenden, wütenden, schmerzlichen Liebes-Tods. Sängerisch hervorragend gab Stefan Adam den Kurwenal; bemüht, aber im Volumen überfordert Lona Culmer-Schellbach die Brangäne.

Chefdirigent Roberto Paternostro entschied sich für die langsame Deutung von Wagners Tempovorgaben. Das verschleppte den musikalischen Fortgang, ließ aber auch Raum für feinste Ziselierungen und große Steigerungen. Nur bei der Schlussauflösung der harmonischen Metamorphosen ins reine diatonische H-Dur mochte sich die letzte Magie des Musikalischen nicht recht entfalten.

 

Thueringische Landeszeitung
12.02.2007

Die Stars sitzen im Orchestergraben

Von Susann Adam

Es war eine Zitterpartie bis zur letzten Minute. Zu Jahresbeginn hätte niemand zu hoffen gewagt, dass die Wiedereröffnung des Staatstheaters Kassel pünktlich erfolgen würde. Nach zwei Jahren Sanierung konnte das Publikum nun die ersten Premieren im Stammhaus erleben. Die waren nicht nur künstlerischer Art. Fanden die meisten Arbeiten hinter den Kulissen statt - und werden dort bis zum Sommer fortgesetzt -, so sind die Veränderungen für die Zuschauer durch eine Klimaanlage und neue Bestuhlung erfahrbar.

Mit Wagners "Tristan und Isolde" erlebte das Publikum einen musikalisch würdigen Einstand, die Inszenierung sorgt für Gesprächsstoff, da Regisseur und Bühnenbildner Johannes Schütz die Liebesgeschichte des Ritters Tristan und seiner Geliebten Isolde als symbolgeprägte Reise gestaltete.

Im 1. Aufzug, der Schiffspassage von Irland nach Kornwall, als Isolde von Tristan zu ihrem Bräutigam König Marke gebracht wird und die beiden Liebenden dank des von Brangäne (Lona Culmer-Schellbach) gereichten Trankes zueinander finden, wird das allerdings noch nicht ganz klar. Es beginnt wie eine keltische Darstellung des "Letzten Abendmahles", in dessen Mitte sich die zu Tode betrübte Isolde als Opferlamm darbringt. Über all dem schwingt eine kalt-sezierende Pendelleuchte. Das Kalte, Düstere bleibt auch in den folgenden Aufzügen. Die Burg König Markes ist der leere Bühnenraum, der König selbst (Ks. Allan Evans) wirkt mit seiner Faschingskrone wie eine Marionette, Tristan und Isolde sitzen wie ein altes Ehepaar auf alten Stühlen und haben den Apfel der Erkenntnis zwischen sich. Im 3. Aufzug, als Tristan schwer verwundet von Kurwenal (Stefan Adam) gepflegt wird, verwandelt sich der Raum in einen sterilen Operationssaal, nur mit Tischen und Leuchte ausgestattet. Die einzige Farbe, die Schütz gestattet, ist die des Blutes, das aus offenen Wunden spritzt.

Die Kargheit der Ausstattung, unterstützt von den Kostümen, die Claudia Billourou entworfen hat, wirkt wie eine bildhafte Mahnung, dass die Liebessehnsucht Tristan und Isoldes nie zur Erfüllung kommt - wie Tristan es im 1. Aufzug bereits ahnte. Allerdings bleibt die Frage, warum die Darsteller bewusst der Hässlichkeit preisgegeben, im übertragenen Sinne entblößt werden. Isolde kann in ihrem rosa Schlabberpulli nie die schöne Königin sein. Bemerkenswert ist der wandernde Faden: Er erinnert an eine Barriere, die die Bühne umschließt, dann an einen Wasserstandsmesser und erreicht seinen Höhepunkt am Ende des 2. Aufzugs. Im letzten Aufzug bewegt er sich nach unten - adäquat zur dramatischen Entwicklung des Geschehens.

Im Gegensatz zur aggressiven Hässlichkeit der Ausstattung und des unterdrückten Spiels steht die Musik. Das kleine Solistenensemble präsentiert sich als hervorragend agierende Einheit, wobei die Verpflichtung Adrienne Duggers als Isolde und Leonid Zakhozhaevs als Tristan einen wahren Glücksgriff für diese Mammutrollen darstellt. Beide sind stets präsent und loten stimmlich die Tiefe ihrer Partien bis in den kleinsten Winkel aus.

Die großen Stars jedoch sitzen im Graben: Das Orchester unter Leitung des GMD Roberto Paternostros ist selten so hervorragend und perfekt abgestimmt zu erleben. Am Ende, als Isolde ihr letztes Lied singt, ist es fast dunkel. Und das ist einer der nachhaltigsten Momente des Abends.

 

NEWS Wien
08.02.2007

Beachtlicher „Tristan" in Kassel

von Susanne Zobel

Wollte man die Opernhäuser Festspiele, die sich im Besitz der Wagner-Wahrheit wähnen, aufzählen: man käme nicht zur Besprechung dieser Aufführung abseits der Metropolen. Und das wäre ein Jammer, denn am Staatstheater Kassel wird ein in vielem vorbildlicher „Tristan" gespielt. Gepsielt vor allem, denn der scheidende Generalmusikdirektor Roberto Paternostro, der schon einen auf CD nach-prüfbaren ausgezeichneten „Ring" einstudiert hat, erweist sich auf der Höhe der Königsaufgabe: ein finsteres, todesschweres Vorspiel, ein intim und subtil musiziertes Liebesduett, endlich ein expressiver, explosiver dritter Akt, der das Orchester als eigentlichen Protagonisten ausweist.

Denn Johannes Schütz’ Inszenierung ist zwar intelligent angelegt, aber leider nicht mehr, sondern vielmehr reduktionistisch, etwas langweilig und mitunter banal. Adrienne Dugger ist eine stimmgewaltige Isolde, Leonid Zakhozhaev ein Heldentenor mit wunderschöner, ausdrucksstarker Stimme und beträchtlicher Gestaltungskraft, Stefan Adam ein beachtlicher Kurwenal., Allan Evans ein auf Schöngesang bedachter Marke und Lona Culmer-Schellbach eine übertreffliche Brangäne. Der Österreicher Paternostro aber sollte hierzulande bald und umfassend willkommen sein.

 

dradio.de
07.02.2007

Deutschlandfunk, Musikjournal

von Klaus Gehrke

Vielleicht lag es an den Baumaßnahmen im Hause, vielleicht war es aber auch erklärter Wille des Regisseurs Johannes Schütz. Im Kasseler Tristan gibt es als Bühnenbild für alle drei Akte nur das kahle Bühnenhaus mit seinen Leitern, Laufgängen, Feuerlöschern und Notausgangsschildern. Dieses lässt jedoch gerade im ersten Akt mit seiner heftig pendelnden Lampe Assoziationen an einen Raum etwa eines modernen Containerschiffes bei Seegang aufkommen. Auch die Burgräume im zweiten und dritten Akt sind mit etwas Phantasie gut vorstellbar.

Ähnlich karg wie die Bühne ist auch deren Ausstattung, die lediglich aus einigen Tischen und Stühlen besteht. Hin und wieder erweckt Schütz’ Inszenierung den Eindruck einer konzertanten Aufführung. Die Mitwirkenden sind mit wenigen Ausnahmen fast ständig auf der Bühne präsent, treten mit Beginn ihrer Szene in das Spielgeschehen vorne ein und nehmen danach wieder im Hintergrund Platz. [...] Offensichtlich hatte Johannes Schütz mehr die unterschiedlichen Emotionsebenen und die erotische Aura der Oper im Blickfeld seiner Inszenierung und weniger die philosophisch psychologischen Untiefen, die Wagner in seinem Liebesdrama umtrieben.

Tristan und Isolde sind ein junges Paar, das nach dem Genuss des Liebestrunkes nicht zart aufkommender Minnetriebe frönt, sondern gleich zur Sache kommt. Zu Beginn des berühmten Liebesduetts im zweiten Akt reicht sie ihm einen Apfel, den er dann ganz langsam mit ihr Seite an Seite zu schälen beginnt. Geradezu groteske Züge bekommt das Ganze, wenn die beiden bei der Betrachtung ihrer Liebe, die nur im Tod ewig bleibt, einen Blues auf Wagners Musik tanzen.

Während Johannes Schütz’ Inszenierung, die meiner Meinung nach viele starke Bilder und ein schlüssiges Konzept aufweist, vom Premierenpublikum mit zum Teil heftigen „Buhs" aufgenommen wurde, fanden die Sänger ungeteilten Beifall. Adrienne Dugger und Leonid Zakhozhaev loteten ihre Partien mit großer dramatischer Kraft und lyrischer Sensibilität aus. Stefan Adam gab einen mal draufgängerischen, mal innigen Kurwenal, Kammersänger Allan Evans bot einen eindringlichen, verzweifelten König Marke dar. Lona Culmer-Schellbach spielte die Brangäne mit Hingabe, kam aber manchmal stimmlich nicht so recht durch.

Großes Lob gehört auch Roberto Paternostro sowie Chor und Orchester des Kasseler Staatstheaters. Dem Dirigenten gelang eine höchst subtile und darüber hinaus klangschöne Lesart der Partitur ohne spätromantisches Pathos. Insgesamt gesehen ein erfolgreicher Auftakt für das alte, neue Staatstheater in Kassel.

 

opernnetz
06.02.2007

Liebe - Sühne - Tod

Man muss es nach einem großartigen Wagner-Abend einfach zuerst loswerden: Mit einem schniefenden, hustenden, plaudernden, uninformierten und ignorant selbstgerechten Honoratioren-Publikum ist kein Staat(stheater) zu machen!

Zwar hatte Kassels Oberbürgermeister – wohl in Unkenntnis des Zu-Erwartenden – einen „vergnüglichen Abend" gewünscht, doch hatte Ministerpräsident Koch mit Emphase auf die „Freiheit der Kunst" verwiesen. Nun haben die Nordhessen ihr großzügig für mindestens 35 Millionen Euro renoviertes Staatstheater wieder - doch die Aversionen gegen Ungewohntes sind virulent wie eh und je. Bleibt zu hoffen, dass die penetranten „Ehrengäste" nicht repräsentativ sind für das Kasseler Opern-Publikum!

Johannes Schütz inszeniert auf leerer Bühne ein intimes Spiel um Liebe, Sühne und Tod: Als „sprechende" Requisiten fungieren Tische, Stühle, Äpfel, schwarze Tücher. Das Verhältnis der jungen Liebenden ist bestimmt durch unausgesprochen-unbegriffene Leidenschaften, durch den Wunsch Isoldes nach Sühne, Tristans Reue, beider Traum vom gemeinsamen Tod in der Ewigkeit der „Weltennacht". König Marke ist in diesem Inferno der Emotionen ein hilflos kommunizierender Patriarch, der die ihm fremden Gefühlswelten nicht begreifen kann.

Adrienne Dugger gibt sich mädchenhaft-spontan, ist in gespielter Naivität die Akteurin eines unwiderstehlichen Plans. Lona Culmer-Schellbachs Brangäne ist die ahnende Komplizin so wie Stefan Adams Kurwenal Tristans bedingungsloser Knappe ist. Und Leonid Zakhozhaev gibt dem Tristan jungenhafte Unbefangenheit mit der Bereitschaft zu grenzenloser Ekstase.

Sängerisch überzeugen die Protagonisten mit brillanter Interpretation. Leonid Zakhozhaevs Tenor beeindruckt mit einem jung-kraftvollen Timbre und viel power im dritten Akt; allerdings sind die Fähigkeiten zu sensiblen Differenzierungen noch nicht so recht hörbar. Adrienne Dugger ist an verschiedenen Bühnen als Turandot zu hören gewesen, singt in Bayreuth die Senta, und setzt als Isolde emotionale Akzente, die ihre fulminante stimmliche Bandbreite unangestrengt ermöglicht. Allan Evans ist stimmlich ein stoischer Marke, doch fehlt ihm die durchschlagende Kraft. Über die wiederum verfügt Stefan Adam, der mit kalkulierter Stentorstimme dem Kurwenal bezwingende Kraft verleiht. Lona Culmer-Schellbach hat als Brangäne ihre starken Momente in den gedeckt-intensiven Warn-Rufen im zweiten Akt. Jürgen Appel, Young-Hoon Heo und Mark Bowman-Hester verleihen dem Steuermann, dem Seemann und Melot adäquate stimmliche Präsenz.

Geradezu erregend die musikalische Kompetenz des Orchesters des Staatstheaters Kassel: Dem konsequent animierenden Roberto Paternostro gelingen mit dem offenbar hochmotivierten Orchester piano-Passagen äußerster Intensität, Momente atemraubender Stille und tutti-Ausbrüche in transparenter Klarheit - das großartige Musizieren in permanenter sensibler Abstimmung mit den Sängern und in faszinierender Konsonanz mit dem intimen Bühnengeschehen.

Vor dem renovierten Haus ist nur noch das Skelett des „Kuppeltheaters", des Zeltes, zu sehen. Mit dem ambitionierten Tristan ist eine glanzvolle Zukunft des Kasseler Staatstheaters zu erwarten. (frs)

Points of Honor
Musik 5/5
Gesang 5/5
Regie 4/5
Bühne 5/5
Publikum 2/5
Chat-Faktor 4/5

 

KulturMagazin 22.02.2007

Milch & Äpfel
"Tristan und Isolde" zur Wiedereröffnung des Opernhauses.

[...] Roberto Paternostro zum Beispiel, der die dreieinhalb Stunden Wagner-Musik souverän dirigierte, straff die Klangmassen ordnete, den Kontakt zu den Sändern nie vernachlässigte und einen wunderschönen Klangfaden spann, auf den Kassel stolz sein darf.

Schwerstarbeit auch für die beiden als Gäste verpflichteten Sänder der Titelpartien. Leonid Zakhozhaev als Tristan pflegt einen strahlenden metallisch-intensiven Ton, mit dem er in der Lage war, große Bögen zu schlagen. Auch die Amerikanerin Adrienne Dugger hat keinerlei Schwierigkeiten, den Raum zu füllen. Ein nur zartes ungekünsteltes Vibrato verleiht ihrer Stimme, die sie anfangs ein wenig überdrehte, eine höchste individuelle Note. Im zweiten Akt und im "Liebestod" am Ende des Dramas kehrte sie auch ihre lyrischen Qualitäten hervor. Die Verpflichtung der beiden Auswärtigen hat sich allemal gelohnt. Aus dem derzeitigen Kasseler Ensemblewären die Rollen nicht adäquat zu besetzen gewesen. Stefan Adam allerdings als Kurwenal und Young-Hoon Heo als Seemann und Hirt ließen in ihren Partien kaum Wünsche übrig.

Soweit der Klang. Für das Auge bot sich Irritierendes. Seelaute mampften Fish and Chips. Man trank Milch aus Pappbechern. Die Liebesnacht wurde von Brangäne mit hübschen Arrangements von Granny-Äpfeln verschönt. Einen davon schnitzte Tristan seiner Holden. So eilig hatten es die beiden mit der Ekstase nicht. Nein, eigentlich fiel sie ganz aus. Als König Marke auf der Jagd und die Lampe endlich erloschen war, standen die beiden meterweit entfernt und sangen, als sei es die "Matthäus-Passion".Es war wieder eine dieser Inszenierungen, die sich vor allem dadurch zu erklären versucht, was sie nicht zeigt: Kein Schiff, kein Liebestrank, keine Keltenburg, kein Hirtenidyll.Doch an die Stelle des Altbekannten, das natürlich kein Regisseur von heute ungebrochen auf die Bühne bringen kann, trat nicht allzu viel. Im nackten Innenraum der Bühne spielt sich ein inneres Drama ab, das sich kaum erschloss. Milch statt Liebestrank, gibt dies vielleicht eine Fährte? Tristan lädt Isolde ein in "das dunkel nächtge Land, darus die Mutter mich entsandt". Die Mutter also (siehe Milch) vielleicht? Und der Apfel? Eva?

Oder war alles nur eine Probe? Darauf würden die Kostüme deuten, die Pausengespräch waren. Was heißt schon Kostüme? Isolde hatte man in einen überaus unvorteilhaften rosa Pullover gesteckt und Tristan in ein Hemd, das auch nicht vom ersten Herrenaustatter am Platz stammte. Kurwenals schmuddeliges Sweatshirt konnte da gut mithalten. Kein Pathos, keine Schönheit, Menschen wie du und ich, will uns Johannes Schütz, der Regisseur, damit signalisieren. Wir denken darüber nach.