Frankfurter Allgemeine Zeitung
24. Juni 2007

OPER
Gefährdete Gefühle, derbe Späße


Christine Rice als Penelope singt fein deklamiert und linear

Die Zeit ist nicht nur, wie die Marschallin im „Rosenkavalier" singt, ein „sonderbar’ Ding" – das hört sich irgendwie poetisch-versöhnlich und verständnisvoll an, sie enthält auch ein hohes zerstörerisches Potential: der bekannte Zahn der Zeit nagt nicht nur an festen Materialien, sondern dringt verhängnisvoll auch ins Innere der Seele ein.

Was wird aus den Gefühlen, wenn zwei Menschen, die sich lieben, für lange Zeit getrennt werden? Der „Fall Odysseus und Penelope" mag dafür ein signifikantes Beispiel sein. Zwei Jahrzehnte fern voneinander und dazu noch in Ungewissheit leben, das kann nicht ohne psychische Folgen bleiben.

Odysseus kehrt nach Ithaka zurück

In Claudio Monteverdis Dramma per musica „Il ritorno d’Ulisse in patria" erlebt man gleichsam das Finale des Gefühlsdramas. Der verschollene Troja-Kriegsheimkehrer Odysseus steht plötzlich wieder vor der Tür im heimischen Ithaka. Im Gegensatz zu ähnlichen Situationen nach dem letzten Weltkrieg hat sich die getreue Gattin Penelope noch nicht wieder gebunden, obwohl es ihr an Verehrern und Bewerbern nicht fehlte.

Aber eine innere Distanz existiert doch, und diese muss erst seelisch überwunden werden, bevor sich die einstmals vertraute Nähe der Herzen wieder einstellt. Mit Hilfe der Oper und der Musik gelingt das natürlich leichter, aber für die Wirklichkeit gelten sicher andere, auch negative Erfahrungen. Die Chemie der Gefühle, die Goethe anschaulich in seinen „Wahlverwandtschaften" beschreibt, gehorcht eigenen Gesetzen als den nur verstandesgemäßen.

Gleichwohl finden sich in Monteverdis „Ulisse", musikalisch und in den Personenkonstellationen, differenzierte psychische Strukturen, die dem Werk sehr moderne Dimensionen verleihen. Penelope ist keinesfalls die antikische Treue-Statue, die durch nichts zu erschüttern ist. Ihr großes Eingangslamento verrät die Bedrängungen, denen ihre Seele ausgesetzt ist. Christine Rice singt es mit schlankem Expressivo, fein deklamiert und linear. Das stachelig-sperrige Gewand, das ihr der Bühnen- und Kostümbildner Christof Hetzer anlegte, das ein wenig an japanisches Theater erinnert, drückt die innere Abwehrhaltung auch optisch aus.

Facetten feiner Psychologie

Später wagt sich Penelope sogar aus ihrer Verkapselung heraus, wenn sie demjenigen der Freier, dem es gelänge, den Bogen des Odysseus zu spannen, ihre Hand verspricht. Der Ausgang dieses Experiments ist zwar bekannt (die Freier schaffen’s nicht und werden von dem als Bettler verkleideten Odysseus „erschossen"), aber zunächst doch mit einer gewissen Ungewissheit für Penelope behaftet.

Das Werk wird so in vielen Facetten von einer feinen Psychologie durchzogen, und wenn man schon eine historische Oper in ein gegenwärtiges Kostüm stecken möchte, dann ginge dies bei Monteverdis „Ulisse" ohne große Verwerfungen: als ein Gesellschaftsstück à la T. S. Eliot mit untergründigen kriminalistischen Vibrationen und diskreter Psychoanalyse. Regisseur David Hermann, in Frankfurt schon mit zwei Monteverdi-Arbeiten („L’Orfeo", „Combattimento") hervorgetreten, entschied sich für seine Inszenierung des „Ulisse" im Bockenheimer Depot, einer Spielstätte der hiesigen Oper, für eine Art Mittelweg, der zwar nicht, wie Alexander Kluges Filmtitel meinte, den Tod brachte, aber doch eine gewisse Unentschiedenheit verriet.

So subtil Hermann seine Penelope führt, die Annäherung an den Mann (Kresimir Spicer als in dieser Partie sehr erfahrener, oft recht vehement intonierender Ulisse) in zögernden, stockenden Gesten und Bewegungen als immer noch gefährdetes neues Glück zeigte, so robust ließ der Regisseur die komischen Elemente, die durchaus zum Werk gehören, ausspielen.

Komödienstadl und Bauerntheater

Die drei Freier (Magnus Baldvinsson, Christian Dietz, Dimitry Egorov) tollten als behaarte Tiermenschen mit Goldstirnband über die Bühne, der gefräßige Iro (Danilo Tepsa mit riesigem Strohhängeschweinsbauch), der aus Angst vorm Verhungern lieber Selbstmord begeht – diese Szenen verrutschen Hermann doch allzu sehr in Richtung Komödienstadl und Bauerntheater, auch wenn Danilo Tepsa für seine Angst einen eindringlichen, gleichsam existentiellen vokalen Tonfall fand.

Nur vorteilhaft präsentierte sich die musikalische Seite der Aufführung. Als Orchester vereinigten sich wieder Streicher des Frankfurter Museumsorchesters, Blechbläser von „ecco la musica" und das „ViviFeliceBarockmusikprojekte"-Ensemble sowie eine ausgesuchte Continuo-Gruppe (mit Felice Venanzoni an Orgel und Regal, der auch die letzten Aufführungen dirigieren wird). Unter Paolo Carignanis befeuernder Leitung vernahm man ein beredtes, stilbewußtes Musizieren, das sich geschmeidig mit der Vokalität eines qualifizierten, in allen Partien, nach Frankfurter Maßstäben, sehr gut besetzten Sängerensembles vereinigte.

GERHARD ROHDE

 

Frankfurter Rundschau
25. Juni 2007

Monteverdis "Ulisse"
Handpuppen der Götter
VON STEFAN SCHICKHAUS

Der beste Freund des Menschen ist das Schaf. Zumindest für Telemaco, den weichlichen Sohn des Odysseus: Er kuschelt sich an seinen lebensgroßen Wollgefährten, schmiegt und liebkost bis zur Sodomie. Menschlich ist dieser Mensch, allzu menschlich, ebenso wie seine Mutter Penelope und wie sein Vater, der alles zerstört, was er in seine starken Hände nimmt. Die Tonvase jedenfalls, die als zunächst einziges Ausstattungsstück auf der Bühne des Frankfurter Opernspielorts Bockenheimer Depot steht, zerbröselt bei seiner bloßen Berührung. Diese drei Menschen sind es, die in Claudio Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" das dreimalige "Mortal cosa son io" des Prologs singen, das ursprünglich der allegorischen Gestalt der "Humana Fragilità", der "Menschlichen Zerbrechlichkeit" zugeteilt worden war.

Schwache und Starke

Für den jungen Regisseur David Hermann, der mit dem "Ulisse" jetzt seinen dreiteiligen Frankfurter Monteverdi-Zyklus beendet hat, ist diese Zuordnung nur konsequent. Es geht ihm nicht um Statthalter, um Allegorien und ums Als ob. Er will die Menschen auf der Bühne haben, die schwachen und die starken. Abstrakte Überhöhung, das hat Hermann durch seinen ganzen Zyklus gezeigt, ist weder in seinem noch in Monteverdis Sinne.

Das Ithaka, auf dem Odysseus strandet, kennt man bereits. Es ist der monolithische Bühnenblock der letzten beiden Monteverdi-Projekte, mit einer kreisrunden Aussparung für das Orchester, zu beiden Längsseiten sitzt das Publikum (Ausstattung: Christof Hetzer). Auf merkwürdige Gestalten trifft hier der Heimkehrer: Den Catweazle-artigen Hirten Eumete, den kugelrund aufgepumpten Vielfraß Iro, die tumben Prinzen, die um die verwaiste Hand Penelopes freien - sie stammen aus der Steinzeit der Menschheitsgeschichte, sind affenartig, triebhaft und überall behaart.

David Hermann bietet einiges auf, um diese mittlere der drei erhaltenen Monteverdi-Opern optisch und interpretatorisch anzureichern, als vertraue er nicht alleine der Macht der Musik. Die Einfälle allerdings, so inhomogen sie in ihrer Anlage auch erscheinen könnten, sind gut. Während unten auf der Bühne ein so physischer Ulisse-Sänger wie Kresimir Spicer echte Menschenkraft verkörpert, geht es über ihm spielerisch leicht zu: Die Übertitel sind mit Flash-Animationen versehen und Trickfilm-Elementen durchsetzt. Die Filmemacher Ingo Park und Maurice Crossier versenkten so das Strichmännchen-Schiff der Phäaken mit einiger Delikatesse.

Die Freier am Kragen

Doch wie es zur Erlaubnis des Versenkens kam, war einer der eindrucksvollsten Regieeinfälle: Jupiter und Neptun aus der schwarz uniformierten Götterwelt mussten nicht selbst ihren Dialog singen (und konnten so, wirtschaftlich geschickt, mit Statisten besetzt werden); vielmehr schnappten sich jeder einen der herumliegenden Freier am Kragen, zerrte ihn hoch und sang gewissermaßen durch ihn. Die Menschen als Handpuppen der Götter.

Auch Paolo Carignani wollte sich nicht auf das verlassen, was an Partitur von Claudio Monteverdi zum "Ulisse" überliefert ist, also auf die Kerninformation Generalbassstimme plus vier Streicher. Sein Orchester erinnerte in seiner Opulenz an den noch ganz Renaissance-nahen "Orfeo" erinnert: Mit zusätzlichen Flöten, Zinken und Posaunen und mit einem Generalbassreichtum aus Barockharfe, Lauten, Regal, Lirone und noch einigem mehr. Der Klang, den der Frankfurter GMD damit erzielte, war entsprechend üppig, lustvoll, farbig - das aus Barockspezialisten wie auch aus Frankfurter Opernmusikern rekrutierte Mischensemble agierte mit einer vitalen Akkuratesse, über die man auch 25 Jahre nach Harnoncourts vergleichbar besetztem Züricher Monteverdi-Zyklus nur staunen kann.

Mit Kresimir Spicer sang im Bockenheimer Depot ein Tenor die Titelpartie, der erfahren wie sonst keiner ist mit der Rolle des Ulisse. Seit 2000 hat er sie in mehreren hochkarätigen Produktionen gesungen. Spicer muss hier seine mächtige Stimme in baritonale Tiefen führen, klingt aber auch dort immer ungemein präsent. Den Ulisse hat er verinnerlicht, nichts wirkt da mehr wie einstudiert, Spicer lebt seinen handfesten Helden. Die Penelope an seiner Seite ist dabei die Britin Christine Rice, auch sie mit klarer Kraft, wenn auch nicht ganz so belebt wie ihr markantes Gegenüber. Unter den behaarten Freiern stach des Bassist Magnus Baldvinsson heraus, ein stabiler Gegenspieler Ulisses'. Peter Marsh gab den Tierfreund Telemaco, Danilo Tepsa den sich selbst ausweidenden Iro, Jussi Myllys den Hirten Eumete - eine homogene, mit Sinn für Stimmcharakteristika zusammengeführte Ensembleleistung.

Der Frankfurter Spielfassung wurde mit harter Hand zu Leibe gerückt, was die Ausdehnung angeht. Dem Dreieinhalbstünder amputiert man rund ein Drittel, der Stringenz tat dies natürlich gut. Als dann für Monteverdi-Verhältnisse überraschend früh Ulisse den Bogen spannte zum Finale, zückte die ihm immer hilfreiche Göttin Minerva ihre Handfeuerwaffe und brachte alle zur Strecke, die nicht edel und gut waren. Die Freier natürlich, ganz nach Homer. Und zuletzt auch das Schaf.

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Dokument erstellt am 24.06.2007 um 17:40:02 Uhr
Letzte Änderung am 24.06.2007 um 20:22:00 Uhr
Erscheinungsdatum 25.06.2007

 

Frankfurter Neue Presse
25.06.2007

Der Mensch leidet wie ein Tier
Mit „Il ritorno d’Ulisse in patria" als letzter Premiere vor der Sommerpause schloss die Oper Frankfurt ihren Monteverdi-Zyklus musikalisch fulminant ab.

Von Michael Dellith

Sie leiden wie die Tiere, sie lieben wie die Tiere, und sie sehen aus wie die Tiere: Die von den Göttern geplagten Menschen in David Hermanns Inszenierung der späten Monteverdi-Oper „Die Rückkehr des Odysseus ins Vaterland" sind in einem verwahrlosten Zustand. Kein Wunder, warten sie doch bereits seit 20 Jahren auf die Heimkehr ihres Königs Odysseus vom Trojanischen Krieg. Die antike Gesellschaft ist völlig desolat. Telemaco, der Sohn von Odysseus, flüchtet sich in die Sodomie und schändet ein (Stoff-)Schaf, die Freier, die um die einsame Königin Penelope buhlen, haben Haare auf der Haut und benehmen sich, aufgereizt von Melanto, der lasziven Dienerin, triebhaft wie die Tiere. Sie bedrängen die Königin in fast unbändiger sexueller Gier – das junge Regie-Team führt in seiner auf zweieinhalb Stunden gestrafften Fassung ungeniert vor, was die Homer-Texte suggerieren. Es setzt auch die aufgeworfenen existenziellen Fragen des Librettos mit geradezu übermütigem Enthusiasmus um. Schließlich soll keine Langeweile aufkommen.

Allein Penelope, vom Ausstatter Christof Hetzer in ein zeltartiges Gewand gezwängt, das, einem Stangen-Korsett ähnlich, ihre Keuschheit und Treue, aber auch ihre Isolation von der Außenwelt symbolisieren soll, bleibt standhaft. Sie erwehrt sich der plumpen Anbiederungen und gibt trotz des übergroßen Schmerzes die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Ehemann nicht auf.

Es ist ein düsteres Szenario, das Hermann und Hetzer in der Spielstätte Bockenheimer Depot schon rein optisch bereiten: Die Spielfläche ist schwarz-spiegelnd, glitschig wie ein Ölteppich, überwölbt von einem Bogen aus Treibholz und verbrannten Latten, in den die deutschen Obertitel samt Comicstrip-artiger Kommentarbildchen eingeblendet werden. Selbst die zerfetzten Hosen der Protagonisten haben schwarze Schmauchspuren. Und doch: Die Inszenierung deckt auch die tragikomischen Seiten dieser Oper auf, etwa in der grotesken Selbstmordszene des Vielfraßes Iro.

Grandios ist das, was Paolo Carignani und sein von hervorragenden Alte-Musik-Experten „infiltriertes" Orchester mitten aus dem Bühnen-Rund erklingen lassen: Barockmusik voller Agilität und Ausdruckskraft, farbig und emotional fein differenziert – inspirierend für ein Sänger-Ensemble, das durchweg erstklassig auftritt, angefangen vom kroatischen Tenor Kresimir Spicer, der die Titelpartie mit subtilsten Nuancen zu gestalten weiß, über die edel und anrührend singende Christine Rice (Penelope) bis hin zu Peter Marsh als Telemaco und vielen weiteren Ensemblemitgliedern, die selbst in kleinsten Rollen höchsten Ansprüchen gerecht werden. Am Ende viel Begeisterung für eine Produktion, die musikalisch Maßstäbe setzt, hinsichtlich der Inszenierung zwar etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber auch dort durch ihren Elan mitreißt.

 

OFFENBACH POST
26. Juni 2007

Monteverdis "Ulisse" im Opern-Depot
Bilder beziehen ihre Kraft aus der Stilisierung

Als Regisseur David Hermann vor gut zwei Jahren seine Claudio-Monteverdi-Trilogie an der Frankfurter Oper begann, galt manchem die Verbindung aus Barockoper und Rock-Ikonografie für waghalsig. Nun, da er mit "Il ritorno d’Ulisse in patria" den Zyklus im Bockenheimer Depot vollendet hat, ist ihm wiederum Kühnheit des Zugriffs zu bescheinigen.

Ausstatter Christof Hetzer hat einen Schleiflacksockel in die Mitte gesetzt. Dieser umschließt das in einer runden Vertiefung untergebrachte Orchester, das mit im Bild ist. Ein unterbrochener Bogen aus schwarz getünchten Planken überspannt das Podium. Das Publikum sitzt beidseits auf Tribünen. Die Übertitelung lässt das Auge hin und her springen; das macht man sich zunutze: Sonne, Mond, Sterne und Wolken ziehen übers Meer - eine zusätzliche visuelle Ebene, kommentierend, indes nicht albern. Die Bildwelt schöpft aus dem Fantasyfilm. Ihre Kraft beziehen die Bilder aus dem hohen Grad an Stilisierung.

Eine Vase zerfällt unter Berührung zu Staub. Alles ist vergänglich, das Leben, das Glück, die Liebe. Giacomo Badoaro bezog sich für das Libretto zum 1640 in Venedig uraufgeführten Werk auf Gesänge aus der Odyssee. Die Heimkehr des Odysseus aus dem Trojanischen Krieg wird zur Projektionsfläche für das Drama menschlicher Existenz. Penelope, die seit 20 Jahren den Freiern trotzt, vermag ihren mit Marterstäben gespickten Umhang für einen Moment abzustreifen - nicht jedoch ihre Leiden.

Ihre Freier sind animalische Wesen mit behaarten Oberkörpern. Die Götter sind in schwarzes Leder gehüllt, mit kriegerisch-wehrhafter Anmutung. Odysseus’ Schutzgöttin Minerva macht später den liederlichen Freiern mit der Pistole den Garaus. Originalität der Bildfindung zieht sich bis in marginale Szenen: Der Bauer, den Körper mit Laub behängt, baut seine Pflänzlein vor sich auf; der gefräßige Fettwanst, eine groteske Gestalt, trampelt die gärtnerische Seligkeit nieder.

Mit traumwandlerischer Sicherheit und Leichtigkeit bewegt sich die Inszenierung auf schmalem Grat. Immer wieder wartet sie mit komödiantischen Momenten bis an den Rand des Putzigen auf. Doch bleibt sie stilsicher, gleitet nie in Beliebigkeit ab. Die zeitgenössischen Mittel, derer sich Hermann kunstvoll bedient, sind auf den dramatischen Zweck ausgerichtet. Mit frischem Zugriff ist er den Idealen der Antike näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Musikalisch ist ein Gelingen im gleichen glanzvollen Ausmaß zu attestieren. Lyrisch wie dramatisch, vokal und darstellerisch bewegen sich Christine Rice (Penelope) und Kresimir Spicer (Ulisse) auf atemberaubender Höhe. Durchweg ansprechend ist das Sängerensemble. Paolo Carignani (alternierend mit Felice Venanzoni) leitet ein so animiertes wie historisch bestens informiertes Orchester aus Streichern des Museumsorchesters und Mitgliedern der Spezialistenensembles Ecco la musica, Vivi Felice und Echo du Danube.

Die einzige überlieferte Partitur ist rudimentär, kaum mehr als Ober- und Bassstimme. Andernorts wird stärker ausgeschmückt. Carignanis Entscheidung für eine schlanke Gestalt bewährt sich im Höreindruck.

S. MICHALZIK

 

Der neue Merker
25.6.07

Frankfurt/Main Bockenheimer Depot
Claudio Monteverdi Il ritorno d'Ulisse in patria

Mit 'Il ritorno d'Ulisse...' setzt die Frankfurter Oper ihren Monteverdi Zyklus fort. Im Bockenheimer Depot kann auch sicher noch unkonventioneller Regie geführt werden. Die Bühne ist beidseitig zum Publikum offen, und dieses sitzt sich auf zwei Tribühnen gegenüber. Die Freunde der Alten Musik kommen ganz besonders auf ihre Kosten, da versucht wurde, einen möglichst originalen Orchesterklang zu realisieren. Mitglieder folgender Ensemles sind daran beteiligt: Die Streicher des zwar 'modernen', aber in barocker Spielweise bewanderten Museumsorchester, 2 Zinken aus "ecco la musica", Blockflöten und Dulzean von "ViviFeliceBarockmusikprojekte" sowie zusätzlich Viola da gamba, Laute, Theorbe, Barockgitarre und -harfe. In einer Rundung innerhalb der Bühne sind die Musiker, die beim Musizieren immer einen gemeinsamen Atem finden, placiert und werden von maestro Paolo Carignani zu Höchstleistungen angehalten. Seine besondere Leistung ist durch blitzschnellle Tempiwechsel, besonders bei den schnellen Ritornellen gekennzeichnet. Dadurch werden die Gegensätze zu den Lamenti von Penelope und Ulisse im 1.Teil geschärft, und es kommt so keine Langeweile auf. Auf einem spiegelnden Boden mit schwarzem Marmor (Bb&Kost.: Christof Hetzer) erscheint Penelope in einer Gewandung mit herausstehenden Teilen und Stöcken, in dem sie wie in ihr Schicksal eingesponnen zu sein scheint. Ihre Dienerin Melanto hat sich mit den Freiern eingelassen und lässt sich von ihnen in Tierfellkostümen anfassen. Der Odysseus wird als draufgängerischer Gewaltmensch, mit freiem Oberkörper und eher kulturlos gezeichnet (Regie David Hermann). Der im Tross der Freier vegetierende Vielfrass Iro reisst sich nach der Niederlage die Blutadern und Gedärme aus seinem Fetten Bauch, wirkt völlig bizarr, aber trotzdem witzig. Odysseus gewinnt Penelope zurück, indem er sich an ein seidenes Leintuch mit einer Diana-Darstellung in ihrem Schlafgemach erinnert, im Unterschied zu Homer, bei dem die Bettstatt um einen dort gewachsenen Olivenbaum herum gezimmert war (vgl. die Weltesche in Hundings Hütte in der Walküre). Die z.T. witzigen Animationen in der Übertitelung sind von Matthias Daenschel.- Mit einem agilen, interessant timbrierten Tenor mit Bandbeite bewältigt Danilo Tepsa die völlig skurrile Rolle des Iro auch gesanglich. Der Hirte Eumete in einem grünen Blättergewand wird von Jussi Myllys mit genz hellem klangreichem Tenor gegeben. Die ganz individuell chargierendenen Freier sind mit Magnus Baldvinsson (Bass), Christian Dietz (hoher Tenor), Robert Gardiner (Bassbariton) und Dimitry Egorov (Countertenor) ein glänzend abgestimmtes köstlich-verkommenes Quartett. Den Telemaco gibt Peter Marsh markant und mit Stirnwunde. So brutal naturburschenhaft er spielt, lässt Kresimir Spicer seinen Ulisse auch tenoral mit wenig Differenzierung aufdröhnen. Katharina Magiera singt Melanto mit eher verhaltenem Mezzosopran, während Jenny Carlstedt als Ericlea einen etwas brustigeren markanten Mezzo aufbietet. Anja F. UIrich ist eine ganz streng geführte Minerva in schwarzem Ritter-Habit, und lässt einmal relativ kurz ihren exzellenten Höhensopran aufblitzen. Eine hochgelobte Franffurter Rollen- Debutantin war Christine Rice, die im Alte Musikfach Karriere macht. Die schöne Altstimme ist aber noch entwicklungsfähig.

Friedeon Rosén