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Oper Frankfurt, 10. Februar 2008 Bei Ariane et Barbe-Bleue handelt es sich um die einzige Oper des französischen Komponisten Paul Dukas (1865-1935). Sie entstand zwischen 1904 und 1906 nach einem von Anfang an als Opernlibretto konzipierten Text des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck (1862-1949). Katarina Karnéus (Ariane), Dietrich Volle (Barbe-Bleue) Von ihm stammt auch die Vorlage zu Claude Debussys Pelléas et Mélisande (1902), wobei der Autor in diesem Fall zunächst nicht an eine Vertonung dachte. Dieser Unterschied in der textlichen Anlage schlägt sich auch in der musikalischen Ausarbeitung der beiden für die französische Moderne so wichtigen Opernwerke nieder: Im Gegensatz zu seinem Freund und Idol Debussy gestaltete Dukas eine eher an Wagner und Strauss angelehnte, symphonische Klangsprache, die im krassen Gegensatz zur musikalischen Welt des Pelléas mit seinem impressionistischen Musikduktus steht. Ariane et Barbe-Bleue wurde am 10. Mai 1907 an der Opéra-Comique von Dukas’ Heimatstadt Paris uraufgeführt und gehört seitdem zum Kernrepertoire der französischen Opernbühnen. Mittlerweile konnte das Werk aber auch außerhalb Frankreichs Fuß fassen. Sein Inhalt verbindet die mittelalterliche Sage vom französischen Ritter Blaubart und den griechischen Mythos um Ariadne, die den menschenverschlingenden Minotaurus in seinem Labyrinth besiegt: Blaubart führt seine siebte Frau Ariane auf sein Schloss. Deren sechs Vorgängerinnen bleiben verschwunden, deshalb verdächtigt ihn das Volk des Mordes. Trotz des Verbots ihres Mannes macht sich Ariane zusammen mit ihrer Amme auf die Suche nach den Unglücklichen. Hinter der letzten von sieben Türen wird sie in einem dunklen Verlies fündig. Sie befreit die Gefangenen, als Blaubart – im Kampf mit den aufständischen Bauern verletzt – zurückkehrt. Anstatt Rache zu nehmen, pflegt Ariane seine Wunden. Ihrer Aufforderung, zusammen mit ihr das Schloss und den Ritter zu verlassen, folgen die Frauen nicht. So macht sich Ariane schließlich alleine auf den Weg. Nach neun Jahren als Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt liegt die musikalische Leitung in seiner letzten Spielzeit am Main bei Paolo Carignani. Neben weiteren Frankfurter Projekten gastiert er in dieser Saison u.a. an den Opernhäusern von Antwerpen, Gent, Amsterdam sowie an den Staatsopern von Wien und München. Zudem wird er 2008 an der Metropolitan Opera in New York debütieren. Die junge Opernregisseurin Sandra Leupold inszenierte in jüngster Zeit u.a. Mozarts Don Giovanni am Theater Heidelberg und Debussys Pelléas et Mélisande am Staatstheater Mainz. Geplant sind zudem Schönbergs Erwartung in Leipzig und Wagners Parsifal in Mainz. Als Ariane ist die schwedische Mezzosopranistin Katarina Karnéus zu erleben. Sie ist an allen großen Opernbühnen der Welt zu Hause und debütierte 2004 an der Oper Frankfurt mit einem Liederabend. Nina Schubert von der Mainzer Musikhochschule übernimmt die Partie der Bellangère. Angeführt von Elzbieta Ardam als Amme Arianes sind alle weiteren Partien mit Ensemblemitgliedern der Oper Frankfurt besetzt. Quelle: Oper Frankfurt | |
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MUSIKTHEATER Interpretieren Subtexte: Sandra Leupold und Paolo Carignani Für seinen Wunsch, Paul Dukas’ Dreiakter „Ariane et Barbe-Bleue" von der Premiere am 10. Februar an in der Oper Frankfurt zu dirigieren, hat Paolo Carignani gute Gründe. Im Gespräch erinnert er an die qualitätvollen Vorspiele zu jedem Akt, die Arturo Toscanini mit seinem NBC Symphony Orchestra für das Label RCA aufgenommen hatte. Theoretisch könnte man also diese Vorspiele Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg" voranstellen – eine ideale Kombination. Aber weil es keine separate Partitur für die Vorspiele gibt und das Ausleihen der ganzen Oper für wenige Konzertminuten zu teuer für den Aufführungsalltag wäre, müssen sich die Dirigenten diese verlockende Möglichkeit zumindest vorerst verkneifen. Worin sieht Carignani, der schon Dukas’ Ballettmusik „La Péri" in einem Frankfurter Neujahrskonzert mit der Jungen Deutschen Philharmonie aufgeführt hat, das Besondere von „Ariane"? „Debussy baut seine Musik aus Farben", erläutert der Dirigent. „An diesen reich kolorierten Jugendstil erinnern manche Momente bei Dukas. Aber Dukas denkt viel stärker architektonisch – nicht so sehr im musikalischen Dauerfluss, sondern in Arien, Duetten, Ensembles, Chören. Außerdem knallt das Orchester hin und wieder wie in Strauss’ ‚Salome‘, die ja zwei Jahre vor ‚Ariane‘, also 1905, uraufgeführt wurde. Ich höre auch César Franck, ja sogar Puccinis ‚Turandot‘ heraus, etwa gegen Ende des zweiten Akts." Trotzdem hält Carignani die „Ariane"-Partitur für eine sehr eigenständige Mixtur aus den verschiedensten Einflüssen. Carignani hätte auch an den „Ariane"-Aufsatz von Dukas’ prominentestem Schüler Olivier Messiaen denken können. Darin beschreibt Messiaen diesen Tatbestand in einem buchstäblich köstlichen Bild: „Diesen Honig (der Fremdzutaten) wird er dann verdauen, kneten, umformen, und das Ergebnis wird ein Stil sein, der in seiner Herkunft zwar vielfältig, in seiner Verwirklichung jedoch höchst persönlich erscheint." Zwei Stunden Dauereinsatz für die weibliche, nur zwei Minuten für die männliche Titelfigur: Nicht nur deshalb wird der „Ariane" eine verfehlte Dramaturgie vorgeworfen. Wie geht Sandra Leupold damit um, die in der vorigen Spielzeit mit ihrer Mainzer Inszenierung von Debussys „Pelléas et Mélisande" als konzentrierte, tiefschürfende Erforscherin eines symbolistisch verrätselten Stoffs aufgefallen war? Diese Monsterrolle nötigte die beleidigte Sängerin Georgette Leblanc ihrem Geliebten Maurice Maeterlinck, dem Librettisten der jeweils einzigen Oper Debussys und Dukas’, als Entschädigung für ihren Hinauswurf aus Debussys Mélisande-Partie ab. Die den belgischen Symbolisten aufgezwungene Ersatzhandlung wurde zur Initialzündung für Leupolds Phantasie: „So entstand aus der Strafarbeit am Schreibtisch eine papierne Dramaturgie", fasst die Regisseurin die Entstehungsgeschichte der Oper zusammen. Einer der vielen Folgen: „Arianes fünf Vorgängerinnen als Blaubarts Opfer sind Papierfiguren aus Fragmenten früherer Figuren Maeterlincks, deren Namen sie tragen." Im Symbolismus habe jedes Wort auch noch einen Hintersinn. Deshalb inszeniert Leupold „keine Texte, sondern Subtexte". Sogleich hat sie Beispiele parat. „Im Klartext ist Blaubart ein brutaler Frauenverderber, im Subtext dagegen ein leidvoll Gefangener in seinem eigenen, absurd ausweglosen System. In dieser starren, geschlossenen Ordnung werden die fünf gefangenen Damen zu Zombies", nämlich zu Untoten, die lediglich unter Blaubarts Macht scheinlebendig bleiben. „Sie selber halten sich freilich für Schönheitsköniginnen. Dieses Selbstbild hat ihnen ihr Peiniger aufgezwungen, indem er ihnen ihre wahre Individualität ausgetrieben hat." Sie sind also zu Blaubarts hirnlosen Objekten geworden, zu Gefangenen seiner Vorstellung vom Weiblichen. Für diese hermetische, aber luxuriöse Scheinlebensordnung sei Ariane, die aus mythischer Raum- und Zeitferne als selbsternannte Retterin in die Burg eindringe, anfangs durchaus anfällig: Jedwedes Interesse an Blaubarts als Lockmittel eingesetzten Kleinodien, die hinter sechs der sieben Türen hervorfunkeln, leugne sie so penetrant, als müsse sie sich erst einmal selbst das Desinteresse einreden. „Die dreitausend Jahre wiegende Madame Mythos oder die doppelte Elektra", wie Leupold treffend die titanische Systemzerstörerin auf Burg Orlamonde nennt, verkenne in ihrer missionarischen Rettungswut die eigentlichen Bedürfnisse in ihrer Umwelt, die vor ihr verzwergt erscheine. In ihrer Übergröße könne sie nicht begreifen, dass Blaubarts Damen ein perfektes Dasein in Fesseln dem Ausgeliefertsein in der Freiheit vorziehen. Sie könne eben nur sich selbst und ihre eigene, durchaus gewaltsame Rettungsaktion wahrnehmen. Folgerichtig muss sie Blaubarts Reich allein verlassen: Größe macht einsam. ELLEN KOHLHAAS Text: F.A.Z. | |
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Interview Die perverse Schönheit des Systems "Jemanden zu retten, sagt dieses Stück, ist unmöglich." Sandra Leupold im Foyer der Oper Frankfurt. (FR) | |
Frau Leupold, haben Sie beschlossen, Ihre Opernpremieren nur noch nach Aschermittwoch abzuhalten, nachdem vor einem Jahr bei Ihrem Mainzer "Pelléas et Mélisande" die Mainzer Hofsänger ins leise Debussy-Finale hinein gestört haben? Das war furchtbar. Weil ich nicht aus einer Gegend mit Karnevalstradition komme, habe ich zunächst nicht verstanden, was das für ein Lärm sein könnte - merkwürdig rhythmisch, aber nicht rhythmisch genug, um eine Maschine zu sein. Das schlimmere Debakel fand im letzten Jahr aber in Wiesbaden statt, wo bei der "Tosca" mit zwei Sängern nicht das geringste an darstellerischer Arbeit zu leisten war. Und deswegen rein gar nichts Zeigenswertes herauskam. Das war das größte Desaster, das ich je erlebt habe. Bei allen Misslichkeiten ist doch in den Opern selbst eine gewisse Serie zu sehen. Vor einem Jahr "Pelléas" in Mainz, dann "Tosca" in Wiesbaden, jetzt Paul Dukas' "Ariane et Barbe-Bleue" in Frankfurt: Ist das Thema der starken Frau Ihre Mission fürs Rhein-Main-Gebiet? Wenn ich eine Mission habe, dann ist es eine für die Oper. Die da lautet? Ich würde mich freuen, wenn es sie in 50 Jahren noch gäbe, und versuche, mit jedem Stück, das ich inszeniere, den Leuten ins Bewusstsein zu bringen, worum es gehen könnte in der Oper. Und die hohen Energiewerte zu erzeugen, die einen mit einem guten Gefühl hinein und wieder heraus bringen. Denn ich leide, wenn Oper nicht zu glauben ist und langweilt und nur Zeit kostet und keinen Gewinn bringt. Können Sie mit einer Melisande, einer Tosca, einer Ariane, also mit Frauen, die sich behaupten müssen, mehr anfangen als mit anderen Opernfiguren? Die Antwort läge nahe zu sagen, diese Frauen wären mir ähnlich, weil in einem Beruf wie dem meinen man ein Leben im Kampf gegen Windmühlen verschiedenster Art führt. Doch das ist keine Seite meiner Existenz, die mich reizt. Ich würde mich freuen, wenn die Windmühlen von selbst aufhören würden, im Weg zu stehen. Zuletzt hat sich Anna Viebrock in Paris an dieser eigenwilligen Dukas-Oper versucht und konnte nicht ausreichend Spannung aufbauen. Was macht "Ariane et Barbe-Bleue" so schwierig? Und was so großartig? Die Tatsache, dass sie ein symbolistisches Stück ist, macht sie quasi uninszenierbar. Die Vorgänge in der Oper sind von einer extremen Realistik, doch man muss sich trauen, mit einem entschiedenen Federstrich diese realistische Ebene zu eliminieren. Und damit der Musik einen Raum geben, in dem sie von Dingen erzählen kann, die nicht im Hier und Jetzt sind, sondern über alles Sichtbare hinausweisen. Anna Viebrock ist eine ganz großartige Ausstatterin und Regisseurin, und sie hat hier das getan, was sie mit großem Erfolg immer tut, nämlich alle Vorgänge im Hier und Jetzt und konkret zu verorten - und damit ist alles zu schnell zu durchschauen. In "Ariane et Barbe-Bleue" gibt es so wenig äußere Handlung, dass ich es wagen darf, Sie zu bitten: Fassen Sie doch das Geschehen in zwei Sätzen zusammen. Die kürzeste Formel wäre: Die ultimativ-potenteste Opernheroine, die man sich vorstellen kann, versucht ein Menschheitsproblem zu lösen und scheitert. Halt, das ist ja bereits die Bedeutung hinter den Dingen! Gut, also das reine Geschehen: Ariane betritt einen Ort, an dem ein System am Ende eines Prozesses der Erstarrung angelangt ist. Sie trifft dort auf - symbolisch - getötete Frauen, versucht diese aus - konkreter - Gefangenschaft und Unmündigkeit zu befreien und will ihnen den Weg in ein nicht näher definiertes Draußen zeigen, doch verliert sie sie nach einigen Metern des Weges. Die Damen kehren um, zurück in ihr altes System. Also um Blaubart, immerhin eine der Titelfiguren der Oper, scheint es nicht zu gehen. Wenn ich nur zwei Sätze zur Verfügung habe, kommt er nicht vor. Ab drei Sätzen schon. Blaubart ist gewissermaßen aus dem Märchen übrig geblieben, von Maurice Maeterlinck hineingesetzt in ein höchst merkwürdiges Konstrukt. Blaubart wird da aus dem 17. Jahrhundert verloren hineingesetzt, er wiegt viel zu wenig. Frau Doktor Arianna mit ihren zwei Jahrtausenden Mythos im Gepäck wiegt dagegen so schwer, dass der Schreibtisch sich biegt. Alleine die so unterschiedliche Singdauer - sie zwei Stunden, er keine zwei Minuten - signalisiert, dass beide nie auf einer Ebene kommunizieren werden. Das zeigt: Einer ist nicht fähig zur Lösung, zur Erlösung. Dukas' "Ariane et Barbe-Bleue" wird gerne verglichen mit Debussys "Pelléas et Mélisande": Gleiche Zeit, gleicher Geist, gleicher Textautor, der Symbolist Maeterlinck. Und beiden ist der weibliche Blickwinkel gleich, eine Frau mit Dauerpräsenz auf der Bühne. Ist auch Ihr inszenatorischer Zugriff ein ähnlicher wie bei "Pelléas" in Mainz, eine extreme Reduktion der Ausstattung? Ja und nein. Dinge zu reduzieren auf ein Ziel hin, ist mir generell wichtig und ist wohl nirgends so wichtig wie in Stücken dieser Art. Es gibt viel Vergleichbares, doch sehe ich die beiden Opern auch als radikal verschieden, was am Komponisten liegt. Debussy hatte eine grundsätzliche Rechnung mit der Gattung Oper offen und hat eine Oper über das Schweigen gemacht, eine Oper, die am Rande des Verstummens steht. Paul Dukas dagegen steht eher in der Kontinuität von Oper, er hat keine Probleme damit, dass Oper sich in einer gewissen Lautstärke abspielt. Darum wirkt "Ariane" erst einmal konventioneller, doch ist sie auf andere Art genauso modern. Diese Modernität zeigt sich in seiner Klangbehandlung, in seiner detailversessenen Kompositionsweise. Dukas kommt dabei eben in einem dickeren Mantel daher als Debussy, ist rustikaler. Diese Oper braucht daher auch Materie auf der Bühne, nicht nur Licht und Schatten und Weite wie bei meiner Debussy-Inszenierung. Sie sagten vor der "Pelléas"-Produktion, Sie hätten noch nie so mitgelitten mit Opernfiguren. Bleibt dieser Satz so bestehen, oder setzen Ariane und die Ihren nun neue Maßstäbe? Ich gebe zu, dass ich vor einer Woche Tränen vergossen habe aus Mitleid mit Blaubarts Damen. Ob wir das so intensiv durch die Endproben bekommen, dass das auch dem Publikum passiert, wird sich zeigen. Das Stück schafft jedenfalls hohe Energiewerte, es hat uns durch gewaltige Höhen und Tiefen geführt. Und wie sieht es aus mit dem Mitleid, Mitleiden mit Blaubart, schließlich ist er der Geprügelte, vielleicht Erschlagene am Ende der Oper? Absolut. Ganz schlimm. Aus dem Stellungskampf der Geschlechter kommt keiner ungerupft raus. Bleibt etwas anderes übrig als Bitternis, wenn der Vorhang fällt? Ja, es bleibt eine perverse Schönheit des Systems übrig, und die Frage, ob Ariane die Berechtigung hatte, den Bewohnern des Kellers ihr Biotop zu zerstören. Man fragt sich dann zum Beispiel auch, ob es richtig ist, dass deutsche Soldaten in Ländern operieren, in denen sie Demokratie mit Waffengewalt durchsetzen wollen. Ohne zu überlegen, ob das gewünscht ist. Ariane etwa lässt die letzte Dame aus Fürsorge zurück, in dem Wissen, dass diese Frau sonst sofort auf dem Opernplatz von einer Straßenbahn überfahren werden würde. Jemanden zu retten, sagt uns dieses symbolistische Stück, ist unmöglich - retten muss man sich immer selbst. Das steht schon im Kommunistischen Manifest. Interview: Stefan Schickhaus [ document info ] |
Zur Person An der Oper Frankfurt führt Sandra Leupold jetzt Regie in Paul Dukas’ selten zu hörendem, 1907 uraufgeführtem Opernmärchen "Ariane et Barbe-Bleue". Die musikalische Leitung hat Paolo Carignani, die Titelpartie wird gesungen von Katarina Karnéus. Premiere ist am 10. Februar. |
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„Wir lassen uns blenden" Von Birgit Popp Der Aria(d)ne-Mythos ist über 3000 Jahre alt; das Märchen vom Ritter Blaubart stammt aus dem 17. Jahrhundert; Maurice Maeterlincks Libretto und Paul Dukas’ Komposition haben vor 100 Jahren das Licht erblickt, und doch ist der Stoff brandaktuell: In der 1907 in Paris uraufgeführten Oper „Ariane et Barbe-Bleue", deren deutsche Erstaufführung 1911 in Frankfurt stattfand, geht es um Selbstbestimmung contra einem Sicherheitsdenken, das Präferenz vor Freiheit und Unabhängigkeit erhält. Paul Dukas (1865–1935), ein äußerst selbstkritischer Pariser Komponist, der den größten Teil seines Lebenswerkes vernichtete, schuf mit seiner einzigen erhaltenen Oper in sechsjähriger Arbeit einen operalen Meilenstein. Die Entstehungsgeschichte des Werkes ist ohnehin eigenartig. Georgette Leblanc hatte es nicht verwunden, dass Claude Debussy 1902 die Uraufführung von „Pelléas et Mélisande", dessen Libretto ebenfalls aus der Feder Maeterlincks stammt, in der Titelpartie nicht mir ihr besetzt hatte. Daraufhin drängte sie Maeterlinck, ein Opernlibretto für sie zu schreiben. Der Lebensgefährte der willensstarken und launenhaften Sopranistin tat ihr den Gefallen und traf mit Paul Dukas als Komponisten die richtige Entscheidung. Paul Dukas bezeichnete seine Oper als eine „Flaschenpost", deren Inhalt zu entschlüsseln nur den wenigsten gelänge. Diejenige, die es sich in Frankfurt zur Aufgabe gesetzt hat, ist Sandra Leupold. Für die Berliner Regisseurin ist „Ariane et Barbe-Bleue" das typische Beispiel für eine symbolistische Oper. „Hinter allem, was die Autoren geschrieben haben, ist eine andere Bedeutung zu finden. Es gibt permanent verschiedene Ebenen von Text und Subtext, die sich durchdringen. Wir spielen nur den Subtext. Wir wollen der Musik Räume öffnen, damit sie große Gedanken im Zuschauer erzeugen kann." Die ehemalige Violinistin ist heute mit Leib und Seele Opernregisseurin. „Was mich elektrisiert ist Folgendes: Als Sänger auf der Bühne besitze ich zwei Identitäten, meine private und die meiner Bühnenfigur. Diesen Vorgang mit aller Kraft, großem Wissen und Lust anzunehmen, finde ich faszinierend. Ich bin ein Idealist, was Theater angeht. Es gibt keinen anderen Ort als die Opernbühne, auf der gewissermaßen nur einmal etwas stattfindet. Mit der Musik ist es sicherlich leichter, die Energiewerte auf ein hohes Niveau zu bringen, aber ein Opernwerk ist auch ein sehr fragiles Spinnennetz, bei dem schnell etwas schief gehen kann, weil sehr viele Leute mitwirken, viel mehr als beim Schauspiel." Beeindruckt ist sie von Dukas’ Partitur, die sich durch eine ungewöhnlich reiche Farbpalette und eine brillante Orchestrierung auszeichnet. Dass sich der musikalische Leiter der Neuproduktion, der aus Mailand stammende Dirigent Paolo Carignani, diese Oper für seine letzte Spielzeit als Generalmusikdirektor in Frankfurt gewünscht hat, kann sie gut verstehen. „Dukas hat eine gigantische Innenschau komponiert. Ich habe erst während der Proben verstanden, wie modern Dukas ist. Am Anfang fand ich die Szene, als Ariane die sechs Türen aufmacht, um zur verbotenen siebten zu gelangen, langatmig, aber dann habe ich erkannt, dass sie gerade dadurch, dass sie so lange dauert, ihre große Kraft hat." Und, so die Regisseurin weiter, „Ariane hat ihren ersten Machtkampf mit dem System Blaubart. Sie hat geglaubt, sie könne den Weg abkürzen, denn von Anfang an will sie nur die verbotene Tür aufmachen. Der lange Weg durch die sechs Türen ist für Ariane schon der Beginn ihres Scheiterns. Sie muss lernen, dass es für sie keine Abkürzung gibt, dass Blaubart am längeren Hebel sitzt, dass sie zur verbotenen Tür nur durch die anderen findet. Es ist kein oberflächliches Klingeln, sondern eine genau beobachtete und gefühlte Farbwertkomposition. Dukas war seiner Zeit voraus." Wie sich in der Anfangsszene ankündigt, ist die von der schwedischen Mezzosopranistin Katarina Karnéus verkörperte Ariane (den Blaubart singt Dietrich Volle) trotz ihrer mythischen Übergröße am Ende die Unterlegene, die ihr Ziel, die Frauen zu befreien, nicht erreicht. „Sie bleiben lieber am alten Leben mit Blaubart hängen", so Sandra Leupold, „aus Angst, es könnte ihnen schlechter gehen. Um in ein selbstbestimmtes Leben hinauszugehen, muss man vor sich selbst so wenig Angst haben, dass man mit sich selbst rausgehen kann. In diesen Damen klafft ein Loch im Inneren. Sie sind nie ganz erwachsen geworden. Ariane geht als Frau, die unheimlich viel gegeben, aber nichts bekommen hat." Leupold ist überzeugt: "Wer in eine Blaubart-Beziehung gerät, ist selber schuld. Es gehören immer zwei dazu. Es beginnt mit dem Moment, wo man sich die Situation schönredet und sagt, der Bart ist ja gar nicht so blau. Auch heute lassen wir uns durch Geld und Reichtum blenden. Aber Edelsteine ersetzen keine menschliche Wärme, keine zärtliche Berührung." Oper Frankfurt, Premiere 10. Februar, 18 Uhr. Weitere Aufführungen bis 16. März. Internet: http://www.oper-frankfurt.de | |
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