"Bohème" hinter Schaufenster Giacomo Puccinis Oper "La Bohème" gehört wohl zu den meist gespielten Repertoire-Opern auf Deutschlands Bühnen. Premiere der Mainzer Inszenierung ist am Samstag, 14. Juni, im Großen Haus. Von Daniel Honsack
Foto: Martina Pipprich Ungebrochen ist der Reiz, der von dem Künstlerleben ausgeht, das scheinbar keine Grenzen kennt - außer eben denen der profanen Realität. Rodolfo, Marcello und Schaunard sind der Inbegriff eines Lebensstils, dem viele wohl mit verklärtem Sinn nachträumen. Tief im Inneren aber ist jeder Theaterbesucher wohl froh, nach der Vorstellung in die geheizte Wohnung fahren zu können, ohne sich exorbitante Sorgen um die nächste Stromrechnung machen zu müssen. Damit der Bürger aber auch einmal das unsichere Brett des Künstlerdaseins erleben darf, gibt es Opern wie "La Bohème". Vor der Premiere In Mainz wird nun erstmals die Regisseurin Vera Nemirova zu Gast sein, für sie ist es zugleich auch die erste Auseinandersetzung mit dieser Oper. "Das Stück will erzählt werden", sagt sie und findet gleichzeitig, dass man ihm kein eigenwilliges Konzept unterschieben kann. "Puccini gibt unheimlich viel vor", hat sie festgestellt. Sie sieht die "unglaubliche Opulenz" des Werkes und hat ihr in der Inszenierung eine gewisse Kargheit gegenüber gestellt. Dies findet seinen Niederschlag bereits in dem Einheitsbühnenbild, in dem sämtliche Szenen verhandelt werden. Sie hat sich dabei für ein leerstehendes Café entschieden, in dem die Künstler hausen. "Sie leben auf Kredit, aber nicht schlecht", macht Vera Nemirova die offensichtliche Diskrepanz noch einmal deutlich. "Alles, was sie tun, will inszeniert sein", skizziert sie das Leben des Künstler-Trios aus dem Musiker, dem Autoren und dem bildenden Künstler, der hier nicht Maler, sondern Fotograf ist. Dass die Protagonisten hinter einem Schaufenster agieren, unterstreicht zusätzlich die Öffentlichkeit der bewusst inszenierten Armut und Attitüde der drei. Die Regisseurin hat atmosphärisch viel aus der Musik heraus gedeutet. So sieht sie die lebhaften Diskrepanzen zwischen den teilweise fast gesprochenen Passagen und der Flucht in die Schönheit der Kantilene. Schließlich kulminiert das scheinbar verantwortungslose Leben der Bohemians in dem Tod Mimis, der erschütternd, nicht kitschig wirken soll. In der Rolle der Mimi wechseln sich Abbie Furmansky und Kerrie Sheppard ab. Der Dichter Rodolfo wird von Sergio Blazquez übernommen, auch Musetta ist mit Tatjana Charalgina und Ana Durlovski doppelt besetzt. |
Armut im Schaufenster VON STEFAN SCHICKHAUS Als sie in Frankfurt 2007 Richard Wagners "Tannhäuser" inszenierte, war der Meistersänger unverkennbar ein Bob-Dylan-Typ, der sich stilistisch seiner Band entfremdet hat. Zuvor hatte sie in Freiburg eine "Carmen" auf die Bühne gebracht - ganz ohne Stierkämpfer. In ihrer "Zauberflöte" in Eisenach erklangen weder Flöte noch Glockenspiel, und ihr Semperopern-Othello war bleich wie die Wand. Vera Nemirova, die 1973 in Bulgarien geborene und in der DDR aufgewachsene Opern-Regisseurin lässt bei Klassikern gerne das weg, was für andere gerade den Klassiker ausmacht. Ausstattungskonvention ist für sie kein Wert an sich, Übertragung in die Jetztzeit dagegen oft eine adäquate Lösung. "Wenn ich eine Parallele mit dem Heute sehe, brauche ich die historische Querverbindung nicht mehr", sagt sie. Ob Mimi in Mainz nun einen Muff bekommt? Nach ihrem polarisierenden Frankfurter "Tannhäuser", der allerdings deutlich mehr positive als negative Voten bekam ("Das Illustrative wird bei Nemirova nie dominant, dazu ist ihre Personenregie zu stark", hieß es etwa in der NZZ) stellt sie nun ihre zweite Arbeit im Rhein-Main-Gebiet vor, wieder eine Künstler-Oper: In Mainz inszeniert Nemirova Giacomo Puccinis "La Bohème", eine späte Premiere in dieser Spielzeit. Kein anderes Opernhaus in der Region bringt Mitte Juni noch ein neues Stück heraus, nach der Premiere am Samstag wird der süße Vierakter nur noch einmal gespielt, und zwar am 24. Juni. Für Puccinis Musik ist es eigentlich jetzt schon zu heiß. "La Bohème" ist eine Oper, die in Zeiten steigender Heizungskosten wieder ein wenig mehr Aktualität bekommen könnte. Ganze Romanentwürfe landen hier zum Heizen im Ofen, ein hartes Vorgehen gegen das Gaspreiskartell. Die drei Künstler, die sich hier in Werner Hutterlis Einheitsbühnenbild bewegen, "leben auf Kredit, aber nicht schlecht", so sieht es die Regisseurin. Unglaublich opulent sei diese Oper von Puccini ausgestattet, sagt die 35-Jährige. Ihre Bilder sollen hingegen nicht so opulent ausfallen. Die Protagonisten, so die Regisseurin, inszenierten Ihr Leben schon selbst, sie inszenierten ihre Armut. Im richtigen Leben gingen sie vielleicht in eine TV-Show. Doch Nemirova genügt eine andere große Scheibe: Der Dichter Rodolfo, der Maler Marcello und der Musiker Schaunard stellen ihre ebenso idealistische wie nichtsnutzige Bohème-haftigkeit für die Öffentlichkeit in einem Schaufenster aus. Auf diese Mainzer "La Bohème" darf man auch insofern gespannt sein, als dass sie einen weiteren Vorgeschmack geben kann auf das, was Nemirova demnächst an der Oper Frankfurt in Angriff nehmen wird. Ein "Ring des Nibelungen" mit der Berghaus-Schülerin und Konwitschny-Elevin ist hier angekündigt, die derzeit neben ihrer Kollegin Sandra Leupold eine der interessantesten ist auf dem Markt. Als eine "angehende Jungstar-Regisseurin" bezeichnete das Fachmagazin Die Deutsche Bühne sie, als "Hoffnungsträgerin im Musikregiegeschäft" die Süddeutsche Zeitung. 2006 erhielt sie den Förderpreis "Darstellende Kunst" der Berliner Akademie der Künste. Und Peter Konwitschny selbst hält die allergrößten Stücke auf seine Meisterschülerin. In einem Interview erklärte der Regie-Souverän im März, unter den Etablierten seines Fachs sei "Dietrich Hilsdorf einer der wenigen, die ich neben mir gelten lasse", und "bei den Jungen: Vera Nemirova. Sie war lange Zeit meine Schülerin, ich helfe ihr immer noch gerne. Sie hat Ideen und kann sie auf die Bühne bringen. Vielleicht gibt es derzeit noch zwei, drei andere. Mehr nicht." La Bohème, 14.6., 19.30 Uhr (Premiere), [ document info ]
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