Frankfurt Rundschau
31. Oktober 2006

OPER FRANKFURT
Vom Terror unerreichbar

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Nikolai Rimski-Korsakow war Sympathisant und Symbolfigur der Aufstände von 1905 und überhaupt politisch sehr interessiert. Seine dezidiert politische Opernparabel Der goldene Hahn blieb zu seinen Lebzeiten verboten. Auch in der 1898 geschriebenen Zarenbraut gibt es eine damals höchst brisante antizaristische Unterströmung. Die Handlung spielt auf einen Vorfall aus der Regierungszeit von Iwan dem Schrecklichen an. Marfa, Tochter eines Kaufmanns und verlobt mit dem Bojaren Lykow, wird von der Hochzeitstafel weg dem Zaren, der vorher ein Auge auf sie geworfen hat, zugeführt. Die wider Willen zur Zarewna Kreierte endet im Wahnsinn. Der einem Drama von L. A. Mej folgende Stoff kompliziert sich durch weitere Hauptfiguren und Intrigen, die Marfa gleich als mehrfaches Opfer erscheinen lassen. Der brutale Frauenheld Grjasnoi fühlt sich zu ihr in einer "amour fou" hingezogen und versucht, sie sich mit einem Liebestrank gefügig zu machen. Diesen tauscht seine eifersüchtige Geliebte Ljubascha durch ein Gift aus, das Marfas Schönheit und Geist zerrüttet.

Vor allem in den ersten Akten lotet Rimski vorsichtig, aber deutlich die Kritik am Tyrannensystem aus. Die Opritschniki, die gewalttätige Zarengarde, hausen nach den Worten des Volkes "schlimmer als die Hunde". Rimski verknüpft mit ihrem Auftritt die (auch in Mussorgskis Boris zitierte) traditionelle Zarenhymne "Slawa", deren patriotisch-schwungvoller Habitus in solchem Kontext etwas prekär Gebrochenes bekommt. Das scheinbar Festliche und Offizielle dieser Repräsentationsmusik wendet sich damit ins Sarkastische. Eine Poetik der indirekten, unterschwelligen Opposition, die später in Schostakowitschs Symphonien ausführlicher entfaltet wurde.

Die heile russische Weltim unerreichbaren Hintergrund

Stein Winges umweglos realistische, den wichtigen Handlungsmotiven sorgfältig nachgehende Frankfurter Inszenierung verschärft und verfinstert das russische Kolorit des manifesten Terrors und der allgegenwärtigen sexuellen Unterdrückung. So verbleibt die urtümliche Vitalität der Männerhorde nicht im harmlos Folkloristischen, sondern wird (im ersten Akt) zum Fanal einer kollektiven Vergewaltigung, bei der sich die Opritschniki in Wolfsmasken über einen entblößten Frauenkörper hermachen. Stachelte diese drastische Szene einige Zuschauer noch zu lautstarkem Protest an, so wurde ein Koitus im schwankenden Auto (2. Akt) mit den Opritschniki von amüsierten Voyeuren wohl als eher pittoresk-witzig hingenommen. In atemberaubend akkuratem Timing funktioniert das Ende des dritten Aktes mit der just ins Hochzeitsfest hereinbrechenden Katastrophe.

Im Schlussakt triumphiert Winges präzis kammertheatralische Personenregie, konzentriert auf die mädchenhafte Gestalt der Marfa. Diese zeigt sich nicht als Lädierte, sondern im Status der Entrückung und Verklärung, gleichsam unerreichbar vom realen Schrecken. Das korrespondiert mit der somnambulen "Wahnsinnsarie", die zu den subtilsten und tiefgründigsten dieser Art in der gesamten Opernliteratur zählt.

Hier erscheint auch zum dritten Mal das Traumbild einer russischen Ideallandschaft mit einem sanft sich dahinschlängelnden Wiesenpfad, Ikone einer "heilen Welt", die den Protagonisten (vor allem Marfa) auf ihrem Leidensweg verwehrt ist. Als diskretes optisches Leitmotiv wird dies beim Erklingen des Gesangsthemas in der tempestuösen Ouvertüre (die ahnungsvoll mit der Wahnsinnsmelodie endet) eingeführt. Eine weitere wichtige Zutat Winges ist die stumme "Brautschau" des Zaren, die Rimski aus Sorge vor der Zensur aussparte. Entgegen dem Dogma moderner Operninszenierung präsentiert Benoit Dugardyn für jeden der vier Akte komplett unterschiedliche Schauplätze: einen kühlen Marmorsaal mit niedriger Decke, eine Straße mit hoher Mauer, Wachtturm und bedrohlicher Kreml-Andeutung, einen lichten Festsaal und schließlich ein hell-klassizistisches, untiefes Zarenhof-Vorzimmer. Auch die Kostüme von Ingeborg Bernerth orientieren sich eher an der Gegenwart als an der Zeit der dritten Ehe Iwans des Schrecklichen (um 1570). Ein Hinweis darauf, dass es sich um ein historisches Sujet handelt, das in Russland und anderswo durchaus noch traurige Aktualität hat.

Rimskis Musik ähnelt in ihrem reichen Lyrismus mehr Tschaikowski als dem dramatisch zupackenden, furiosen Mussorgski. Mit Ausführlichkeit und Aufmerksamkeit werden große Vokalensembles aufgewölbt, bis hin zum Sextett im dritten Akt. Überall sind russische Intonationen spürbar, auch wenn Rimski kaum originale Volksmusik verwendet. Die Tendenz zur Breite, zum ausströmenden Melos, scheint den dramatischen Drive zu hemmen, ist jedoch Element einer klug und bewusst gehandhabten (dem russischen Opernpionier Michail Glinka verpflichteten) Ästhetik, die einleuchtet, wenn man sich auf sie einlässt. Zumal Rimskis Tonsprache ebenso inspiriert wie meisterhaft durchgeformt ist. Ihr hervorragender Frankfurter Anwalt war Michail Jurowski, der das Museumsorchester zu pointierter, farbsatter Klanggestaltung animierte.

Geradezu grandios das Team der Sängerdarsteller, an der Spitze zwei Frankfurter Opernkünstler, die sich mit Intelligenz und Einfühlungsvermögen scheinbar mühelos den Anforderungen der russischen Originalsprache stellten: Britta Stallmeister, jugendlich klar und problemlos höhensicher in der Titelpartie, und Johannes Martin Kränzle mit profundem Bariton, in allen schauspielerischen Facetten von wurmhafter Wendigkeit und erotischer Verfallenheit exzellierend, als zwielichtiger Grjasnoi. Eine exquisite Frauenstudie die Ljubascha von Elena Manistina (mit dem Gesicht einer Grünewald-Madonna), untadelig schon in der zarten a-cappella-Tönung ihres Auftrittsliedes. Tenoral machtvoll der Wanja Lykow von Michael König; fulminant der gleißende Charaktertenor von Hans-Jürgen Lazar als Bomeli. Vorzügliche Chorpräsenz (Einstudierung: Alessandro Zuppardo). Nach unendlich langer Rimski-Abstinenz will die Oper Frankfurt in dieser Spielzeit vom selben Komponisten auch noch Mozart und Salieri herausbringen.

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Dokument erstellt am 30.10.2006 um 16:48:09 Uhr
Letzte Änderung am 30.10.2006 um 16:50:19 Uhr
Erscheinungsdatum 31.10.2006

 

DIE WELT
31.10.2006

OPER
Die "Zarenbraut" und ein Palastflur voll von Toten

Das Stück von Nikolai Rimski-Korsakows hat Premiere in Frankfurt: Den historisch belegten Fall der wahrscheinlich vergifteten dritten Frau Iwans IV., genannt "Der Schreckliche", verlegt der norwegische Regisseur Stein Winge in eine vage Stalin-Ära. Die größten Stärken der Inszenierung liegen auf der musikalischen Seite.

Von Manuel Brug

Nicht nur die irren italienischen Belcanto-Fräulein à la Lucia di Lammermoor sind für gewöhnlich des Opernwahnsinns fette Beute. Auch für das russische Repertoire ließe sich eine eindrückliche musiktheatralische Krankenakte anlegen. Meistens ereilt es hier ebenfalls die unter Zwang dem falschen Mann Angetrauten, die sich im Finale in den Wahnsinn verabschieden. So wie die Titelheldin in Nikolai Rimski-Korsakows "Zarenbraut" von 1899, die nach Zürich, Paris und St. Petersburg gerade in Frankfurt nach mehr als 100 Rimski-Korsakow-freien Jahren eine kleine, wichtige Renaissance feiert.

Das Werk hat es verdient. Zwischen Rimskis vierzehn weiteren, in Westeuropa gleichfalls nicht häufig gezeigten Opern steht es einzigartig da. Meist vertonte der Petersburger Komponist Märchen und Folklorestoffe, hier fügt er sich mit dem Melodrama nach einem Schauerstück von Lew A. Mej eher in die Tradition von Glinkas "Leben für den Zaren", Borodins "Fürst Igor" oder Mussorgskys "Boris Godunow".

Der historisch belegte Fall um den wohl durch Gift bedingten Tod der dritten Frau Iwans IV., genannt "Der Schreckliche", der Kaufmannstochter Marfa Sobakina, sowie die anschließende Hinrichtung des Bojaren Grigori Grjasnoi ist hier vor allem Folie für eine private Tragödie. Der Zar selbst ist nur ganze zwölf Takte als stumme Figur auf der Bühne, wenn er Marfa als Braut erwählt.

Der norwegische Regisseur Stein Winge hat das konsequent, aber auch ein wenig zu modisch ins 20. Jahrhundert einer vagen Stalin-Ära verlegt. Benoît Dugardyns vier Bilder, ein Holzhäschen vor der Moskauer Stadtmauer, ein von wallenden Vorhängen ausgekleideter Salon und ein kühl klassizistischer Palastflur sind konsequent schwarz-weiß. Nur im Offiziersclub des Anfangs glänzt Marmor dramatisch grün geädert. Rot sind darin die T-Shirts der Zaren-Hooligans, der Opritschniki, die eine Massenvergewaltigung als dumpfes Ritual zelebrieren. Da wird Winge überdeutlich, wie auch am Ende des zweiten Bildes, als der charaktervoll singende Hans-Jürgen Lazar, Leibarzt des Zaren, sich halbnackt in einer lustvoll schwankenden Limousine den Lohn für den Todestrank in Liebesnaturalien abholt.

Die freigiebige Bestellerin ist die von Elena Manistina mit wohlig gutturalem Mezzo gesungene Ljubascha. Die Geliebte Griasnojs will ihn nicht an die unschuldige Marfa verlieren, welche mit seinem Freund Iwan (kraftvoll, bisweilen engstimmig: Michael König) seit Kindertagen vertraut ist und kurz vor der Heirat mit ihm steht, was freilich der Zar verhindert. Dennoch vertauscht die eifersüchtige Ljubascha einen Liebestrank, mit dem Grjasnoi Marfa gefügig machen wollte, durch das schleichende Gift. Am Ende ist der Palastflur von Toten gesäumt.

Die größten Stärken dieser Frankfurter Premiere liegen auf der musikalischen Seite. Michail Jurowski und sein Museumsorchester lassen wunderbar Atmosphäre entstehen, oft dunkel grundiert, vor der die meist kurzen, prägnant ariosen Einschübe und die komplexen Ensembles sich abheben. Britta Stallmeisters mit farbenreich leuchtendem Sopran verkörperten Wahnsinnsszene Marfas krönt sie akustisch.

Frankfurt hat klangsatt auftrumpfende, weich verschmelzende, von Alessandro Zuppardo blendend einstudierte Chöre zu bieten und ein prachtvolles Sängerensemble, aus dem der Grigori Grjasnoi von Johannes Martin Kränzle herausragt. Leicht strömend und mit elegantem Wohlklang tönt sein Bariton fast zu freundlich für dieses Patentekel aus dem alten Moskau.

 

Frankfurter Neue Presse
31.10.2006

Liebe bis in den Wahn
Die Premiere von Stein Winges Inszenierung der „Zarenbraut" von Rimski-Korsakow an der Oper Frankfurt hinterließ einen zwiespältigen Eindruck.

Von Michael Dellith

Die Geschichte Russlands – vor allem auch die zaristische – ist mit vielen Grausamkeiten gespickt. Eine wahre Begebenheit, die auf Iwan den Schrecklichen zurückgeht, liegt denn auch der Oper „Die Zarenbraut" von Rimski-Korsakow zugrunde: Der Zar wählte unter 2000 Anwärterinnen aus dem gesamten Reich die Kaufmannstochter Marfa zur dritten Ehefrau, doch die junge Frau starb kurz nach der Hochzeit unter ungeklärten Umständen.

Der norwegische Regisseur Stein Winge hat es sich bei der selten gespielten Oper zur Aufgabe gemacht, die etwas krude Geschichte so klar und deutlich wie nur möglich im realistisch-modernen Bühnengewand (Bild: Benoit Dugardyn; Kostüme: Ingeborg Bernerth) zu erzählen. Doch dabei erlag er der Gefahr des Überinszenierens. Kaum eine Sekunde verging, ohne dass auf der Bühne nicht etwas passierte, was vom eigentlich Wichtigen ablenkte und die Energie aus der Szene nahm. Allein im letzten Akt vertraute Winge bei Marfas Wahnsinns-Arie auf die Kraft der Musik. Hier war alle Aufmerksamkeit auf die Titelfigur konzentriert.

Völlig daneben geriet die Chorszene im ersten Akt, wo Winge konterkarierend zum poetischen Gesang eine Massenvergewaltigung auf die Bühne brachte, nur zaghaft verdeckt durch eine Riege konvulsivisch zuckender Leibgardisten, als ob er dem Zuschauer minutenlang vor Augen führen müsse, dass die Geheimarmee des Zaren kein Volk von Kostverächtern war. Auch im zweiten Akt bediente sich Winge eines Klischees, ließ den deutschen Leibarzt des Zaren im alten Mercedes auf die Bühne rollen und sich darin anschließend mit der drallen Ljubascha unter gründlicher Auslastung der Federung vergnügen – ein ziemlich abgeschmackter Gag.

Rundum erfreulich dagegen die musikalische Seite der Inszenierung. Es wurde mit Elan und großem Einsatz (in russischer Sprache) gesungen und geschauspielert. Schon in der Ouvertüre spornte Gastdirigent Michail Jurowski das Museumsorchester zu einem quirlig-schmissigen Tempo an. Rimski-Korsakow klang unter seiner Regie fast wie ein russischer Verdi, solche melodische Kraft entfaltete sich im Orchestergraben.

Auf der Bühne entwickelten die vielen Ensemblemitglieder im Verbund mit den Gästen starken Teamgeist: Britta Stallmeister gab eine in ihrer kindlichen Naivität berückende Zarenbraut, voll stimmlicher Anmut und Begeisterungsfähigkeit, Johannes Martin Kränzle mit größter Emphase einen ebenso leidenschaftlichen wie verzweifelten Grigori Grjasnoi. Simon Bailey nahm man den brutalen Geheimarmee-Chef Maljuta Skuratow im schwarzen langen Ledermantel nur bedingt ab, herrlich kauzig dagegen Hans-Jürgen Lazar als windiger Leibarzt Bomeli und eine bei aller Spielfreude etwas zu junge Ann-Marie Backlund als Kaufmannsfrau Saburowa.

Unter den Gastsängern setzte die Russin Elena Manistina als Ljubascha ihren Mezzosopran besonders glutvoll ein, Michael König gefiel als Bräutigam Iwan Lykow mit feinem Tenor, während Michail Schelomianski dem Kaufmann Sobakin fast aristokratische Züge verlieh. Nicht zuletzt hatte Alessandro Zuppardo den Opernchor wieder einmal vorzüglich auf seine vielfältigen Aufgaben eingestimmt.

 

Mannheimer Morgen
31. Oktober 2006

OPER: Stein Winge inszeniert Rimski-Kosakows "Zarenbraut" an der Frankfurter Oper als lyrische Anklage
Liebe und Wahnsinn in Zeiten des Krieges

Von Britta Richter

In den Wahnsinn geflüchtet, sitzt sie in weißem Brautkleid-Tüll auf dem Boden und phantasiert sich zurück in die blühenden Gärten ihrer Kindheit. Zurück an die Seite ihres Geliebten und in den Frieden der Unmündigkeit. Erst vor wenigen Tagen zur dritten Ehefrau des Zaren Iwan IV. gekrönt, verfällt Nicolai Rimski-Korsakows "Zarenbraut" nach einem Gifttrunk dem Wahnsinn.

Doch nicht allein vom tragischen Verzicht der "Zarenbraut" Marfa (Britta Stallmeister) auf ihren Verlobten, den Bojaren Lykow (Michael König), und ihr tragisches Ende handelt Nicolai Rimski-Korsakows gleichnamige Oper, die in Frankfurt in der Regie von Stein Winge und unter der musikalischen Leitung von Michail Jurowski Premiere hatte. Vielmehr erzählt diese komplexe Mischung aus Historiendrama und verquickter Eifersuchts- und Intrigentragödie davon, wie Menschen unter die Räder eines willkürlich handelnden, brutalen Machtapparates geraten.

Anders als Marfa, die ihr Schicksal erduldet, kämpft Rimski-Korsakows zweite weibliche Gestalt, Ljubascha (Elena Manistina) um ihr Glück. Einst als Beute der brutalen zaristischen Geheimarmee Opritschniki dem Zarenfreund Grigori Grjasnoi (Johannes Martin Kränzle) als Geliebte übergeben, hat sie nun ausgedient und soll durch die schöne Marfa ersetzt werden. Obwohl diese durch die Brautwahl des Zaren gebunden ist, erhofft er sich, ihre Liebe durch einen Zaubertrank gewinnen zu können. Doch die von Grjasnoi verschmähte Ljubascha sinnt auf Rache.

Anders als in seiner späteren Oper "Der Goldene Hahn" ist diese Rache in der "Zarenbraut" in ihrer ganzen erschütternden Dimension erst im letzten Akt in Form der Zerstörung der Charaktere zu spüren. Alle sind sie jetzt Opfer: Der sich zu seiner Intrige und Liebe hilflos bekennende Grjasnoi, die getötete Ljubascha, die in den Wahnsinn flüchtende Marfa, das vormals idyllische Familiengeflecht, aus dem Marfa stammt und selbst der Zar - bei Rimski-Korsakow nur als marginal sichtbare Sprecherrolle vorhanden. Geopfert einem System, das sich durch Willkür und ungezügelten Machtanspruch schuldig mach.

Stein Winge findet für diese lyrisch vorgetragene Anklage der Opfer ruhige Bilder: Große, weiße Räume, die in ihrer Sterilität konträr zu den natürlichen Kindheitserinnerungen von Marfa und Lykow stehen. Dagegen wirken die ersten beiden Akte wenig überzeugend. Das Auftreten der Opritschniki löst Winge durch eine Massenvergewaltigung, die jedoch in ihrer Hilflosigkeit die geschichtliche Dimension dieser brutalen Privatarmee nicht darzustellen vermag. Sängerisch agierten die Solisten und Choristen mit großer Präsens. Britta Stallmeisters lyrischem Sopran gelangen als Marfa vor allem in ihrer Schlussarie Momente eindrücklicher Schönheit. Johannes Martin Kränzle überzeugte mit einem wunderbar kernigen und barbarisch düsteren Bariton als Grjasnoi. Elena Manistina gab mit ihrer voluminös-dramatischen Stimme eine eindrückliche Ljubascha.

 

OFFENBACH POST
31. Oktober 2006

Wahnsinns-Arien in Iwans Reich
"Die Zarenbraut" als russischer Historienreißer an der Frankfurter Oper

Er hat’s mit den Bräuten: Nach Smetanas "Verkaufter Braut" brachte der Norweger Stein Winge jetzt Nikolai Rimski-Korsakows selten gespielte "Zarenbraut" heraus. Und erhielt nach der Premiere an der Oper Frankfurt uneingeschränkt Beifall für ein tragisches Eifersuchtsdrama, das er gewohnt realistisch aufzäumte - bei drastischen Hinweisen auf die grausame Herrschaft Iwan des Schrecklichen, diese indes zeitlos festmachend.

Zumal der Russe Michail Jurowski am Pult des Museumsorchesters bei aller schwelgerischer Folkloristik und marschmäßigem Schmiss die klanglichen Härten betonte. Und eine bedankte sich nach ihrer Wahnsinnspartie strahlend für viele Bravos: Britta Stallmeister als Marfa, Zarenbraut wider Willen, hatte beim schwierigen Rollendebüt in russischer Sprache ihrem lyrischen Sopran eine ungemein expressive Dimension erschlossen. Sie überragte ein kompaktes Ensemble, bei dem auch russische Gäste aufhorchen ließen.

Eine wahre Begebenheit: Der schreckliche Iwan geht auf Brautschau, seine Wahl fällt auf Marfa - so nimmt eine tödliche Geschichte ihren spannenden Lauf. Weil Marfa schon dem Widerständler Lykow versprochen ist, den sie seit Jugendtagen liebt. Und vor allem weil der sinistre Leibgardist Grjasnoi, der Marfa zu erobern trachtet, sich von seiner Ljubascha abwendet, die sich tödlich rächt.

Sex und Gewalt, eine Atmosphäre ständiger Bedrohung. Doch Regisseur Winge widersteht konsequent allen Aktualitätsbestrebungen, die das Libretto von Lew Alexandrowitsch Mej durchaus hergeben würde, auf einem Wortband in deutscher Übersetzung. Eher kommentiert er die Brutalität der Machthaber sarkastisch, bietet wohl dosierten komödiantischen Durchzug im schicksalhaft grausamen Geschehen.

Schon der Salon des üblen Grjasnoi, eine Art Hotelbar der 50er Jahre, hat zwar Cinemascope-Film-Breite, wirkt aber als wäre der Raum zusammengequetscht (Ausstattung: Benoit Dugardyn). Hier vergnügt sich des Zaren Geheimarmee mit Frauen deren Augen verbunden sind. Die Opritschniki schrecken auch vor der Vergewaltigung eines halbnackten Mädchens nicht zurück. So den volksliedhaft milden Chorgesang (perfekt einstudiert von Alessandro Zuppardo) konterkarierend, ein brutaler Effekt.

Zudem pflegt der norwegische Regisseur sein Markenzeichen: Rollten die Gaukler in der "Verkauften Braut" in einem klapprigen VW-Bus an, so besitzt der deutsche Arzt am Zarenhof einen Uralt-Mercedes, in dem er sich mit Ljubascha vergnügt, Lohn für den Gifttrunk, den er mixte und den die Eifersüchtige bei ihrem Ex-Liebhaber gegen einen Liebestrank austauscht, den dieser Marfa verabreichen will. Leibarzt Hans-Jürgen Lazar singt (zuverlässig) und spielt nicht den finstren Rasputin, sondern einen spießigen Dr. Eisenbarth, Apparatschik mit Lederhütchen (Kostüme: Ingeborg Berneth). Und den Mercedes schaukelt noch dazu die jetzt mit Hunde-Masken versehene streunende Opritschniki-Bande.

Die Idylle - Marfas Liebe zu Lykow - kommt zumeist nur in der Distanz vor. In einer angelegentlich wie ein Spot vom schönen Landleben aufblitzenden Traumvision oder in einer diskreten Familienfeier im Haus des Kaufmanns (Michail Schelomianski, mit noblem Bass auch im tiefen Schmerz), die Ljubascha belauscht. Kaum glaublich, dass die überaus präsente Elena Manistina diesem Grjasnoi hörig ist, ihr Mezzosopran hat von gellender, vibrierender Schärfe bis zu insistierend inniger Klage starke Ausdrucksfacetten.

Weiß ist die Farbe der Brautschau mit einer kichernden Debütantin (Elzbieta Ardam, auch stimmlich zuverlässige Marfa-Freundin) und einem stummen Zaren (Michael Sommer), der erst lauthals den Berserker hervorkehrt, wenn sich herausstellt, dass Marfa vergiftet wurde.

Ganz in Weiß auch die Verlobungsszene im hochherrschaftlichen Saal. Die quälenden Zweifel des jungen, mit kernig-expressivem Tenor ausgestatteten Lykow (Michael König) bestätigen sich grausam - der Zar will Marfa zur Frau. Was auch Grjasnois Absichten durchkreuzt, der ihr unwissentlich das Gift ins Glas träufelt. Nur stimmlich überzeugt Bariton Johannes Martin Kränzle als skrupelloser Gewaltmensch, auf der Bühne eher wie ein Intellektueller anmutend, zu fürchterlichen Taten wohl kaum in der Lage. Immerhin lässt er Lykow ermorden und ersticht die Ex-Geliebte, als er deren Machenschaften erkennt.

Bleibt noch neben stimmlich passablen Nebenfiguren das hohe Lob auf Britta Stallmeister, deren Wahnsinnsarie an die Nieren geht. Nahezu perfekt und kammermusikalisch durchsichtig begleitet vom Museumsorchester, durchdrungen von sehnsuchtsvollem Streicherklang, von Schmerzenslauten, rabenschwarzem Bläserton und Totenglöckchen. Wenn Marfa im finalen Wahn den vermeintlichen Verlobten verabschiedet, brechen die Posaunen in ein irres (chromatisches) Gelächter aus. Man muss kein Prophet sein: Dieser Historienreißer wird an der Frankfurter Oper noch ein paar Wiederaufnahmen erleben.

KLAUS ACKERMANN

 

WIESBADENER KURIER
31.10.2006

Fragwürdige Überdeutlichkeit
Premiere in Frankfurt: Nikolaj Rimski-Korsakows "Die Zarenbraut"

Von Axel Zibulski


Heißes Begehren: Britta Stallmeister als Marfa und Johannes Martin Kränzle als Grigori Grjasnoi.
Aumüller

FRANKFURT In Deutschland sei vieles besser, die Winter kürzer, die Menschen fleißig, die Städte sauber. Berichtet jedenfalls Bojar Iwan Lykow, als er von einer Reise zurückkommt ins Moskau Iwans des Schrecklichen. Jener Deutsche, der sich dort in Nikolaj Rimski-Korsakows Oper "Die Zarenbraut" im Dunstkreis des Zaren aufhält, ist freilich keine so saubere Gestalt: Ein gewisser Herr Bomeli, der als Leibarzt des Herrschers fungiert, fährt in Stein Winges Frankfurter Neuinszenierung der "Zarenbraut" im nicht mehr ganz taufrischen Benz vor und verkauft einer eifersüchtigen Gattin ein schleichend wirkendes Gift für die Nebenbuhlerin. Im Gegenzug gibt´s Liebesdienste für den Doktor, bis das Schnauferl wackelt.

Ja, in Winges Regie geht es bisweilen drastisch zur Sache; der Norweger inszeniert Rimski-Korsakows 1899 uraufgeführte Oper konsequent realistisch und in der Gegenwart spielend. Nachvollziehbarkeit der Handlung scheint ihm vorrangig zu sein. Gewiss ein tauglicher Ansatz für die Inszenierung einer kaum bekannten Oper, einer Ausgrabung eigentlich. In Frankfurt hat man seit Jahrzehnten keine der 15 Opern Rimski-Korsakows gezeigt, in dieser Spielzeit sind es gleich zwei, "Mozart und Salieri" und eben die (russisch gesungene) "Zarenbraut". Im Zentrum steht die Kaufmannstochter Marfa, die mit Iwan Lykow verlobt ist, daneben von Grigory Grjasnoi begehrt wird, dessen Gemahlin sie schließlich mittels des Gifts in den Wahnsinn befördern wird. Ausgesucht wurde Marfa freilich schon von einem anderen, eben dem Zaren selbst, dem sie aber nach dem Gift-Anschlag nur als kräftig delirierende Braut bleibt.

In Frankfurt spielt das verwickelte Geschehen der vier Akte in vier von Benoît Dugadin durchaus opulent ausgestatteten Bühnenbildern: Zwiebeltürme zieren im zweiten Akt den Hintergrund des perspektivisch verzerrten Hauses von Marfas Familie, in dem einen Akt später bei fast schon überrein gleißendem, weißen Licht ihre Vermählung mit Lykow gefeiert werden soll - umso trostloser wirkt nach dieser geplatzten Hochzeit das Schlussbild, ein Zwischengang im Zarenpalast. Freilich hatte sich schon im Salon des ersten Aktes gezeigt, dass Winges Regie bei aller Transparenz der Erzählweise zu fragwürdiger Überdeutlichkeit neigt: Wenn die "Opritschniki", die Geheimgarde des Zaren, in Bomberjacken und mit reichlich Hochprozentigem auftreten, weiß man eigentlich, dass mit diesen bösen Jungs nicht zu spaßen ist. Indem aber Regisseur Winge eine junge Frau von ihnen gleich mehrfach vergewaltigen und diese dann auch noch von Anführer Skuratow (Simon Bailey) erschießen lässt, ist das nicht nur höchst unappetitlich, sondern dramaturgisch schlicht überflüssig. Ähnlich überdeutlich wirken die eingeblendeten Projektionen, die daran erinnern, dass sich Marfa und Lykow in ländlichem Idyll schon als Kinder lieben lernten - doch eben davon berichtet sie in einer ihrer Arien selbst.

Gesungen wird die Partie der Marfa vom Frankfurter Ensemblemitglied Britta Stallmeister, die mit ihrem fülliger gewordenen Sopran ihrer zentralen Rolle bestens gerecht wird und am Ende noch genügend Reserven für ihre ergreifend ausgestaltete Wahnsinns-Arie hat. Hier hat auch das Frankfurter Museumsorchester unter Michail Jurwoski, anfangs in dieser Hinsicht pauschal klingend, zu einem farbenreichen Spiel gefunden, das Rimski-Korsakows raffinierte Orchestrierung der eingängig und bisweilen volksliedhaft gestalteten Nummernoper angemessen ausleuchtet. Treffend scharf Tenor Hans-Jürgen Lazar als Leibarzt, mehr als solide Michael König als Lykow und Johannes Martin Kränzle als Grjasnoi; einzig Elena Manistina bleibt selbst als dessen giftende Gattin Ljubascha mit allzu üppigem Vibrato eine Spur zu derb.

 

Darmstaedter Echo
2.11.2006

Gewalt – ein gefährliches Gift
Musiktheater: Stein Winges Frankfurter Inszenierung macht in Nikolai Rimski-Korsakows Oper „Die Zarenbraut" das Unsichtbare sichtbar

Von Rotraut Fischer

FRANKFURT. Es fängt alles so schön an. Die Ouvertüre tupft folkloristische Szenen, ein Liebespaar schwebt vorüber. Doch als die Celli mit dem erstem Auftritt unvermittelt düster in den Abgrund streichen, ahnt man das Unheil. Die Geschichte, die der norwegische Regisseur Stein Winge, spezialisiert auf Russisches (Tschechow), drei Stunden lang erzählt, ist alles andere als Idylle. Da wählt Zar Iwan IV., genannt der Schreckliche, aus zweitausend Töchtern seines Reiches die Kaufmannstochter Marfa zu seiner dritten Gemahlin. Kurz nach der Hochzeit stirbt die junge Frau. Soweit die Überlieferung.

In Rimski-Korsakows Version, die wiederum auf einem Schauspiel Lew Mejs beruht, wird die Dynamik der Ereignisse in Gang gesetzt durch den im Dienste des Zaren stehenden Bojaren Grjasnoi. Er liebt Marfa und beschafft sich für sie einen Liebestrank, den jedoch seine gekränkte Geliebte Ljubascha gegen ein Gift vertauscht. So ist die schöne Braut am Ende für alle verloren, für Grjasnoi, ihren Verlobten Lykow und den Zaren.

Schwere dramaturgische Geschütze bietet der Regisseur auf, um zu sagen, was der Komponist im zaristischen Sankt Petersburg so nicht sagen konnte. Rimski-Korsakow war kein Revolutionär. Aber er war auch kein Apologet zaristischer Gewaltherrschaft. Seine 1899 in Moskau uraufgeführte Oper, eine von 15, die allesamt nie wirklich Eingang ins Repertoire fanden, hat eine merkwürdig undramatische Formsprache: breit angelegte Arien und Monologe, während Inhalt und Sprache des Librettos Vorgänge von äußerster Spannung und Brutalität transportieren.

Die Regie rückt beide Wahrnehmungen näher zusammen, indem sie visualisiert, was Rimski-Korsakow nur andeutet. Das gilt vor allem für das Auftreten der Opritschniki, einer paramilitärischen Schwadron des Zaren, die plündernd, vergewaltigend und mordend die Menschen tyrannisiert und ihre Greuel in Saufliedern feiert.

Die veristische Darstellung dieser Exzesse erreicht im ersten Akt die Grenze des für die Zuschauer Erträglichen, gewinnt aber Plausibilität, weil sie die Struktur der Gewalt verdeutlicht, die wie ein Geschwür wirkt. Sie ist die Rückseite, die Perversion menschlicher Strebungen und Leidenschaften. Liebe und Hass wirken vor diesem Hintergrund falsch. Gewalt ist das eigentliche Gift. Selbst der Zar ist eher ihr Opfer als ihr Herr.

Das Frankfurter Museumsorchester unter der Leitung des Gastdirigenten Michail Jurowski trägt die von der Regie betriebene Strategie der Dramatisierung mit. Die volksliedhaften großen Melodiebögen werden lyrisch ausgemalt, die schroffen Akzente betont. Auch die sängerische Besetzung passt in dieses Konzept. Britta Stallmeister als Marfa singt mit glockenhellem Sopran nuancenreich und ausdrucksvoll die glücklich Liebende und die Wahnsinnige; ihre Gegenspielerin Ljubascha, eine leidenschaftliche, bis ins Mark verletzte Frau und gewalttätige Furie, intoniert die russische Sängerin Elena Manistina in dunklem Mezzosopran; die Facetten Grjasnois realisiert stimmgewaltig Johannes Martin Kränzle; Lykows eher sentimentale Gemütsverfassung gibt überzeugend Michael König.

Benoît Dugardyns unaufdringliche Bühnenbilder liefern dazu eher den Rahmen, als dass sie mit sinnschwerer Symbolik operierten. Nur das Tableau einer ländlichen Idylle wird passend eingeblendet, wo Erlösung oder die Sehnsucht danach aufscheint. Doch Erlösung gibt es in dieser Oper für niemanden.

 

Der Neue Merker
29.10.06

Frankfurt leuchtet mit Rimski-Korsakows Zarenbraut

Die Oper "Die Zarenbraut von Nicolai Rimski-Korsakow (1844-1903) wird in unseren Breiten so selten gespielt, dass sie nicht einmal in einschlägigen Opernführern zu finden ist und in Frankfurt seit über 100 Jahren Rimski-Korsakow Abstinenz auf den Spielplan kommt. Neben 'Zar Saltan', 'Der Untergang der Stadt Kitesch und 'Der goldene Hahn', die russische Mythen und Märchen wieder aufleben lassen, fusst Die Zarenbraut nach der Tragödie von Lew A.Mej auf einer verbürgten Episode zur Zeit der Herrschaft Iwans des Schrecklichen im späten 16.Jahrhundert. Hier geht Rimski ähnlich wie Modest Mussorgski, beide Mitglieder des "Mächtigen Häuflein", einer Komponistengruppe, in Chowanstschina und 'Boris Godunov' vor. Iwan der Schreckliche hat, um Neuerungen in seinem Sinn gegen Adel und Volk durchzubringen, eine Geheimarmee der Opritschniki gebildet. Diese terrorisiert unter dem Hunde-Emblem Land un Volk. Grigori Grjasnoi, einer ihrer Anführer, ist für die schöne Novgoroder Kaufmannstochter Marfa Sobakina entbrannt, die er aber gegnüber seinen früherer Gewohnheiten nicht gewaltsam entführen will; seine Anträge werden aber abgelehnt, da sie bereits an ihre Jugendliebe, den Bojaren Iwan Lykow versprochen ist. Nach einem Gelage dringt Grjasnoi in den Leibarzt des Zaren Bomeli, ihm ein Mittel zu beschaffen, das ihm Marfa gefügig machen soll. Seiner eifersüchtigen Geliebten Ljubascha gelingt es aber, beim selben Leibarzt ein Mittel zu erpressen, das zu Krankheit und körperlicher Verunstaltung führt und es gegen den Liebestrank zu vertauschen. Grjasnoi als Brautführer reicht Marfa diesen Trank bei der Hochzeit. Doch abrupt wird diese unterbunden, da der Zar Iwan Marfa als seine 3.Frau zur Zarin erwählt hat. Grjasnoi denunziert nun den festgenommenen Lykow, der wegen Giftmischerei zum Tode verurteilt wird und gesteht dann der in Wahnsinn verfallenen Marfa seine Tat. Er tötet auf seine Ex-Geliebte Ljubascha und lässt sich abführen.-

Rimski gelingt der 1.Akt noch musikalischh etwas spröde, da er auch wie eine Exposition mit vielen rezitativischen Phrasen geführt ist. Die weiteren 3 Akte steigern sich dann fulminant zur Einheit aus musikdramatischen Elementen und Ensemble-Gesangskunst. So könnte die Zarenbraut als wichtiges Zwischenglied zwischen dem melodiösen Glinka und Tschaikowsky gesehen werden. Michail Jurowski am Pult ist als Russe mit dieser Musik bestens vertraut, und es gelingt ihm, das Museumsorchester derart zu animieren, das sich ein spannend dramaturgischer Aufbau ergibt. Alle Instrumentalgruppen entwickeln geschmeidige Klanggesten und vereinen sich zu fein proportioniertem Zusammenspiel.

Stein Winge scheut sich auf der Bühne nicht, gegensätzliche und disparate, z.T. befremdliche Akzente zu setzen. Die Kostüme eher zeitgemäss leger bis modern oder auch mit russischen Akzenten (grosses Bärenfellkleid für Ljubascha bei ihrem Auftrittslied), stammen von Ingeborg Bernerth und könnten auf eine politische Kontinuität in der russischen Gesellschaft bis heute verweisen. Dagegen hat Benoit Dugardyn vier verschiedene Bühnenbilder gebaut, die auf die Historizität der Ereignisse verweisen. Bei der ganz in grün gehaltenen Szene im Salon Grjasnois tritt dieser (Johannes Martin Kränzle mit ausdrucksreichem, fast heldenhaftem Bariton) mit russischer Zeitung auf. Seine Frau Ljubasha (mit orgelndem schöntimbrierten Mezzosopran Elena Manistina) singt a capella ein trauriges Auftrittslied, und Hans-Jürgen Lazar als Arzt mit seinem schneidenden Tenor versteht es, sie als Gegenleistung in seinen Mercedes Benz 190 zu bekommen. Ein einfaches Holzhaus, Kremlmauer und Zwiebeltürme ist die Welt von Marfa (Britte Stallmeister mit lieblichem Sopran). Der Verlobte (Michael Koenig mit weitem agilen Prachttenor tritt mit dem Vater (Michail Schelomianki mit einzgartiger, präzis geführter Bassstimme) auf und werden im Haus von Ljubascha belauscht. Vor dem 3.Akt wird in einer stummen Szene die Brautwahl mit Zar Iwan, dem präsenten Schauspieler Michael Sommer eigeschaltet (ein guter Griff der Regie). Die Hochzeit findet in einem ganz in weiss gehaltenen Saal statt, die Kaufmannsfrau Saburowa (Ann-Marie Backlund mit frischer Stimme und Spiel) hat am Zarenhof die Brautwahl verfolgt, bei der auch ihre Tochter Dunjascha (rollendeckend Elzbieta Ardam) unter den Kandidatinnen war. Beide seien in die engere Auswahl gekommen, aber der Zar würde sich nun für Dunjascha entscheiden. Hochdramatisch das Ende in einem in einer Saalflucht des sehr klassizistisch einnehmenden Zarenpalastes. Der Opritschnik Skuratow von Simon Bailey hat mit seinem geraden schnörkellosen Bassbariton einen finalen Auftritt. Von achwarzen Nonnen umschwirrt zeigt hier nochmal Britta Stallmeister mit Zarinnenschleier was sie kann. Mit dem ebenfalls zu Höchstform auflaufenden J.M.Kränzle, den sie für den Geliebten Lykow hält, singt sie sie sich in einen kurzen Rausch hinein. Wobei ihr an sich leicht geführtes Timbre zu dramatischer Glut aufschwillt und sie selbst im Wahnsinn zusammenbricht.- Die Chöre überzeugen als brutale Opritschniki, als geknebelte eingeschüchterte Mädchen, als abergläubisches Volk und singen dabei schönstimmig und sehr differenziert im Ausdruck (Alessandro Zuppardo).

Friedeon Rosén