Mannheimer Morgen
26. Juli 2008

Mannheimer Mozartsommer: Wiederaufnahme des "Lucio Silla" von 2007 in gleicher Besetzung erneut eine Sensation
Mit dem Kopf durch Papier

Von unserer Mitarbeiterin Waltraud Brunst

"Lucio Silla" war eine Sensation, so wie Günter Krämer sie beim ersten "Mannheimer Mozartsommer" 2007 in kühnem Handstreich auf die Bühne des Schwetzinger Rokokotheaters warf. Bei der Wiederaufnahme in gleicher, schlicht sensationeller Besetzung war sie es nicht minder. Wobei auch der Instrumentalpart mit dem glänzend disponierten Nationaltheater-Orchester durch den Wechsel vom Premierendirigenten Adam Fischer zum international renommierten Gast Dennis Russell Davis keinen Qualitätsverlust erlitt.

Sänger-Oper par excellence

Ohne die Bedeutung der Orchesterritornelle, der Arienbegleitungen und Secco-Rezitative gering zu achten - "Lucio Silla" ist vor allem eine Sänger-Oper par excellence, die bei auch nur mäßiger Besetzung durch das schiere Ausmaß der Da capo-Arien zur Publikumsfolter wird.

Beim Mannheimer "Lucio Silla" steht das Urteil auch beim abermaligen Genuss fest: Besser geht's nicht. Die aberwitzig schwierigen Partien der jungen Liebenden Giunia und Cecilio sind mit Cornelia Ptassek und Marie-Belle Sandis aus dem eigenen Ensemble optimal - ja, man darf sagen auf Weltniveau - besetzt. Welch ein Wagnis, für die Koloraturpartie der Celia, Sillas Schwester, die junge Ana Maria Labin frisch von der Züricher Opernschule weg zu engagieren - und welch eine Entdeckung an stimmlicher Brillanz und Bühnenpräsenz!

Die Partie des undurchsichtigen Patriziers Cinna hat Mozart, dem Zug der Zeit folgend, ebenso wie den geächteten Senator Cecilio als Hosenrolle konzipiert. Wer je den stimmlich wie darstellerisch formidablen polnischen Sopranisten Jacek Laszczkowski im lässigen GI-Habitus erlebt hat, der mag sich eine andere Besetzung gar nicht mehr vorstellen. Last but not least der Tenor Lothar Odinius, gemeinhin als feinsinniger Interpret Alter Musik bekannt, in der Rolle des unberechenbaren bis völlig durchgeknallten Diktators Lucio Silla, der sich mit Verve in seinen spektakulären ersten Auftritt wirft, wenn er im Rocker-Outfit, furchterregend geschminkt, durch eine schwarze Papierwand auf die Bühne stürmt.

In dieser Szene, manifestiert sich schon Günter Krämers ironische Brechung des düsteren Historiendramas, das reale Schreckensszenen - die endlosen Minuten etwa, die Giunia und Cecilio, gefesselt, den Strick um den Hals, auf Stühlen stehen - mit allerlei Slapstick konterkariert, bis der jählings geläuterte Silla im Smoking das überraschende Happyend verkündet. Krämer baut nicht nur auf "geläufige Gurgeln", auch wenn die erfülltesten Momente die bei aller vokalen Virtuosität so bewegenden Klagen der Giunia (Ptassek) und Cecilios (Sandis) herrliche Arie im Angesicht des Todes "Pupile amate" sind. Auch Krämers Personenführung ist exzellent. Ein ganz großer Abend!

Besser als Berlin?

In der Pause und beim nächtlichen Sektempfang auf der Terrasse, während die Zirkelbauten rot erglühten, zogen erstaunlich viele Besucher Parallelen zwischen dem musikalischen Niveau der am vergangenen Dienstag gastierenden Komischen Oper Berlin und dieser Mannheimer Produktion - nicht eben zu Gunsten der Hauptstadt.