Frankfurter Neue Presse
22.06.2007

Die Rückkehr des Odysseus

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln hat Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria" (Die Rückkehr des Odysseus ins Vaterland) in einer Inszenierung der Frankfurter Oper im Bockenheimer Depot Premiere. Die Oper bildet nach „L’orfeo" und den „Combattimenti" den Abschluss des in der Spielzeit 2004 / 05 begonnenen Monteverdi-Zyklus’. Für den Ulisse kommt der kroatische Tenor Kresimir Spicer nach Frankfurt zurück; die Penelope singt die englische Mezzosopranistin Christine Rice, die damit ihr Frankfurt-Debüt gibt. Die musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor Paolo Carignani im Wechsel mit Felice Venanzoni.

 

Frankfurt Rundschau
20. Juni 2007

Ich will mich nicht dumm fühlen
Tenor Kresimir Spicer über das Wohbefinden auf der Bühne und seinen Frankfurter Ulisse

Herr Spicer, als Sie 2000 Ihren ersten Monteverdi-Ulisse gesungen haben, schrieb die Berliner Zeitung, es gebe gute Gründe, die Sänger aus dem Barock-Fach für die intelligenteren zu halten. Sehen Sie das ähnlich?

Ich sehe mich selbst schon mal gar nicht als Barocksänger. Dieser Ulisse damals war meine erste Rolle, die ich szenisch auf einer Bühne gesungen habe, und es war eher ein Zufall, dass ich mit Barockoper begonnen habe. Ich würde nicht von mehr oder weniger Intelligenz sprechen wollen, aber eine besondere Herausforderung ist eine Partie wie der Ulisse für jeden Sänger durchaus. Denn man hat unheimlich viel Text zu singen und muss im Grunde alles wissen, was mit dem Text und der Handlung zu tun hat. Das aber hat mein Professor in Amsterdam auch schon immer gepredigt: Du musst nicht nur deine Rolle parat haben, sondern alle Rollen einer Oper. Der Monteverdi-typische Sprechgesang ist nun nicht leicht zu behalten, außerdem muss man hier mehr agieren als in anderen Opern, wo man immer wieder mal hört, dass sich Sänger mit dem Absingen einer schönen Melodie begnügen, ohne Seele, ohne Ausdruck. Alles zusammen ist schon sehr anspruchsvoll, das stimmt.

Sie begannen Ihre Karriere mit Barock - Ihr Weg führt aber langsam davon weg?

Jedenfalls möchte ich nicht das Zeichen "Barocksänger" auf der Stirn tragen. Der eine ein Verdi-Tenor, der andere ein Lied-Sänger, nein, solche Einordnungen finde ich schade. Für Barock wird mein Tenor langsam etwas zu schwer, denke ich, ich hoffe sogar, dass ich irgendwann in Richtung Wagner gehe. Ich möchte jedenfalls immer Rollen singen, die etwas darstellen, die etwas zu sagen haben. Ulisse, Idomeneo, Tito, das sind meine Helden. Ebenso Peter Grimes, Don José, Pelleas, das entspricht meinem Charakter. Ich will mich nicht dumm fühlen müssen auf der Bühne, und viele Opernpartien lassen einen dumm aussehen.

Als Sie 1994 zum Studium nach Amsterdam gegangen sind, war das eines der Zentren für Alte Musik. War Ihnen das bewusst?

Überhaupt nicht, das war Zufall. Während des Kriegs in Kroatien hat eine Gruppe Holländer Hilfsgüter gebracht für mein Gymnasium, Stühle, Materialien, alles mögliche. Ich hatte damals im Schulchor gesungen und wir haben für die Helfer ein Konzert gegeben, mitten zwischen den Bomben. Die Holländer haben dann den ganzen Chor zu sich eingeladen, bei den Auftritten dort hatte ich einige Soli. Und wie es eben so passiert, wurde dabei jemand auf mich aufmerksam, man hat einen Sponsor gefunden, damit ich mit meinen Eltern nach Amsterdam gehen konnte zum Studieren. Von Alter Musik wusste ich damals noch nichts, Bach natürlich, aber ansonsten kannte ich nur das stimmstarke italienische Singen. Dort dann: Lieder, Schubert, Mahler, Haydn, Arie antiche, eine unheimlich gute Schule! Ich habe in der Bibliothek des Konservatoriums Musik entdeckt, von der ich nicht die leiseste Ahnung hatte.

Nun ist es ja nicht mehr so, dass man mit Barockstimmen unbedingt die körperlose Reinheit einer Emma Kirkby verbindet. Mittlerweile singt ja sogar ein Rolando Villazón mit Druck und auch mit Erfolg Monteverdi, man will hier also durchaus auch kraftvolle Stimmen hören.

Ja, selbst Domingo will Händel singen. Ob das alles schön ist, ist eine andere Frage, doch finde ich es prinzipiell gut. Ich selbst singe Händel nicht mit einer anderen Stimme als Puccini. Ich habe eine schnelle Koloratura, kann stilgerechte Verzierungen anbringen trotz einer relativ schweren Stimme. Das Problem aber wird dann der Partner: Wenn ich einen solchen Grimaldo singe, wer singt dann Rodelinda? Oft haben diese Sängerinnen wunderbare, aber in der Relation zu kleine Stimmen.

Monteverdi hat seinen Ulisse nun nicht als Schöngeist auf die Bühne gestellt, sondern als raue Kämpfernatur. Ist er Ihnen auch deshalb so willkommen?

Schon, wobei: Alles ist doch recht tief in dieser Partie, das meiste liegt am unteren Ende der Tessitura, ich muss ständig versuchen, meine Stimme zu fixieren. Ein Beispiel: Gestern habe ich zum Spaß für mich ein bisschen "Idomeneo" gesungen und wollte danach noch etwas "Ulisse" üben, einfach so, ohne Abstimmung mit dem Klavier. Ich fühlte mich wohl, es lief gut - bis ich merkte, dass ich eine Quarte zu hoch gesungen habe!

Sie haben den "Ulisse" mit William Christie und später noch mit René Jacobs gemacht, beides absolute Spezialisten für diese Materie. Können Sie, was Sie dort gelernt haben, eins zu eins in Frankfurt umsetzen?

William Christie, mit dem ich "Ulisse" mehr als 60 Mal gesungen habe, gibt einem jede Freiheit, wir konnten machen, was wir wollten, Hauptsache ausdrucksstark. René Jacobs dagegen war viel strenger, er ist wie ein Metronom - er zieht den Puls, den Monteverdi ja so detailliert vorgibt, unbedingt durch. Ich persönlich habe es freier lieber. Auch Paolo Carignani hier in Frankfurt ist ein sehr guter Dirigent, der weiß, was er will, und das bekommt er von mir. Die Orchesterbesetzung hier ist kleiner als die so farbigen Einrichtungen von Jacobs oder auch Minkowski, sie geht eigentlich nicht über das hinaus, was Monteverdi verlangt hat. Aber wenn es wild werden soll, wird es das auch.

Und das Ende der Odysseus-Oper wird ja äußerst wild, und blutig.

In dieser Inszenierung werde ich viel mehr töten als in allen anderen, sogar Penelope wäre unter den Opfern gewesen, wenn es nach dem ursprünglichen Plan des Regisseurs gegangen wäre. Odysseus war einfach zu lange von zu Hause fort.

Interview: Stefan Schickhaus

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Dokument erstellt am 19.06.2007 um 16:48:02 Uhr
Erscheinungsdatum 20.06.2007

Kresimir Spicer
Der Tenor Kresimir Spicer ist in Slavonski Brod in Kroatien geboren. Er studierte zuerst an der Musikakadmie in Zagreb bevor er 1994 zu Cora Canne Meijer nach Amsterdam ging.
An der Opéra de Paris gastierte er unter Wiliam Christie in Händels Alcina. Beim Festival von Aix-en-Provence 2000 feierte Kresimir Spicer als Ulisse/Il ritorno d'Ulisse in Patria von Monteverdi unter William Christie einen international vielbeachteten Erfolg. Im Februar 2005 gastierte der Künstler erneut als Ulisse und mit René Jacobs an der Staatsoper Berlin. Unter Marc Minkowski übernahm der Sänger kurzfristig die Partie des Lurcanio in Händels Ariodante an der Opéra de Paris. Im Februar 2004 am Zürcher Opernhaus unter Minkowski Il trionfo del tempo e del disinganno von Händel und am Stadttheater Klagenfurt Egeo in Cavallis Giasone. Bei den Schwetzinger Festspielen 2005 sowie in Düsseldorf sang er unter Thomas Hengelbrock in Scarlattis Telemaco. Am Grand Théâtre de Genève gestaltete der Künstler unter Attilio Cremonesi erneut einen grossartigen Ulisse von Monteverdi und sang bei den Salzburger Festspielen 2006 unter Thomas Hengelbrock den Alessandro in Re Pastore von Mozart.