DAS OPERNGLAS
juli/august 2007

DAS INTERVIEW
KATHARINA WAGNER

Es ist soweit: Katharina Wagner gibt ihr Bayreuth-Debüt als Regisseurin. Im Vorfeld des weltweit mit Spannung erwarteten Ereignisses stellte sie sich in Berlin den Fragen von Ralf Tiedemann. Ausschnitte aus dem Interview.

Warum ausgerechnet die "Meistersinger"? Es gäbe weniger heikle Stücke, das Hügel-Debüt abzuliefern.
Sie wissen ja, wie das in Bayreuth abläuft: Die Stücke sind in einer gewissen Regelmäßigkeit wieder dran; jetzt also die "Meistersinger". Mein Vater legt großen Wert darauf, dass ein Regisseur das Stück sehr gut kennt. Das war bei mir gegeben, da ich ihm selbst und auch Harry Kupfer assistiert habe - und auch schon als Kind auf der Festwiese mitgespielt hatte. Dann hat sich mein Vater in Budapest den "Lohengrin" angesehen, ob ich als Regisseurin mit einem Chor umgehen kann - und am Abend dieser Premiere hat er mir dann die "Meistersinger" angeboten.

Tatsächlich erst an diesem Abend? Die Ankündigung für 2007 ging doch schon am Morgen nach der Premiere um die Welt.
Das ist richtig. Wobei das Witzige war, dass ich an dem Abend noch gar nicht zugesagt hatte. Ich habe ihm schon gesagt, ich müsse darüber noch in Ruhe nachdenken. Trotzdem wurde die Nachricht natürlich zum Selbstläufer.

Wäre es überhaupt denkbar gewesen, dieses Angebot nicht anzunehmen?
Sicherlich! Meinem Vater geht es doch darum, dass eine anständige Qualität abgeliefert wird. Und wenn ich gesagt hätte: „Ich kenne das Stück zwar auswendig, kann damit aber im Prinzip noch keine gute Aussage treffen," dann wäre ihm die Qualität vorgegangen.

Die Pressestelle der Bayreuther Festspiele hat zu Beginn des Jahres eine Meldung zu Ihren "Meistersingern" herausgegeben. Vom Bruch mit lieb gewonnenen Klischees war da die Rede und davon, dass Sie dem Publikum „einiges zumuten" werden. Müssen wir uns fürchten?
(lacht) Das war natürlich eine Steilvorlage. Aber was heißt „fürchten"? Ich möchte, dass über eine Produktion diskutiert wird. Das Publikum soll sich auch nach dem Schlussvorhang gedanklich weiter damit beschäftigen - und nicht nur mit der Speisekarte im Restaurant gegenüber. Regie muss einen Gedankenanstoß geben oder emotional so berühren, dass es  einen nicht so schnell loslässt.

Wohin wird Ihrer Meinung nach Bayreuth inszenatorisch gehen? Die letzten Jahre wirken in der Rückschau  wie die bewusste Strategie eines bunten Kaleidoskops - nach dem Motto „Für jeden etwas".
Mein Vater fragt mitunter Leute an, die er für geeignet hält, und bekommt eine Absage, weil sie mit dem Werk, vielleicht auch grundsätzlich mit Wagner nichts anfangen können. Das mag in dem einen oder anderen Fall auch dafür eine Erklärung sein, warum bestimmte Regisseure, die wichtig wären, nicht in Bayreuth inszenieren.
Aber zu Ihrer Frage: Ein Regisseur muss eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Werk bieten können, durchaus auch mit dem Wagnis des Experimentellen, damit die szenische Entwicklung in Bayreuth nicht stehen bleibt, wir vielmehr an einer Weiterentwicklung selbst mitbeteiligt sind.

Ihr Vater hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bayreuther Festspiele kein okkultes Geschehen sind. Dem werden Sie zweifellos zustimmen. Gleichzeitig steht er dafür ein, dass die berühmte Forderung „Kinder, macht Neues!" zwar beherzigt wird, aber eben nicht um jeden Preis.
Das ist völlig klar. Es gibt Dinge, die lassen sich einfach nicht realisieren. Es muss sich alles in einem für die Sänger, den Chor, das Orchester und den Dirigenten machbaren Rahmen bewegen. Und es muss sich natürlich auch in einem sowohl finanziell als auch technisch machbaren Rahmen bewegen. Manche Leute kommen hier an mit Vorstellungen, die einfach nicht realisierbar sind! Bayreuth hat gewisse Grundvoraussetzungen, über die man nicht hinwegkommt. Wir können nicht das ganze Festspielhaus für eine Inszenierung umbauen.

Was ist heute aktuell an den "Meistersingern"?
Mir ist stets wichtig, dass ich ein Werk inszeniere, das mich heute noch etwas angeht, das mich berührt und in dem ich auf heutige Konflikte stoße. Das ist bei den "Meistersingern" sehr stark der Fall. Es ist wichtig, das herauszustellen: Es geht um Kunst, um Traditionen und den Bruch damit, um Innovationen, um unterschiedliche Auffassungen von Regelwerken, um Kunstverständnis. "Die Meistersinger" sind im Grunde ein riesiger Kunstdiskurs. Und das ist etwas, was uns heute täglich in der Oper begegnet.

Ist das Nürnberg der Meistersinger konkret oder Mythos?
Für mich steht dieses Nürnberg für ein System; es ist der Inbegriff einer gewissen geistigen Haltung.

Es gibt in dieser Oper Dinge, über die man sich, Sie haben es selbst schon so umschrieben, „gerade als Wagner nicht hinwegschummeln kann." Sie haben sicher eine persönliche Auffassung von der gefürchteten Textpassage um „deutsche Kunst", „deutsches Volk und Reich".
Ja. Die muss man auch haben, gerade an diesem Ort. Ich finde diese Passage sehr problematisch. Die "Meistersinger" spielen in der frühen Neuzeit, formal gesehen. Die Schlussansprache aber bezieht sich, wie vieles andere auch, extrem auf die Entstehungszeit des Stücks. Wir heute müssen das politische Statement ganz anders werten als zur Zeit der Reichsgründerjahre. Und wir müssen ganz klar machen: Die Schlussansprache war nicht erst zur Zeit des Nationalsozialismus problematisch. Aus heutiger Sicht ist sie durch die NS-Diktatur und ihre Folgen nur eben noch problematischer.
Ich versuche natürlich, nicht zu pädagogisch zu sein - was man mir ja schon vorgeworfen hat - und trotzdem damit umzugehen. Ich hoffe, dass es mir gelingt.

Sind Sie ein politischer Mensch?
Politisch kann man auf verschiedene Weise sein. Ich interessiere mich für die Dinge, die um mich herum passieren. Und ich rege mich, wie sicher viele andere auch, über manches auf. Ich würde mich zwar nicht unbedingt in den Parteienstreit begeben, aber ansonsten halte ich mich schon für einen politischen Menschen.

Ich nehme an, dass Sie das Theater als einen politischen Ort bezeichnen würden. Meinen Sie, dass man über das Theater tatsächlich etwas bewegen kann?
Theater ist absolut ein politischer Ort, und ich glaube, dass man dort durchaus etwas erreichen kann. Wenn Kollegen wirklich gute Bilder gefunden haben, bleiben diese beim Publikum auch haften. Vielleicht nur im Unterbewussten. Aber gerade so kann man vielleicht etwas erreichen, sei es politisch oder privat. Nehmen wir das Schlussbild aus meiner "Trittico"-Inszenierung: Ich fand es schon relativ hart, dass die beiden wieder zusammen ins Bett gehen und sich nichts zu sagen haben. Das mag man vielleicht für sich selbst gar nicht so genau formulieren, denn es ist ja eine sehr private Ebene. Aber wenn es wirklich starke Bilder sind, denen ich im Theater begegne, passiert es mir häufig, dass sie mich nicht loslassen, mich verfolgen und manchmal etwas in Gang setzen.

Ihr Hügel-Debüt mit den "Meistersingern" wird von vielen direkt mit der Thronfolge in Bayreuth in Verbindung gesetzt. Sie haben auf die Nachfolge-Diskussion bisher immer sehr gelassen reagiert. Können Sie das immer noch?
Das ist eine unselige Verknüpfung. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es ist schön, wenn ein Festspielleiter ein guter Regisseur ist - aber es bringt ihm rein gar nichts. Im Prinzip kann ich auf diese Diskussion immer noch gelassen reagieren. Aber die Sache ist klar: Vor fünf Jahren war die Frage, ob ich die Festspiele übernehmen würde, eine reine Hypothese. Heute würde ich sagen: „Ja, ich traue mir das zu." Aber wir reden immer noch im Konjunktiv. Zunächst einmal muss mein Vater bereit sein, die Leitung abzugeben, das ist die Grundvoraussetzung Nummer Eins. Die zweite lautet: Es müssen die Bedingungen stimmen. Wenn mein Vater irgendwann einmal aufhört, wird auf einmal ein Gesellschafter durch vier ersetzt - eine ganz andere Konstellation. Diese Gesellschafter stellen andere Forderungen an den Geschäftsführer, umgekehrt hat auch dieser gewisse Erwartungen an die Gesellschafter. Wenn die Bedingungen stimmen und das Vertrauen da ist, wenn man die Bayreuther Festspiele auf einem hohen Qualitätsstandard weiter führen kann, würde ich es mir nicht nur zutrauen, ich würde es dann auch machen. Aber für mich persönlich brauche ich den Titel Festspielleiterin nicht. Ich bin auch ohne glücklich. Es geht mir nicht darum, mich mit einem Titel zu schmücken, sondern ernsthaft eine ernste Aufgabe zu erfüllen, die sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.

 

DIE WELT
16.07.2007

Katharina Wagner: "Ich will die Meistersinger knacken"
Am 25. Juli ist die Premiere: Katharina Wagner spricht erstmals ausführlich über ihr Konzept für die Bayreuther „Meistersinger". Ihr geht es in erster Linie um ihre Inszenierung - und erst dann um die Frage, wer künftig die Festspiele leitet.

WELT ONLINE: Katharina W. derzeit in allen Gazetten per Wort und Bild. Wie gehen Sie damit um?

Katharina Wagner: Momentan konzentriere ich mich voll auf die Proben, genieße das Arbeit im weitestgehend abgeschotteten Festspielhaus. Ich bin also in der Öffentlichkeit nur virtuell vorhanden. Ich artikuliere mich aber grundsätzlich gern, sehe es auch als wichtige Aufgabe eines Regisseurs, erklären zu können, was er vorhat. Damit habe ich keine Probleme. Mit Fotos von mir schon eher. Ich stand bisher ja meist nur einmal im Jahr im Licht der Öffentlichkeit – bei der Bayreuther Festspielpremiere. Die Fotos, die dort gemacht werden, auf denen erkenne ich mich kaum. Das bin eigentlich nicht ich.

WELT ONLINE: Erkennen Sie sich in den jetzt für Interviews angefertigten Studiofotos?

Wagner: Die sind ein in gewisser Weise ein Spiel. Sie sind bewusst künstlich und gestellt. Entstanden mit einer Visagistin und einem Profifotografen in einem Hotel. So sehe ich im Alltag nicht aus. Ich kann mich eigentlich gar nicht schminken und tue es deshalb auch nicht. Aber es sind kontrollierte Abbilder eines Teils – des extrovertierteren – meiner Persönlichkeit. Und ein Gutes haben diese absichtsvoll exaltierten Bilder: Kein Mensch erkennt mich so auf der Straße. Ich schützte damit auch ein wenig mein Privatleben. Denn bisweilen werde ich sogar angefasst, man will offenbar mal echte Wagner-Gene berühren. Aber das mit den durchaus auch ein wenig ironisch gemeinten Fotos ist ein schmaler Grat, das hat man ja bei Gabriele Pauli gesehen.

WELT ONLINE: Können Sie im Augenblick noch gut schlafen?

Wagner: Geht so! Das hat aber weniger zu tun mit dem Druck, diese Inszenierung zu stemmen. Mich belastet eher, dass so viele dieses Debüt in Bayreuth, was auch für mich - oder eben für mich - nicht ohne ist, unbedingt mit der Nachfolgefrage verknüpfen. Das ist ein schwachsinniger Automatismus, der aber aus den Köpfen nicht zu vertreiben ist.


Katharina Wagner zusammen mit dem Leiter der Festspiele Wolfgang Wagner.
Foto: dpa

WELT ONLINE: War Ihnen dieser Automatismus nicht klar?

Wagner: Natürlich. Aber ich hatte gehofft, dass er nicht bereits im Vorfeld so im Vordergrund stehen würde. Das wurde jetzt noch verstärkt dadurch, dass der Stiftungsrat diese Frage im Herbst erneut auf seine Tagesordnung gesetzt hat. Was zu erwarten war. Dabei sage ich ganz klar: Ein guter Regisseur ist nicht automatisch ein guter Festspielleiter. Das sind zwei unterschiedliche Aufgabenfelder. Auch ein schlechter Regisseur kann ein guter Organisator sein. In Bayreuth soll diesen Sommer eigentlich nur die Regisseurin Katharina Wagner in Blickfeld stehen. Über die die Allgemeinheit – hoffentlich gerecht und unvoreingenommen - zu urteilen hat.

WELT ONLINE: Aber glaubt Ihnen das denn wer?

Wagner: Da kann ich den Leuten nicht helfen. Es ist aber faktisch so. Jeder sollte inzwischen wissen, dass ich nicht gegen Stiftungsregeln installiert werden kann. Und über die herrsche weder ich noch mein Vater. Im Stiftungsrat sind die Wagners eine Minderheit.

WELT ONLINE: Es heißt aber auch sinngemäß in der Satzung, die Festspiele sollten in den Händen der Wagners bleiben, wenn die geeigneten Kandidaten hätten. Dieses Angebot ist ja sehr überschaubar.

Wagner: Ja klar, das sind dieselben zwei, zu denen sich jetzt vielleicht noch eine dazugesellt.

WELT ONLINE: Sie?

Wagner: Ich habe mich noch nicht dafür entschieden. Aber aufgrund meiner Erfahrungen innerhalb der Festspiele, aufgrund meines Studiums und meiner beruflichen Weiterentwicklung würde ich mich dafür für befähigt halten. Aber ich sage auch wieder: Die Bedingungen, auch die personellen, müssen stimmen. Dass einer allein beides stemmt, die künstlerische und wirtschaftliche Leitung, das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Dafür kenne ich den Laden intern zu genau. Darüber soll der Stiftungsrat erst einmal diskutieren, bevor wieder das Personenroulette in Gang gesetzt wird.

WELT ONLINE: Reden wir also lieber über Kunst?

Wagner: Ja, bitte!

WELT ONLINE: Sie inszenieren nun mit den „Meistersingern" die einzige Komödie ihres Urgroßvaters, noch dazu eine, in der nur Menschen vorkommen. Ist das leichter oder schwerer?

Wagner: Man muss keine Fabelwelt deuten, aber dafür ist hier alles so verdammt konkret. Götter können einfach wegfliegen. Nürnberg, Schuhe, Kuchen, alles wird hier benannt und dauernd wiederholt. Wie übersetzte ich also so etwas, wenn ich es nicht nur nachbuchstabieren will? Ich hatte drei Jahre Vorbereitungszeit, dadurch hat sich vieles im Konzept auch mehrfach modifiziert. Ich konnte durch Diskussionen auch vieles lernen.

So wie ich auch aus meinen Inszenierungskritiken gelernt habe. Wenn sie nicht zu persönlich wurden. Ich haben inzwischen erfahren, wie schwierig es ist, als Regisseur nicht zu übertreiben: Entweder man dringt nicht durch, oder man macht auf der Bühne pädagogisches Zaunpfahltheater. Ich war bisher mitunter zu deutlich. Ich versuche diesmal, etwas assoziativer zu werden. Die Mischung auszubalancieren, das ist das Schwerste. Wie viel hat das Publikum schon und wie viel braucht es? In Bayreuth ist das zudem noch mal anders.

WELT ONLINE: Auch weil die „Meistersinger" in Bayreuth als Fast-Exklusivbesitz der Wagners als letztes der zehn auf dem Hügel sakrosankten Werke bisher weitgehend traditionell gelesen wurden, selbst von ihrem Onkel Wieland?

Wagner: Genau. Dieses Stück hat eine sehr ungute Wirkungsgeschichte – übrigens nicht erst seit der Nazizeit. Und gerade in Bayreuth muss man dazu jetzt endlich Stellung beziehen. Deshalb würde ich mein Konzept auch an keinem anderen Theater machen. Es soll eine Auseinandersetzung mit dem Werk werden, aber gleichzeitig auch auf die Bayreuther Rezeptionsgeschichte eingehen.

WELT ONLINE: Die weitgehend nicht vorhandene...

Wagner: ...aber anderswo ausgetragene. Das Werk als Geschichte über die deutsche Teilung wie bei Hans Neuenfels in Stuttgart oder als antisemitische Studie mit einem Judenstern als Mond und einem KZ-Schuhberg bei Christoph Nel in Frankfurt, beides übrigens – Hut ab – Inszenierungen, die ich sehr wichtig und gut fand. Da haben andere Häuser also kräftig vorgelegt. Das muss ich jetzt auch in Bayreuth nicht mehr nachholen.

WELT ONLINE: Peter Konwitschnys eben nicht nur symbolischen historischen Zwischenruf in Hamburg wohl auch nicht?

Wagner: Ich muss anders rufen. Die „Meistersinger" sind in Bayreuth fast noch jungfräulich. Und ich will sie jetzt knacken. Das ist die große Herausforderung.

WELT ONLINE: Wie wird es also werden?

Wagner: Es soll sehr offen sein. Nürnberg – das ist für mich nur eine geistige Haltung, ein Konstrukt: eine enge, historisch definierte Stadt, eine geschlossene, in Regeln verhaftete Gemeinschaft. Mein Bühnenbild, den konkreten Raum, der sich nur wenig verändert, kann man weder örtlich noch zeitlich definiert werden. Requisiten werden hingegen ihre Bedeutung wechseln. Es gibt auch keinen Schuh, dafür etwas anderes, was uns acht Monate Überlegungszeit gekostet hat, bis es schlüssig war. Denn schließlich trifft hier nicht nur Stolzing auf Sachs und Beckmesser, sondern Innovation begegnet Tradition.

Hier geht es um einen Kunstdiskurs, nicht um Handwerk. Kunst ist hier nur gut, wenn sie Regeln folgt, so geht der erste Akt. Auch in der Diskussion um das sogenannte Regietheater geht es immer um Regeln, die überschritten werden dürfen, sollen, müssen.

WELT ONLINE: Wie zeigen Sie das?

Wagner: Sachs fordert am Ende, wenn er plötzlich wieder sehr restaurativ geworden ist, pauschal „die heil’ge deutsche Kunst" ein. Die ist aber wohl nicht nur Gesang. Das Bühnenbild im ersten Akt zeigt unterschiedliche Requisiten der Kunst: Ein Staffelei, ein Flügel, eine Ballettstange. Das alles steht für Methodik, Rahmenwerk, Hilfsmittel, die dazu dienen, eine eben wie immer zu definierende Kunst zu produzieren. Und es gibt Statuen für jeden Meister, Goethe, Schiller & Co, die werden zum Leben erweckt. Hier treffen also nun verschiedene Haltungen aufeinander, die gar nicht miteinander konform gehen. Da sind wir also schon beim ersten Konflikt - wohl auch im Zuschauerraum.


Bewusst künstlich und gestellt: Ein Studiofoto von Katharina Wagner
Foto: Nawrath

WELT ONLINE: Die Regeln gibt aber doch auch die Musik vor – der Choral, mit dem alles beginnt, die Prügelfuge, das Preislied...

Wagner: Ich will aber nicht Musik choreografieren, sondern deuten. Der Choral gehört in die Kirche, die war damals nicht nur Kult-, sondern auch Versammlungsort. Und ist natürlich bei Wagner auch der Historie geschuldet. Doch Sie können beruhigt sein: Sie werden an der Decke auch Dürers "Betende Hände" sehen. Und da haben Sie doch in einem Zeichen alles: Nürnberg, Renaissance, deutsche Kunst und ein zu neuen Ufern der Wiedergabe aufbrechendes Meisterwerk, das sowohl Ikone als auch Schlafzimmerkitsch wurde.
Und so kann diese Raum eben Kirche sein oder Museum oder Kunsthochschule oder einfach nur ein mythischer Opernort. Allein in diesem ersten Akt steckt ein enormes Diskurspotential, das, wie ich finde und wie ich es erlebt habe, niemals hinreichend visualisiert wurde.

WELT ONLINE: Sie sagten vorher, Sachs sei restaurativ geworden. Warum?

Wagner: Vielleicht weil er was mit Eva hatte und dann zurückgewiesen worden ist? Ab dem „Wahnmonolog" wird er ekelig reaktionär, was in der Schlussansprache gipfelt. Was vorher in der Prügelfuge passiert ist, das Anarchische, das überfordert ihn. Vielleicht kann er im dritten Akt auch sexuell nicht mehr? Sein Konservatismus, der die ‚heil’ge deutsche Kunst" retten will, könnte auch Sublimierung sein.

WELT ONLINE: Und wie verhält sich Eva dazu?

Wagner: Sie ist keine wirklich starke Figur. Erst ein pubertäres Küken. Dann will sie so halbwegs mit Walter abhauen. Im dritten Akt muss sie sich bei jedem drückenden Schuh helfen lassen und dann gefällt sie sich als weiblicher Preispokal, läuft glücklich in den Ehe- und Familienhafen. Eva als Eva Herman. Da hat Wagner interessantere Frauenfiguren geschaffen.

WELT ONLINE: Wer ist Beckmesser?

Wagner: Ein kluger Außenseiter, den ich sehr ernst nehme. Der eigentlich Modernste von allen. Das ist nicht neu, doch es fasziniert mich nach wie vor. Mehr noch interessiert mich der Walter. Im ersten Akt ist er sehr innovativ. Er stößt später beispielsweise eine Skulptur um und pinselt darauf herum. Ist das nun Vandalismus oder malt sich da jemand in einen Raum ein à la Jonathan Meese? Ein Beginn auf dem Alten. Ein wirkliches „Fanget an". Im dritten Akt bedient Walter dann nur noch harfenumrauscht dem Mainstream. Und das kritisiere ich.

WELT ONLINE: Womit aber ihr erster Stolzing, Robert Dean Smith, nicht zurecht kam?

Wagner: Leider. Wir haben uns aber im Guten getrennt. Auch hier gab es trennende Welten in der Auffassung von Kunst. Kunst ist eben nicht nur schön. Auch wenn der Stolzing am Ende eben diese Meinung bedienen will. Um Evas willen, weil er zum Establishment gehören will, oder weil er alt geworden ist und die ewige Rebellion zu anstrengend findet, dass muss sich jeder selbst denken.

WELT ONLINE: Wollen Sie provozieren?

Wagner: Ich muss es. Sonst hätte ich dieses Stück nicht verstanden. Das wird in den ersten Akten noch angehen. Aber warten wir mal die Festwiese ab, was da passiert. Das wird sicher ein Kampfplatz des Konservatismus gegen das sich einlassen Wollen und Können auf andere, in Bayreuth in diesem Werk noch nicht gesehene Bilder sein.

WELT ONLINE: Also auch ein Stück über Ekeltheater, Peter-Stein-Beharren und den überdrehten Kunstmarkt?

Wagner: Natürlich. Und über angebliche Überfremdung durch Einwanderer und eine angebliche neue Bürgerlichkeit, über Achtundsechziger-Überwindung und die Frage, was uns die kaum noch Neues schaffende Oper heute noch bedeutet. Das sind zumindest alles Phänomene, die in meine Inszenierung eingeflossen sind.

WELT ONLINE: Aber darf es nur Fortschritt geben? Ist es nicht wichtig, sich zu entwickeln, aber auch zu wissen woher man kommt, auf was man fußt?

Wagner: Das ist ein Stück über uns. Über Deutschland. Viel eher als der „Ring". Das ist das Aktuelle und das Faszinierende daran. Das Konstrukt Deutschland – hier „Nürnberg" – hält ja nur bis zur Prügelfuge. Dann geht es in Fetzen, es wird aufgerissen – bei mir im wahrsten Sinne – und neue Impulse stürmen herein.

WELT ONLINE: Wie laufen die Proben?

Wagner: Den bereits angedeuteten Umständen entsprechend sehr gut. Aber es ist schon Wahnsinn, wie hier alles interpretiert und gleich weitergetragen wird. Schaut mein Vater vorbei, heißt es, er kontrolliert mich. Kommt er nicht, wird gemutmaßt, wir seien verkracht – oder er hätte einen Herzinfakt. Überhaupt: In dem Stück verschachert ein Vater seine Tochter. Natürlich hätte ich auch eine Bayreuth-Parodie inszenieren können. Aus Witz habe ich das angedacht, und durchgespielt, wer wer ist. Würde wunderbar aufgehen. Aber das wäre mir dann doch zu langweilig geworden. Wir wollen uns mal hübsch mit den „Meistersingern" auseinandersetzen. Und nicht mit den Wagners.

Interview: Manuel Brug

 

Frankfurter Rundschau
Montag, 23 Juli 2007

"Du hast mich inspiriert"
Ein sehr persönliches Werkstattgespräch zwischen Katharina Wagner und Christoph Schlingensief anlässich der Aufführung der "Meistersinger" bei den Bayreuther Festspielen


Katharina Wagner und Christoph Schlingensief im Gespräch: "Das kennst du doch ganz genau." (Enrico Nawrath)

Schlingensief: Fangen wir doch mit den Haaren an. Das Thema Haare und Aussehen, das ist ja nun auch dein Thema. Und das interessiert die Leute doch am meisten.

Wagner: Ich wollte dich schon immer mal fragen, ob deine Haare echt so wachsen, oder ob du Gel reintust?

Schlingensief: Ich weiß nicht, wie das Zeug heißt, aber es ist kein Gel. Man nimmt ein fingernagelgroßes Stück, es ist wie Staub. Du kannst ja mal reinfühlen, überhaupt nicht klebrig.

Wagner: Stimmt.

Schlingensief: Färbst du deine Haare?

Wagner: Klar habe ich meine Haare gefärbt, das sieht man doch an den Augenbrauen.

Schlingensief: Schön war ja deine Bemerkung, dass du auf deinen Modephotos so gestylt bist, damit man dich auf der Straße nicht erkennt.

Wagner: Es ist doch auch lästig, wenn man auf der Straße angeschaut wird.

Schlingensief: Sonst kennt man Dich ja nur von den Photos vor dem Festspielhaus bei der Eröffnung, auf denen ich dich nicht erkenne.

Wagner: Das ist doch klar, ich laufe privat nicht im Abendkleid rum und schminke mich nie. Da bin ich geschminkt, also kennt mich keiner mehr. Ich finde das voll praktisch.

Schlingensief: Kann es sein, dass dich diese Photos mal richtig ärgern werden? Ich ärgere mich sehr über Photos, die ich mal für die Deutsche Grammophon gemacht habe, wo ich in Lederklamotten aussehe wie Herbert von Karajan, der vor seinem Learjet in Salzburg steht.

Wagner: Nein, ich glaube nicht. Mich ärgern andere Bilder.

Klar habe ich meine Haare gefärbt, das sieht man doch an den Augenbrauen

Schlingensief: Welche?

Wagner: Im Urlaub mit Sonnenbrand.

Schlingensief: Das gibt's als Photo von Paparazzi gemacht?

Wagner: Nein, die bekommt niemand in die Hand.

Schlingensief: Ich habe ja nun gestern Deine Hauptprobe gesehen. Ich glaube, dass die Hans-Sachs-Fans dich lynchen werden. Dieser doch von denen so hochverehrte joviale, ausgeglichene, tolle Mensch, der das alles im Griff hat, wird einfach ...

Wagner: ... der ist - musikalisch gesehen - gar nicht jovial. Wer so einen Stuss als Ansprache singt, der ist kein ausgeglichener Mensch, der die Fäden in der Hand hält. Der hat eine Forderung, die einfach nur pervers ist. Gerade an dem Ort hier, oder?

Schlingensief: Ja, hier ist das noch mal eine Stufe brisanter. Die Szene ist wirklich ein peinlich irritierendes Bild, wo die Puppen tanzen, dann eine Nacktszene kommt und dann das Regieteam verbrannt wird. Das übrigens nur aus Männern bestand, da ist keine Frau zu sehen, wenn das Feuer ausbricht. In dieser Szene kommt das Gefühl in einem auf: Jetzt steh ich auf und mach den Gruß. Das hast Du wirklich gut hinbekommen. Was ich dagegen nicht verstanden hab, ist die Rolle von Stolzing. Ich habe hier in Bayreuth gehört, dass ich das sein soll. Aber er sieht eigentlich mehr aus wie Leander Haussmann. Trotzdem empfand ich das wie eine kleine Liebeserklärung oder eine Hommage, auch wenn ich nicht aussehe wie Leander Haussmann.

Wagner: Es gab eine ewige Diskussion um Stolzings Kostüm. Wobei dieser Typ ja vom Kostüm her total überstylt ist. Das bist du nicht.

Schlingensief: Blöderweise hatte ich gestern auch noch wie Stolzing weiße Turnschuhe an.

Das ist ein irritierendes Bild, wo die Puppen tanzen und das Regieteam verbrannt wird

Wagner: In gewisser Weise inszenieren wir uns ja auch selbst. Das tut Stolzing auch, da habe ich ja auch von dir gelernt. Aber die Klamotten, die du und ich im Alltag anhaben, die sind halt nicht bühnenwirksam. Dadurch, dass der so nach David Bowie aussieht, fällt er aus dem piefigen "Meister"-Rahmen raus. Im dritten Akt bekommt er dann ja auch diesen piefigen Anzug wie die anderen.

Schlingensief: Da sieht er aus wie Hansi Hinterseer.

Wagner: Klar, der Kommerz, er biedert sich an. Weil er sich seinen schicken Anzug in den ersten beiden Akten vollsaut, dachte ich, das ist Brechung genug. Oder meinst Du nicht?

Schlingensief: Ich hatte das Gefühl, dass das Bild des Künstlers da nicht stimmt. Der Künstler ist im Atelier und und läuft da nicht in diesen tollen Klamotten rum, um sie mit Farbe zu versauen. Das ist so ein Klischee des Künstlers. Da gehört eher die Adidas-Jacke von Jonathan Meese hin.

Wagner: Die Adidas-Jacke ist mir einfach zu wenig bühnenwirksam, deswegen der schöne Anzug und die Sauerei, die er damit veranstaltet. Mich hat dazu übrigens eine Szene mit dir inspiriert, die wir gemeinsam erlebt haben, als du hier in blonder Perücke auf die Bühne raus bist und dich mit grüner Farbe bespritzt hast. Stolzing ist der Künstler, der sich da bewirbt, in seinem Anzug, und dann geht ihm das alles so auf die Nerven, dass er sich beschmieren muss. Kunst kommt bei ihm von müssen, wie bei dir. Das kennst du doch, wenn du was loswerden musst. Dafür ist der Anzug ein Zeichen.

Schlingensief: Aber ich liege nicht in einem Klavier oder male Pril-blumen auf "Hitlerhände", so wie du den Stolzing charakterisierst. Du hast für deine Inszenierung merkwürdige, gegen den Strich gebürstete Bilder benutzt. Aber wir wollen ja offen reden. Manchmal dachte ich, dass diese Bilder nur für sich stehen. Es kommt eines, dann das nächste. Ich hätte es gut gefunden, wenn du manchmal ein Element aus einem Bild mit in das nächste rübergezogen hättest. So wie Ballast.

Wagner: Das sollte und das wird es auch.

Schlingensief: Ich bin ein Verfechter davon, dass das Festival einer von euch weiterleiten muss. Bayreuth wird nicht größer, wenn es der Familie Wagner nicht mehr gehört. Bayreuth ist der einzige Ort, wo eine solche Familientradition noch besteht. Aber das wird jetzt zur Diskussion gestellt. Wenn das nicht mehr der Fall ist, haben wir hier den Intendantencocktail mit Verdi und Bruckner. Außerdem bin ich der Meinung, dass es ein Junger machen soll. Ich finde es super, was Eva macht, ich finde wunderbar, was Nike sagt, manchmal aber mag ich es einfach lieber, wenn junge Leute in ein Projekt reinrasen. Und du hast mehr als einen Puffer, vor allem in Thielemann. Hast du eigentlich Angst, dass die Leute jetzt sagen: Frau Wagner Junior, da muss jetzt aber noch einiges gelernt werden.

Wagner: Nein, da ist keine Angst.

Schlingensief: Aber es steht viel auf dem Spiel. Oder nicht?

Wagner: Mir ist es egal, ich muss das Stück so erzählen. Ich mache das ja nicht, um mich anzubiedern. Das kennst Du doch genau.

Schlingensief: Die Leute werden behaupten, dass du ausschließlich provozieren willst, dass du einen Skandal willst.

Wagner: Ach, nein.

Schlingensief: Das werden sie machen. Das ist das Prinzip der Presse.

Wagner: Das glaube ich nicht. Die Konservativen werden sagen, das ist die reine Provokation.

Die Leute werden behaupten, dass du provozieren willst, dass du den Skandal willst

Schlingensief: Wird Nike Wagner nicht sagen, das ist nicht wirklich durchdacht, das sind Kindergartenideen?

Wagner: Ja klar, das wird es auch geben.

Schlingensief: Und wer wird es gut finden?

Wagner: Leute, die das Stück kennen. Und die bereit sind nachzudenken, und die nicht dämliche Konventionen haben. Das kennst du doch selbst am besten.

Schlingensief: Mein Vater ist dieses Jahr gestorben, wie du weißt. Da wurde mir bewusst, dass ich vieles nicht gemacht habe, weil es meine Eltern in Oberhausen verletzt hätte. Sie mussten in ihrer Umgebung ohnehin vieles aushalten. Wo kommt dein Mut her, das zu machen? Ist das ein innerer Zwang? Ein Versuch eine Grenze zu ziehen? Wenn du da so Sachen machst wie Wagner mit Pimmel, hast du da nicht das Gefühl, dass dein Vater darunter leiden könnte, was du da machst.

Wagner: Dann hätte er mich nicht engagiert, glaube ich. Dann hätte er auch dich nicht engagiert.

Schlingensief: Du weißt, was bei mir los war. Da haben schon kleinste Sachen ein Riesengezeter erzeugt.

Wagner: So ist er immer, so ist er auch bei mir. Aber letztlich weiß ich, dass er auch bei dir im Zuschauerraum sitzt und sagt, der Junge, der hat Phantasie. Er findet das anregend. Und bei mir regt er sich auch auf.

Schlingensief: Was machst du dann? Sitzt er dann unten drin und brüllt dich an? Oder wartet er, bis ihr zu Hause seid?

Wagner: Er sagt es teilweise schon sehr laut. Du kennst ihn ja. Weißt du, ich habe über alles nachgedacht, was ich mache. Dann sage ich zu ihm, ich mache das aus dem und dem Grund. Naja, wenn du meinst, dass es richtig ist, sagt er dann. Natürlich regt es ihn trotzdem auf. Ich glaube, es würde ihn echt aufregen, wenn er merkt, ich mache es, um zu provozieren.

Schlingensief: Das stimmt. Das Anschreien von ihm war zwar eine wirkliche Erschütterung bis ins Mark. "Machen Sie doch Ihre Scheiße alleine. Das interessiert mich nicht mehr. Sie haben künstlerische Freiheit." Das waren seine drei Sätze. Aber dann hatte er diese Neugierde und kam nach zehn Minuten wieder. Das fand ich das Größte, was passieren konnte. Gestern bei der Probe habe ich trotzdem gedacht, ist das jetzt geschmacklos gegenüber deinem Vater, weiß der das überhaupt?

Wagner: Letztlich ist es bei dir auch so. Ich fand seinen Satz ganz prägnant, als du die Kirche angemalt hast und zu ihm hin bist und gesagt hast, schauen Sie mal, Herr Wagner, das ist Kunst. Und er sagte: "Na, wenn Sie meinen." Ich glaube, so ähnlich ist das auch bei mir.

Wolfgang Wagner sitzt auch bei dir im Zuschauerraum und sagt: Der Junge hat Phantasie

Schlingensief: Das ist so ähnlich wie in meinem zweiten Jahr, wo er nach einer Viertelstunde der Proben gesagt hat, das ist noch schlechter als letztes Jahr. Und dann den ganzen Tag in der Probe saß.

Wagner: Klar, es interessiert ihn nämlich, was du machst.

Schlingensief: Wie kam das eigentlich, dass ich hierher gekommen bin? Darf ich das mal fragen?

Wagner: Klar. Er hat Listen von Leuten, die er gerne einladen würde. Da fragt er mich auch. Bei dir war er in Vorstellungen und sagte, ich könnte mir vorstellen, dass der was macht, das noch nie jemand auf eine Opernbühne gestellt hat. Ich fand deine Arbeit auch nicht schlecht, kannst du dir ja denken.

Schlingensief: Und wie kam ich zum "Parsifal"? Das ist ja ein Glücksfall für mich.

Du kommst total wohlerzogen rein, und mittendrin musst du dann Kunst machen

Wagner: Er überlegt sich, wer zu welchem Stück passt.

Schlingensief: Wir hatten abends beim Essen dann vor allem über Wohnmobile geredet. Dein Vater ist Wohnmobil-Fan. Deine Mutter sagte, dass sie die immer gehasst hat. Gestern habe ich eine halbe Stunde mit deinem Stolzing über Wohnmobile geredet. Der fährt ja so ein Riesending, 7,4 Tonnen und steht auch hier auf dem Campingplatz, wo wir gerade wohnen. Seid ihr denn auch mal zusammen in Urlaub im Wohnmobil gefahren. Deine Eltern und du?

Wagner: Ich glaube nicht, ich mag Wohnmobile nicht. Es gibt ja gewisse Leidenschaften von Menschen, da gehören bei mir Wohnmobile nicht dazu.

Schlingensief: Was hast du für Leidenschaften?

Wagner: Ich muss jeden Tag laufen, sonst werde ich krätzig.

Schlingensief: Wann hast du mit dem Laufen angefangen?

Wagner: Vor sechs Jahren. Ich mache jetzt seit sechs Jahren jeden Tag Sport.

Schlingensief: Daher muss auch kommen, dass du im ersten Jahr, als wir zusammengearbeitet haben, zwar schon powermäßig warst, es aber jetzt noch viel stärker bist. Man denkt, Wagner, da kommt so eine Mimose, aber das bist du ja überhaupt nicht. Du bist eher deftig.

Wagner: Ja, ich bin deftig. Es ist so.

Schlingensief: Wie würdest du mich beschreiben?

Wagner: Was ich bei dir so Wahnsinn finde: Du kommst rein und bist total wohlerzogen und mittendrin, wenn du irgendetwas siehst oder aufnimmst, musst du daraus etwas machen, musst du Kunst machen. Diese beiden Zustände, obwohl ich mich auch als Künstler definiere, kenne ich gar nicht. Das inspiriert und fasziniert mich total. Wo viele sagen würden, der hat doch eine Meise, wenn du dir eine Perücke aufsetzt und dir grüne Farbe draufhaust. Bloß hast du keine Meise.

Schlingensief: Deswegen war das wahrscheinlich vor drei Jahren auch so schwierig zu vermitteln, dass ich das nicht gemacht habe, um das Haus kaputt zu machen und zu provozieren. Die Härte, die hier herrschte, war wirklich extrem. Dieses Jahr ist da eine echte Veränderung. Aber vor drei Jahren war bei jeder Kleinigkeit schon wieder ein Fax für mich an der Rezeption in meinem Hotel. Das war dann sofort öffentlich, das wurde gelesen. Da hast du viel vermittelt.

Wagner: Das muss man miterleben. Wenn ich nicht gemerkt hätte, dass du diese Sachen machst, weil du es musst, hätte ich da nie vermittelt.

Schlingensief: Was sich auch extrem verändert hat, sind die Arbeitsmöglichkeiten auf der Bühne. Man konnte vieles gar nicht ausprobieren, meinetwegen das Licht mal zurückzufahren und auf der Bühne zu träumen. Man hatte schon bei der Bühnenorchesterprobe kaum eine Möglichkeit mehr, etwas zu ändern. Was in diesem Jahr für eine Flexibilität ist, ist schon erstaunlich.

Wagner: Da profitiere ich auch von dir. Weil du eine ganz andere Arbeitsweise hast, wie sie ein Opernhaus gewöhnt ist.

Schlingensief: Tut gut, das zu hören, das war ein ganz schöner Kampf. Auf beiden Seiten. Und nun wird es fast schon harmonisch hier. Die Leute verstehen es allmählich nicht mehr als Provokation. Und trotzdem begegnen mir immer wieder Leute, die darüber erstaunt sind, dass ich weiterhin an Opern interessiert bin. Das erstaunt mich wiederum. Ich finde, dass der Bilderorganismus des "Parsifal" zum Organismus der Musik doch seine Berechtigung hat.

Weißt du, die Damen sind ja nicht zimperlich in ihrer öffentlichen Wortwahl

Wagner: Natürlich. Der entscheidende Punkt ist dabei der folgende. Du hast einen verdammt intuitiven Zugriff, und das merkt man. Du hast nicht den Zugriff: Aha, da ist in der Partitur dieses Motiv, also muss das und das entstehen. Deine Sprache ist eine seltene Opernsprache. Nun besteht die Schwierigkeit darin, zum Teil ist das ja schon bei mir so, dass wir es hier mit Sängern zu tun haben. So ein Glück, wie wir hier beide haben, werden wir nicht so oft haben. Da habe ich Angst für dich, wenn du an ein Repertoirehaus gehst und Sänger hast, die keinen Spaß an deiner Arbeit haben, dass du dann extrem gehemmt wirst oder ausrastest. Aber du musst es weitertreiben. Man bekommt sonst nie so eine Bilderwelt in der Oper.

Schlingensief: Da wäre es doch richtig, wenn ich die Bilder zusammendenke und mir vorstelle, wie du mit deiner Halbschwester Bayreuth leitest. Eva Wagner-Pasquier ist doch eine Halbschwester von dir. Hast Du Kontakt mit ihr?

Wagner: Nein.

Schlingensief: Gab es jemals das Bedürfnis?

Wagner: Weißt du, es ist problematisch, die Damen sind ja nicht zimperlich in ihrer öffentlichen Wortwahl. Ich erwidere nie etwas darauf. Ich würde mich nicht verwehren, wenn sie auf mich zukämen. Aber bei der Wortwahl sind sie es, die auf mich zukommen müssten.

Schlingensief: Und dann gibt's was zu Essen. Was isst die Familie Wagner denn am liebsten, wenn man zu dritt zusammensitzt?

Wagner: Schweinebraten mit Klößen.

Protokoll: Peter Michalzik

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Dokument erstellt am 22.07.2007 um 17:52:05 Uhr
Letzte Änderung am 22.07.2007 um 19:20:42 Uhr
Erscheinungsdatum 23.07.2007

GESPRÄCH


Katharina Wagner, Opernregisseurin und Urenkelin von Richard Wagner, inszeniert das erste Mal in Bayreuth. Am Mittwoch haben ihre "Meistersinger von Nürnberg" Premiere. Die Aufführung wird – auch wegen der offenen Nachfolge für die Leitung der Bayreuther Festspiele, an der die 29-jährige Katharina interessiert ist – mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.


Christoph Schlingensief hat vor drei Jahren in Bayreuth den "Parsifal" inszeniert, damals eine sehr umstrittene Aufführung. Am Tag vor unserem Gespräch war Schlingensief in der Hauptprobe der "Meistersinger". Deswegen unterhalten sich die beiden Regiekollegen bereits vor der Premiere über diese Aufführung. Bei Schlingensiefs "Parsifal" war Katharina Wagner Regieassistentin. So ist es nicht erstaunlich, dass auch diese Aufführung in ihrem Gespräch eine wichtige Rolle spielt.

Unser Fotograf
Enrico Nawrath hat von Katharina Wagner aufsehenerregende Modephotos gemacht. Ihm fielen zuerst Schlingensiefs strubbelige Haare auf. Damit begann dann auch das Gespräch.