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02.04.2008

Oper Frankfurt 27. April 2008
Die Ausflüge des Herrn Brouĉek
von Leoš Janáček

Zwei Novellen des tschechischen Dichters Svatopluk Čech (1846-1908) dienten Leoš Janáček (1854-1928) als literarische Vorlage zu seiner Oper Die Ausflüge des Herrn Brouček. Die Arbeit daran zog sich von 1908 bis 1917 hin, wobei mehrere Librettisten an der Entstehung beteiligt waren.

So verfasste der damit unzufriedene Janáček das Textbuch schließlich selbst. Einzigartig im Schaffen des Komponisten sind die hier vertretenen satirischen Züge sowie die Mischung aus Pathos und Komik. Ungewöhnlich ist auch das Zusammenspiel diverser musikalischer Elemente vom Realismus über den musikalischen Impressionismus bis hin zu Klängen tschechischer Kirchenmusik. Am 23. April 1920 wurden Die Ausflüge des Herrn Brouček in Prag uraufgeführt. In Deutschland erklang das Werk erstmals 1959 in einer von Joseph Keilberth dirigierten Produktion am Münchner Prinzregententheater. Nun ist Janáčeks Oper in einer aktuellen Neuinszenierung erstmals in Frankfurt zu erleben.

Zum Inhalt: Als der biedere Hausbesitzer Brouček betrunken aus seiner Stammkneipe taumelt, hat er nur einen einzigen Wunsch, nämlich den irdischen Ärgernissen wie zahlungsunfähigen Mietern, der Reichstagspolitik und widerspenstigen Damen zu entfliehen. So träumt er sich auf den Mond und sieht sich in überirdischen Sphären mit merkwürdigen, kunstverliebten Wesen konfrontiert, die sich anstatt von Schweinswürsten von Blumenduft ernähren. Der zweite Traum versetzt den Spießbürger in das Prag des Jahres 1420. Inmitten des tobenden Kampfes zwischen Hussiten und dem Heer des deutschen Kaisers Sigismund gilt er schnell als Verräter und wird zur Strafe in ein Fass gesteckt, aus dem der Wirt seiner Stammkneipe den mittlerweile wieder erwachten Träumer schließlich befreit.

Die musikalische Leitung liegt bei Johannes Debus. Zu den letzten Gastspielen des Frankfurter Kapellmeisters gehören u.a. Aufführungen von Strauss’ Elektra an der Bayerischen Staatsoper. Axel Weidauer ist Spielleiter an der Oper Frankfurt und war u.a. mit der Produktion von Brittens Curlew River im Bockenheimer Depot erfolgreich. Nun legt er seine erste Inszenierung im Opernhaus vor. Die Titelpartie verkörpert der niederländische Tenor Arnold Bezuyen. Aktuelle Engagements des Künstlers waren bei den Bayreuther Festspielen (Loge in Wagners Das Rheingold) und an der Hamburgischen Staatsoper (Steva in Janáčeks Jenufa). Ein gern gesehener Gast an der Oper Frankfurt ist der Tenor Carsten Süß, der hier zuletzt als Guido Bardi in Zemlinskys Eine florentinische Tragödie zu erleben war. Neben Juanita Lascarro und Simon Bailey sind zahlreiche weitere Ensemblemitglieder der Oper Frankfurt besetzt.

 

Frankfurter Neue Presse
18.04.2008

Ein Regisseur bringt das „Käferchen" zum Mond
Leoš Janáceks 1920 in Prag uraufgeführtes Werk „Die Ausflüge des Herrn Broucek" hat am 27. April an der Oper Frankfurt Premiere.

Von Birgit Popp

Die musikalische Leitung obliegt dem Frankfurter Kapellmeister Johannes Debus. 1998 war der gebürtige Speyrer als Solorepetitor an das Frankfurter Opernhaus gekommen. Nur zwei Jahre später übernahm er die Stelle des Kapellmeisters und hat sich seitdem ein breitgefächertes Repertoire erarbeitet – und eine internationale Karriere gestartet. So gab er nach Verpflichtungen etwa an der Wiener Volksoper oder dem English National Theater in London sein Debüt an der Münchner Staatsoper. Am Ende dieser Spielzeit wird Debus die Oper Frankfurt als Kapellmeister verlassen, aber weiterhin dem Haus als Gastdirigent treu bleiben.

Abgesehen von einer Hochschulproduktion von „Katja Kabanova" in Hamburg, wo Johannes Debus von 1993 bis 1998 Dirigat und Musikwissenschaften studierte, ist „Die Ausflüge des Herrn Boucek" die erste intensive Beschäftigung mit dem Werk Janáceks (1854–1924) für ihn. „Sich den Zugang zu diesem Werk zu erarbeiten, war nicht einfach. Janácek hat in diesem Stück über Herrn Broucek relativ kleinteilig komponiert, man kann fast sagen filmschnittartig. Das heißt, man hat nie die Chance, sich mal auszuruhen. Es passiert einfach so viel, und in so kurzer Zeit entstehen so viele, so schnelle Veränderungen. Das Stück ist skurril und exzentrisch. Das macht einem das Leben zunächst etwas schwer, aber wenn man diese Hürde genommen hat, entdeckt man plötzlich eine großartige Vielfalt, eine unglaubliche Farbigkeit. Janácek zeigt sich in dieser Satire auch in der Partitur zum Teil sehr humoristisch und trocken. Es ist alles sehr doppelbödig. Das Stück ist mit großem Einfühlungsvermögen sowohl in die Figur des Herrn Broucek als auch in das Sujet geschrieben."

Wobei, so Debus weiter, „ich zugeben muss, dass der Tscheche, der den Text versteht und den Wortwitz sowie die Witze, die über die Tschechen und ihre Eigenheiten gemacht werden, mitbekommt, sich sicherlich noch mehr amüsiert." Oder auch gerade nicht, denn Janáceks einzige Oper mit satirischem Inhalt fand keineswegs ungeteilte Zustimmung bei seinen Landsleuten. „Die Tschechen haben es sicherlich nicht so leicht ertragen, dass sich ein Landsmann über sie lustig macht. Das Nationalistische, das während des 1. Weltkriegs verstärkt aufkeimte, wurde wieder in Frage gestellt."

Auch wenn Herr Broucek selbst Objekt der Satire ist, so hat sich Janácek, wie auch in seinen anderen Opern, auf die Seite seines Protagonisten gestellt, „Erstaunlicherweise, finde ich, ist der Broucek viel mehr ein Sympathieträger in seiner Authentizität, in seiner Wahrhaftigkeit als es Janácek in Briefen geschrieben hat. Ich kann zwar nicht jede Ansicht von Herrn Broucek teilen, aber so, wie er sich verhält, und so gradlinig und direkt wie er ist, verdient er sehr viel Sympathie. Er berührt in seiner Art."

Die Qualität der Komposition steht auf keinen Fall seinen späteren Werken wie Jenufa oder Katja Kabanova nach, denn, so Debus, „es befinden sich in diesem Stück instrumentale Zwischen- und Vorspiele von einer unglaublichen musikalischen Finesse und impressionistischen Färbung. Es ist wirklich ganz großartig, wie Janácek Stimmungen malt, wie er Situationen musikalisch darstellen kann, etwa gleich am Anfang eine Vollmondnacht und das Betrunkensein. Wenn der Broucek durch die Gegend wankt und torkelt, hat man das vor Augen. Es ist köstlich."

Am ersten Teil, in dem ein Traum den biederen, betrunkenen Prager Hausvermieter Broucek auf den Mond entführt, während der zweite Teil ihn in die Hussitenkriege des Prags von 1420 zurückversetzt, hat Janácek von 1908 bis 1917 gearbeitet, während der zweite Teil innerhalb des Jahres 1917 entstand. Für den ersten Teil hat der Komponist acht Librettisten verschlissen, bis er die satirischen Erzählungen von Svatopluk Cech selbst in ein Libretto formte.

Die Stimmung beider Teile ist grundverschieden, freut sich der musikalische Leiter Debus: „Das ist das Schöne, dass Janácek dies gelungen ist. Im Mondbild gehen wir in die Zukunft, das ist wie bei Jules Verne. Janácek versucht die ätherische Luft des Monds, dessen Kühle musikalisch einzufangen." Im ersten Teil spielt dabei der Walzertakt eine große Rolle. „Er gibt dem Mondbild eine Leichtigkeit, eine Eleganz, vielleicht sogar eine Schwerelosigkeit", sagt Debus. Ganz anders im zweiten Teil: „Hier entsteht schon mit den ersten Takten eine viel dunklere, düstere Stimmung. Es wird sofort deutlich, jetzt geht es zurück in das 15. Jahrhundert, in die Hussitenzeit."

In Szene gesetzt wird die Neuproduktion von dem als Spielleiter an der Frankfurter Oper engagierten Axel Weidauer, für den es nach verschiedenen Inszenierungen im Bockenheimer Depot die erste im Großen Haus ist. Die Titelpartie des Herrn Broucek („Käferchen") wird von dem niederländischen Tenor Arnold Bezuyen verkörpert.

 

Frankfurter Rundschau
25.04.2008

Interview mit Axel Weidauer
Der eigene Held ist ihm suspekt

Herr Weidauer, wenn man eine Eigenheit von Janáceks Opern benennen müsste, würde man immer zuerst ein musikalisches Moment betonen: die Sprachmelodie. Gibt es aber auch für Sie als Regisseur etwas, das Janáceks Bühnenwerke eint und von allen anderen abhebt?

Die großen Opern Janáceks eint der Schwerpunkt auf eine Hauptfigur. Das spiegelt sich schon in den Titeln: "Jenufa", "Katja Kabanova". Da sind es, genauso wie in der "Sache Makropulos", die starken Frauenfiguren, die im Zentrum stehen. Bei uns ist es ein Mann. "Herr Broucek" reiht sich ein in diesen Reigen. Und doch ist er ganz anders.

Ganz anders ist vorsichtig formuliert. Man könnte Herrn Broucek als eine der sonderbarsten Figuren der Operngeschichte bezeichnen. Ein reicher, übel gelaunter Trinker, der sich im Rausch in entfernte Welten träumt. Einmal gerät er dabei auf den Mond und trifft dort auf eine seltsame Künstlergesellschaft, die sich von Blütenduft ernährt. Das andere Mal findet er sich im Mittelalter wieder, wo gerade die Hussiten um ihre (Glaubens-)Freiheit kämpfen.

Broucek ist auch für Janácek eine atypische, singuläre Figur. Er ist kein tragischer Opernheld, sondern zumindest vordergründig ein eher biederer Mann. Er ist aber für mich auch kein Anti-Held, sondern eher ein Nicht-Held, der sehr viele Charakteristika hat, die man auch an sich selbst entdecken kann. Broucek hadert mit seiner Umwelt. Er ist ein Grantler, von vielem sehr schnell genervt. Aber er ist mir deshalb nicht unsympathisch. Für mich ist er ein Mensch mit Tiefe, die man allerdings erst einmal suchen muss.

Damit stehen Sie, wenn ich die Kommentare zur Oper richtig überblicke, eher einsam da.

Daran ist Janácek nicht unschuldig. Der zweite Teil der Oper thematisiert die Befreiungskämpfe der Hussiten im 15. Jahrhundert. Eine kleine Nation behauptet sich da gegen eine fremde Übermacht und kann diese Behauptung auch lange halten. Das war natürlich Ende des Ersten Weltkrieges, als für Janácek der Traum einer tschechischen Nation zum Greifen nahe war, eine symbolisch aufgeladene Situation. Und wie Herr Broucek sich da verhält, dass er sich diesem geradezu historischen Auftrag nicht unterwerfen will, dass er sich ihm vielmehr entzieht, dass er sich weigert, in den Kampf zu ziehen - das machte ihn für seinen Komponisten, der ein glühender Nationalist war, suspekt.

Wie sehen Sie das?

Broucek versucht sich selbst treu zu bleiben. Er ist eine sehr authentische Figur. Er passt sich nicht der grotesk verzerrten, geradezu surrealen Künstlergesellschaft an, der er auf dem Mond begegnet. Und er lässt sich auch vom ideologischen Befreiungskampf der Hussiten nicht überwältigen, sondern bleibt außen vor. Broucek läuft nicht mit, sondern bewahrt sich seine Identität. Und das macht ihn für mich beeindruckend.

Die Hussiten, die sich gegen die katholische Kirche wandten, eint hier der Hass auf andere.

Und genau dem verweigert sich Broucek. Er nimmt damit in Kauf, selbst Opfer des blinden Fanatismus zu werden, der in jedem, der nicht bedingungslos dafür ist, den Feind erkennt. Allein der Ausbruch der Schlacht rettet ihn davor. Broucek selbst desertiert.

Janácek sagt: "Ich wollte, dass uns ein solcher Mensch widerwärtig werde, dass wir ihn auf jedem Schritt vernichten, erwürgen - aber vor allem in uns selbst." Er konnte seine Trägheit nicht ausstehen. Muss man Broucek gegen Janácek verteidigen?

Das glaube ich noch nicht einmal. Es gibt auf der einen Seite Janácek, den glühenden Nationalisten, der Broucek vorhält, dass er sich dem nationalistischen Befreiungskampf entzieht. Und es gibt auf der anderen Seite Janácek, den Komponisten, der in der Musik nie seine Sympathie zu seiner Hauptfigur verliert. Janácek selbst war ein komplexer, widersprüchlicher Charakter. Und ich glaube doch zu spüren, dass er selbst immer wieder aus Broucek hervor scheint. Darüber hinaus gibt es Momente in der Oper, etwa der Übergang von Brouceks Mondreise zurück ins 19. Jahrhundert, die sind dermaßen grandios und mitfühlend komponiert. Wer eine solche Musik schreibt, kann seine Figur nicht hassen.

Es gibt eine Wahrheit der Musik?

Ja, die gibt es.

Die Oper kennt drei Orte. Es gibt das Prag des 19. Jahrhunderts als eigentliche Realität. Es gibt den Mond. Und es gibt das Mittelalter. Wie gehen Sie mit den Verwandlungen um?

Wir haben versucht, optisch einfache Lösungen zu finden, um den Zwischenzustand zu beschreiben, der das Stück prägt. Es ist der Oper bis zum Schluss nicht wichtig zu erzählen, da schläft einer ein, da wacht einer auf, da träumt einer, sondern es sind tatsächlich Reisen, die Herr Broucek unternimmt. Und diese Reisen erlebt er ganz unmittelbar, ganz direkt. Es sind für ihn keine Träume, sondern reale, existentielle Erfahrungen. Und die sind je nach Ort der Reise teilweise sehr grotesk, teilweise aber auch sehr bedrohlich. Mir ist deshalb nicht so sehr der Ort wichtig, den Broucek bereist, als vielmehr die Situation, in die er kommt. Der Fanatismus etwa, dem Broucek im Mittelalter begegnet, den gab es vor 400 Jahren, den gibt es heute und den wird es auch in 400 Jahren noch geben.

Sie gelten als ein musikalischer Regisseur. Gibt es neben der Sprachmelodie im "Broucek" eine musikalische Ebene, die Sie besonders herausfordert?

Janácek hat diese raum- und zeitübergreifenden Reisen, die die Oper prägen, in eine musikalische Sprache gefasst, die sehr, sehr feingliedrig ist, von abrupten Melodiewechseln durchzogen und geradezu filmschnittartig konzipiert ist.

Was meinen Sie damit?

Es gibt Mikroszenen, die wirklich ad hoc aufeinander folgen. Und ich glaube auch, es ist kein Zufall, dass 1917, als der zweite Teil der Oper entstand, Kunstrichtungen entstanden wie der Expressionismus, wie Dada, wie Surrealismus, die alle versuchten, auf eine geänderte Schnelligkeit des Lebens zu reagieren.

Und das Filmschnittartige ist Ausdruck dessen?

Ich glaube schon. Die Welt wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu wahrgenommen. Und das fließt auch in Janáceks Musik ein. Diese abrupten Wechsel prägen die Oper. Sie rhythmisieren sie auf eine ganz eigene Weise. Und das ins Bild zu übertragen, ist für mich eine wichtige Aufgabe.

Interview: Tim Gorbauch

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Dokument erstellt am 24.04.2008 um 17:00:01 Uhr
Letzte Änderung am 24.04.2008 um 17:32:54 Uhr
Erscheinungsdatum 25.04.2008


Axel Weidauer ist seit 2001 als Spielleiter an der Oper Frankfurt engagiert, wo er zuletzt mit großem Erfolg Brittens Curlew River im Bockenheimer Depot inszenierte. Diese Produktion hat er 2005 im Rahmen einer Übernahme am Warschauer Teatr Wielki einstudiert und 2006/07 in Frankfurt wiederaufgenommen. Weitere Inszenierungen waren 2004 der Offenbach-Einakter Ein Ehemann vor der Tür im Holzfoyer der Oper Frankfurt und Brittens The Golden Vanity im Bockenheimer Depot.