hr-online
18. August 2006

Oper Frankfurt, 29. Oktober 2006
"Die Zarenbraut" - Oper in vier Akten

Die Oper in vier Akten erzählt die historische Tragödie von Lew Alexandrowitsch Mei aus dem 19. Jahrhundert. 1899 wurde "Die Zarenbraut" in Moskau uraufgeführt, jetzt feiert das Stück in der Oper Frankfurt Premiere.

Nicht allein von der Tragödie der Zarenbraut Marfa handelt Rimski-Korsakows Oper. Es geht um das Schicksal zweier Frauen, die trotz aller Gegensätzlichkeit und Rivalität Schwestern im Leid sind: Marfa, die vom Zaren zur Brautschau Bestellte und schließlich zu seiner Gemahlin Auserwählte, und Ljubascha, die von Grjasnoi Geraubte. Beide Frauen werden Opfer patriarchalischer Machtstrukturen – die eine, weil sie sich fügt, die andere, weil sie handelt.

Marfa entstammt einer Familie mit gewachsener Tradition. Lange schon liebt sie Lykow, den sie nun heiraten will. Doch weder Marfas Vater noch ihr Verlobter vermögen es, sich dem herrscherlichen Willen zu widersetzen, als der Zar sie zur Frau wählt. Und auch die sanftmütige Marfa fügt sich dessen Wunsch und verzichtet auf ihre Liebe zu Lykow. Anders als Marfa, die ihr Schicksal erduldet, wehrt sich Ljubascha gegen die Welt, die sie umgibt: Als sie erfährt, dass Grjasnoi, dem sie in nahezu selbstzerstörerischer Weise verfallen ist, Marfa liebt, trägt sie ihren Protest nach außen. Sie besorgt ein Gift, das die Schönheit ihrer Rivalin allmählich zerstört.

Mit der Zarenbraut entwarf Rimski-Korsakow eine Oper, in der er einen melodischen Stil mit breit angelegten Arien und ausgefeilter Ensembletechnik anstrebte. Damit setzte er sich bewusst sowohl von der Ästhetik der jungen russischen Schule, der unter anderem Mussorgski angehörte, wie auch von der Konzeption seiner eigenen, früheren Werke ab.

 

Franfurter Neue Presse
24.10.2006

Tod nach der Hochzeit
Am 29. Oktober hat Rimski-Korsakows „Zarenbraut" in der Regie von Stein Winge an der Oper Frankfurt Premiere.

Von den 15 Opern, die Nikolai Rimski-Korsakow (1844–1908) im Laufe seines Lebens schuf, konnte sich keine wirklich im Kernrepertoire der europäischen Opernhäuser halten. In den vergangenen Jahren ist jedoch eine zaghafte Neuentdeckung der Opern des russischen Komponisten zu verzeichnen; so wird in Frankfurt in dieser Saison nach der „Zarenbraut" auch das Künstlerdrama „Mozart und Salieri" im März 2007 zu erleben sein.

Die Handlung der am 3. November 1899 in Moskau uraufgeführten „Zarenbraut" geht auf eine wahre Begebenheit aus der Zeit Iwan IV. – besser bekannt als Iwan der Schreckliche – zurück: Auf der Suche nach einer dritten Ehefrau fiel unter 2000 Anwärterinnen aus dem gesamten Reich die Wahl des Zaren auf die Nowgoroder Kaufmannstochter Marfa Sobakina. Doch sehr bald danach erkrankte die junge Frau und starb schließlich kurz nach der Hochzeit. Die Umstände ihres Todes wurden nie geklärt. In der Oper nun stehen zwei unterschiedliche Frauen im Mittelpunkt der Handlung: Marfa – die spätere Zarenbraut –, die eigentlich ihrer Jugendliebe, dem Bojaren Lykow, versprochen ist, ergibt sich ihrem Schicksal und verzichtet auf ihren Verlobten, als der Zar sie erwählt. Ljubascha hingegen, die Geliebte des der gewaltbereiten zaristischen Leibgarde – den Opritschniki – angehörenden Grigori Grjasnoi, kämpft um ihr Glück. Denn als sich auch Grigoris Begehren auf die schöne Marfa richtet, versucht er, das Mädchen durch den mit einem Zaubermittel versehenen Verlobungstrunk für sich zu gewinnen. Ljubascha aber vertauscht zuvor das Liebespulver mit einem schleichend wirkenden Gift, das Marfas körperliche Reize zerstören soll. Als diese schwer erkrankt und nach der Vermählung mit dem Zaren vom Tod Lykows erfährt, verfällt sie dem Wahnsinn. Grigori gesteht seine Mitschuld am Geschehen und tötet Ljubascha. Marfa erträumt im Wahn ihr verlorenes Glück.

Die musikalische Leitung dieser Neuinszenierung des Norwegers Stein Winge, der auch bei der „Verkauften Braut" Regie führte, liegt bei Michail Jurowski. Die Titelpartie übernimmt das Ensemblemitglied Britta Stallmeister. (md)

 

Frankfurter Rundschau
25. Oktober 2006

Michail Jurowski im Interview
"Jede Oper ist ein neuer Eisberg"


Michail Jurowski ist der neue Chefdirigent des WDR-Rundfunkorchesters in Köln. (FR)

Frankfurter Rundschau: In Frankfurt wurde zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg keine der immerhin 15 Opern von Nikolaj Rimskij-Korsakow aufgeführt. "Die Zarenbraut" jetzt wird die erste sein. Schüttelt ein russischer Dirigent darüber nur den Kopf oder hat er vielleicht eine Begründung für diese Abstinenz?

Michail Jurowski: Nein, erklären lässt sich das nicht. Rimskij-Korsakow war ein Komponist, der grundsätzlich für das eigene, russische Publikum geschrieben hat. Er war zwar Wagnerianer und hat das Beste aus dem Westen in seine Musik integriert, war absolut führend in allen Fragen der Orchesterbehandlung. Aber mit dem Ausland hatte er nichts zu tun, ganz im Unterschied zu Tschaikowsky, der ja Europas liebstes Kind war. Tschaikowsky war Weltmann, Rimskij-Korsakow war Russe. So viel ich weiß, war aber Die Zarenbraut, neben Smetanas Die verkaufte Braut, vor dem Dritten Reich eine der beliebtesten Opern in Deutschland. Ein Drama in einem historischen russischen Rahmen, das war sehr populär. Und ihre Zeit ist jetzt wieder gekommen: Sie wird gerade in den USA, in Frankreich und in der Schweiz gespielt.

Von Rimskij-Korsakows Kollegen Modest Mussorgsky gab es vor eineinhalb Jahren an der Oper Frankfurt die "Chowanschtschina" zu sehen, auch ein historischer Stoff aus der Zarenzeit.

In der russischen Geschichte gab es drei Zaren, die besonders blutig waren: Peter der Große, in dessen Zeit die Chowanschtschina spielt, Iwan der Schreckliche, um den es in Die Zarenbraut geht, und schließlich Stalin, der blutigste von allen - denn der russische Kommunismus war eine Art Monarchie, eine Diktatur. Und ihre Tradition ist in Russland noch längst nicht zu Ende.

Kann man sagen: Wem die "Chowanschtschina" gefallen hat, der wird auch "Die Zarenbraut" mögen? Sind sie vergleichbar?

In der Zarenbraut spielen die Volksszenen nur eine mehr dekorative Rolle. Es werden zwar uralte russische Hymnen zitiert, aber aus rein rituellen Gründen. Bei Mussorgsky steht das Volk und damit der Chor in der absolut ersten Reihe. Bei Rimskij-Korsakow sorgen sie lediglich für eine historische Begleitmusik. Die Zarenbraut ist vielmehr sehr stark konzentriert auf den Konflikt der Individuen: Es geht um das tragische Problem der Liebesmüdigkeit, der Entfremdung, und das ist überzeitlich, nicht an die Historie gebunden. Doch muss man sagen, dass hier gerade auch die positiven, lebensfrohen Farben überaus wertvoll sind. Denn egal in welcher Zeit und egal, wie blutig ein Regime war: Menschen können glücklich sein, verliebt sein, das Leben genießen. Ich lebte siebeneinhalb Jahr noch in der Stalin-Zeit, das habe ich nicht vergessen, doch auch da konnte es Unbeschwertheit im Privaten geben. Und für die Oper braucht es diesen Kontrast, denn wenn alles nur schwarz ist, bewegt sich nichts. Je glücklicher unsere Protagonisten sind, desto tragischer ist dann ihr Schicksal.

Zum Schicksal der Protagonisten gehören eine Braut wider Willen und ein Liebestrank, der vertauscht wird in einen anderen - man kann sich an Wagners "Tristan" erinnert fühlen, oder?

Na ja, bei Tristan gibt es einen wirklichen Zaubertrank, hier aber geht es um bestimmte chemische Substanzen, die bestimmte Reaktionen hervorrufen. In Russland gab es damals viele Medizinexperimente dazu. In ganz Europa hatte die Kirche ein Auge auf so etwas und verteufelte es als schwarze Magie, nicht aber in Russland. Die Zaren kauften regelrecht deutsche Mediziner dazu ein. Peter der Große beispielsweise hat Friedrich dem Großen ein ganzes russisches Dorf für Sanssouci eingetauscht gegen einen Chemiker.

Ihr Kollege Kirill Petrenko, der hier die "Chowanschtschina" einstudiert hatte, sagte im "FR"-Interview: Er liebe eine Wagner-Oper wie eine schöne Fremde, eine russische Oper aber wie sein eigenes Hemd. Geht es Ihnen ebenso?

Ein Parsifal, wie ich ihn mit Harry Kupfer vor zwei Jahren in Genua gemacht habe, ist kein bisschen weiter von mir entfernt als Die Zarenbraut oder die Chowanschtschina. Ich lebe seit 1990 in Deutschland, habe viel Erfahrung gesammelt mit westeuropäischer Musik, da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Mein Prinzip ist: Sich mit dem Material zu identifizieren, es eben nicht wie einen Mantel anzuprobieren und an sich anzupassen. Ob Falstaff, Parsifal oder Eugen Onegin: Man muss immer zunächst die Intonation des Komponisten zu verstehen versuchen und dann, in Verbindung mit dem eigenen Geschmack und der Erfahrung, dem gerecht werden. Wagner soll wie Wagner klingen, Tschaikowsky wie Tschaikowsky, jede Oper ist dabei ein neuer Eisberg. Natürlich bin ich mit all der großen sowjetischen Musik aufgewachsen, mein Vater Wladimir Jurowski ist ein bekannter Komponist gewesen. Doch Wagner, Strauss und Mozart waren immer gleich herzlich willkommen bei uns zuhause.

Also dirigiert nicht ein Italiener Verdi besser und ein Deutscher Wagner?

Eine schwere Frage. Die Musikwelt ist international, sie kennt keine Grenze. Die Schlüsselfrage jedenfalls ist immer die Sprache. Wenn ich eine Oper gleich welcher Nationalität dirigiere, kenne ich jedes Wort in all seinen Bedeutungen. Das ist wichtig, weil die Komponisten in ihrem Sprachrhythmus komponiert haben. Im Deutschen ebenso wie im Russischen sind daher zum Beispiel die Punktierungen breiter zu nehmen als im Italienischen - in der Partitur sieht es zwar gleich aus, man muss die Sechzehntelnote aber dort kürzer, hier breiter nehmen in der Verbindung mit dem Wort. Wobei das nicht nur für die Oper gilt, oft auch für die reine Instrumentalmusik.

Trotzdem haben Sie an der Komischen Oper vor einem halben Jahr Rimskij-Korsakows "Goldenen Hahn" auf Deutsch singen lassen, obwohl das dann ja nicht zur Musik passen kann.

Es hat gepasst, weil wir wahnsinnig daran gearbeitet hatten. Für die Komische Oper ist es eben obligatorisch, alles auf Deutsch zu machen, und ich bin durchaus der Meinung, dass nicht nur in der Originalsprache gute Resultate erzielt werden können. Für Frankfurt aber könnte ich mir eine russische Oper auf Deutsch nicht vorstellen. Mit meiner Frau zusammen habe ich für das Ensemble eine wörtliche Übersetzung angefertigt, was doch Verwunderung darüber auslöste, was da überhaupt gesungen wird. Die offizielle deutsche Übersetzung ist relativ weit weg vom Original.

Sie sagten anlässlich der Berliner Produktion, die Vorstellung, es könne einen russischen Orchesterklang geben, gehöre ins Museum. Wird das Frankfurter Opernorchester kein bisschen russischer klingen, wenn Sie "Die Zarenbraut" dirigieren?

Natürlich, wir suchen für Die Zarenbraut mit dem Museumsorchester schon den entsprechenden Klang. Das ist ein sehr interessanter künstlerischer Prozess. Die Arbeit mit einem Orchester hat aber nichts mit Mystik zu tun. Man verfolgt konkrete Schritte auf dem möglichst kurzen Weg zum Ziel. Ein Orchester ist eine Ansammlung von Musikern, die - im Falle Rimskij-Korsakows sehr detaillierte - Partituranweisungen umsetzen. Was würde "russischer Klang" aber konkret bedeuten? Russische Orchester haben traditionell saftige Streicher, einen ein bisschen fetten, herzlichen Klang. Aber das entspricht einfach der Musik, die sie spielen, eben der russischen. Dahin komme ich auch mit dem Museumsorchester, auf ganz herkömmlichen Weg. Ohne Alchemie.

Interview: Stefan Schickhaus

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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 24.10.2006 um 16:24:08 Uhr
Letzte Änderung am 24.10.2006 um 16:56:50 Uhr
Erscheinungsdatum 25.10.2006

Interview.
Michail Jurowski, der neue Chefdirigent des WDR-Rundfunkorchesters in Köln, konnte sich erst seit 1990 in Deutschland einen Namen machen. In der Sowjetunion hatte der Sohn des Komponisten Wladimir Jurowski Reiseverbot, die Komische Oper in Ost-Berlin war damals sein erster Kontakt mit der Außenwelt. Seine internationale Karriere startete er erst als 44-Jähriger, doch schnell luden ihn die Opernhäuser von Berlin, Dresden, Hamburg und Leipzig zu regelmäßigen Dirigaten ein. 2003 war er auch an der Oper Frankfurt mit Verdis "La Traviata" zu Gast.
Für die Oper Frankfurt studiert der in Berlin lebende Jurowski nun Nikolaj Rimskij-Korsakows selten gespielte Oper "Die Zarenbraut" ein. Premiere ist am Sonntag, 29. Oktober, um 18 Uhr.
www.oper-frankfurt.de

 

Frankfurt Allgemeine Zeitung
27. Oktober 2006 

OPER
Liebe mit entsetzlichen Folgen

Von Ellen Kohlhaas

Stein Winge
Der norwegische Regisseur Stein Winge

In der russischen Kunst und Kultur fühlt sich der norwegische Regisseur Stein Winge zuhause. Vor allem Tschechow spricht ihn an, von dem er alle wichtigen Stücke inszeniert hat, aber auch die russische Oper, der er sich ebenfalls oft zugewandt hat. So lag Rimski-Korsakows „Zarenbraut" nicht fern, in der Winge obendrein eine Tschechow verwandte Poesie wiederfand. Allerdings auch eine Brutalität, die sich freilich bei Tschechow auf mentale Quälereien beschränke, wie er nun im Gespräch mit der F.A.Z. einschränkte.

Ausgehend von seiner Erfahrung mit Tschechow, aber auch mit dem nicht minder verehrten Shakespeare, fallen Winge aber auch die dramaturgischen Schwächen in der „Zarenbraut" besonders auf. An Dramatik mangele es dem Werk. Andererseits zieht ihn an dieser „langsam voranschreitenden Tragödie" die düstere Seite an, die alle Figuren „zu Verlierern macht, sogar den Zaren Iwan den Schrecklichen, der ja seine dritte Frau, die aus zweitausend Mädchen ausgewählte Marfa, gleich wieder verliert", sagt Winge.

Aussichtslose Liebe zu Marfa

Eine Schlüsselfigur ist für ihn Grigori Grjasnoi, ein Mitglied der zaristischen Leibwache, der Opritschniki. Daß er sich in eine aussichtslose Liebe zu Marfa verrenne, die längst dem Bojaren Iwan Lykow versprochen ist, werfe ihn politisch wie persönlich aus der Bahn, erklärt Winge. Denn der hohe Beamte wird zum Mörder seiner ehemaligen Geliebten, Marfas Nebenbuhlerin Ljubascha. In der Oper hat er das erste und fast das letzte Wort und hält sie so dramaturgisch zusammen.

Über diese Entdeckung hinaus möchte Winge dem allzu losen Gefüge der vier Akte aufhelfen, indem er manche wichtigen Handlungsdetails, die Rimski-Korsakow hinter der Bühne versteckt, zum besseren Verständnis ins Geschehen einbezieht, ohne etwas hinzuzuerfinden. Denn alle diese Extras habe er der Oper selbst entnommen, versichert der Regisseur.

Dazu gehören der verhängnisvolle Tausch des Giftes oder die eigentliche Brautwahl, die Winge am Beispiel von zwölf Mädchen vorführen wird. Gift soll auch die politische und menschliche Atmosphäre beherrschen - das will Winge in Übereinstimmung mit Bühnenbildner Benoit Dugardyn hervorkehren, selbst in den Festszenen des ersten und dritten Aktes. So soll die verborgene Dramatik als Angstspirale hervorgelockt und zugespitzt werden.

„Mein Job ist das möglichst klare Erzählen der Geschichte"

Seine Absicht, auf diese Weise Rimski-Korsakows allzu episch-ariosem Feinsinn musiktheatralisch auf die Sprünge zu helfen, begründet Winge mit der Geburtshelferrolle des Regisseurs: „Mein Job ist das möglichst klare Erzählen der Geschichte. Nun ist ,Die Zarenbraut' keine ,Traviata', auch keine ,Verkaufte Braut', also keine bekannte Oper mit ohne weiteres nachvollziehbarem Ablauf. Rimski-Korsakows Oper ist vielmehr ein unbekanntes, manchmal undurchsichtiges Stück." Trotzdem, so erklärt Winge, müsse das Publikum die Geschichte verstehen. „Dabei hilft mir meine Erfahrung als Schauspieler und Theaterregisseur, vor allem mit den grandiosen Dramenerfindern Shakespeare und Tschechow, die verborgenen dramatischen Plots herauszufinden".

Mit Recht hält Winge den Schluß der Oper, als Marfa vergiftet dahinsiecht und bei der Nachricht von Lykows Hinrichtung, wie Donizettis Lucia di Lammermoor, wahnsinnig wird, für den eigentlichen und den einzigen musiktheatergemäßen Höhepunkt der Oper. Darauf habe der Regisseur alles Vorherige möglichst folgerichtig hinzuinszenieren, auch dann, wenn der Komponist selber diese Logik schuldig bleibe.

An diesem Schlußpunkt will Winge noch einmal vorsichtig nachhelfen: In seiner Inszenierung wird der gemeuchelte Lykow, der genau wie der schreckliche Zar Iwan heißt, noch einmal als Marfas Halluzination auftauchen. Dadurch wird deutlich, daß die Zarenbraut in ihrer Geistesverwirrung den Zaren für den geliebten Iwan hält. Winge geht es um die phantastischen, aber auch entsetzlichen Folgen der Liebe. Vor allem dann, wenn sie zur fixen Idee wird, wie für den im Grunde ehrenhaften, schließlich reuigen Grigori und für den Despoten, der in allen Frauen käufliche Spielzeuge sieht. Auch diesen Themenstrang möchte Winge herausarbeiten. Eigentlich ist „Die Zarenbraut" für Stein Winge seine zweite „Verkaufte Braut": Die düstere Variante von Smetanas Oper, die er in der vorigen Spielzeit in Frankfurt inszeniert hatte.

 

F.A.Z.
30. Oktober 2006
Nr. 252 / Seite 41

Die Zarenbraut in modernem Gewand

FRANKFURT. Um größtmögliche Verständlichkeit geht es dem Regisseur Stein Winge in seiner Inszenierung der wenig bekannten Oper "Die Zarenbraut" von Nikolai Rimski-Korsakow. Und bei der Premiere in der Oper Frankfurt ließ sich gestern die etwas krause Geschichte um die Kaufmannstochter Marfa, die ein Bösewicht, ihr wahrer Geliebter und Zar Iwan der Schreckliche gleichermaßen als Braut begehren, bis zur Pause gut nachvollziehen. Der norwegische Regisseur hat das Geschehen in naivem Realismus in die Gegenwart verlegt. Die Bühnenbilder von Benoît Dugardyn schaffen dazu in den ersten beiden Akten mit einer Hotel-Lounge und einem Holzhaus eine eher düstere Atmosphäre. In der lyrischen Titelpartie und der Hauptrolle des Grjasnoi überzeugen die Ensemblemitglieder Britta Stallmeister und Johannes Martin Kränzle sowie Elena Manistina als eifersüchtige Ljubascha. Das Museumsorchester unter der Leitung des Gastdirigenten Michail Jurowski bringt die kunstvolle Orchestration angemessen zur Geltung. Mäßiger Applaus zur Pause. gui.