Frankfurt Rundschau
17. August 2006

Monteverdis Marienvesper
Aus dem Himmel

VON ANNETTE BECKER

Wenn zwischen Wiesbaden und Frankfurt ein Lastwagen umkippt, muss im Ernstfall sogar Monteverdi warten. Zum Beispiel dann, wenn die Sponsoren auf dem Weg zum Kloster Eberbach im Stau stecken bleiben. Aber so hatte Festival-Leiter Michael Herrmann Gelegenheit, auf ein Benefiz-Projekt des Rheingau-Musik-Festivals im Februar 2007 zu verweisen, für das seit Anfang August Karten erworben werden können: ein von Anne-Sophie Mutter initiiertes Konzert zu Gunsten eines Mädchenwohnheims im Rumänien. Das mussten die jungen Frauen bisher mit dem Ende ihrer Schulzeit verlassen. Künftig soll es ihnen auch darüber hinaus Schutz und Unterkunft bieten.

Mit allen Wassern

Das war nicht die schlechteste Einleitung zu einem Konzert, in dessen Mittelpunkt die berühmteste junge Frau des christlichen Abendlandes stand: Maria, verehrt als Mutter Jesu Christi, passend zu ihrem Himmelfahrtstag gefeiert mit der berühmtesten Marienvesper zu ihren Ehren, Claudio Monteverdis Vespro della beata vergine. Und trotz der irdischen Begleitumstände geriet das Konzert vor rund 1300 Besucherinnen und Besuchern den Gästen aus Köln in weiten Teilen geradezu himmlisch.

Mit allen heiligen Wassern der Alten Musik sind sie gewaschen, das Vokalensemble La Capella Ducale und die Musica Fiata Köln, und nicht zuletzt Roland Wilson, Dirigent und erfahrener Zink-Bläser, der die sanftmütig klingenden und schwierig zu bändigenden Instrumente mittlerweile sogar selbst baut.

Zu zwölft teilten sich die exzellenten Sängerinnen und Sänger die komplex verwobenen Chorstimmen und Soli, in raffinierten Raumeffekten von den Tiefen des Altarraumes bis zu den Seitenschiffen, temperamentvoll unterstützt von den Expertinnen der Musica Fiata, zu denen auch je drei Zinkenisten und Barockposaunisten gehörten. Sämtliche Facetten von sakraler Schlichtheit bis zu üppig blühender Pracht und geradezu sportlich wetteifernden Verzierungen wurden so kundig zelebriert, als gäbe es kein größeres Vergnügen.

Noten wurden nur sporadisch benötigt. Meist hielten die Musiker Blickkontakt mit dem Publikum, eindringlich, beschwörend, verführerisch. Zwar klang trotz eingeschobener Stimmpause (während derer ein Hörer meinte, dringend auf seinem Taschencomputer tippen zu müssen) gegen Ende nicht mehr alles hundertprozentig engelsrein. Dafür ist das 1610 entstandene und als erstes geschlossenes Oratorium geltende Werk auch zu höllenschwierig. Aber Einsatzfreude und Elan entschädigten für die unwesentlichen Unschärfen. So sinnlich und stilsicher, so kompetent, lebendig und frisch dürfte man Monteverdis Marienvesper selten hören können. Sponsoren, die so etwas unterstützen, dürfen auch mal zu spät kommen.

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Dokument erstellt am 16.08.2006 um 16:08:07 Uhr
Letzte Änderung am 16.08.2006 um 17:14:10 Uhr
Erscheinungsdatum 17.08.2006

 

WIESABDENER KURIER
26.06.2006

Auf historischen Instrumenten
RMF: Claudio Monteverdis "Marienvesper" in Kloster Eberbach

Von Axel Zibulski

ELTVILLE Bachs Passionen oder Mozarts Requiem im Juli und August? Beim Rheingau Musik Festival stehen solche Werke bisweilen zu einer für sie ungewöhnlichen Jahreszeit auf dem Programm; so konnte man beispielsweise vor einigen Wochen in Kloster Eberbach einer hochsommerlichen Aufführung von Bachs Matthäuspassion lauschen. Geschmackssache. Aber immerhin: Zeitlich genau richtig liegt das Festival stets mit seinen Aufführungen von geistlichen Kompositionen zum kirchlichen Feiertag Mariä Himmelfahrt, die seit einigen Jahren am 15. August in der Eberbacher Basilika stattfinden. Die Tradition wurde auch in diesem Sommer fortgesetzt, mit Claudio Monteverdis 1610 veröffentlichter "Vespro della Beata Vergine", die seinerzeit mit ihren affektgeladenen Elementen, ihren virtuos konzertierenden Passagen avantgardistisch gewirkt haben muss.

Für die Aufführung dieser "Marienvesper" hatte das Festival ein Ensemble eingeladen, das sich insbesondere um die Originalklang-Praxis der Musik zwischen Renaissance und frühem Barock verdient gemacht hat: Die "Musica Fiata Köln" musiziert seit ihrer Gründung vor dreißig Jahren auf historischen Instrumenten; entsprechend intonatorisch exakt und stilsicher gespielt wirkten hier selbst die verwendeten historischen Blasinstrumente. Dass sich Monteverdi auf historischem Instrumentarium aufführen lässt, konnte die "Musica Fiata Köln" unter dem Dirigenten Roland Wilson nachdrücklich unterstreichen.

Für die vokale Seite der Marienvesper waren in Kloster Eberbach zwölf Solistinnen und Solisten des Ensembles "La Capella Ducale" verantwortlich; sie arbeiten regelmäßig mit dem Orchester "Musica Fiata" zusammen - das garantierte hier die notwendig enge, ausgeglichene Verzahnung zwischen Instrumental- und Vokalstimmen etwa in den Psalm-Vertonungen oder dem finalen "Magnificat". Gerade die Tenor-Solisten der "Capella Ducale" sangen etwa in der Solo-Motette "Nigra sum" oder dem konzertierend angelegten Satz "Duo Seraphim" vorzüglich, mit durchweg sicher und schwerelos eingeflochtenen Verzierungen. Und ein wenig vom Raumklang-Charakter der Musik Monteverdis ließ Dirigent Wilson zur Geltung kommen, indem er tenorale Echo-Effekte außerhalb des Podiums singen ließ.

Das Publikum honorierte diese exzellente Aufführung der "Marienvesper" nach gut anderthalb pausenlosen Stunden mit großem Applaus.

 

Darmstädter Echo
17.8.2006

Junge Wilde, Alte Musik
Rheingau-Musikfestival: Monteverdis „Marienvesper" im Kloster Eberbach

Von Christian Knatz

EBERBACH. Claudio Monteverdis „Marienvesper" ist im verblüffenden Reichtum an Stilen und Techniken so etwas wie der Zehnkampf der Alten Musik. Die „Capella Ducale" ist ein Spitzenensemble aus gerade einmal zwölf Sängern; doch diese – zugleich Chor und Solisten – meistern das einmalige Jahrhundertwerk, als wäre nichts dabei.

In der Basilika des Klosters Eberbach erweist sich die von Roland Wilson geleitete Formation als unerschöpflicher Quell von Klangformationen – nicht vollends ausgeglichen besetzt, aber im Ganzen brillant und hellwach. Zusammen mit der vortrefflichen, auf historischen Instrumenten spielenden „Musica Fiata" legen die jungen Musiker an Mariä Himmelfahrt eine Marienvesper hin, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Man könnte die Ensembles als Junge Wilde der Alten Musik apostrophieren.

Als habe jemand elektrische Spannung angelegt, musiziert die Kölner Truppe beim Rheingau-Musikfestival, offenkundig beseelt von einer Mission: Seht her, so einfallsreich kann man den altehrwürdigen Generalbass spielen, hört gut zu, mit welcher Leichtigkeit rasante Tonwiederholungen auch für Sänger zu bewältigen sind. Das alles trifft die Aussage der hymnischen Psalmen, die Monteverdi zum Textgerüst bestimmt hat, und es atmet den Geist einer Musik, in der Gefühl und Ton so oft in eins fallen. Eine fesselnde Wiedergabe nahe an der Vollkommenheit: sprechend, schwingend, begeisternd.