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31. Oktober 2007

Oper Frankfurt 18. November 2007
"Billy Budd" von Benjamin Britten
Benjamin Brittens Oper Billy Budd handelt von der tragisch ausgehenden Beziehung des jungen, stotternden Matrosen zu seinem Kapitän Vere, aus dessen traurigem Rückblick sich die Handlung entwickelt.

Im Angstklima härtesten militärischen Drills gerät der zwangsrekrutierte Matrose Billy in eine Intrige und erschlägt, da er stottert und sich nicht anders zu verteidigen weiß, den Waffenmeister Claggart, der ihm vorgeworfen hat, eine Meuterei zu planen. Der Kapitän muss dafür die Todesstrafe verhängen, durchaus wissend, damit einen Schuldlosen ans Messer zu liefern. Kapitän Vere wird niemals darüber hinweg kommen, in diesem schicksalhaften Augenblick "sein Herz dem Gesetz geopfert" zu haben.

Eine abendfüllende, zwei Akte währende Oper ohne Liebesszene; eine Oper darüber hinaus ganz ohne Frauen, will man nicht ohne Einschränkung konzedieren, dass deren Part in den Emotionen der Seeleute vertreten ist, und das auch nur, solange er nicht manifest wird. Melvilles Formulierung: "Das Herz ist der weibliche Teil im Manne und muss hier abgewiesen werden, so schwer es immer fallen mag." Melville bedient sich der Erzähltechnik der Camouflage. Sie verbirgt die Homoerotik unter den Schleiern der Ironie. Sie belässt den Blaujacken eben noch ein gewisses zweideutiges Lächeln beim Anblick Billys. Gleichwohl durchbricht die einzig auf einem navigierenden und niemals ankernden Schiff spielende Handlung den eingeschliffenen Erwartungshorizont, der im Musiktheater aus ist auf transzendente Erhöhung der Wirklichkeit, auf – wie Thomas Mann sagt – "die fliegende Idealität der Musik". Die transzendierenden Momente kommen in Brittens Oper aus einer anderen Perspektive. Das Thema des Werkes lautet: Gibt es in einer Welt, die im Bilde des durch die Ozeane treibenden Schiffes ein hermetisch geschlossenes System zeigt, das das Prinzip des Machterhalts zum Daseinszentrum erhoben hat, noch eine entgegengesetzte Instanz? Oder kürzer: Kann es die Unschuld in einer Welt des universell gewordenen Schuldzusammenhangs geben? Melvilles und Brittens Antwort bejaht diese Frage. Die kindliche Würde des Vortoppmannes bleibt unantastbar, ohne dass sich dabei der heilsgeschichtliche Geruch einer erpressten Versöhnung einstellt. Billy ist, als er gehängt wird, nicht das Lamm Gottes, sondern immer noch das Kind, das die verfügte Ordnung der Dinge nicht versteht.

Quelle: Dramaturgie Oper Frankfurt

 

Frankfurter Neue Presse
09.11.2007

Sturmwind der Gerechtigkeit
Benjamin Brittens musikalisches Seemanns-Drama „Billy Budd" nach Herman Melville hat am 18. November an der Oper Frankfurt Premiere.

Von Birgit Popp

Damit steht die erste von zwei Neuinszenierungen von Werken des britischen Komponisten Benjamin Britten (1913–1976) in dieser Spielzeit auf dem Programm. Das 1951 noch in vieraktiger Form in London uraufgeführte Werk beruht auf der 1891 von dem „Moby Dick"-Autor Herman Melville verfassten, aber erst 1926 veröffentlichten Erzählung „Billy Budd Foretopman".

Im Mittelpunkt steht der blendend aussehende, einen ausgesprochen guten Charakter besitzende Matrose Billy Budd (Rollendebüt für den schwedischen Bariton-Star Peter Mattei), der 1797 während des britisch-französischen Seekriegs zur Marine gedrängt wurde. Doch wie der von allen Seiten geschätzte, den alten Klassikern und schönen Künsten zugetane Kapitän Vere (John Mark Ainsley) feststellen muss: Es gibt nichts Vollkommenes auf der Welt. Auch alles Schöne und Gute hat seine Fehler: Wenn Billy Budd sich ereifert, beginnt er zu stottern. Durch sein schwärmerisches Good-bye an sein altes Schiff, das ausgerechnet den Namen „Menschenrechte" trug, gerät er bei den Offizieren in den Verdacht, ein Verfechter der Ideen der französischen Revolution zu sein. Waffenmeister Claggart (Clive Bayley), der selbst das Schlechte im Menschen verkörpert, aber die innere und äußere Schönheit Billy Budds ebenso erkennt wie seine Unfähigkeit, sie selbst zu erlangen, beschließt, den jungen Matrosen zu zerstören und beschuldigt ihn fälschlicherweise des Verrats. Von Kapitän Vere dem Waffenmeister gegenübergestellt, ist Billy Budd nicht in der Lage, seine Verteidigung in Worte zu fassen und streckt stattdessen den Offizier mit einem tödlichen Faustschlag nieder. Ein Verbrechen, auf das in der Marine die Todesstrafe steht. Vere beruft ein Standgericht ein, schildert den Vorfall wahrheitsgemäß, tritt aber nicht für ein milderes Urteil ein. Die drei richtenden Offiziere halten sich trotz ihrer Bedenken an den Gesetzestext und verurteilen Billy Budd, den Liebling der gesamten Mannschaft, zum Tod durch den Strang. Erzählt wird die Geschichte rückblickend aus der Sicht Veres, der sich bis an sein Lebensende vorwirft, Billy Budd nicht gerettet zu haben.

Die musikalische Leitung der Frankfurter Neuinszenierung obliegt dem Briten Paul Daniel, die Inszenierung seinem Landsmann Richard Jones. Für den Londoner, der bereits im Alter von acht Jahren durch seine Mutter für die Oper begeistert wurde und im Theater als Pianist begann, ist es die erste Inszenierung einer Britten-Oper. „Für mich sind die Opern von Britten voller Grausamkeit, Leidenschaft und starken emotionalen Ausbrüchen, aber seine Musik drückt neben Grausamkeit auch sehr viel Menschlichkeit aus."

Für den studierten Psychologen sind die drei Hauptcharaktere – Claggart als Versinnbildlichung des Bösen, Billy als Inbegriff des Guten und Vere als jemand, der zwar das Gute erkennt, es aber nicht rettet – die drei Seiten von Brittens eigener Persönlichkeit. „Diese drei Charaktere sagen viel über die britische Mentalität und Empfindsamkeiten, insbesondere über die von britischen Homosexuellen in den 40er und 50er Jahren aus. Auf Billy konzentriert sich alles Schöne, sein Aussehen, seine Taten, seine Lieder. Claggart ist ein Mann, der an Schönheit und Reinheit glaubt, aber weiß, dass er sie nicht erlangen kann und sie deshalb korrumpieren und zerstören will. Vere glaubt auch an die Unschuld und Reinheit und möchte sie kultivieren. Am Ende vermischen sich die Charaktere von Vere und Claggart, und Claggart überlässt es Vere, sein Werk zu vollenden."

Für Jones ist die Vorlage von Herman Melville ironischer, während die Oper viel intensiver und gefühlsbetonter sei. Und er sieht durchaus christliche Motive in dem Werk, doch: „An Veres Händen klebt Blut. Die Todesstrafe für Billy Budd ist ein Verbrechen gegen den universellen Moralbegriff. Vere findet Trost in den Worten, aber die Musik drückt diesen Trost und das christliche Verzeihen nicht aus. Die Musik ist pessimistischer als der Text. Die Geschichte erfährt in der Musik keine Lösung." Jones’ Inszenierung verlegt die Geschichte aus dem 18. Jahrhundert in die Lebenszeit Benjamin Brittens.

Das Bühnenbild zeigt sowohl eine Marineakademie als auch ein Schiff. „Die Texte handeln für mich mehr vom Leben in einem Marineinternat als auf einem Schiff, und sie drücken sehr viel über das Verhältnis der Briten zu ihren Kindern aus. Das britische Schulsystem, wie es vom 18. Jahrhundert bis in die frühen 70er des 20. Jahrhunderts Gültigkeit besaß, rief eine Denkweise hervor, die suggerierte, dass leiden gut für dich sei. Heute ist körperliche Züchtigung verboten. Aber das Schulsystem war eine Hölle, und es ist sehr bedauerlich, dass es überhaupt bestand, was durch die spezielle britische Kultur ermöglicht wurde. Der Schlüssel liegt in der Unterdrückung durch die Vorgesetzten."

Billy Budd ist ein Werk ausschließlich für Männerstimmen, in der kompletten Oper kommt nicht eine einzige Frau vor. „Es ist eine Welt ohne Liebe. Die Frauen kommen noch nicht einmal als Mütter in diesem Werk vor," so der Regisseur, „das Waisenkind Billy Budd wurde sogar als Findling von einem alten Mann aufgezogen." Dennoch ist die Oper „Billy Budd" auch für Frauen sehens- und hörenswert. Gesungen wird in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Oper Frankfurt, Willy-Brandt-Platz.
Premiere 18. November, 18 Uhr. Weitere Vorstellungen bis 9. Dezember.
Kartentelefon (069) 13 40 400.
Internet
http://www.oper-frankfurt.de

 

Frankfurter Rundschau
16.11.2007

Oper
Drama aus der Brotdose

VON STEFAN SCHICKHAUS

Moby Dick" hat den Autor Herman Melville weltberühmt gemacht, die Geschichte vom Wal und seinem einsamen Jäger wurde zum Klassiker. Genau 100 Jahre nach der Veröffentlichung dieses Erfolgsromans wurde in London eine Oper uraufgeführt, die ebenfalls auf einem Text Melvilles basiert - von dessen Existenz aber bis zu seinem Tod nur der Autor selbst wusste: Die Erzählung "Billy Budd Foretopman" wurde als Manuskript in einer Brotdose des Schriftstellers gefunden.

"Billy Budd Foretopman", wie "Moby Dick" im Seefahrer-Milieu angesiedelt, zeichnet ein Drama nach, das sich während des englisch-französischen Seekriegs 1797 an Bord des Kriegsschiffs "Indomitable" abspielte: Ein alter Kapitän erinnert sich an den jungen zwangsrekrutierten Matrosen Billy Budd, den der Waffenmeister des Schiffs zu seinem Intimfeind erklärte und alsbald der Meuterei bezichtigte. Der stotternde Billy, unfähig einer Verteidigung mit Worten, erschlug seinen Ankläger und wurde von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Der Kapitän, damals wichtigster Zeuge des Prozesses, wird von Zweifeln ob der Richtigkeit seines Handelns geplagt.

Ausschließlich Männerstimmen hat Benjamin Britten für seine "Billy Budd"-Oper eingesetzt, konsequent dem dargestellten Kriegsszenario folgend. Zwei dieser Stimmen, die jetzt in Frankfurt zu hören sind, gehören dabei besonders namhaften Sängern: So singt den Kapitän der englische Tenor John Mark Ainsley, der an der Oper Frankfurt bereits als Wahnsinnige Frau in Brittens "Curlew River" eine sehr starke Leistung zeigte.

Prominenter noch ist der Bariton Peter Mattei in der Titelrolle. "Der hochgewachsene Schwede hat seit seinem bemerkenswerten Don Giovanni 1998 in Aix-en-Provence zu fabelhaftem stimmlichem Profil gefunden und ist als Darsteller ein Könner von lässiger Souveränität", schrieb die Neue Zürcher Zeitung über Matteis Eugen Onegin bei den Salzburger Festspielen in diesem Sommer.

"Billy Budd"
Premiere: 18.11., 18 Uhr, weitere Vorstellungen: 23., 25.+28.11.
Oper Frankfurt, Willy-Brandt-Platz, Tel. 0 69 / 1 34 04 00

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Dokument erstellt am 16.11.2007 um 00:08:02 Uhr
Erscheinungsdatum 16.11.2007 | Ausgabe: R1NW | Seite: 13

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
16. November 2007

Oper
Parabel von der Reise des Lebens


Mit Köpfchen: Paul Daniel dirigiert "Billy Budd" in der Frankfurter Oper

Auf einer Erzählung des Amerikaners Herman Melville, des Autors von „Moby Dick", beruhend, behandele Benjamin Brittens Oper „Billy Budd" ein „sehr britisches Thema" – aber mit universellen Ideen, findet Paul Daniel. Die Fahrt des englischen Marineschiffs, auf dem der Matrose Billy Budd im Krieg gegen Napoleon zwangsrekrutiert ist, stehe sozusagen für die Reise des Lebens: Nie steht es still, nie läuft es rückwärts, immer auf den Tod zu. Zugleich hält das Schiff die Männer gefangen. Ebenso gut könnte alles in einem Gefängnis spielen, erläutert der englische Gastdirigent, der an der Oper Frankfurt zuletzt die beiden Zemlinsky-Einakter leitete und dort nun am Sonntag um 18 Uhr bei der Premiere von „Billy Budd" am Pult steht.

In der Inszenierung seines Landsmanns Richard Jones soll diese „klaustrophobische Situation" deutlich werden. Das Bühnenbild von Antony McDonald erinnere auch an eine Kadettenschule. Im Unterschied zu Brittens Oper „Peter Grimes", die an der Oper Frankfurt im Jahr 2001 und danach in Wiederaufnahmen zu sehen war, spiele das Meer hier eine weniger reale Rolle. Vergleiche zwischen den Titelfiguren lassen sich aber anstellen. Der Fischer Peter Grimes muss sich vor Gericht verantworten, weil sein Lehrjunge bei einer Bootsfahrt umkam, Billy Budd kommt vor das Kriegsgericht, weil er im Affekt den Waffenmeister Claggart erschlägt, der ihn zu Unrecht der Meuterei beschuldigt hat. Grimes wird anfangs offiziell freigesprochen, Billy zum Tode verurteilt.

Anziehung von Licht und Dunkel

Grimes bleibt ein Außenseiter, Billy hingegen ist bei der Mannschaft und Kapitän Vere sehr beliebt. Einen „Defekt", wie Daniel sagt, habe aber auch der als schön und jung beschriebene Matrose: Er stottert, kann nicht lesen und schreiben, kennt seine Eltern nicht und weiß nicht, woher er kommt. Er sei ein sehr einfacher und offenherziger Mensch, den Britten mit diatonischen, arpeggienartigen, anfangs schnellen, „brillanten" Melodien gekennzeichnet habe.

Der schwedische Starbariton Peter Mattei sei dafür in Frankfurt eine Idealbesetzung. Der düstere Gegenpart zu Billy ist Claggart. Er gehöre ganz einer dunklen Welt an, im Gesang begleitet von dunkeler Instrumentation, mit Posaunen zum Beispiel, stimmlich „sehr aggressiv". Er liebe Billy, wolle ihn aber zerstören. „Licht und Dunkel ziehen sich an", sagt Paul Daniel. Diese magnetischen Kräfte hätten Britten in der kompositorischen Gestaltung besonders interessiert. Die Begriffe gut und böse habe er jedoch vermieden.

Vere ist insofern ein anderer Gegenpol zu Billy, als er sehr gebildet ist und eine ausgezeichnete Erziehung genossen hat. Zudem steht er als Kapitän in der Hierarchie ganz oben, was auf den Simultanebenen des Bühnenbilds durch eine Erhöhung seines als Bibliothek eingerichteten Raums gezeigt werde. Gerade seine überdurchschnittliche Bildung bilde jedoch die Mauern um ihn herum. Auch er liebe Billy, habe aber eine viel „kältere" Einstellung zu ihm und zum Leben insgesamt als Claggart.

Getarntes Tabu-Thema

Als Billy Budd des Totschlags angeklagt wird, kann Kapitän Vere mit dieser „Krise" nicht umgehen. Seine Bücher, Dienstanweisungen und Gesetze könnten ihm hier nicht weiterhelfen, erläutert Daniel. Man müsse die Beziehungen der drei Hauptcharaktere dieser ausschließlich mit Männerstimmen besetzten Oper vor einem „homosexuellen Hintergrund". Zur Zeit der Entstehung des schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begonnenen und im Jahr 1951 uraufgeführten Werks, das in Frankfurt in der zweiaktigen Zweitfassung gespielt wird, war dieses Thema natürlich noch tabu und musste „getarnt" werden.

Auch musikalisch stellt Benjamin Britten einen Bezug zu den drei Figuren her, wie Paul Daniel beschreibt: Claggart singe viel in f-Moll, Billy häufig in A-Dur und Vere in C-Dur. Und diese drei Töne F, C und A ergeben einen F-Dur-Dreiklang, die Dominante zur B-Dur / b-Moll, mit der die Oper beginnt – und auch gemäß der beim Hörer geweckten Erwartung enden sollte. Doch bleibt der Schluss offen.

GUIDO HOLZE

Weitere Vorstellungen der Oper „Billy Budd" von Benjamin Britten am 23., 25. und 28. November sowie 2., 5., 7. und 9. Dezember.

 

OFFENBACH POST
17. November 2007

Der Krieg kennt keine Gnade
Brittens Seemanns-Drama "Billy Budd" hat an der Oper Frankfurt Premiere

Noch wird heftig gehämmert auf der Frankfurter Opernbühne, die das Innere eines Schiffs zeigt, das gleichwohl auch eine Sporthalle darstellen könnte. Eine Treppe rechts führt in die abgehobene Kapitänskajüte, mit auffallend vielen Büchern ausstaffiert. Dort wird sich am Sonntag um 18 Uhr das tragische Schicksal des "Billy Budd" erfüllen, gleichnamiger Antiheld der Oper von Benjamin Britten nach einer Erzählung des Moby-Dick-Erfinders Herman Melville (1819-1891). Man singt englisch, mit deutschen Übertiteln: Regie führt Richard Jones, das Museumsorchester dirigiert Paul Daniel, der hier schon in der vergangenen Spielzeit mit Zemlinsky-Einaktern reüssierte.

Nur Männer sind in dieser 1951 in London uraufgeführten Oper zugelassen, deren spätere Zweiakt-Version in Frankfurt gespielt wird. Rückblickend erinnert sich der Kommandant der "Indomitable" an den jungen, zwangsrekrutierten Matrosen Billy Budd, der zur Zeit des englisch-französischen Seekriegs 1797 der Meuterei bezichtigt wird, sich als Stotterer verbal gegen seinen üblen Widersacher, den Waffenmeister Claggart, nicht wehren kann, ihn in Panik erschlägt und zum Tode verurteilt wird.

Den von Skrupeln geplagten Kapitän Vere verkörpert in Frankfurt der bis hin zu Salzburg und der New Yorker Met viel gefragte britische Tenor John Mark Ainsley, schon im Frankfurter "Curlew River" sich als Spezialist für Benjamin Britten ausweisend. "Kein Wunder, schließlich bin ich Brite und ein lyrischer Tenor", sagt Ainsley mit einem entwaffnenden Lächeln in seinem spartanisch ausgestatteten Proberaum, den einzig die Kapitänsmütze ziert, während sich nebenan ein Kollege einsingt.

Keine Zwangsaktualisierung: Regisseur Jones versetzt "Billy Budd" ins Jahr 1947, berichtet Ainsley. Sein Kapitän sei ein Idealist, ein Intellektueller, der zwischen Schiff und Seemannsschule pendle, der in der Lage sei, die griechischen Philosophen zu zitieren. Der über allem schwebe - "und nicht viel mitbekommt, was sich in den menschlichen Niederungen abspielt." Gleichwohl sei er fasziniert von der unschuldigen Jugend des Billy Budd, gestehe sich aber seine Zuneigung nicht ein, die wie ein Blitz bei ihm einschlug. Schließlich ist er verheiratet - so die Sicht des Regisseurs. Eine homosexuelle Beziehung 1947? Was für eine Schande. Sein genaues Gegenteil sieht Tenor Ainsley im brutalen Machtmenschen Claggart, ein Homo, der aufgrund seiner Veranlagung voller Selbsthass sei, dennoch Billy Budd verfallen. Daher müsse er ihn vernichten, ein Schuss, der nach hinten losgeht.

Neben dem psychologischen Aspekt gebe es noch einen zutiefst moralischen, so Ainsley. Der Kapitän hätte auch angesichts des in verzweifelter Wut zuschlagenden Budd sein Herz entscheiden lassen können. Schließlich befinden sich bei der Tat nur diese drei Männer im Raum. Doch er entscheidet sich fürs Buch, fürs Gesetz - und so verfolgen ihn seine Skrupel 30 Jahre lang. Kapitän Vere in Prolog und Epilog, seine Soli wie Selbstgespräche und voller Selbstzweifel: Man darf gespannt sein, wie der sympathische Sänger diesen schwierigen Charakter, über den er sich so viele Gedanken gemacht hat, auf der Bühne umsetzt. Ein Sänger, der immer wieder neue Herausforderungen sucht, der sich als Evangelist in den großen Oratorien einen Namen gemacht hat wie in Messen des Spätromantikers Anton Bruckner. Nicht zuletzt bei der Wiener Wiedervereinigung von Patrice Chereau und Pierre Boulez (legendäre Produzenten von Wagners "Ring"): In Janaceks "Aus einem Totenhaus" musste Ainsley als Sträfling in seiner finalen Szene singen, tanzen - und dabei dem Irrsinn verfallen.

Bei seinem Debüt an der English National Opera stand übrigens (wie jetzt in Frankfurt) Paul Daniel am Dirigierpult. Und mit sichtbarem Vergnügen erzählt der Brite, der Frankfurt schätzt, aber statt Apfelwein lieber einen Martini trinkt, dass er als Student schon in der Westminster Abbey gesungen hat - zur Hochzeit von Prinz Andrew. Ein bisschen Glamour muss einfach sein …

KLAUS ACKERMANN