hr online
23. November 2007

Oper trifft Flamenco
Osvaldo Golijov zu Besuch in Darmstadt

Mit seiner ersten Oper hat er Begeisterungsstürme bei Publikum und Kritik entfacht und zwei Grammys dafür erhalten. Der argentinische Komponist Osvaldo Golijov kommt zur europäischen Erstaufführung von "Ainadamar" nach Darmstadt.

Osvaldo Golijov gilt als einer der aufregendsten zeitgenössischen Komponisten seiner Generation. Aufgewachsen ist er als Sohn einer russisch-jüdischen Einwanderer-Familie in La Plata, Argentinien, seine Jugend hat er teilweise in Jerusalem verbracht, heute lebt er in den USA. Golijov vereint in seinen Werken Einflüsse südamerikanischer, osteuropäischer und jüdischer Folklore, verwendet klassisches Instrumentarium und elektronische Sounds und Samples. Dieser Stilmix hat ihm in den vergangenen Jahren inter­national große Beachtung verschafft.

Golijovs Werkspektrum reicht von Kammermusikwerken, Lieder­zyklen über Chor- und Orchesterwerke bis hin zur Filmmusik. Die neueste Komposition wird in Francis Coppolas aktuellem Film "Youth without Youth" zu hören sein, der im nächsten Jahr in den Kinos, u.a. mit Alexandra Maria Lara und Bruno Ganz in den Hauptrollen, anläuft.

Hommage an einen ermordeten Dichter

In dem 80-minütigen Einakter be­schäftigt sich Golijov mit dem spanischen Schriftsteller und Dichter Federico García Lorca. Ainadamar, das arabische Wort für „Quelle der Tränen", ist der Name eines alten Brunnens bei Granada, bei Lorca 1936 zu Beginn des spanischen Bürgerkriegs – im Alter von nur 38 Jahren - von Anhängern der faschistischen Falange ermordet wurde. Im Mittelpunkt der Opernhandlung steht die Schauspielerin Margarita Xirgu, die eng mit Lorca befreundet war. Sie wird im Stück noch viele Jahre danach von Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse verfolgt. Noch einmal durchlebt sie den Weg, den sie gemeinsam mit Lorca gegangen ist.

Oper als Tanz

Jetzt wird "Ainadamar" zum ersten Mal in Europa aufgeführt. Regie führt Mei Hong Lin, Direktorin des Tanztheaters Darmstadt, die gemeinsam mit dem Opern- und dem Tanzensemble den Kampf um Liebe und Freiheit auf die Bühne bringt. Dass eine Choreografin die Inszenierung der Oper übernimmt, ist folgerichtig, denn Golijovs Musik verlangt geradezu nach einer choreographischen Um­setzung. Der Komponist verbindet Operngesang mit percussiven Elementen, wilde Flamenco-Passagen treffen auf lyrische Melodien des Solisten-Ensembles, lateinamerikanisches Temperament mischt sich mit präzise ausgearbeiteter Kunstmusik.

Mit "Ainadamar" kommt nun zum zweiten Mal ein abendfüllendes Werk Osvaldo Golijovs nach Deutschland. Seine Markus-Passion, ein Auftragswerk für Helmuth Rillings Bach­akademie, mit dem Golijov erstmals international für Aufsehen sorgte, wurde im September 2000 in Stuttgart uraufgeführt.

Redaktion: nrc

 

Darmstaedter Echo
23.11.2007

Mit dem Flamenco sterben
Ausblick: Mei Hong Lins dritte Begegnung mit Federico Garcia Lorca: Europäische Erstaufführung von Osvaldo Golijovs Oper „Ainadamar" am Samstag im Staatstheater Darmstadt

DARMSTADT. In den USA zählt er zu den bekanntesten zeitgenössischen Komponisten: der 1960 in Argentinien geborene Osvaldo Golijov. Obwohl er vor sieben Jahren in Stuttgart mit seiner „Markus-Passion" einen beachtlichen Erfolg erzielte, ist er hierzulande kaum weiter bekannt geworden. Seine Musik hat alles, was man bei vielen modernen Stücken vermisst: Sie ist rundum ansprechend und eingängig, aber nicht anspruchslos, sie ist gesanglich-melodiös, emotional und dramatisch, und hat damit alles, was auch ein Musiktheaterstück braucht. Andererseits hat Golijov keinerlei Berührungsängste mit lateinamerikanischer Folklore, mit dem spanischen Flamenco, der in seiner bisher einzigen Oper „Ainadamar", die 2003 in den USA uraufgeführt und zwei Jahre später überarbeitet wurde, eine tragende Rolle spielt.

Da die Musik sehr tänzerisch ist, liegt eine Umsetzung des Werks mit dem Tanztheater und dem Opernensemble des Staatstheaters Darmstadt nahe. Schließlich hat der Intendant John Dew seiner Tanztheaterchefin Mei Hong Lin dieses Stück zur Inszenierung empfohlen, die damit nach „Das Haus der Bernarda Alba" und „Vergiss mein nicht" sich zum dritten Mal mit dem spanischen Dichter Federico García Lorca beschäftigt. Denn in „Ainadamar" geht es um Lorca aus der Sicht der spanisch-katalanischen Schauspielerin Margarita Xirgu, für die der Autor viele Stücke geschrieben hat, darunter das erste Drama „Mariana Pineda", einer Revolutionsheldin aus dem 19. Jahrhundert.

„Ainadamar" ist das arabische Wort für „Brunnen der Tränen". In der Nähe dieses alten Brunnens bei Granada wurde Lorca im August 1936 von den Falangisten Francos erschossen. Margarita probt 1969 in Montevideo in Uruguay Lorcas Stück „Mariana Pineda", das mit den Worten beginnt „Ach, welch trauriger Tag in Granada". Mit dieser Ballade der Mädchen beginnt auch Golijovs „Ainadamar". Margarita erinnert sich dabei an ihren Theatermentor Lorca, der, wie sie meint, in diesem ersten Stück seinen eigenen Tod vorausgeahnt habe. Auch Margarita ist vom Tod gezeichnet. Sie fühlt sich schuldig am Tod des Dichters, weil sie ihn hätte überreden sollen, mit ihr nach Kuba auszuwandern. Margarita erlebt diesen Tod in Visionen und Bildern. Noch bevor sie stirbt kann sie das, was sie bei Lorca an Theaterkunst erlebt und erfahren hat an ihre Lieblingsschülerin Nuria weitergeben.

In Darmstadt mischt die Tanztheaterdirektorin Mei Hong Lin Oper und Tanz, indem sie die geradezu körperhaft wirkende Musik Golijovs in Bewegung aufdröselt und den Opernsängern stets Tänzer hinzugesellt und umgekehrt. Was liegt näher, als die Geschichte um Margarita und Lorca mit dem Flamenco zu charakterisieren, der in Andalusien seine Wurzeln hat, wo sich christliche, jüdische und arabische Kultur einst mischten? Am deutlichsten werden diese Einflüsse in dem mit dem Flamenco einhergehenden „Cante jondo", dem tiefinneren Gesang, der vor allem von arabischen Melismen gekennzeichnet ist. Und um diese Mischung, die noch um lateinamerikanische Einflüsse erweitert werden, geht es dem Komponisten Golijov, der als Sohn osteuropäischer Juden in Argentinien aufwuchs und heute in den Vereinigten Staaten lebt. Auch er strebt in seiner Musik eine faszinierende Stilmischung an, die ebenso Improvisationen zulässt. (hz)

Die europäische Erstaufführung von Golijovs Oper ist am Samstag (24.) um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt (Premieren-Abo PM). Die pausenlose Aufführung dauert etwa 80 Minuten. Mei Hong Lin inszeniert und choreografiert; das Bühnenbild entwarf Thomas Gruber, die Kostüme Andrea Kannapee. Die musikalische Leitung hat Martin Lukas Meister. Gesungen wird in spanischer Sprache – mit deutscher Übertitelung.

 

Frankfurter Rundschau
24.11.2007

Schrei nach Bildern
Mei Hong Lin inszeniert die Oper "Ainadamar" als Tanztheater

Frau Lin, "Ainadamar" ist in keinem Opernführer zu finden ist. Können Sie - was Opernführern ja nie gelingt - in zwei Sätzen zusammenfassen, worum es geht?

Im Zentrum steht eine Schauspielerin namens Margarita Xirgu, sie lebte in der Franco-Zeit in Spanien, war befreundet mit dem Dichter Federico García Lorca und leidet daran, es nicht geschafft zu haben, Lorca vor dessen Ermordung zur Auswanderung nach Südamerika zu überreden. In der Oper geht es um ihre Erinnerungen, ihre Ängste, ihre Reue.

Also ein Einpersonenstück?

Nicht ganz. Die Schauspielerin erzählt die Erinnerungen einer Schülerin. Und Lorca taucht quasi als Geist auf, als Vision.

Als Osvaldo Golijovs Oper 2003 uraufgeführt wurde, war das ein sensationeller Erfolg. Es gab aber auch kritische Stimmen, die sagten: Für dieses Thema sei alles zu süß, zu schön, zu wenig verstörend. Können Sie diese Stimmen nachvollziehen?

Nein. Als ich diese Musik zum ersten Mal hörte, war ich regelrecht schockiert, weil man in zeitgenössischen Opern den Einfluss verschiedener kultureller Elemente oder Stile zwar gewohnt ist, aber sie nie so hemmungslos und mutig geboten bekommt wie hier. In "Ainadamar" gibt es Flamenco und südamerikanische Rhythmen, arabische und jüdische Anklänge, dann wieder ganz Klassisches - ich war richtig beeindruckt!

Rührt diese Mischung der Stile daher, dass das Stück in Andalusien spielt, wo sich einst die arabischen, jüdischen und christlichen Kulturen begegneten? Hat der Komponist mit Lokalkolorit gearbeitet?

Das mag damit zu tun haben. Aber ebenso wohl auch mit dem kulturellen Hintergrund Osvaldo Golijovs: Der Komponist ist als Sohn jüdischer Eltern aus Osteuropa ausgewandert nach Argentinien, einem Zentrum des Multikulturellen.

Wie kommt es, dass nun in Darmstadt die Tanztheater-Chefin eine Oper inszeniert? Oder ist es gar keine Oper?

Doch, das ist schon eine Oper, aber ich habe sie behandelt wie Tanztheater. In erster Linie bin ich natürlich Choreografin, aber ich habe schon mehrfach auch für das Musiktheater gearbeitet. Als mein Intendant John Dew, der gleich das Tanz-Potenzial der Werkes gespürt hat, mich fragte, ob ich diese Oper inszenieren möchte, sagte ich: als Oper nein, als Tanztheater ja. Weil ich darin einen regelrechten Schrei nach Bewegung, nach Bildern, nach Assoziationen sehe.

Opernsänger sind ja heute nicht mehr so unbeweglich wie früher. Doch sind sie zum Ausdruckstanz fähig?

Da ich seit über 15 Jahren als Choreografin und Regisseurin auch mit Opernsängern arbeite, weiß ich, wie weit man hier gehen kann. Ich habe nie versucht, Sänger zu Tänzern zu dressieren. Aber ich versuche, zu nahtlosen Übergängen zu kommen.

Müssen denn in dieser Produktion die Opernsänger auch "tanzen" im weitesten Sinne?

Nein. Der Unterschied ist: Die Motivation ihrer Bewegung ist eine andere. Ich bin gewohnt, so zu arbeiten, dass man möglichst nicht merkt, wo das Schauspielen aufhört und die Choreografie beginnt.

Ist man als Choreografin gewohnt, dass andere mitreden? Bei einer Oper hat ja auch der Dirigent etwas zu sagen, und den Sängern ist der gute Ton wichtiger als die geschmeidige Bewegung.

Bei meinen Stücken gibt es fast immer Live-Musik, und ich habe einen viel zu großen Respekt vor Musik, als dass ich sie nur als Begleitung oder Hintergrundgeräusch begreifen würde. Mich mit dem Dirigenten auszutauschen und mit den Akteuren zu reden ist mir wichtig. Denn die Darsteller müssen ja wissen, warum sie etwas tun sollen. Zu sagen: Ich bin die Choreografin und ihr macht, was ich befehle - das geht nicht. So kann niemand glaubhaft etwas darstellen.

Interview: Stefan Schickhaus

[ document info ]
Copyright © FR-online.de 2007
Dokument erstellt am 24.11.2007 um 00:12:01 Uhr
Erscheinungsdatum 24.11.2007 | Ausgabe: R2NO | Seite: 13

Die in Taiwan geborene Choreografin Mei Hong Lin erhielt eine Ausbildung in klassischem chinesischem Tanz in ihrer Heimat und studierte anschließend an der Accademia Nazionale di Danza in Rom sowie an der Folkwanghochschule in Essen bei Pina Bausch. In ihrer choreographischen Arbeit bemüht sie sich um eine Synthese dieser stilistischen Wurzeln. Lin arbeitete als Tänzerin und Choreografin zunächst in Taiwan. 1991/92 leitete sie das Ballett am Theater in Plauen, von 1997 bis 2002 war sie Ballettleiterin am Theater Dortmund. Daneben entstanden Tanzabende sowie zahlreiche Choreographien für Oper, Operette, Musical und Schauspiel für die Theater in Augsburg, Bielefeld, Innsbruck, Kaiserslautern, die Oper Leipzig, das Schauspiel Leipzig und die Staatsoperette Dresden. Lins Choreografie für Isaac Albeniz Oper Merlin an der Königlichen Oper Madrid (Regie John Dew) wurde von der BBC aufgezeichnet. Zu ihren Tanzabenden zählen die Choreografien Romeo und Julia, Cinderella (beide mit der Musik von Prokofjew) und Der Weg ist das Ziel mit dem Dortmunder Ballett. Im Musiktheater schuf sie unter anderem die Choreografien zur Uraufführung von Philip Glass La Belle et la Bete und Glucks Orfeo ed Euridice.
Im Januar 2003 debütierte sie mit großem Erfolg auch als Regisseurin mit der Deutschen Erstaufführung von Andrew Lloyd Webbers Musical The Beautiful Game an der Staatsoperette Dresden.
Es folgten Inszenierungen von Opern, Operetten und Musicals für das Volkstheater Rostock, die Oper Leipzig, das Staatstheater Schwerin und eine spektakuläre Aufführung von Jesus Christ Superstar beim Erfurter Domstufen-Festival.
Seit dem Beginn der Spielzeit 2004/2005 ist Lin Direktorin der Sparte Tanz am Staatstheater Darmstadt. Ihr Tanzstück Das Haus der Bernarda Alba wurde auf Anhieb zum Publikumsmagneten und erhielt hervorragende Kritiken. Es folgte ihre ebenso erfolgreiche tänzerische Interpretation von William Shakespeares Macbeth. In der vergangenen Spielzeit begeisterte Mei Hong Lins Produktion The Juliet Letters - Briefe an Julia nach dem gleichnamigen Konzeptalbum von Elvis Costello Publikum und Kritiker. Gemeinsam mit Katrín Hall und Jochen Ulrich erarbeitete sie danach Last Minute, einen dreigeteilten Tanzabend. Der folgenden Produktion diente wieder ein dramatischer Text von Federico Garcia Lorca als Inspirationsquelle. In VergissMeinNicht setzte sie sich in ihrem typischen Stil mit den Themen der Geschichte von Dona Rosita aus dem gleichnamigen Theaterstück auseinander.
Diese Spielzeit verspricht wieder hohe Tanzkunst gepaart mit emotionalen und abwechslungsreichen Facetten. Mei Hong Lin beginnt die Spielzeit im Rahmen ihrer Lorca-Reihe mit der europäischen Erstaufführung der Oper Ainadamar von Osvaldo Golijov, die biografische Elemente des Dichters und Dramatikers Federico Garcia Lorca beleuchtet.