Darmstaedter Echo
2. Januar 2008

Clownerie mit der „Klugen"
Musiktheater: John Dew inszeniert zur Silvestergala im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt Carl Orffs Stück

Von Heinz Zietsch

DARMSTADT. Am Ende ist die Überraschung perfekt: Weil die Kluge ihrem Mann, dem König, ein Fehlurteil nachweist, verstößt dieser seine Frau. Erlaubt ihr aber, in einer Truhe all das hineinzupacken, woran ihr Herz am meisten hängt. So wacht der König, der zuvor mit einem Schlafmittel ruhig gestellt wurde, in der Truhe auf, unterm Sternenhimmel und einem golden glänzenden Baum in den Armen seiner klugen Frau. Der König ist überrascht, und der Zuschauer bestaunt das schöne Schlussbild, das sich der Darmstädter Intendant John Dew als Regisseur hat einfallen lassen in seiner Inszenierung der „Geschichte von dem König und der klugen Frau" – so nannte nämlich der Komponist Carl Orff sein 1943 in Frankfurt uraufgeführtes Musiktheaterstück „Die Kluge", um den Begriff Oper zu vermeiden. Denn auch hier, wie in vielen seiner anderen Werke, entwickelt Orff, der am Ende des Ersten Weltkriegs kurze Zeit Kapellmeister am ehemaligen Darmstädter Hoftheater gewesen war, die Musik aus der Sprache heraus.

Das Publikum applaudierte am Montagabend nach der eineinhalb Stunden dauernden pausenlosen Premiere im Großen Haus zwar begeistert, aber weniger euphorisch als sonst bei Opernaufführungen. Es war aber auch anders zusammengesetzt, schließlich besuchte man eine Silvestergala im Staatstheater Darmstadt, wobei die Premiere ein Teil des Programms ausmachte, das vornehmlich aus kleinen und großen Schlemmereien bestand. Bereits vor beginn der Aufführung wurde das Publikum mit Sekt und Häppchen willkommen geheißen, was neben der Begrüßung durch den Intendanten einen um eine Viertelstunde verspäteten Beginn mit sich brachte.

Was hat der Regisseur John Dew, der selbst die Bühne ausgestaltete, aus Orffs Stück gemacht? „Die Kluge" wird zu einer Clownerie, einer Harlekinade in der Mischung aus Commedia dell’arte und Zirkus. Tatsächlich erinnert die Bühne mit ihren Vorhängen und den bespielbaren Würfeln an eine Zirkusarena. Eine Atmosphäre, die noch verstärkt wird, wenn die Darsteller gleich zu Beginn mit viel Tschinderassa-Bumbum von den Seiteneingängen im Parkett die Bühne betreten. Für eine festlich-feierliche Optik sorgen aber nicht nur der Baum als Symbol des Lebens am Ende des Stücks, sondern vor allem die Kostüme, die José-Manuel Vázquez entworfen hat. Und die passende wie bewegungsintensive griffige Choreografie von Anthoula Papadakis beleben alleine schon die Inszenierung, die so zu einer Augenweide wird.

Das passt dann alles wie angegossen zur Musik Orffs, der in seinen selbst geschriebenen Text nicht nur Grimms Märchen sondern eine Menge Sprichwörter und volkstümlicher Sentenzen hineingepackt hat, die zur Zeit der Uraufführung des Stückes eindeutig als Kritik gegen die Willkürherrschaft der Nazidiktatur verstanden werden konnten. Daran haben die drei närrischen Strolche mit ihren Gesängen im Stile der Commedian Harmonists und ihren Kommentaren einen wesentlichen Anteil. Sven Ehrke, Oleksandr Prytolyuk und Andreas verkörpern sie mit Elan und gewiefter stimmlicher wie darstellerischer Präsenz. Im Mittelpunkt aber steht das harlekineske Protagonistenpaar: Werner Volker Meyer als König und Susanne Serfling in der Titelpartie. Sie verleihen ihren Gesängen stimmliches Gewicht mit fein abgestuften Farbvaleurs. Meyer als agil Handelnder, Serfling als die scharf Beobachtende, die in ihrem „Schuschu"-Schlafgesang für den König eine gewisse Durchtriebenheit hineinlegt. Wahre Kabinettstückchen liefern Thomas Mehnert als Vater der Klugen und Markus Durst als Mann mit dem Esel. In weiteren Rollen waren noch Bernd Kaiser und Peter Paul zu vernehmen.

Etwas zu sehr im Hintergrund hielt sich das von Lukas Beikircher geleitete Orchester des Staatstheaters. Hier hätte man sich mehr rhythmische Schärfe und bajuwarischen Pfeffer gewünscht, der in diesem Stück steckt. Aber das kann sich ja in den nächsten Aufführungen, die dann auch eine Pause enthalten, noch entwickeln.

 

Frankfurter Rundschau
2. Januar 2008

Ein Zirkusrund voller Narren
Akt drei in der Carl-Orff-Pflege des Darmstädter Staatstheaters: "Die Kluge" als clowneske Silvesterpremiere
VON STEFAN SCHICKHAUS

Der Eindruck muss ein nachhaltiger gewesen sein. 1976 war John Dew, damals noch Regieassistent in Ulm, nach Darmstadt gepilgert, um Carl Orff seine Komödie "Astutuli" lesen zu hören. Der Tisch war Orffs Schlagzeug, die Stimme pures Instrument. Jedenfalls für Dew, denn der verstand damals gerade einmal etwas Schwäbisch, aber kein Bayerisch.

Doch Orff blieb bei ihm als Naturereignis gespeichert. Und als Dew Intendant wurde an jenem Darmstädter Staatstheater, an dem Orff vor 90 Jahren, zu Zeiten des Großherzoglichen Hoftheaters, selbst kurz zum Kapellmeisteramt angetreten gewesen war, ließ er seine Orff-Begeisterung von der Leine. Vor einem Jahr inszenierte der Intendant die beiden Antikendramen "Oedipus" und "Antigonae", jetzt folgte, als Silvesterpremiere, "Die Kluge". Eine Anti-Oper, ein Gegen-Stück, und als solches von Dew auch szenisch realisiert.

Denn Dew setzt auf Zirkus, und wählt damit einen dankbaren Weg. Zum einen positioniert er damit "Die Kluge" so weit wie möglich weg vom Modell Operndrama, was ganz im Sinne Orffs ist. Zum anderen werden die etwas hölzernen Dialoge, die infantilen Rätselaufgaben, ja das ganze dem Märchen entlaufene Personal so plötzlich geschmeidig, lebendig.

Wachsbleich die Tochter

Alle sind sie Clowns: Der Vater im Kerker ein Sträflingsclown, der König ein eleganter Weißclown, die kluge Tochter eine Wachsbleiche aus der Commedia dell'arte. Die drei Strolche allerdings, von Orff als Narren mit Narrenfreiheit eigens eingefügt, heben sich aus diesem Komikerensemble nun nicht mehr heraus. Als Störfaktor verblassen sie.

Nicht zu unterschätzen ist der Beitrag, den Anthoula Papadakis für die "Geschichte von dem König und der klugen Frau" leistete. Die Choreografin gab den Sängerdarstellern Bewegungen mit auf den Weg, die nicht nur komisch, sondern auch sinnstiftend sind. Clowns können alles, nur nicht normal gehen. Und jede Handbewegung ist durchtränkt von Pathos, ohne dass dies peinlich wirkt. Der Pas de deux, den der eingekerkerte Vater mit seinem Fenstergitter zum "Ach hätt' ich meiner Tochter nur geglaubt" aufführt, ist eine herrlich skurrile Wehmutsnummer gleich zu Beginn.

Mit dem schnellen Orff'schen parlando hatte der Vater-Darsteller Thomas Mehnert kleinere Schwierigkeiten, doch abgesehen davon waren alle sängerischen Leistungen dieser Darmstädter Produktion tadellos. Auch der Tenor Sven Ehrke, zuletzt etwas glücklos eingesetzt im Darmstädter Ensemble, zeigte hier Klasse, ebenso wie der stets verlässliche Werner Volker Meyer als König, wie Susanne Serfling als Tochter und, mit besonders charaktervollem Tenor, Markus Durst als "Mann mit dem Esel".

Der 29-Jährige aus der Orff-Stadt München, seit letzter Saison im Darmstädter Ensemble, war mit seiner Ensemblekollegin Susanne Serfling beteiligt an einem der atmosphärisch stärksten Momente dieser "Klugen". Die kluge Tochter, durch einen Schleier anonymisiert, gibt dem Eselsmann den klugen Rat, sich gegen ein Königsurteil zu wehren - alles in einer mondbleichen, zeitenthobenen, gebremsten Szenerie, einer tragischen Kehrseite der fiebrigen Zirkuswelt. Das Klischee vom unglücklichen Clown, selten ist es so schön eingefangen und beglaubigt wie hier.

Im Orchestergraben blieb Lukas Beikircher, der Darmstädter Kapellmeister, seinem einstigen Amtskollegen Carl Orff nichts schuldig. Die rhythmische Schärfe passte, die nötige Distanz blieb. Auch er machte daraus keine schmelzende Oper, das Zirkusrund setzte sich im Graben fort, der Kreis war geschlossen.

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Dokument erstellt am 01.01.2008 um 17:08:02 Uhr
Letzte Änderung am 01.01.2008 um 17:19:55 Uhr
Erscheinungsdatum 02.01.2008

 

WIESABDENER KURIER
02.01.2008

Schräg trötend durchs Parkett
Carl Orffs Einakter "Die Kluge" in Darmstadt - ein gefälliges Märchen

Von Axel Zibulski


Was für ein Paar - der König (Werner Volker Meyer) und die Kluge (Susanne Serfling).
Foto: Aumüller

DARMSTADT Durchs Parkett gelangen sie, laut und schräg trötend, auf die Bühne: der König, der Bauer, die drei Strolche, überhaupt alle, die sie eine Rolle spielen in Carl Orffs "Geschichte vom König und der klugen Frau". Ein hübscher Effekt, zumal bei der Silvesterpremiere, in der John Dews Darmstädter Neuinszenierung von Orffs Einakter "Die Kluge" jetzt erstmals zu sehen war. Ein roter Vorhang mit Sternen hebt sich auf der Bühne; das Bunte und Schablonenhafte der Commedia dell´arte ist Folie für die dritte Darmstädter Orff-Regie des Intendanten John Dew.

Mit "Oedipus der Tyrann" und "Antigonae" hatte Dew vergangene Spielzeit die durchaus sperrigen, bisweilen auch spröden antiken Dramen-Adaptionen des 1895 geborenen und 1982 gestorbenen Komponisten auf die Bühne des Darmstädter Großen Hauses gebracht. Orffs 1943 in Frankfurt uraufgeführte "Kluge" ist dagegen ein musikalisch fast schon gefälliges, manchmal freilich auch naives Märchenstück: Der König hat einen Bauer in den Kerker geworfen, weil dieser ihm, entgegen dem Rat seiner klugen Tochter, einen von ihm gefundenen goldenen Mörser, nicht aber den dazu gehörenden Stößel abgeliefert hat: eine reichlich eindeutige Symbolik.

Der König nimmt die Tochter nach kluger Beantwortung diverser Rätselfragen zur Frau. Als er in einem absurden Rechtsstreit um ein Eselsfüllen ein krasses Fehlurteil gefällt hat, unterstützt die kluge Königin den unterlegenen Eigentümer des Esels und wird deshalb des Schlosses verwiesen. Was ihr am liebsten ist, darf sie in einer Truhe mitnehmen: Es ist der König selbst, den die Kluge einpackt - "am Ende hat sie den Stößel doch gefunden", sagt der Bauer zweideutig.

In der fantasievoll mit Clowns und Sternenzelt ausstaffierten Szenerie erzählt Dew das Stück durchaus unterhaltsam, humorvoll und ohne jene Doppelbödigkeit, deren Fehlen man an Orffs mitten im Zweiten Weltkrieg uraufgeführtem Stück später häufig kritisiert hat. Auch musikalisch bleibt manches eher simpel, so etwa die eingangs enervierend oft wiederholte Klage des Bauern "Ach, hätt´ ich meiner Tochter nur geglaubt". Und schließlich fällt der Orchestersatz viel zu üppig für das Geschehen aus - auch das rhythmisch präzise spielende, von Lukas Beikircher geleitete Darmstädter Orchester trumpfte bei der Premiere manchmal allzu kräftig gegenüber den Sängern auf.

Diese gestalteten die Titelpartien freilich durchweg eindrucksvoll: Werner Volker Meyer als baritonal eher schlanker König, Thomas Mehnert als treffend tumber Bauer, schließlich Susanne Serfling mit silbrig-wendigem Sopran in der Titelpartie der klugen Frau. Gespielt wird das alles mit viel Witz und Esprit, zu Sympathieträgern lässt Dew die drei ins Geschehen montierten Strolche werden, die er als lustige Clowns präsentiert. Eine heitere, für den Silvester-Abend also durchaus passende Angelegenheit. Aber auch darüber hinaus wird "Die Kluge" im Staatstheater Darmstadt auf dem Spielplan bleiben.

 

egotrip.de
2. Januar 2008

Musiktheater – minimalistisch
Carl Orffs Oper "Die Kluge" als Sylvestergala des Staatstheaters Darmstadt

Wie gestaltet ein Theater die Sylvestergala, so es denn eine solche anbietet? Und was spielt man, um das Publikum in die richtige Feierlaune zu versetzen? Sicher nichts Trauriges, nichts Konfliktbeladenes - kurz: keine Tragödie. Auch kompakte, gehaltvolle Inszenierungen bieten sich nicht gerade an, da sie zwar das Denken anregen, nicht aber in Champagnerlaune versetzen. Diese Überlegungen haben Intendant John Dew offensichtlich dazu angeregt, die Premiere von Carl Orffs Märchenoper "Die Kluge" für diesen Termin vorzusehen. Der märchenhafte Stoff lässt sich durchaus als das rezipieren, was er vordergründig zu sein vorgibt, ohne sich deshalb den Vorwurf der Oberflächlichkeit anhören zu müssen. "Die Kluge" ist ein auf die wesentlichen Elemente dieses Genres reduziertes Märchen, und der Komponist legte ausdrücklichen Wert darauf, den Märchencharakter durch burleske bis grelle Kostüme zu verdeutlichen. Dennoch sind einige Anmerkungen über den Hintergrund der Entstehung angebracht: Die Uraufführung fand Anfang 1943 statt, ausgerechnet kurz nach dem Fall Stalingrads. Also eigentlich keine Zeit des Lachens und der Unbeschwertheit. Andererseits kämpfte Orff bereits drei Jahre mit dem Stoff und bewegte sich mit seiner Musik auf dem schmalen Grat zwischen politisch unbotmäßiger Moderne - "entartete Kunst" - und opportunistischer Anbiederei. Um in keine dieser beiden Fallen zu gehen, wählte er bewusst das Märchen als Ausgangspunkt. Kann man hier doch mit dem naiven Augenaufschlag durchaus Wahrheiten aussprechen, die in ernster Form sehr gefährlich werden könnten. Um jedoch keine falsche Opernseligkeit aufkommen zu lassen, reduzierte er sowohl Text als auch Musik auf das absolut Notwendige, um die Handlung zu verdeutlichen.


Thomas Mehnert (Bauer)

Dieser fehlt dank des Rückgriffs auf ein Grimmsches Märchen vordergründig jeglicher brisante Zeitbezug: ein Bauer findet einen goldenen Mörser und bringt ihn gegen den Rat seiner Tochter dem König. Dieser, statt sich zu bedanken, rügt das Fehlen des - ebenfalls goldenen? - Stößels und lässt den Bauern wegen Diebstahls ins Gefängnis werfen. Als dieser daraufhin unablässig jammert "Oh, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt!", lässt der König die offensichtlich kluge Tochter kommen und stellt ihr drei allegorische Rätsel, die diese souverän löst. Daraufhin nimmt er sie zur Frau. Gleichzeitig streiten ein Esels- und ein Mauleseltreiber um ein Eseljunges. Der Mauleseltreiber besticht drei Strolche, die in dieser Oper die Doppelrolle der Hofnarren und des kommentierenden Chors spielen, für ihn auszusagen, und erntet vor dem König dafür einen juristischen Sieg "in erster Instanz". Doch die Kluge rät dem betrogenen Eselstreiber, auf dem Marktplatz mit einem Netz zu fischen und auf die erstaunte Frage des Königs zu antworten, wenn Maulesel Junge gebären könnten, könne man auch Fische auf dem Trockenen fangen. Der auf diese Weise bloßgestellte König vermutet hinter dieser List zu Recht seine Frau und jagt sie aus dem Haus, mit der Einschränkung, sie könne das ihr Liebste mitnehmen. Daraufhin gibt sie ihm einen Schlaftrunk und nimmt ihn in ihrer Truhe mit. Als er sie nach seinem Erwachen zur Rede stellt, sagt sie wahrheitsgemäß, sie habe nur nach seinen Anweisungen gehandelt. Reuiger König - Ende gut, alles gut!


Susanne Serfling (Kluge), Werner Volker Meyer (König)

Dieses Märchen eignet sich wegen einer Besonderheit für die Inszenierung in einem totalitären Staat. Während in den meisten Märchen der widerlegte Herrscher beschämt seinen Fehler eingesteht und sein Fehlurteil rückgängig macht, reagiert hier der König typisch totalitär: die Entlarvung des Fehlers wird kriminalisiert und erst die Liebe einer Frau kann die Verhältnisse wieder ins rechte Lot rücken. Diese letztendliche Wendung ins Gute ist im Märchen natürlich Wunschdenken und im politischen Kontext von Orffs Oper eher Selbstschutz. Doch die zwischenzeitliche Unterdrückung der Aufklärung ist ein deutlicher Verweis auf die Verhältnisse, den man aber im burlesken Kleid des Märchens nicht unbedingt als solchen wahrnehmen muss. Ein weiterers zentrales Element dieser Oper stellen die drei Strolche dar. Da sie als betrügerische Landstreicher eh nicht ernstgenommen werden, das heißt, keine seriösen Identifikationsfiguren darstellen, können sie gerne die Wahrheit sagen. Da sie unter Alkoholeinfluss lallen, wird kaum ein Zensor ihre Worte auf die Waagschale legen, spricht doch schon ihr allgemeines Verhalten gegen sie. Doch wenn sie aus der Ganovensicht über die Schlechtigkeit der Welt - oder besser: über die guten Gelegenheiten - raisonnieren, dann sind das eindeutige Hinweise auf die politischen Zustände. Die Kunst des Komponisten besteht in totalitären Systemen eben gerade darin, Kritik nicht als solche sofort kenntlich zu machen, sondern durch Komik zu kaschieren. Das gelingt Carlf Orff mit den drei Strolchen hervorragend, bieten sie doch eine Steilvorlage nach der anderen für Lacher. Im heutigen Umfeld allerdings kommen die Lacher des Publikums sozusagen aus dem Herzen, ohne Hintergedanken und zwangsläufige Assoziationen, und so kann aus einer versteckten politischen Satire schnell ein Klamauk werden. Daher ist es immer gut, die Hintergründe und den politischen Kontext der Entstehung eines Kunstwerkes zu kennen.


Sven Ehrke (Strolch), Andreas Daum (Strolch), Olexandr Prytolyuk (Strolch)

Kostümbildner José-Manuel Vázquez hat Orffs Vorgabe ernst genommen und die Darsteller mit wahrhaft grotesken Kostümen ausgestattet. Der Bauer kommt als Clown mit quergestreiftem Gefängnisdress mit roten Knöpfen und grell geschminktem Gesicht. Seine "schwedischen Gardinen" muss er in Form eines Holzgitters selbst vor sich hertragen. Die drei Strolche kommen in langen, bunten Clownshosen, Pappnasen und bunten Perücken daher und erinnern an Zirkuskomiker. Der Kerkermeister trägt eine orangefarbige Fantasieuniform, die alles andere als Schrecken verbreitet, die Wachen treten in ihren blauen Schutzmann-Uniformen als neckische Tanztruppe auf. Der König schwebt im silbernen Pumphosenanzug und mit Krönchen auf dem Kopf geziert über dem Geschehen und versteht die Insubordination um ihn herum nur mit Mühe. Die Kluge schließlich trägt anfangs einen braunen Aschenputtel-Kittel und mutiert dann als Königin zur feenhaften Puppe ganz in Weiß und Rosa.

Dazu hat John Dew mit verschiedenen farbigen Vorhängen eine Art Guckkastenbühne geschaffen. Farbe und Fantasie prägen nicht nur Bühne und Kostüme, sondern die gesamte Inszenierung.

Die Musik passt sich dem reduzierten Konzept dieses Stückes an. Einen vollen Orchesterklang hört man während der gesamten neunzig Minuten nicht einmal, immer sind es einzelne Instrumente, die das jeweilige Geschehen auf der Bühne begleiten, unterstreichen oder konterkarieren. Fast könnte man diese "Oper" als Schauspiel mit Musikbegleitung bezeichnen, denn die gesprochenen Dialogen werden nur sparsam untermalt. Auch die Gesangspartien finden im Orchester nur einen harmonischen Haltepunkt und nicht einen Klangkörper, gegen den die Sänger bestehen müssten. Die klassische Arie, die den zentralen Konflikt einer Oper emotionell auf den Punkt bringt, gibt es hier nicht. Eher sind es situationsgebundene Lieder ohne den großen Gestus, die eine einzelne Situation beschreiben. Schlagzeug und Blechbläser spielen wegen ihrer lärmenden Klangfarben eine wichtige Rolle in dieser Burleske, während man den weichen Streicherklang des klassischen Orchesters so gut wie gar nicht zu Gehör bekommt.

Das Ensemble zeigte sich an diesem letzten Tag des Jahres 2007 in bester Spiellaune. Als König konnte man - endlich - wieder einmal den lange nicht mehr in einer Einzelrolle aufgetretenen Werner Volker Meyer sehen und hören, der nicht nur stimmlich mit seinem warmen, modulationsreichen Bariton überzeugte, sondern auch die Spieluhrfigur des Königs mit viel Spür für Körpersprache glaubhaft auf die Bühne brachte. Neben ihm glänzte Susanne Serfling als puppenhafte "kluge" Tochter durch die Leichtigkeit ihres Soprans und ihrer Bewegungen. Eine der Höhepunkte des Abends war ihr Schlaflied "Schu-Schuhu" für den in Tiefschlaf versetzten König. Sven Ehrke, Oleksandr Prytolyuk und Andreas Daum machten sich aus den drei Strolchen eine schauspielerischen und gesanglichen Spaß, wobei man sich fragte, wer hier mehr Spaß hatte: die Sänger oder das Publikum? Markus Durst dagegen hatte als betrogener Eselstreiber wenig Gelegenheit zu humoristischen Ausfällen und malte eher die Befindlichkeiten eines "Losers" aus, und Bernd Kaiser verlieh mit seinem markanten Bass dem Kerkermeister kräftige Konturen. Thomas Mehnert gab einen aufgeregten und todunglücklichen Bauer mit seiner Dauer-Litanei "Oh, hätt ich..." und Peter Paul schließlich stellte sich als gerissener Mauleseltreiber mit den Strolchen auf eine Stufe. Alle Darsteller füllten ihre Rollen mit viel Freude am Slapstick und an der Groteske aus. Das Orchester unter der Leitung von Lukas Beikircher folgte dem Bühnengeschehen mit viel Sinn für gutes Timing und dem richtigen Akzent im richtigen Moment.

Das Publikum zeigte sich in bester Sylvesterstimmung und spendete dem gesamten Ensemble kräftigen Beifall mit mehr als vereinzelten Bravos für einzelne Darsteller und das Ochester.

Frank Raudszus

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
02.01.2008

Denn wer viel hat, hat auch die Macht
Darmstadt verbindet die Premiere der Oper "Die Kluge" von Carl Orff mit einer rauschenden Silvesterparty.

Der Schlüssel zu einer genussreichen Silvesternacht ist ein kleines Silberbändchen. Zumindest im Staatstheater Darmstadt. Es wird bei der Eingangskontrolle ausgehändigt und sollte die ganze Nacht lang sichtbar am Arm getragen werden. […]

HARALD BUDWEG