Neue Zuercher Zeitung
13. Februar 2008

Die eine und die vielen
Paul Dukas' "Ariane et Barbe-Bleue" in der Oper Frankfurt


Die siebente Wand als Vorhang, davor Ariane (K. Karnéus) und die Amme (J. Juon).
Bild: Wolfgang Runkel)

So viel steht fest: "Ariane et Barbe-Bleue", die einzige, 1907 uraufgeführte Oper von Paul Dukas, handelt von Gefangenschaft und Befreiung. Für die Gefangenschaft steht die Märchenfigur des Ritters Blaubart, der seine Frauen, eine um die andere, umbringt, wenn sie sein Gebot missachten und die siebente Türe öffnen. Befreiung kommt von Ariane beziehungsweise Ariadne, die im griechischen Mythos mit Hilfe von Theseus den menschenverschlingenden Minotauros besiegt hat. Im Opernlibretto von Maurice Maeterlinck sind Märchen und Mythos zu einem symbolistischen Stück verschmolzen, zu dem Dukas eine ihrerseits aus verschiedenen Quellen – neben französischen Vorläufern und Zeitgenossen auch Wagner und der frühe Richard Strauss – gespeiste, aber doch ganz eigene, suggestive Musik komponiert hat.

Während diese in der Partitur fixiert ist und in der Frankfurter Einstudierung vom Dirigenten Paolo Carignani und dem exzellenten Museumsorchester in weitem, filigran bewegtem Fluss und üppigem Kolorit erklingt, hat jede szenische Aufführung des Werks ihren Standort zwischen Märchenhaftigkeit und Konkretisierung neu zu definieren. Claus Guth und Christian Schmidt sind in ihrer Zürcher Inszenierung von 2005 von der Wirklichkeit eines gewöhnlichen Einfamilienhauses der fünfziger Jahre ausgegangen und haben hinter dessen Fassade Tiefenschichten des Unterbewusstseins erkundet.

In der Oper Frankfurt, die die Regie von "Ariane et Barbe-Bleue" wohl nicht zufällig in die Hände einer Frau, Sandra Leupolds, gelegt hat, ist der Schauplatz von Anfang an abstrakt. Dirk Becker hat das offene Bühnenrechteck mit dicken, halbtransparenten Plasticvorhängen eingefasst. Auf den mittleren projiziert Peer Engelbracht das Schimmern der Edelsteine, die zum Vorschein kommen, wenn die Amme die sechs ersten Türen öffnet – diese Videobilder hätte man sich vielfältiger, für den kalten Glanz der Diamanten auch stimmungshafter denken können.

Dann, mit dem Öffnen der siebten Türe, kommen an der Vorhangwand Menschen zum Vorschein. Auf der Rückseite baumeln wie Marionetten die früheren Bräute Blaubarts – nicht nur die fünf namentlich bekannten, sondern viel mehr – über- und nebeneinander, auf der Vorderseite klammert er selbst sich in die schlitzartigen Öffnungen (Dietrich Volle zeichnet den unheimlichen Ritter mit der hier geforderten unauffälligen Präsenz). Später wird der Vorhang gedreht. Da sind die Frauen ihrem Verlies entkommen, könnten sie frei werden, denn hinter den Vorhängen stehen die Bauern und knebeln Blaubart. Doch sosehr sie Ariane ermutigt, sie wagen den Schritt hinaus nicht, steigen in die Vorhangwand zurück, und während auf Blaubart schon die nächste Braut wartet, zieht Ariane mit der Amme (der stimmlich und darstellerisch gleicherweise intensiven Julia Juon) weiter.

Warum verweigern all diese Frauen, die Ariane retten will, die Freiheit? Diese zentrale Frage des Stücks findet bei Sandra Leupold, die sich sonst vor jeder konkretisierenden, verdoppelnden Illustration der Handlung hütet, eine unmissverständliche Antwort: Sie versteht Blaubarts Frauen als Luxusgeschöpfe, die zwar kein Schloss bewohnen, aber, mit Ausnahme Alladines (sie erscheint mit Kopftuch und grauem Mantel), extravagante Boutique-Kleider tragen – die Kostümbildnerin Eva-Mareike Uhlig hat sich da einiges einfallen lassen. Ariane dagegen tauscht ihr schlichtes weisses Brautkleid gegen den strengen schwarzen Mantel der Amme ein. Hier ein Dasein im "Wartezimmer des Lebens" (Leupold), ein Sterben auf Raten in gesichertem Wohlstand, dort der Schritt ins Ungesicherte, Freiheit um den Preis der Einsamkeit, des Liebesverzichts, der Geschlechtslosigkeit. Auf diese Formel liesse sich Sandra Leupolds Interpretation verkürzen, böte diese nicht zugleich sehr lebendiges, sinnliches Theater und hätte sie nicht in Katarina Karnéus eine Ariane, die diese Idealgestalt ganz und gar unheroisch, mit (bis auf ein paar forcierte Spitzentöne) frei strömender, heller Mezzo-Stimme und natürlicher Bewegungssprache verkörpert. So wird aus der symbolistischen Oper von Dukas und Maeterlinck in Frankfurt am Main eine Metapher weiblicher Existenz, die der Musik viel Raum gibt.

MARIANNE ZELGER-VOGT

 

Frankfurter Rundschau
12.02.2008

OPER
Die Befreiung der Schmetterlinge
VON HANS-JÜRGEN LINKE

Blaubart alias Barbe-Bleue sitzt schon auf der Bühne, einsam und nicht besonders ritterlich, als die Ouverture aus dem Orchestergraben steigt, wo Paolo Carignani vom ersten Augenblick an farbige, aufgewühlte Bewegung in die flirrend flächenhafte Musik bringt. Aber obwohl Barbe-Bleue längst da ist, ist für ihn alles schon zu spät. Das liegt an Ariadne. Sie ist durch die Zeiten gereist und im Mittelalter angekommen, das anzudauern scheint. Rundherum gärt der Zorn der Bauern, aber das erfährt nur, wer zum dumpfen, entferten Gesang des Chores die Übertitelung liest.

Es gibt auch wenig Grund für manifeste Gewalt. Barbe-Bleue ist bei Maurice Maeterlinck und Paul Dukas weniger Mörder als Sammler, seine Gewalttätigkeit ist kulturell sublimiert. Auf der Bühne der Frankfurter Oper kleben die Frauen hübsch gewandet und geschmückt in einer hohen Wand aus starken, transparenten Folienstreifen wie bunte Insekten im Eis - ein eindrucksvolles Bild, das der Inszenierung einen klaren Grund und eine unverrückbare Mitte gibt (Bühne: Dirk Becker), vor der man getrost die physische Bewegung der handelnden Personen auf ein Minimum einfrieren kann.

Die unbeirrbare Ariane (wie sie bei Maeterlinck/Dukas heißt) wird die Frauen befreien, erfolgreich, aber vergeblich. Katarina Karnéus betritt die Szene nicht als kriegerische Befreierin, sondern als Frau in Weiß mit lauteren Absichten. Sie wirkt überirdisch autonom und jeder Situation gewachsen, sie braucht nicht einmal die emotionale Unterstützung der Amme (Julia Juon), allenfalls braucht sie eine Kofferträgerin.

Ihr Gegner hat von vornherein keine Chance, egal wie lange er schon gewartet hat. Dietrich Volle als Barbe-Bleue signalisiert auch kaum Widerstand, höchstens ein bisschen rechthaberischen Trotz, bevor er sich in sein Schicksal ergibt. Denn das Schicksal der gefangenen Frauen ist auch seines, er gehört zur gleichen Schmetterlingssammlung, nur dass er auf der anderen Seite klebt.

Die Befreiung selbst läuft in der Oper Frankfurt als rein mechanische Angelegenheit der Bühnenmaschinerie ab: Langsam wird die Folie, an der die Frauen sich befestigt haben, um 180 Grad gedreht, schon können sie herunter klettern, und Barbe-Bleue ist auf die andere Seite geraten. Das ist unspektakulär und entspricht sicher keinem emphatischen Freiheitsbegriff, aber so liegen die Dinge nun mal.

Sandra Leupold hat Dukas' Oper nach dem symbolistischen Libretto Maeterlincks als stilisierte mythologische Erzählung inszeniert. Sie versucht nicht, Charaktere zu zeichnen, wo keine angelegt sind, sondern inszeniert die Linien der Handlung im archaisch-tektonischen Tempo gleichmäßig langsamen Voranschreitens: Niemand tut etwas Hastiges, jeder agiert wie vorbestimmt, und der Chor, der die konkrete Hektik eines Bauernaufstand auf die Szene hätte transportieren können, bleibt hinter die Kulisse verbannt und verschiebt die Revolte mit Schwertern und Sensen in die Musik. Die Kämpfe, die hier gekämpft werden, sind zu historischen Prozessen verdichtet, es geht nicht darum, wer siegt, sondern darum, wer Recht hat.

Und im Recht ist gegen den Unterdrücker immer der Befreier. Zur gleichen Ebene historischer Wahrheit gehört aber auch, dass Befreiung nichts Konsensfähiges ist, weil sie immer auch Ängste vor dem Unbekannten in der Freiheit mobilisiert. So dass der besiegte Barbe-Bleue am Ende am längeren Hebel zu sitzen scheint: Befreien kann jeder nur sich selbst, daran scheitert schließlich jeder Berufsbefreier.

Die Inszenierung konzentriert sich auf diese halb mythischen, halb revolutionstheoretischen Wahrheiten, aber sie schafft es, ihr Publikum damit nicht anzuöden. Die aktionsarme Gemessenheit aller Bewegung ist bei der konzentrierten Katarina Karnéus in den allerbesten Händen: Gemessenheit schafft bei ihr kein Vakuum, sondern steigert ihre Intensität und schafft ihr den Raum, sich auf die Fähigkeiten ihrer Stimme zu konzentrieren, die jenseits landläufiger Fach-Beschränkungen stets zugleich lyrisches und dramatisches Potenzial hat. Karnéus forciert nie und dominiert wie naturgegeben.

Blaubarts sechs Frauen sind, wie es für das mittlerweile verwöhnte Publikum der Frankfurter Oper zur Regel geworden ist, hervorragend besetzt, aber keine löst sich ernsthaft aus dem Schlagschatten der Titelfigur. Nur Dietrich Volle als Barbe-Bleue zeigt in den wenigen Minuten, die er Ariane Paroli zu bieten hat, eine feste, durchaus gleichrangige Statur.

Paolo Cargianani leistet im Graben eine bemerkenswerte Arbeit. Das Museumsorchester zeigt große dynamische Disziplin und ist hellwach, wenn der Farbauftrag-Eimer geöffnet werden muss. Die klangliche Differenzierung und Tiefenstaffelung der motivischen Ebenen in Dukas' Musik geht nie auf Kosten der Durchhörbarkeit und Klarheit - ideale Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Bühnenwirkung.

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Dokument erstellt am 11.02.2008 um 16:48:02 Uhr
Letzte Änderung am 12.02.2008 um 10:43:16 Uhr
Erscheinungsdatum 12.02.2008

 

Frankfurter Neue Presse
20.11.2007

Insekten-Frauen in Aspik
Sandra Leupold hat Paul Dukas’ „Ariane et Barbe-Bleue" an der Oper Frankfurt nachhaltig in Szene gesetzt.

Von Michael Dellith

Es ist ein rätselvolles, märchenhaftes Stück, diese einzige vollendete Dukas-Oper, die den düsteren Blaubart-Stoff mit dem antiken Ariadne-Mythos vermengt. Dabei liegt der Fokus dieses lyrischen Dramas nicht auf den grausamen Taten des frauenmordenden Blaubart (deshalb gibt es auch keine Blut- oder Gewaltszenen), sondern auf der Figur der Ariane. Sie hält sich nicht an die Ge- und Verbote Blaubarts, lässt sich nicht vom verlockenden Reichtum blenden und verführen. Sie beherrscht vielmehr als Lichtbringerin die Szene und setzt sich – wenn auch vergeblich – für die Freiheit der unterdrückten Frauen ein. Ist „Ariane et Barbe-Bleue" deshalb eine Emanzipationsoper? Nicht im modernen Sinne. Es geht Dukas und seinem Librettisten Maurice Maeterlinck um das Seelenleben der Protagonisten. Entsprechend haben die Berliner Regisseurin Sandra Leupold und ihr Bühnenbildner Dirk Becker einen fast leeren „Seelenraum" geschaffen, der die ganze Konzentration auf die Personen und die Musik lenkt. Vorstellungen, Träume, Sehnsüchte werden auf riesige, lamellenartige Stoffbahnen projiziert. Originell das Bühnenbild für die „Kammer" mit den gepeinigten Frauen, deren Kostüme (Eva-Mareike Uhlig) verschiedene Moden, Epochen und Kulturen zitieren: Gefangen wie Insekten hängen sie fast regungslos an großen, durchsichtigen Plastikbahnen, halb eingeschweißt oder als wären sie in Aspik eingelegt – ein Bild, dass den Betrachter nicht so schnell loslässt. Und auch Blaubart ist ein Gefangener seiner selbst, krallt sich wie ein Freeclimber an die „Mauern" seiner Burg.

Getragen wird die Frankfurter Inszenierung aber nicht nur von den Bildern, sondern noch vielmehr von Dukas’ sinfonischer, zuweilen avantgardistischer Musik. Zwar sind Vorbilder wie Richard Wagner, Richard Strauss, César Franck und natürlich der Impressionismus Debussys unverkennbar, doch Dukas amalgamiert diese zu einer ganz eigenen Tonsprache, die Klänge vorwegnimmt, für die erst sein Schüler Olivier Messiaen berühmt wurde. Paolo Carignani, für den es ein Herzenswunsch war, diese Oper in seiner letzten Frankfurter Spielzeit zu dirigieren, ließ die Partitur prächtig leuchten, ja brennen, aber auch in fein nuancierten Farbtönen schimmern.

Die schwedische Mezzo-Sopranistin Katarina Karnéus (im weißen Brautkleid) ging die anspruchsvolle Kernpartie der Ariane, die als großer Frauenmonolog anlegt ist, mit enormer stimmlicher Durchsetzungskraft, dramatischem Impetus und Souveränität an – auch in höheren Lagen, die eigentlich über der Mezzo-Region liegen. Famos wiederum Julia Juon, die vor kurzem erst in „Il trittico" begeisterte, nun als Arianes Amme glänzte, im Timbre ganz ähnlich wie Katarina Karnéus, nur reifer. Auch Dietrich Volle zeigte in seiner kleinen, eher passiven Partie – Dukas und Maeterlinck gönnen dem Blaubart gerade mal 27 Takte – charaktervolle Präsenz. Überhaupt waren die Nebenrollen wie etwa die der Sélysette, der Mélisande oder der Ygraine mit den Ensemblemitgliedern Stella Grigorian, Barbara Zechmeister und Britta Stallmeister vortrefflich besetzt. Nicht zuletzt der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor meisterte die mitunter heiklen Partien mit überzeugender Leichtigkeit. Nach gut zwei Stunden gab sich das Premierenpublikum einhellig enthusiastisch. An Bravos mangelte es nicht – und die Buhs blieben diesmal aus.

 

OFFENBACH POST
13. Februar 2008

Kein Entkommen aus dem finsteren Verließ möglich
"Ariane et Barbe-Bleue" ist in Frankfurt große Oper um aussichtslose Mission


Interessiert betrachtet Ariane (Katarina Karnéus; rechts Julia Juon als Amme) ihre Vorgängerinnen, die abgelegten Frauen von Barbe-Bleue (Dietrich Volle, in der unteren Reihe Zweiter von links). Foto: Wolfgang Runkel

Von wegen grausamer Frauenmörder: An der Oper Frankfurt muss Blaubart ebenso auf die Psycho-Couch wie seine Opfer. Sandra Leupold hat das französische Opernmärchen "Ariane et Barbe-Bleue" von Paul Dukas einem zeitlos kühlen Seelenlabor ausgesetzt, aus dem es kein Entkommen gibt. Allenfalls für eine göttliche Erscheinung wie Ariane, der Mezzosopranistin Katarina Karnéus auch stimmlich Souveränität verleiht. Und weil Generalmusikdirektor Paolo Carignani mit dem wie unter Starkstrom stehenden Museumsorchester Dukas’ breiten klanglichen Fluss akribisch kanalisiert, herrscht dauerhaft Krimispannung bei der mit anhaltendem Beifall bedachten Premiere.

Symbolist Maurice Maeterlinck lieferte den Text, zugeschnitten auf seine Lebensgefährtin Georgette Leblanc, zutiefst gekränkt von Claude Debussy, der sie für die Hauptrolle seiner Oper "Pelléas und Mélisande" abgelehnt hatte. Die mittelalterliche Sage vom Gattinnenmörder ist mit dem griechischen Ariadne-Mythos verbunden: Ariane, von Barbe-Bleue zur Ehefrau erkoren, denkt nicht daran, sich an dessen Gebot zu halten, die siebte Tür im Burgverließ nicht zu öffnen, hinter der sie ihre fünf Vorgängerinnen wie paralysiert vorfindet, allesamt Frauen aus Maeterlinck-Dramen.

Trotzt milchiger Plastikvorhänge, die in Frankfurt Innen- und verschwimmende Außenwelt trennen (Ausstattung: Dirk Becker), spricht Leupold Klartext. Ihr geht es in diesem zwanghaften Beziehungsgeflecht um Emanzipation. Konnte sich Ibsens Nora noch selbst aus ihrem Puppenheim befreien, so bedarf es bei Blaubarts willenlosen Wesen, allenfalls eigenständig durch Kostüme (Eva-Mareike Uhlig) und Stimmcharaktere, einer selbstbestimmten Göttin wie Ariane, die Sélysette (Stella Grigorian), Mélisande (Barbara Zechmeister), Ygraine (Britta Stallmeister) Bellangère (Nina Schubert) und Alladine (mit Kopftuch: Cristina Jacob) die Leviten liest. Dann verlassen die Frauen ihren am Vorhang klebenden Kokon, streben in quälender Langsamkeit dem Licht zu, können aber Ariane nicht folgen.

Da steht Barbe-Bleue vor, ebenfalls ein Gefangener seines zwanghaften Ichs, dem sich alle unterordnen müssen. Nur Ariane bereitet ihm Kopfschmerzen. Wenn sie versucht, die Frauen wachzurütteln, hockt er finster inmitten der Szene, die Arme wie unter einer Zwangsjacke verschränkt. Dietrich Volle nutzt seine gerade mal 27 Takte Gesang fürs baritonale Profil - und ist von Anbeginn, wenn der Bauernchor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) Ariane warnt, ein Getriebener, dieser starken Frau nicht gewachsen. Sie überlässt Blaubart den ihn noch immer anhimmelnden Vorgängerinnen. Die kleben am Ende wieder am Vorhang, lebenslang auf den Tod wartend,

Ein Psychodrama, das die Musik bedrohlich voranpeitscht, die sich beim Blick auf die Juwelen in immer neuem Farbschwall ergießt, verstärkt durch malerische Projektionen auf den Gazevorhang (Video: Peer Engelbracht). Carignani betreibt zwischen Wagner und Debussy, deren Errungenschaften Dukas dramaturgisch genutzt oder sogar verfeinert hat, nicht nur akribisch Klangforschung. Er hat viel Sinn für die schnellen Schnitte dieser Filmmusik wie für ihren Weg von der Finsternis ins visionäre Licht und zurück in atemlose Stille.

Dann versiegen auch die stimmlichen Energien von Katarina Karnéus, die wie eine Löwin gekämpft hat, mit ungeheurer Kraft in der Höhe sich den Klangfluten entgegenstemmend, was trotz aller Eindringlichkeit und starker Bühnenpräsenz vergebens ist. Neben diesem Fels in klanglicher Brandung behauptet sich energisch Mezzosopranistin Julia Juon als ihre Amme und stimmgewaltige Mahnerin, für die erkrankte Elzbieta Ardam eingesprungen. Frankfurt kann kaum mehr auf sie verzichten. Und hat wieder einem Opern-Fundstück mit frischen Kräften zu neuem Glanz verholfen. Dafür bedarf es eines glücklichen Händchens.

KLAUS ACKERMANN

 

Wiesbadener Kurier
12.02.2008

Die Frauen-Bewegung fällt aus
"Ariane et Barbe-Bleue" von Paul Dukas in Sandra Leupolds Inszenierung

Von Volker Milch


Katarina Karnéus als Ariane (im weißen Kleid),
Julia Juon als Amme (rechts) und Blaubart (Dietrich Volle)
mit seinen Bräuten in der Eiswand.
Runkel

FRANKFURT Blaubart in Frankfurt: Viele Opernfreunde werden sich da an Herbert Wernickes geniale Doppel-Inszenierung von Béla Bartóks Einakter erinnern. "Herzog Blaubarts Burg" gab es 1994 zwei Mal an einem Abend, die Wiederholung als Rückspiel mit Perspektivenwechsel. Nun stand Frankfurt wieder im Zeichen einer Blaubart-Verdopplung, allerdings etwas anderer Art: In der Alten Oper erklang unter Christoph von Dohnányis Leitung Bartóks Einakter als konzertante Aufführung mit hochkarätiger Besetzung (Yvonne Naef und Matthias Goerne), während sich das Opernhaus selbst der 1907 uraufgeführten, hierzulande selten zu erlebenden Blaubart-Version von Paul Dukas widmete: "Ariane et Barbe-Bleue".

Die Frauen-Bewegung ist in Sandra Leupolds Inszenierung dieser Rarität eine ziemlich statische, oft regelrecht konzertante Angelegenheit. Das liegt freilich auch an der Struktur des Werks: Der Lichtgestalt Ariane gelingt es nämlich trotz ausdauernden Monologisierens nicht, Blaubarts Bräute aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit hinauszuführen. Sie verlässt also alleine die Burg, während die übrigen Damen, die Namen aus früheren Dramen des Librettisten Maeterlinck tragen, ihre masochistischen Neigungen pflegen und den verletzten Peiniger nicht im Stich lassen wollen. Sélysette, Mélisande, Ygraine, Bellangère und Alladine steigen in Frankfurt schließlich zurück in eine Eiswand gefrorener Gefühle und nehmen ihre Posen ein - die Frauen-Bewegung auf breiter Front fällt aus.

Sandra Leupold hat mit ihrem Bühnenbildner Dirk Becker diese Eiswand als sehr einprägsames visuelles Leitmotiv exponiert: transparente Planen, an denen die Sängerinnen wie in einer Kletterwand hängen - und übrigens auch Blaubart selbst als Gefangener seiner selbst. Er hat bei Dukas nur 27 Takte zu singen, den vokalen Löwenanteil muss Ariane selbst bewältigen.

Mit dieser gewaltigen Partie hat sich einst die von Claude Debussy als Mélisande verschmähte Muse Maeterlincks, Georgette Leblanc, Genugtuung für die erlittene Schmach verschafft und die Emanzipation zumindest auf musikalischer Ebene radikal vollzogen. Die Mezzosopranistin Katarina Karnéus bringt in Frankfurt für diese nun wirklich tragende Rolle eindrucksvolles Format mit, gleichermaßen Kraft und Sensibilität vermittelnd. Über intensiven Applaus darf sich auch die für Elzbieta Ardam eingesprungene Julia Juon als Amme freuen, und Dietrich Volle stellt sich der geballten Weiblichkeit seiner Bräute-Sammlung mit männlich-markantem Bariton entgegen.

Während Claus Guth in Zürich das Geschehen 2005 als Vorstadt-Grauen im Reihenhaus herangezoomt hat, spielt es in Frankfurt in einem weiten, abstrakten Seelen-Raum, in dem Arianes weißes Brautkleid (Kostüme: Eva-Mareike Uhlig) wie ein naiver Mädchentraum aufscheint. Dieser Mädchentraum ist eine Zwangsjacke: Ariana wird das Brautkleid ablegen und Blaubart in die Hand drücken.

Sandra Leupold, die in Wiesbaden 2007 "Tosca" inszeniert hat, setzt in "Ariane et Barbe-Bleue" auf ganz reduzierte Bewegungen, die Dukas´ klingende Jahrhundertwende-Seelenkunst eher als inneres denn als äußeres Drama erfahrbar werden lassen. In ihm gibt es viel Raum für grandiose sinfonische Klangentfaltung der farbenreichen Partitur, deren Reize Generalmusikdirektor Paolo Carignani ins rechte Licht rückt. Bereits die düstere, auch szenisch suggestive Chorszene des Anfangs zeigt, dass sich diese Blaubart-Ausgrabung unbedingt gelohnt hat.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
12. Februar 2008

Auch Freiheit will gelernt sein

[...] Zu Beginn hockt Blaubart, den Dietrich Volle wunderbar präsent hält, auch wenn er kaum zu singen hat, einsam und verloren in der Mitte eines hohen Raums, der mit lamellenartigen breiten Streifen (den Türen) umschlossen ist. Ariane tritt durch einen Schlitz ein, im weißen Brautkleid, vorsichtig sich dem Mann nähernd: Die Detektivin Ariane gibt sich zunächst zurückhaltend.

Später wird sie das weiße Gewand abwerfen, mit nackten Füßen und kurzem Hängerchen den Kampf aufnehmen. Dann werden die Lamellen hochgezogen. Man sieht dreizehn Frauengestalten wie kokonierte Schmetterlingspuppen in einer hohen Plastikwand hängen. Beim Eintritt in den siebten Raum dreht sich die große Wand, gibt die Hinteransicht frei. Die Figuren gewinnen Lebendigkeit, klettern herab, ein buntes Weibervölkchen mit den vier Damen, die ausgezeichnet singen: Stella Grigorian, Barbara Zechmeister, Britta Stallmeister, Nina Schubert – Blumenmädchen, wie im zweiten Parsifal-Akt. Wenn Ariane die Scheibe einwirft und das Licht ins dunkle Gelass einbricht, fallen die Plastikwände. Die Inszenierung kann mit der szenischen Raumgestaltung von Dirk Becker durchaus effektvoll spielen. Wenn später die aufständischen Bauern hinter den wieder hochgezogenen Plastikbahnen fratzenhaft erscheinen, gewinnt die Aufführung sogar so etwas wie Magie.

Das ist aber auch das Verdienst der Musik. Das Orchester spielt eine dominierende Rolle, die einem Richard Strauss näher steht als dem Vorbild Debussy, dessen Parlandostil sie virtuos übernimmt. Formal schlägt bei Dukas aber auch ein klassizistischer Gestus durch. Alles ist äußerst farbig instrumentiert, klingt volltönend, prächtig, überschwänglich, besitzt rhythmische Vitalität ebenso wie raffiniert durchgehörte Klangmischungen, die oft etwas Geheimnisvolles ausstrahlen. Paolo Carignani und das Frankfurter Museumsorchester realisierten das, obwohl im ersten Akt oft etwas zu laut, fast perfekt.

In Frankfurt singt Katarina Karnéus die Ariane: eine dramatische, schlank geführte Stimme, die keine Ermüdung erkennen lässt - über die zwei Stunden, die Ariane auf der Bühne präsent sein muss. [...] Ohne Tadel, wie gewohnt, der Opernchor unter Alessandro Zuppardo.

GERHARD ROHDE

 

Bild Zeitung
13.2.2008

Frankfurt am Main ARIANE ET BARBE-BLEUE

Kurz und knackig, mysteriös, gespenstisch, packend. Ariane et Barbe-Bleue von Paul Dukas wurde in der Oper Frankfurt einhellig gefeiert. Sandra Leupold, Spezialistin für intelligent bebilderte Handlungsarmut, inszeniert das Seelenmärchen als Drama des impotenten Mannes. Luftschnaubend, ein Häufchen Elend, hockt Blaubart da. Verlierer von Anfang an. Die Frauen haben nur noch Mitleid, keine Angst. Zu sagen hat er nichts, zu singen wenig. Er tut ihnen nichts, sperrt sie nur weg, ins Plastikspinnennetz. Tolles Bühnenbild, einfach, raffiniert. Gegen die Spinnenklebrigkeit hat Ariane keine Chance. Ihr Frauenbefreiungsversuch mit Hilfe ihrer Amme (wunderbar: Julia Juon) läuft ins Leere. Die Befreiten zieht es zurück zu ihrem Peiniger. Weil er so süß und hilflos ist.

Katarina Karnéus brilliert als Titelheldin. Lockt, verführt, umschmeichelt, betört, verzaubert, mit sanfter starker Stimme, traumwandlerischem Spiel. Hochdramatisch, hochemotional ist die Musik, ein wild wucherndes Gemälde aus farbigsten Tönen. Paolo Carignani und das feinnervige Orchester folgen ihr zielstrebig versiert bis in die feinsten Verästelungen und wildesten Ausbrüche. Sanft einschmeichelnd, triumphal auftrumpfend, satt.

Wertung: SEHR GUT

JOSEF BECKER

 

www.Opernnetz.de
14. Februar 2008

Vom falschen Leben

  
 

Das Märchen vom frauenmordenden Unhold ohne den Mythos vom ewig haftenden Blut - stattdessen ein Monolog über die Illusion der Befreiung. Maurice Maeterlincks Vorlage fokussiert das Geschehen auf den Versuch Arianes, die eingekerkerten Frauen Blaubarts zu befreien. Ariane – wie die mythologische Ariadne , Blaubart – fixiert in seinem System, die Frauen – gefangen im akzeptierten Verschluss; draußen das Volk – Rebellion verkündend: alles Symbolik, alles auf seelische Kräfte fixiert.

Die grandiose Musik von Paul Dukas (1907) schöpft aus den Klangwelten Wagners, verweist auf Strauss-Eruptionen, verströmt sinfonische Energie, mischt divergierende Klangfarben, kontrastiert Chor, Ensembles und Solo-Partien. Paolo Carignani und das Frankfurter Museumsorchester vermitteln diese symbolträchtigen Tonfolgen in höchster Intensität – orchestral perfekt, dabei mit immensem Gespür für die permanenten „versteckten" Artikulationen der Innerlichkeit.

Katarina Karnéus trägt mit ihrem fulminanten Ariane-Monolog die gesamte Aufführung: mit ihrer ungemein wandlungsfähigen Stimme gelingen ihr überzeugende Passagen emotionaler Intensität, mit kraftvollen Höhen vermittelt sie die Aura der Rebellion, verfällt dabei aber nie in den Duktus veristischer Direktheit, sondern phrasiert im Sinne geheimnisvoller Seelenkräfte. Julia Juon ist eine verzweifelt warnende Amme, darstellerisch ausdrucksstark zurückhaltend, stimmlich mit hinreißender Ausstrahlung. Dietrich Volles Blaubart ist verhalten-aggressiv, vermittelt neben zwanghaftem „Weitermachen" die Resignation des Scheiterns. Stella Grigorians Sélysette vertritt die gefangenen, gehorsamen, jugendlich-unbegriffenen, innerlich leeren Frauen – ein geschmeidiger Sopran, ohne Härten, aber mit der Fähigkeit zur deutungsreichen Ambivalenz der Gefühle. Mit Barbara Zechmeister als verstörte Mélisande, Britta Stallmeister als Ygraine und Nina Schubert als Bellangère agieren und singen Sänger-Darstellerinnen mit höchster Kompetenz und mit dem „Geheimnis" unaussprechlicher Gefühle.

Großartig der Chor der Frankfurter Oper (Leitung Alessandro Zuppardo) mit geradezu revolutionärer Wucht – quasi ein Korrektiv zu den komplex-verschlüsselten Klängen der Solisten.

Sandra Leupold inszeniert konsequent im Sinne der Abwesenheit von Handlung, getragen von der Idee der Unmöglichkeit von Befreiung im falschen Leben (in dem es ja kein „richtiges" gibt !). Die Frauen sind individualisiert, finden nicht zur „Solidarität", finden in Verdoppelungen sowohl Ausdruck für den offenbar unendlichen Prozess der Unterwerfung als auch für den Wunsch nach glamourhafter „Attraktivität" als Ausdruck eines unbegriffenen „Glücks". Das wirkt in der statischen Künstlichkeit der Bewegungen hoch abstrakt, ist dem intellektuellen Konzept mehr verpflichtet als dem Versuch, eine „Geschichte" zu erzählen und das Publikum emotional zu bewegen.

Eva-Mareike Uhlig schafft für die Frauen phantasievoll-erotisierende Kostüme, Ariane dagegen im kargen Outfit. Die Bühne wird beherrscht von einer riesigen Wand aus Plastik-Segmenten, in denen die Frauen hängen, sich mühselig lösen und abschließend zurückkehren. Dirk Becker schafft die durchaus verstörende Metapher für dramatische Burgruinen mit düsteren Verliesen und blutüberströmten Opfer. Peer Engelbracht vermittelt da mit flirrenden Video-Sequenzen in rot und violett für huschende optische Impressionen.

Das so selbstbewusste, sich kenntnisreich gebende Frankfurter Premieren-Publikum hat offensichtlich Probleme, sich mit der artifiziellen Präsentation symbolistischer Inhalte anzufreunden. Doch es überwiegt der Respekt vor einer konsequent erarbeiteten Konzeption, einem Werk voller Rätsel, einer facettenreichen Musik und großartigen Solisten. Das Angebot für Phantasie und Reflexion wird in den folgenden Aufführungen sicherlich größeren Zuspruch erfahren. Dennoch: Heftiger Applaus – auch für das Regie-Team. (frs)

nnnnn Musik
nnnnn Gesang
nnnnn Regie
nnnnn Bühne
nnnnn Publikum
nnnnn Chat-Faktor