Neue Zuercher Zeitung
3. Juni 2008

Gefangen im gelben Raum
Beethovens "Fidelio" in der Oper Frankfurt

Es hätte eine besondere Premiere werden sollen: die letzte des scheidenden Generalmusikdirektors Paolo Carignani, die erste Opernarbeit von Christina Paulhofer, der Hausregisseurin am Basler Theater. Kurz nach Probenbeginn ist Christina Paulhofer erkrankt. In Absprache mit dem Ensemble hat der am Konzept von Anfang an beteiligte Bühnenbildner Alex Harb auch die Regie übernommen. Doch die Neuinszenierung von Ludwig van Beethovens "Fidelio", die jetzt in der Oper Frankfurt herausgekommen ist, kann nicht verleugnen, wo Harbs Prioritäten liegen. Der Raum ist übermächtig – ein riesiger Saal in grellem Gelb, möbliert mit ein paar wenigen Sitzbänken, je eine schmale Tür links und rechts, im Vordergrund eine leicht erhöhte Spielfläche mit Gitterboden. Auf einer der Bänke sitzt von Anfang an Florestan, durch Kapuze und Kopfhörer von der Umwelt isoliert.

Befreite Seelen

Gefangenschaft meint hier keinen realen, sondern einen metaphorischen Zustand. Die Menschen, die aus den Verliesen ans gelbe Sonnenlicht kommen, tragen gewöhnliche Alltagskleidung (Henrike Bromber), und es sind in bunter Mischung Männer und Frauen, Alte und Junge, auch zwei Kinder mit einem Drachen und Plüschtieren gesellen sich dazu. Die Plüschtiere finden sich später in dem für Florestan bestimmten Grab wieder. Eine Anspielung auf Konzentrationslager und Gaskammern? Nein, in diesem Sinn politisch ist der Frankfurter "Fidelio" nicht, hier sollen nicht inhaftierte Menschen, sondern gefangene Seelen befreit werden, und Florestan wird gleichgesetzt mit dem gefesselten Götterfeind und Menschenfreund Prometheus.

Entsprechend unpathetisch fällt der Schluss aus, Florestan und seine treue Ehefrau und Retterin Leonore kuscheln sich, umgeben von einer Drei-Generationen-Familie, wie ein frisch verliebtes junges Paar aneinander. Zuvor haben sie allerdings den Mitbefreiten, die unter einem aus dem Bühnenhimmel herabgelassenen Modellhäuschen vom Typus trautes Heim niedergekniet waren, auf die Beine geholfen – und dabei endgültig die Schwächen der Regie decouvriert. Während Harb die Protagonisten wie Spielfiguren im Raum bewegt und dabei unentschieden zwischen Naturalismus und Stilisierung laviert, steht er den Chormassen vollends hilflos gegenüber, da resultiert aus der Aktion keine Aussage, höchstens Choreografie (für diese zeichnet Tom Ryser). Allerdings kompensiert der Chor der Oper Frankfurt dieses Manko mit imposanter klanglicher Präsenz.

Eine Entdeckung

Retterin nicht nur Florestans, sondern der Aufführung insgesamt ist Erika Sunnegårdh als Leonore: eine Stimme von überwältigender Strahlkraft mit jugendlich hellem Timbre und gefestigtem Fundament, von zartem Schmelz in den Piani und dazu eine suggestive Darstellerin. Von der schwedisch-amerikanischen Newcomerin, die nach jahrelanger Wartezeit quasi aus dem Stand ins dramatische Sopranfach katapultiert worden ist, wird man in Zukunft – nicht nur in Frankfurt – noch hören. Doch auch die übrigen Partien sind auf hohem Niveau besetzt. Als Florestan hat Michael König einen wohltuend unheroischen, aber tragenden Tenor einzusetzen, James Creswell gibt einen stimmlich souveränen Kerkermeister Rocco, Britta Stallmeister und Jussi Myllys versuchen dem von der Regie bloss vage skizzierten Paar Marzelline/Jaquino wenigstens vokales Profil zu geben, Franz Mayer verleiht dem Minister selbstverständliche Noblesse, und Johannes Martin Kränzle, dessen Bariton im Fortissimo arg flackert, behilft sich mit prägnanter Deklamation.

Dem Dirigenten Paolo Carignani, der Frankfurt nach neun Jahren verlässt, bereitete das Publikum am Schluss eine Ovation. Im Vorfeld der Premiere war es zu einer unschönen Polemik zwischen dem GMD und dem Intendanten Bernd Loebe gekommen, und so liess sich der frenetische Beifall als Sympathiekundgebung für den italienischen Maestro deuten (während das Regieteam laute Buhrufe einzustecken hatte). Dabei präsentierten sich Carignani und das Museumsorchester an diesem Abend keineswegs in Bestform. Den zu Extremen neigenden Tempi fehlte es an Stabilität und kontinuierlicher Entwicklung, der Intonation gelegentlich an Reinheit. Doch der elementaren Wirkungskraft von Beethovens Musik vermochten letztlich weder diese noch die szenischen Mängel der Neuproduktion etwas anzuhaben.

MARIANNE ZELGER-VOGT

 

Frankfurter Rundschau
3. Juni 2008

Oper Frankfurt
Unter der Singspiel-Oberfläche
Beethovens "Fidelio" ist in der Oper Frankfurt Carignanis triumphale Abschieds-Premiere.
VON HANS-JÜRGEN LINKE

Die ganze Welt ist gelb. Das hat den Vorteil, dass das Publikum mit mehreren Schattierungen dieser Farbe bekannt wird, denn die Welt ist - mindestens - dreigeteilt, so dass wir erstens ein behaglich braun abgetöntes Gelb haben, wo Rocco und Marzelline zu Hause sind; zweitens ein unbehaglich fahles, grün abgetöntes Gelb im Kerker, der im Freien liegt, denn wir alle sind Gefangene; und ein rötliches Sonnenaufgangsgelb im Finale, das uns einen Blick in die Utopie befreiter Menschlichkeit gestatten könnte.

Die Gelbschattierungen (Licht: Olaf Winter) und der Einheitsraum für die drei Welten sind der zentrale Einfall des Bühnenbildes, das von Alex Harb stammt. Alex Harb hat auch aus den Händen der erkrankten Christina Paulhofer die Regie übernommen, und das hat zur Folge, dass im Laufe des Abends kaum noch gestaltete Gedanken hinzukommen.

So ist die Inszenierung von Beethovens "Fidelio" in der Oper Frankfurt weitgehend in die Verantwortung von Paolo Carignani übergegangen, der bei seiner vorerst letzten Frankfurter Premiere über sich hinauswächst. Die szenischen Leerstellen, die Interpretations-Zurückhaltung der Regie nutzt er und gestaltet sie mit einem überaus intensiven Zugriff auf die Musik. Vor allem weiß er dramatisch die Tempi zu wechseln, die Dynamik in schnellen abrupten Schüben oder langsamen Steigerungen zu nutzen und meist dennoch dem Sängerensemble genug Platz zu lassen. Er meidet das Pauschale, findet Brüche und Bewegtheiten in der Musik, scheut sich aber auch nicht vor tief und langsam atmender Entschleunigung wie in dem Quartett "Mir ist so wunderbar".

Seine Klangauffassung lässt die Holzbläser- und tiefe-Streicher-Düsternis der Kerker-Szene ein wenig zu kurz kommen, ebenso wie die Vehemenz, mit der am Ende Freude und Freiheit herbeigesungen werden. Die Akzentuierung der helleren, weicheren Klangfarben formuliert keinen Einwand gegen die Regie und verleiht der vordergründig gedachten Apotheose der heterosexuellen, alterslosen Gattenliebe als Trägersubstanz aller Menschheitsutopie einen Hauch von Glaubwürdigkeit, findet aber in der Musik kein Antidot gegen diesen kontrafaktischen, hohl tönenden Gedanken.

Da ist der Einwand der Regie gegen sich selbst schon drastischer. Während im Finale alles vom errungenen holden Weib singt, senkt sich von oben plötzlich ein fensterloses Ein-Familien-Damokles-Haus herab und schwebt bedrohlich über dem Schlusschor als Metapher für die Kehrseite des Besungenen. Dieses Bild der Bedrohung ist nirgends vorbereitet und verschwindet auch bald wieder. Aber nicht rückstandslos, denn das fensterlose Haus träufelt hämisch einen großen, bitteren Wermutstropfen in den übersüßten Friede-Freude-Finalkitsch, ohne etwas daran zu verändern, zuzuspitzen oder ernsthaft zu interpretieren. Es ist einfach da und verschwindet wieder, wie eine böse Miene zum guten Spiel. Zu isoliert, um als Ironie gedeutet zu werden, wirkt es als Metapher für die Hilflosigkeit der Regie angesichts der komplizierten Dinge, die unter der anfangs harmlosen und biederen, am Ende erregt ins Utopische marschierenden Singspieloberfläche verborgen sind.

Stimmlich ist dieser Fidelio, wie man es von der Oper Frankfurt inzwischen gewohnt ist, gut bis ausgezeichnet besetzt. Das am schwersten wiegende Manko aber, die streckenweise wie ausgefallene Personenführung, lässt manches statuarisch und halbherzig aussehen, was durch stimmliche Präsenz und Brillanz nicht immer ausgeglichen wird. Darunter leiden vor allem Don Pizarro (Johannes Martin Kränzle), der als Repräsentant des Ancien Régime oft keinen Weg aus der Peripherie des Geschehens findet, und Jussi Myllys als hell timbrierter Jaquino, der sich anfangs in einen kleinen Fremdflirt vertändelt, am Ende aber monogam gezähmt ist. Franz Mayer, ein stimmlich geschmeidiger Don Fernando, ist fast auf ein Fußnoten-Dasein beschränkt.

Britta Stallmeister ist eine stimmlich klare und kompetente, nie zu lyrische und nie nur leidende Marzelline und spielt die wohl stärkste Entwicklung innerhalb des Stückes aus: von der Frau in Rot, die unmissverständlich ablehnt und begehrt, zur Ton-in-Ton-Dame, die sich mit dem bescheidet, was sie zu Anfang auf keinen Fall gewollt hat, nämlich Jaquino - und ohne eine Spur davon, in welche Daseinsfallen sie gelockt worden ist. James Craswell als Rocco tut, was zu tun ist, mit vorbildlichem Nachdruck. Michael König gibt den Florestan mit Grandezza als markig und makellos leidenden Heldentenor. Erika Sunnegårdh als Leonore aber ist die in jeder Hinsicht zentrale Figur dieser Inszenierung, die mit ihrem Spiel den Gattenlieben-Kurzschluss der Regie-Konzeption vor allzu großer Peinlichkeit bewahrt und deren ausdrucksreicher, in jeder Lage behauptungsfähiger und unforcierter Sopran die Höhepunkte des Abends markiert.

Oper Frankfurt, 4., 6., 12., 15., 20., 23., 17. Juni. Beethovens "Fidelio" ist auch Gegenstand der künstlerisch-diskursiven "Finale"-Reihe der Oper Frankfurt. www.oper-frankfurt.de

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Dokument erstellt am 02.06.2008 um 16:24:02 Uhr
Letzte Änderung am 02.06.2008 um 17:24:48 Uhr
Erscheinungsdatum 03.06.2008

 

Frankfurter Neue Presse
02.06.2008

„Fidelio" im Buh-Gewitter

Von Michael Dellith


Gattenliebe und das Glück im eigenen Heim: Darauf reduziert Bühnenausstatter und Regie-Einspringer Alex Harb seinen Frankfurter "Fidelio". Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.
Foto: Barbara Aumüller.

Dass die Emotionen des Publikums an diesem Abend noch heftiger ausfallen würden als sonst bei einer Premiere, war zu erwarten. Hatte doch Paolo Carignani in einem Fernsehinterview mit dem Hessischen Rundfunk in der vergangenen Woche sein Zerwürfnis mit dem einst befreundeten Intendanten Bernd Loebe öffentlich gemacht, diesem gar „Opportunismus und Heuchelei" vorgeworfen, ohne freilich konkret zu werden. Nach eigenen Angaben hätte Carignani gerne auch ein anderes Werk als Beethovens „Fidelio" zu seinem Abschied dirigiert. Nun aber blieb es bei der einzigen Oper des Klassikers, die musikalisch wie inszenatorisch ihre Tücken hat. Zu allem Unglück erkrankte auch noch die Regisseurin Christina Paulhofer, so dass der Bühnenbildner Alex Harb, vertraut mit dem Konzept der Regisseurin, die Inszenierung übernahm, was ja zunächst einmal sehr löblich ist. Dass vor diesen Belastungen im Hintergrund kein Geniestreich herauskommen würde, war allerdings auch klar.

Das Regie-Ergebnis fiel äußerst dürftig aus. Von der Durchdringung eines Christof Loy etwa war dieser „Fidelio" weit entfernt. Die Handlung spielte sich in einem Einheitsbühnenbild ab: dem kargen, gelbgestrichenen Warteraum eines Gefängnisses, in dem Florestan wie ein Penner gekleidet (Kostüme: Henrike Bromber) mit Kopfhörern auf den Ohren bis zu seiner Befreiung unbeweglich auf einer stählernen Gitterbank ausharren muss. Die wenigen Regieeinfälle wirkten oft aufgesetzt, waren unstimmig oder allzu platt. Warum nur muss der schlacksige Gefängnispförtner Jaquino den blonden Bewacherinnen, die wie die Platzanweiserinnen des Opernhauses aussahen, nachschauen, wenn er doch gerade im Duett mit Marzelline dieser schüchtern einen Heiratsantrag zu machen versucht? Und dass sich Florestan und Leonore zum Schluss-Hymnus auf die Gattenliebe über ein von der Decke herabfahrendes Häuschen samt Großfamilie mit Kindern, Opa und Oma freuen dürfen, ist als Quintessenz dieser Oper zu simpel gedacht.

Aufgrund der mangelnden Personenführung wurde viel zu viel herumgestanden oder von der Rampe gesungen – was freilich für guten Kontakt der Sänger zum Orchestergraben sorgte. Und dort wurde Außerordentliches geleistet. Paolo Carignani dirigierte den ungeliebten, nunmehr fast konzertant gegebenen „Fidelio" mit derartiger Verve, als wäre es sein Paradestück. Bereits in der Ouvertüre erzielte er mit dem reaktionsschnellen Museumsorchester einen schlanken, biegsamen, von der historischen Aufführungspraxis gestreiften Tonfall, der etwas von der Euphorie des glücklichen Endes dieser Oper ahnen ließ. Die Tempi passten sich flexibel der Situation an. Und wenn es wie etwa in den hochvirtuosen Ensemblenummern besonders dramatisch auf der Bühne zuging, zog Carignani effektsicher noch einmal die Temposchraube an. Die Sänger folgten ihm dabei furios, vor allem die Frauen.

Die schwedische Leonore Erika Sunnegardh entfaltete das ganze Potenzial ihres dramatisch aufblühenden Soprans, Britta Stallmeister, langjähriges Frankfurter Ensemblemitglied, gab eine leidenschaftlich glühende Marzelline. Mit Grandezza steigerte Michael König seine Florestan-Partie, auch James Creswell gefiel als fast ein wenig zu liebenswürdiger Kerkermeister Rocco, und Jussi Myllys konnte sich mit seinem gepflegten Tenor gut als Jaquino behaupten. Nur Johannes Martin Kränzle forcierte als Gouverneur Don Pizarro. Den grausamen Tyrannen wollte man ihm nicht so recht abnehmen. Der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor schließlich trumpfte beim Finale lautstark auf – das Buh-Gewitter für die Regie konnte aber auch er nicht verhindern.

 

WIESBADENER KURIER
03.06.2008

Zurück ins bürgerliche Leben
Carignanis umstrittener Opern-Abschied mit Beethovens "Fidelio"

Von Volker Milch


Zum Eheglück von Leonore und Florestan gibt es in Frankfurt noch ein Fertighaus als Zugabe.
Aumüller

FRANKFURT In Beethovens "Fidelio" wird nicht nur das Hohelied der Gattenliebe, sondern das der Humanität überhaupt gesungen. Im Vorfeld der Frankfurter Premiere, der letzten in der Amtszeit des Generalmusikdirektors Paolo Carignani, gab es allerdings Dissonanzen, die einmal mehr bestätigten, dass das Zwischenmenschliche der Menschlichkeit nicht immer zuträglich ist.

Der Dirigent hatte sich nämlich, wie berichtet, in einem Beitrag des hr-Fernsehens dazu hinreißen lassen, auf einen "Typen" zu schimpfen, den er "einfach nicht mehr ertragen" könne. Womit der scheidende Dirigent den bleibenden Intendanten Bernd Loebe meinte. Mit seinem Aussetzer hat Carignani, der sich wohl ein anderes Abschieds-Stück als "Fidelio" gewünscht hatte, weniger den erfolgreichen Intendanten eines bestens aufgestellten Opernhauses als sich selbst beschädigt. Der unschöne Abgang wird sich nun an die Bilanz der neun ja durchaus fruchtbaren Carignani-Jahre heften. Die Spannung zwischen Carignani-Anhängern und -Gegnern spürte man auch im brüllfreudigen Publikum.

Einig war man sich nur in den Buhrufen für die Inszenierung, die ebenfalls unter einem schlechten Vorzeichen stand: Regisseurin Christina Paulhofer, so Loebe zum Publikum, war am Pfeiffer´schen Drüsenfieber erkrankt. Er habe sich "dem Wunsch gebeugt", die Umsetzung des Regiekonzepts dem Bühnenbildner Alex Harb zu übertragen, und er stehe "nach wie vor zu ihm".

Die Anstrengung, die ihn diese Beugung zu kosten schien, ließ Schlimmes befürchten. Und tatsächlich: Die szenische Statik schluckte die durchaus reizvollen Ansätze. Musikalisch gesehen gibt es aber zunächst Erfreuliches zu berichten: Michael König ist ein Florestan, der seine mörderische Partie mit Bravour bewältigt und mit höchster Intensität von der "grauenvollen Stille" seines Verlieses kündet. Als Leonore ist ihm Erika Sunnegårdh eine mit dramatischer Kraft für die Befreiung brennende Gattin, und auch das übrige Ensemble mit Britta Stallmeisters herausragender Marzelline singt unter Carignanis klar akzentuiertem Dirigat auf hohem Niveau.

Von Kerker keine Spur auf der Bühne: Paulhofer möchte in ihrem Konzept offenbar die moderne Einsamkeit als das wahre Gefängnis, als kollektive Einzelhaft vorführen. In einem gelben Wartesaal versammelt man sich in Alltagskleidung zum Gefangenenchor. Von der besungenen "Lust in freier Luft" ist wenig zu spüren. Florestan ist ein verschlossen auf der Wartebank sitzender Obdachloser, der von seiner Leonore zurück ins bürgerliche Leben geholt wird - oder das bunte, befreiende Treiben im Saal vielleicht nur träumt?

Dass das Fertighaus, das über dem wiedervereinten Paar schwebt, als Drohung empfunden werden kann, ist als ironische Volte nachvollziehbarer als das bunte Großfamilienglück zum C-Dur-Schlussjubel. Wo andere Regisseure ein Fragezeichen hinter die Utopie erfüllten Glücks gesetzt haben, gibt es in Frankfurt ein Ausrufezeichen. Schön, dass die Oper in Zusammenarbeit mit Amnesty International in einem "Tag für die Freiheit" am 15. Juni auch auf anderwärtigen Befreiungsbedarf hinweist.

 

OFFENBACH POST
3. Juni 2008

Die große Freiheit häuslichen Glücks
"Fidelio" als bürgerliches Trauerspiel an der Frankfurter Oper

Ein Fidelio der gemischten Gefühle: In Frankfurt zielt das mörderische Gefangenendrama letztlich auf die große Freiheit häuslichen Glücks. Alex Harb hat die Oper aus Revolutionszeiten in die Gegenwart transponiert. Heraus kam ein bürgerliches Trauerspiel mit Happyend, das seine Spannung vor allem aus der Musik bezieht, deren hohe Emotionalität Paolo Carignani, das Frankfurter Museumsorchester und der Opernchor so intensiv locken, als sei Beethoven ein Vorläufer des Verismo. Am Ende war man an längst vergangene Zeiten erinnert. Wurden doch die hervorragenden Sängerleistungen stürmisch gefeiert, während sich Unmut über das Regieteam ergoss, früher war dies ein Ritual.

Carignanis letzte Opernpremiere als Generalmusikdirektor stand von Anbeginn unter keinem guten Stern. Noch vor den Proben war Christina Paulhofer schwer erkrankt, deren Konzept sich ihr langjähriger Bühnenbildner Harb zu eigen machte. Dass dabei eine Inszenierung herauskam, die vor allem bei der Personenregie unfertig wirkt, muss Intendant Bernd Loebe geahnt haben, der vorab dem Publikum über die Imponderabilien berichtete.

Der Vorhang ist schon geöffnet, gibt den Blick auf eine Art Wartesaal frei, an den Seiten zwei Aufzugtüren, in denen junge Frauen stehen, die wie Platzanweiserinnen wirken. Vorn sitzt zusammengesunken eine Gestalt im Kapuzenpulli, die sich als unschuldig gefangener Florestan ausweisen wird, den die Liebe seiner Gattin vor der Ermordung bewahrt. Sie hockt als Mann verkleidet ebenfalls auf einer Bank des wie eine Endstation anmutenden Kerkers und mischt sich allmählich ins Singspiel-Geplänkel von Kerkermeister Rocco und Tochter Marzelline ein, die in Liebe zum vermeintlichen Fidelio (alias Leonore) entbrannt ist, der sich im Gefängnis verdingt hat, um den Gatten zu befreien.

So unwirklich diese Kerkerszene, so realistisch die Musik schon in der E-Dur-Ouvertüre mit den Hornmotiven, die sinfonisch Druck machen und den klassischen Schönklang wie in Ekstase befeuern. Carignani lässt mit ihr ins Seelische schauen, wie er angesichts des grausamen Geschehens aus hauchfeinen Vibrationen einen ungeheuren klanglichen Furor entwickelt. Leise insistierend, aber stimmlich enorm präsent der Gefangenenchor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo), der sich im gleißenden Licht der Freiheit vorübergehend sonnen darf. Keine zerlumpten Gestalten, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, bestenfalls im Bann des üblen Gefängnis-Gouverneurs, den Johannes Martin Kränzle so sympathisch gibt, wie sein Bariton jedem Wellenschlag der Emotionen gerecht wird.

Wenn am Ende der Minister Don Ferrando (nobel in Stimme und Charakter: Bariton Franz Mayer) gerade noch rechtzeitig das mörderische Geschehen unterbricht, flieht Pizarro via Fahrstuhl. Besiegt von einer Frau in Männerkleidern, deren angstvolle Ausbrüche und unverbrüchliche Gewissheit anrühren. Sopranistin Erika Sunnegardh ist eine stimmliche Allmacht, die selbst das oft zu statisch wirkende Spiel an der Bühnenrampe aufmischt. Ebenso stark der Florestan des Michael König, vor allem in seiner schwierigen Erstarie mit Spitzentönen der Verzweiflung und in dem sehnsüchtig abgehobenen "In des Lebens Frühlingstagen". Ein im Lyrischen wie im Dramatischen hocheffizienter Tenor. Als Kerkermeister Rocco ist James Creswell eher die Güte in Person, ein Bass der überzeugt. Ihm liegt das bürgerliche Wohl seiner Tochter Marzelline am Herzen, die Britta Stallmeister mit schwärmerisch sich aufschwingendem Sopran gibt. Am Ende wird sie dennoch den windigen Pförtner Jacquino nehmen: Jussi Myllys setzt makellos tenorale Stimmakzente.

Die große Freiheit endet in bürgerlicher Idylle. Der Bühnenhimmel öffnet sich, ein stilisiertes Eigenheim sinkt herab, von Befreiern und Befreiten wie gelähmt betrachtet. Ehe sich alle zu einem breiten Tableau versammeln, um das hohe Lied der Gattenliebe zu singen, Leonore und Florestan mit Oma und Kindern wie zum Familienfoto vereint. Das nennt man dann wohl tragische Ironie ...

KLAUS ACKERMANN

 

dpa
2.6.2008

Frankfurt. „Fidelio" ausgebuht – Querelen hinter den Kulissen

Mit Missklängen endet die Ära des Frankfurter Generalmusikdirektors Paolo Carignani. Bei seiner letzten Premiere an der Oper Frankfurt dirigierte Carignani am Sonntagabend Beethovens „Fidelio". Die sehr statische Inszenierung wurde lautstark ausgebuht. Für Gesprächsstoff in den Fluren und Foyers sorgten die Querelen zwischen Carignani und dem Intendanten der Oper, Bernd Loebe. Der gebürtige Italiener Carignani war in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk über seinen Chef hergezogen, hatte ihm Opportunismus und Heuchelei vorgeworfen. „Ich kann den Mann einfach nicht mehr ertragen." Das Verhältnis der beiden galt seit langem als gespannt. Dass der Streit so eskalierte, lag Medienberichten zufolge just am „Fidelio": Carignani wollte sich mit einem anderen Stück aus Frankfurt verabschieden. Nach seinem Ausscheiden in Frankfurt will der Dirigent frei arbeiten, 2008 gastiert er unter anderem an der Metropolitan Opera in New York. Das Frankfurter Publikum lohnte ihm seine neun Jahre währende, erfolgreiche Arbeit am Main und sein leidenschaftliches Beethoven-Dirigat am Sonntag mit donnerndem Applaus und lauten Bravos schon zu Beginn, in die sich am Ende einzelne Buhs mischten.

 
 

Damstaedter Echo
3.6.2008

Gefangenschaft braucht keinen Kerker
Musiktheater: In Alex Harbs Frankfurter „Fidelio"-Inszenierung ist Florestan das Opfer eines Überwachungsstaates

Von Elena Garcia-Fernandez

FRANKFURT. Ein städtischer Raum im Kunstlicht. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, kauert ein Obdachloser auf der Bank. Florestan ist von Beginn an auf der Bühne präsent in der neuen Frankfurter Inszenierung von Beethovens „Fidelio". Gefangen ist er in einer Überwachungsgesellschaft, der er nicht zu entkommen vermag. Nur die Vision seiner Frau Leonore stellt sich schützend mit einem Lichtkegel vor seinen Schatten und erfüllt ihn mit Hoffnung. Wenn sich gegen Ende des ersten Aktes die Türen auf beiden Seiten der Bühne öffnen und Zivilisten in alltäglicher Kleidung sich zum Gefangenenchor zusammenfinden, wird deutlich, dass die Inszenierung jeden von uns als Gefangenen sieht. Aber ist die allgegenwärtige Überwachung wirklich gleichzusetzen mit körperlicher Unfreiheit, wie sie das Libretto vorgibt? Ursache und Umstände von Gefangenschaft, vor allem der Florestans, bleiben in der Schwebe.

Was die Szene verfehlt, glückt in Frankfurt zumindest musikalisch. Das Orchester unter Paolo Carignani sowie der Chor unter der Leitung von Alessandro Zuppardo überzeugen durch feinste Schattierungen im Pianoklang und dem orgiastischen Heilsgesang im Finale. Erika Sunnegårdh, die schon an der Metropolitan Opera in New York in der Rolle der Leonore zu hören war, glänzt, und auch Michael König intoniert die Partie des Florestan eindringlich. Johannes Martin Kränzle gab den fingernägelkauenden, im Innersten unsicheren Despoten Don Pizarro, der auf Stühle steigen muss, um Größe zu beweisen. Stimmlich kam Kränzle nicht gegen die starken Akzente des Orchesters an. Jaquino (Jussi Myllys) und Marzelline werden als Pärchen ohne erkennbare innere Zuneigung gezeichnet. Britta Stallmeister als Marzelline bezauberte durch intime, zart melancholische Stimmfarbe. Ihr Vater Rocco (James Creswell) erscheint als geldorientierter Bürokrat, der der Liebe seiner Tochter mit Banknoten zu entsprechen sucht.

Für die erkrankte Regisseurin Christina Paulhofer war schon zu Beginn der Proben ihr Bühnenbildner Alex Harb eingesprungen. Seine Inszenierung lässt viele Chancen ungenutzt, im Ansatz reizvolle Ideen wurden nur unzureichend ausgearbeitet. Einer der stärksten Momente, die bewegende Liebeserklärung Marzellines an Leonore, hier nach einem Text von Koltès, bleibt leider singulär und somit nichts weiter als eine Irritation. Und das Finale, das die reale Befreiung aller Menschen feiert, mutet reichlich undurchdacht an. Tosender Beifall für Sänger und Musiker, Buhrufe für die Regie.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
2. Mai 2008

Carignani siegt, aber Loebe bleibt Meister
Auf der Premierenfeier zu "Fidelio" wird nachgetreten

Das erste Tor beim Opernduell zwischen Dirigent Paolo Carignani und Intendant Bernd Loebe hat der Intendant geschossen. Noch bevor der Vorhang zur Premiere von Beethovens "Fidelio" am Sonntagabend hochgegangen und der erste Ton erklungen [...]

[...] Es liegt vor allem am zupackenden Dirigierstil Paolo Carignanis, der mit demonstrativem Applaus von seinen vielen Frankfurter Freunden begrüßt und ebenso verabschiedet wurde und der seine vibrierende, spannungsvolle Auffassung nicht nur auf das zu Höchstleistung getriebene (und fähige) Museums- und Opernhausorchester mit wundervoll innigen Bläsern und einem geradezu gellenden instrumentalen Furor übertrug, sondern auch auf den machtvollen Chor. Die Solisten dürften zudem in ihrer durchgehenden vokalen Kompetenz so schnell von keinem anderen nationalen wie internationalen Ensemble erreicht werden. Man könnte auch dem Regisseur zugutehalten, dass die Sänger überdurchschnittlich zu spielen vermögen. Es scheint aber, dass gerade solche Sängerdarsteller wie der Bariton Johannes Martin Kränzle als agil-verschlagener Gouverneur Don Pizarro oder der prächtig-sonore Bass James Creswell als Rocco über genügend musikalisch-darstellerische Intelligenz verfügen, um ihre Rollen nicht nur vokal zu erfüllen. Michael König ist ein Florestan von heldischer Statur wie Stimme, Britta Stallmeister als Marzelline mit ihrem lyrischen Timbre mehr als eine Bilderbuch-Soubrette. Erika Sunnegårdh als Fidelio/Leonore aber überragt sie alle mit einer Stimme wie ein Vulkan und einer musikalischen Inbrunst und feinsten stimmlichen Nuancierungen, die schier die Sprache verschlagen. Vielleicht ist das Beethovens wahre Utopie: mit einem wundervollen Sopran die Ketten der Tyrannei zu sprengen.

WOLFGANG SANDNER

 

Mannheimer Morgen
07. Juni 2008

Musiktheater: Beethovens Oper "Fidelio" in Frankfurt
Hoffentlich hat Leonore einen Bausparvertrag

Zur Sonne am Bühnenhintergrund streben sie als Brüder. Das assoziative Schlussbild ist (zu) naheliegend für die Neuinszenierung von Beethovens "Fidelio" an der Frankfurter Oper. Regisseur Alex Harb, der die Konzeption der erkrankten Christina Paulhofer umsetzte, mag etwa in der Konfrontation Fidelio/Pizarro unter leicht unbeholfener Personenführung leiden, doch die Produktion hat einen entscheidenden Vorzug: Sie besticht durch die Kühnheit des kargen Bühnenraums, so dass man sich zuweilen in einer konzertanten Aufführung wähnt.

Wartehalle zur Hölle oder nur zum Finanzamt? Der riesige Kubus wird nur durch zwei seitliche Aufzugstüren unterbrochen; einige Sitze versprechen Unbequemlichkeit, und auf der mittig platzierten Bank sitzt unbeweglich eine Obdachlosen-Figur. Florestan, wie sich herausstellen wird. Die Gefangenen kommen und gehen in üblicher Straßenkleidung (Kostüme: Henrike Bromber); Fidelio/Leonore irrt im riesigen Geviert umher, wenn auch zielgerichtet als Befreierin. Erika Sunnegard liefert eine ausgezeichnete Partie ab, denn sie singt mit suggestiver Intensität und kongruent mit dem von GMD Paolo Carignani ausdifferenzierten Museumsorchester.

Fidelio zur Seite steht mit James Creswell ein "menschlich" auftrumpfender Rocco, während Johannes Martin Kränzle als Don Pizarro zwar ein schönes Timbre einbringt, indes die Abgründigkeit vermissen lässt. Michael König verkörpert Florestan wird von Michael König mit großer Ausstrahlung, sein Tenor hat Farben und attraktives Material, wird aber am Ende etwas eng. Britta Stallmeister zeigt die Marzelline mit selbstbewusster Geste verkörpert, während Jussi Myllys den Jaquino als verhinderten Frauenliebling vorstellt. Nach der Befreiung schwebt die Decke herunter und zeigt ein Giebelhaus als ironisierten Traum vom Eigenheim. Hoffentlich hat Leonore rechtzeitig einen Bausparvertrag abgeschlossen, in den die Haftentschädigung einfließt. BE

 

WIENER ZEITUNG
Montag, 02. Juni 2008

Frankfurt: Ersatz-Fidelio
Retrotänze und Befreiungswunder
Atmosphärischer Fidelio in Frankfurt.

Von Jörn Florian Fuchs

Große Utopien

Die Oper Frankfurt setzt auf große Utopien und eine einschlägige Schauspielregisseurin. Christina Paulhofer sollte sich Beethovens "Fidelio" annehmen. Leider erkrankte sie schon vor Probenbeginn und so versuchte sich Bühnenbildner Alex Harb am Regieführen bzw. am Umsetzen des Konzepts.

Paulhofer/Harb verlegen das Befreiungsdrama mit glücklichem Ausgang in einen klaustrophobischen Raum mit gelbem Licht. Hier sitzt der Gefangene (vokal sicher: Michael König) und wartet auf nichts mehr. Um ihn herum gruppieren sich die Gefangenen – der von Alessandro Zuppardo gut einstudierte Chor trägt Alltagskleidung.

Obwohl die Personenführung reichlich unbeholfen wirkt, besitzt der Abend viel Atmosphäre und es entstehen einige sehr intensive Momente. Sängerisch glänzen vor allem Johannes Martin Kränzle (Pizarro) und Britta Stallmeister (Marzelline).

Der scheidende Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani hingegen (der sich im Vorfeld quasi von der Inszenierung distanzierte und den Intendanten Bernd Loebe mit Schmutz bewarf) dirigiert Beethoven nun streckenweise mit sehr viel Italianità und eigenwilligen Dehnungen. Das ergibt doch ein merkwürdig unausgewogenes Klangbild.

 

klassik.com
3. Juni 2008

Prima la musica
Der Triumph des Paolo Carignani

Kritik von Midou Grossmann

Auf der Bühne wurden nach dem Schlussakkord schon die Sänger gefeiert, als im Orchestergraben die Musiker noch ihrem Chef applaudierten, dieser war von dem Lob sichtlich gerührt und es kam zu herzlichen Umarmungen. Ja, das war der Abend des Paolo Carignani. Sein großartiges Dirigat gab einer sehr minimalistisch angelegten Szene sowie den Sängern das notwendige Fundament. Das Einheitsbühnenbild bestand aus einem hohen gelben Raum, der nur mit einigen Sitzbänken, ebenfalls gelb, bestückt war. Vielleicht bezog man sich damit auf den Modetrend Feng Shui, jedenfalls suggerierte das Gelb eine gewisse Kühle im warmen Zuschauerraum. Es scheint sich dabei um einen Warteraum auf einem Flughafen zu handeln, einige Hostessen garnieren zu Beginn die Szene, kontrollieren dann auch die Bordkarte, die die eintretende Leonore präsentiert. Von einer Bank im Hintergrund beobachtet sie die kleine Eifersuchtsszene zwischen Marzelline und Jaquino, der wohl mit einer der Hostessen angebandelt hatte. Wollte das Leading Team mit diesem Bühnenbild etwa andeuten, dass das Leben eine Art Reise ist? Zumindest gibt es im Programmheft auf diese Sichtweise einen Hinweis. Nicht ganz klar wurde, warum Florestan von der ersten Minute an, mit Kapuze und Lärmschutz auf dem Kopf, schon auf der Bühne sitzen musste. Vielleicht weil er ein Ausgestoßener ist, gefangen in sich selbst, inmitten des Lebens?

Dieser sehr psychologische Ansatz forderte die Sänger enorm, denn nur eine intensive schauspielerische Präsenz konnte diese karge Bühne zum Leben erwecken, zudem setzte der Regisseur auf prägnante Bewegungsabläufe. Bühnenbildner Alex Harb hatte das Konzept der erkrankten Regisseurin Christina Paulhofer übernommen. Beide kommen vom Schauspiel, in der Arbeit war dieser Aspekt durchaus erkennbar. Das Bühnenbild bildete nur den Rahmen für eine Geschichte, die die Protagonisten überzeugend darstellen sollten. Spannungsreich blieb es bis zur Pause, gut gelöst auch der Auftritt des Chores am Schluss des ersten Akts. Choreograph Tom Ryser ließ eine bunte Menschenmenge willkürlich eintreten, die für einen kurzen Augenblick, auf einer vielleicht beschwerlichen Reise, träumen durften. Chorleiter Alessandro Zuppardo hatte seine Truppe wie gewohnt gut vorbereitet.

Am Anfang des zweiten Akts zeigte die Kerkerszene dann einen szenischen Durchhänger, vielleicht auch weil Tenor Michael König sich mehr auf seinen Gesang konzentrieren musste, als auf das Schauspielern. So blieb sein großer Auftritt etwas unterbelichtet, auch wenn eine riesige Sonne am Bühnenfirmament aufstieg. Gesanglich gefiel König mit seinen in der Mittelage gut gestalteten Phrasierungen, doch in der hohen Lage konnte er seine Stimme nicht frei schwingen lassen, vieles klang allzu gepresst und daher unschön. Hier fehlten die Wahrheit und das Lebendige der Darstellung. Dagegen konnte Erika Sunnegårdh mit einer schier unendlich aufschwingenden, strahlenden Höhe punkten und wurde damit zu Recht zum Liebling des Publikums. Eigentlich ist ihre Stimme nicht sehr groß, aber wie sie diese einsetzt, zeigt eine große Meisterschaft, die darauf beruht, dass sie eine Ganzheit des Gestaltens besitzt, die leider alle anderen Sänger in den Schatten stellt, da bei ihnen eben der ‚letzte Schliff’ fehlt. Am besten agierte stimmlich noch James Creswell, der einen sehr jugendlichen Rocco sang, eine profunde Tiefe fehlte dem jungen Sänger verständlicherweise noch. Johannes Martin Kränzle bewies wieder einmal sein schauspielerisches Talent, doch seinem Gesang fehlte doch das Dämonische des Don Pizarro. Auch an die Grenzen ihres stimmlichen Vermögens gingen Britta Stallmeister (Marzelinne) und Jussi Myllys (Jaquino), wobei beide doch mit einer starken szenischen Präsenz glänzen konnten. Franz Mayer war dagegen ein guter Don Fernando, da er stimmlich die Partie eindrucksvoll ausmodulierte. Das große Finale mit Chor ging unter die Haut, wenn auch ein aus der Decke herabgelassenes Einfamilienhaus überflüssig war. Warum dieser erhobene Zeigefinger, der eine beengende Komponente in Beethovens großartige Freiheitsmusik brachte? Momente einer szenischen Überhöhung sollten erlaubt sein.

Dass die Aufführung nicht als simple Nummernoper verkam, ist vor allem dem Orchester und seinem Chef Paolo Carignani zu verdanken. Vom ersten Ton an, konnte er eine durchgehende musikalische Spannung aufbauen, ohne den teilweise liedhaften Charakter des Werks am Anfang zu überrollen. Das Quartett im ersten Akt wurde so zu einem Höhepunkt. Eine fließende, schlanke Klangsprache dominierte den Abend, die viele musikalische Details der Partitur ins rechte Licht rücken konnte, und doch wurden auch starke sinfonische Akzente im zweiten Akt eingebracht. Das Orchester spielte äußerst konzentriert und motiviert, somit wurde der Abend für Dirigent und Klangkörper - nach all den Querelen im Vorfeld - zum Triumph, das Publikum bedankte sich mit Standing Ovations.

 

Der Neue Merker
Premiere, 1.6.2008 | Nachtkurzkritik
Oper Frankfurt | Beethoven Fidelio
Einen großen Triumph über die Szene konnte die Musik feiern.

Im Vorfeld dieser letzten Premiere des nach neun Jahren scheidenden Generalmusikdirektors Paolo Carignani gab es unerfreuliche Querelen. Der unterschwellig schwelende Streit zwischen ihm und Intendanten Bernd Loebe eskalierte noch einmal.

Der Musiker wünschte sich einen großen Regienamen, beauftragt aber wurde eine Novizin, die prompt nach drei Probentagen das Handtuch warf. Nun aber überließ man die szenisch führungslose Produktion ihrem Schicksal. Bühnenbildner Alex Harb entwarf nicht nur einen unsäglich eindimensionalen Bühnenraum, er versuchte auch zu inszenieren und tappte dabei in jede Anfängerfalle, die bei einem Werk wie Fidelio unbarmherzig aufgestellt ist. Eine derart szenische Nulllösung hat man an der Oper Frankfurt schon lange nicht mehr erleben müssen. Nur die erfahrensten Sänger konnten ihren nicht vorhandenen Figuren Profil verschaffen. Peinlichkeit und Leere wurden zum Konzept.

Weder einen Wiener noch einen Bonner Beethoven hörte man bei Carignani aus dem Orchestergraben. Sehr aggressiv, mit hartem, aber authentischem Klang und extrem viel Kraft und Schwung erstrahlte dieses Meisterwerk und bescherte den hervorragenden Gesangssolisten, dem engagiert spielenden Museumsorchester (ein Bravo gilt den Hörnern!), dem sehr gut klingenden Opernchor (Leitung: Alessandro Zuppardo) einhellige und stürmische Ovationen, während die Szene gnadenlos, aber zu Recht niedergebuht wurde.

Damian Kern

 

das opernnetz.com
4. Juni 2008

Aus der Tiefe des Raums

Wie sieht er aus, der Vorhof zur Hölle, zum Kerker, in dem die Unschuldigen schmachten? In Frankfurt, bei der Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio", hat Regisseur und Bühnenbildner Axel Harb, der die Konzeption der erkrankten Christina Paulhofer umsetzte, den Bühnenraum als gelben Kubus verkleidet, in dem sich einige Wartesaal-Stühle verlieren und zwei Aufzugstüren nichts Gutes verheißen, wenn die Gefangenen in Alltagskleidung (Kostüme: Henrike Bromber) aus ihnen herausschlendern, scheinbar unberührt von ihrer schicksalhaften Situation. Und mittig auf einer kargen Bank sitzt mit dem Rücken zum Publikum eine armselige Kreatur. Florestan, wie sich später herausstellen wird.

Alltagssituation; es schmeckt ein bisschen nach Finanzamt oder Handelskonzern-Foyer, die Leere kann sich allenfalls mit unguten Gefühlen füllen. Bedrohlich oder belanglos, das ist hier die Frage, die vom Premierenpublikum mit wütenden Buhrufen fürs Inszenierungsteam beantwortet wurde. Überhaupt stand die Produktion zum Saisonschluss unter eher ungünstigem Stern, denn Christina Paulhofer, die etablierte Schauspielregisseurin (Bochum, Berlin, Zürich), sagte wegen Erkrankung ab. Es wäre ihre erste Opernregie gewesen, was der scheidende Generalmusikdirektor Paolo Carignani kritisiert hatte. Seine Konflikte mit Intendant Bernd Loebe, über die lange spekuliert wurde, hat Carignani jetzt im Interview mit dem Hessischen Rundfunk öffentlich gemacht. Der italienische Dirigent gilt zwar als aufbrausend, doch dass er die Oper und das Museumsorchester während der letzten zehn Jahre musikalisch erheblich nach vorne brachte, steht außer Zweifel.

So war denn auch die Musik das Premieren-Ereignis, weil Paolo Carignani in seiner letzten Frankfurter Opernproduktion wunderbar hochherzig und feinfühlig zugleich „seinen" Beethoven ausdeutete und das Museumsorchester die Verbundenheit mit dem Dirigenten bestens ausdrückte: Dieser Klangkörper spielte in allen Instrumentengruppen auf seinem höchsten Niveau und setzte Carignanis Vorstellungen pointiert und in ausgezeichneter Klanglichkeit um. Das Gesangsensemble stand dem kaum nach. Allen voran die an der Met erprobte Erika Sunnegardh als Leonore, deren perfekt geführter Sopran durch Klarheit und schlanke Höhen auch in den dramatischen Aufwölbungen besticht. Darstellerisch, in Hosenanzug und grünem Top, gibt sie der Figur starke Ausstrahlung. Ihr zur Seite mit Michael König ein anrührender Florestan, während James Creswell einen sehr gütigen Rocco abgibt. Johannes Martin Kränzle lässt in der Partie des Don Pizarro ein wenig die Abgründigkeit vermissen, singt fast „zu schön". Britta Stallmeister gefällt als selbstbewusste Marzelline, Jussi Myllys als schlaksig-cooler Jaquino, und Franz Mayer ist als Don Fernando ministrabel.

Am Ende streben die glücklich befreiten Menschen als Geschwister der Sonne entgegen, die aus der Tiefe des Raums beinahe so schön glüht wie in der abendlichen Toskana. Zuvor hatten sich Florestan und Leonore am herabschwebenden Einfamilienhäuschen delektiert, das die Regie wohl als Ironisierung von Beethovens idealer Vorstellung einer Gattenliebe ins Bild brachte. Der Gag allerdings schien leicht missglückt.

Eckhard Britsch

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
1. Juni 2008 (Premiere)

nnnnn Musik
nnnnn Gesang
nnnnn Regie
nnnnn Bühne
nnnnn Publikum
nnnnn Chat-Faktor

 

klassikinfo.com
Frankfurt 1. Juni 2008

Paolo Carignanis Abschied mit "Fidelio" nach neun Jahren in Frankfurt

Beethovens "Fidelio", Paolo Carignanis letzte Produktion nach neun Jahren als GMD, stand unter keinem guten Stern. Vorab distanzierte sich der Dirigent nicht nur von der ihm angeblich aufgezwungenen Produktion, weil ihm offenbar eine Verdi-Oper als glanzvollerer Abschied von seinem Frankfurter Publikum erschien, sondern machte gleichzeitig mit deutlichen Worten sein zerrüttetes Verhältnis zum Intendanten Bernd Loebe öffentlich. Hinzu kam, dass die vorgesehene Regisseurin Christina Paulhofer aus Krankheitsgründen die Probenarbeit für ihre erste Opern-Regie gar nicht erst antreten konnte. Bühnenbildner Alex Harb musste die Ausführung des Konzepts übernehmen und zeigte sich schlichtweg überfordert damit. Dagegen besaß sein karger, gelb leuchtender, geschlossener und Klaustrophobie erzeugender Raum durchaus Entschiedenheit. Denn von zwei Stühlen abgesehen ist er nur mit einer Metall-Bank im Zentrum möbliert, auf der ein später als Florestan identifizierbarer Mann mit Kapuze und Kopfhörern in einer Art innerer Emigration vor sich hin brütet.

Den ganzen Abend wird sich an diesem Raum außer der Intensität des Lichts wenig ändern. Leider aber gibt es auch keine schlüssige Personenführung, durch die Beethovens Drama eine klare Deutung erfahren hätte. Rätselhaft bleibt vieles, etwa dass der Chor, gesungen von erstmals wieder Tageslicht erblickenden Männern als eine adrette, gemischtgeschlechtliche Schar auftritt. Deren schöne Kostüme in Schwarz mit wenigen Farbakzenten (Henrike Bromber) signalisieren zumindest gedämpfte Heiterkeit, während in der Mitte der Bühne zwei Kinder als Zeichen von Hoffnung vergeblich einen an der Decke kleben bleibenden Drachen steigen lassen wollen.

Da aber im zweiten Teil dieser Raum, der diffus Gefangenschaft signalisiert, sich nicht verwandelt oder weiter verengt, verpufft Florestans an der Rampe gesungene Arie, nivelliert sich der Übergang von Kerkerhaft, Befreiung und Außenraum. Denn im Gänsemarsch kommen am Ende Menschen, die zuvor Gefangene waren, auf die Bühne und verteilen sich dekorativ. Am Ende löst sich ein gewaltiges Wüstenrot-Häuschen von der Decke und bleibt wie ein Damoklesschwert über den Figuren hängen, bevor es den Raum erneut verschließt. Der schon am Ende von Florestans Arie symbolisch aufscheinenden Sonne reckt nun auch das Volk seine Hände entgegen und beendet eine Inszenierung, die nur in wenigen Momenten zu berühren vermag und ein Torso geblieben scheint.

So lag die Last des Abends ganz auf dem Dirigenten und den Sängern. Erika Sunnegardh brachte für die Leonore ein schönes, leuchtendes Timbre mit und wird sich in der Profilierung der Rolle wohl noch steigern können. In Erinnerung bleiben wird neben einer bemerkenswert durchgehaltenen Intensität in jedem Fall ihr stumm verzweifeltes Gegen die Wände Rennen, das sich unmittelbar vor ihrer großen Arie in einem markerschütternden Schrei entlädt. Britta Stallmeisters Marzelline sang wohltuend lyrisch gehaltvoll und gar nicht soubrettenhaft, wie auch der Jaquino von Jussi Myllys angenehme tenorale Frische versprühte. James Creswell stattete Rocco mit einem warmen Bassbariton aus, erhielt aber darstellerisch ebenso wenig Profil wie die anderen Sänger. Michael König war ein gebührend heldischer Florestan, während Johannes Martin Kränzle als Pizarro schlicht fehlbesetzt war und eher einen uninteressanten Schreibtisch-Täter andeutete - ohne Hauch von Brutalität, Aggression oder gar Dämonie.

Paolo Carignani begann diesen "Fidelio" dramatisch und ebenso farben- wie facettenreich, entfaltete im "Mir ist so wunderbar"- Quartett eine magische Aura und offenbarte zu Beginn des zweiten Akts eine faszinierend düstere musikalische Welt, die schon auf Wagners "Ring" vorausweist und nochmals seinen überzeugenden Frankfurter "Parsifal" in Erinnerung rief. Doch anderes zerfloss in allzu weichen Konturen, der Gefangenenchor driftete auseinander, wie überhaupt der Chor nicht seinen besten Abend hatte und am Ende zum Forcieren neigte.

"Fidelio" am 6., 12., 15., 20., 23. und 27. Juni

 

CORRIERE DELLA SERA
4 giugno 2008

Polemiche. La regia si ispira allo spot d' una Cassa di risparmio
Beethoven chiede il mutuo: fischi al Fidelio-bancario
Francoforte, Carignani lascia dopo nove stagion.iIl direttore italiano è sempre più spesso invitato da altri grandi teatri e se ne va dopo un ciclo di successi

FRANCOFORTE - La città gli ha offerto di prolungare il contratto per altri tre anni, ma dopo nove stagioni come Generalmusikdirektor dell' Opera di Francoforte, Paolo Carignani non si lascia tentare e chiude definitivamente il capitolo. Fare il direttore musicale di un teatro d' opera in Germania è un pò diverso che in Italia. Si esegue di tutto e di più, quasi senza sosta. Oggi Verdi, domani Monteverdi, il giorno dopo Nono e dopo ancora Wagner. Ottimo per farsi le spalle larghe, soprattutto per un giovane (e in questi 9 anni Carignani è cresciuto molto in personalità musicale); un pò meno quando si fanno i conti con un sovrintendente poco propenso al dialogo (fuoco e fiamme tra i due nelle ultime dichiarazioni pubbliche) e quando arrivano sempre più frequenti gli inviti da Zurigo, Vienna, Monaco, New York. Meglio poi lasciare un buon ricordo di sé quando il feeling con orchestra e pubblico è al top. E che tale fosse la situazione l' ha dimostrato l' esito del Fidelio di Beethoven, l' ultima produzione che Carignani ha battezzato l' altra sera: abbraccio in scena della spalla dell' orchestra, un lungo tributo d' applausi e ovazioni, mazzi di fiori.

Applausi e ovazioni che non hanno toccato i responsabili della messinscena, accolta invece con bordate di fischi. Oltre a scenografo, costumista e light designer, si tratta di un trio: lo spettacolo l' hanno confezionato infatti un regista (Alex Harb), il drammaturgo Norbert Abels (il dramaturg è figura tipica nei teatri tedeschi; lo si riconosce perché veste di nero 365 giorni all' anno e non fa piacere incontrarlo di notte) e l' autrice della Konzeption. Bene, il conciliabolo tra i tre cervelli ha partorito l' idea che Florestano non si trova in carcere ma nella sala d' aspetto della Landesbausparkasse (Cassa regionale di risparmio per gli immobili) nella vana speranza di ottenere un mutuo per la casa. E' insomma un clochard senza accesso al credito, finché l' intervento di Leonora-Fidelio non sistema le cose e dal soffitto della giallissima, anonima sala d' aspetto della banca non scende una linda casetta bianca col tetto rosso: la stessa di un famoso spot televisivo dell' istituto di credito.

Risultato è che il pubblico ride divertito a tal epilogo, proprio mentre i prigionieri cantano il coro di liberazione che è pagina tra le più alte e solenni dell' intera storia dell' opera. Non è teatro di tradizione, non è teatro di recitazione, non è teatro di regia; ecco a voi il puro teatro demenziale.

Un peccato, perché lo spettacolo vanta una lettura musicale estremamente pacata e analitica, estranea alla retorica che spesso s'annida in questo Singspiel. Tempi tendenzialmente lenti ma supportati da suono generoso, dettagli da assaporare lentamente uno dopo l'altro. Al poco simpatico e molto ingeneroso sovrintendente (il discorso d' addio non l' ha voluto pronunciare di persona) va comunque riconosciuto il merito d' aver assemblato un cast più che degno, con l'ottimo Florestan di Michael König, con la voce piccola ma esattissima di Erika Sunnengardh (Leonore) e una serie di comprimari di buon livello. Bene il coro, istruito per l' ultima volta (e anche questo è un addio) da Alessandro Zuppardo.

*** Sul podio. Successore di Solti Quarantasette anni Milanese, 47 anni, arrivato a Francoforte come successore di grandi direttori come Georg Solti, Christoph von Dohnányi e Michael Gielen, Carlo Carignani lascia dopo un decennio nel quale ha risollevato le sorti del teatro

Enrico Girardi