Morgenmagazin
24. April 2008

SCHWETZINGER FESTSPIELE. Start mit Opern-Kombination
Doppelte Entdeckung

Schwetzingen. Die "Schwetzinger Dramaturgie", die alljährlich eine zeitgenössische und eine neu zu entdeckende "alte" Oper vorsieht, wird 2008 erstmals in einem musikalisch und szenisch beziehungsreichen Doppelabend umgesetzt.

Im Mittelpunkt steht die Gestalt der Niobe, Königin von Theben, deren Hochmut durch den Tod ihrer Kinder bitter bestraft wird. Die Trauer lässt sie zu Stein erstarren. Aus diesem mythologischen Stoff schuf der Komponist Agostino Steffani eine handlungsreiche Oper, die - 1688 uraufgeführt - von Täuschungen, Intrigen und bitterer Verzweiflung, von Höhenflügen und menschlichen Abgründen, von Tapferkeit und Liebe erzählt und alle Register barocker Bühnenkunst zieht.

Die 300 Jahre nach Steffani geborene Adriana Hölszky zählt zu den führenden Komponistinnen der Gegenwart. Mit ihrer a-cappella-Komposition "Niobe II" richtet sie ihrerseits den Blick zurück ins 17. Jahrhundert. Stets auf der Suche nach innovativen Ausdrucksformen und Klängen, setzt sich Hölszky in ihrem neuesten Bühnenwerk auch kompositorisch mit dem Barock auseinander, indem sie charakteristische Gestaltungsideen in ihre heutige Sprache überträgt: "HYBRIS/Niobe / Niobe, Regina di Tebe". EW

 

Schwetzinger Zeitung
25. April 2008

57. Schwetzinger Festspiele: Über 200 Künstler aus 20 Ländern geben sich ab heute ein Stelldichein / Im Gespräch mit Peter Stieber von der Geschäftsleitung
Vorhang auf, das große Spiel kann beginnen
Von unserem Redaktionsmitglied Birger Weinmann

Es ist wieder soweit: Im einzigartigen Ambiente von Schloss und Park laden die Schwetzinger Festspiele ab heute zur 57. Festspielsaison ein und versprechen ein abwechslungsreiches Programm von höchster Qualität. Zwischen dem 25. April und 10. Juni bieten die Opern- und Konzertveranstaltungen ein abwechslungsreiches Programm von höchster Qualität. Mehr als 200 Künstler aus 20 Ländern präsentieren im Rokokotheater, in den Zirkelsälen, in der Orangerie und zum ersten Male im Lapidarium in Schloss und Garten sowie im Dom zu Speyer Kompositionen aus sieben Jahrhunderten Musikgeschichte.

"Prickelnde Nervosität"

Wenn sich heute Abend im Beisein des rheinland-pfälzischen Kulturstaatssekretärs Prof. Dr. Hofmann-Göttig und SWR-Intendant Peter Boudgoust der Vorhang zur Oper "Hybris / Niobe" hebt, dann weicht auch bei Peter Stieber etwas die Anspannung. Von einer "prickelnden und produktiven Nervosität" spricht der Geschäftsführer und Leiter des Konzertbereichs, wenn er wenige Stunden vor dem großen Ereignis nach seinem Gemütszustand gefragt wird.

Seit 1996 in der Verantwortung

Dabei kann den großgewachsenen Rundfunkmann mit der markant hohen Stirn wahrlich nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Der gebürtige Salzburger und überzeugte Münchner erlebte zwar mit seinem Studium in Berlin einen preußischen "Ausrutscher", nichtsdestotrotz haftet ihm der besondere Charme des Bayern an. Und der stand ihm in seiner langjährigen Tätigkeit mit und für die Schwetzinger Festspiele schon des Öfteren hilfreich zur Seite.

Peter Stieber sind die Schwetzinger Festspiele seit seinem Eintritt als Redakteur im damaligen Stuttgarter SDR-Funkhaus im Jahre 1982 vertraut, ehe er ab 1996 in die Verantwortung für das große Kulturereignis genommen wurde. Als künstlerischer Leiter ist es heuer für ihn bereits die zwölfte, in der Geschäftsführung die zehnte Festspielsaison.

Peter Stieber kennt das Geschäft aus dem Effeff. Neidlos erkennt er seinem für den Opernbereich zuständigen Kollegen Prof. Dr. Peter Kehr zu, dass die Opern mit rund 1,2 Millionen Euro den Löwenanteil vom Gesamtbudget in Höhe von 2,3 Millionen Euro verschlingen. Finanziert wird der Spaß zu 35 Prozent durch den Südwestrundfunk, zehn Prozent steuert das Land zu, fünf Prozent macht die Stadt Schwetzingen locker. Die anderen 50 Prozent müssen Jahr für Jahr erwirtschaftet werden. Gerechnet wird mit knapp 30 Prozent durch Eintrittsgelder, für gut 20 Prozent kommen Freunde, Gönner und Sponsoren auf.

Kampf um Künstlergagen

"Natürlich gibt es in jedem Jahr einen Kampf um die Künstlergagen", räumt Stieber ein. Genauso klar aber auch seine Aussage: "Wir können nicht jeder Forderung nachgeben". Preistreiber seien oftmals die vermittelnden Agenturen. Wiewohl natürlich auch der Druck durch die ständig steigende Zahl von Veranstaltern und Veranstaltungen wächst. Doch das ist wieder ein ambivalentes Problem, wie Stieber unumwunden einräumt: "Denn Wettbewerb belebt schließlich das Geschäft und Kultur kann es nie genug geben".

 

il giornale della musica
0408

CONFRONTI Steffani vs Hölszky a Schwetzingen
La doppia storia di Niobe, regina arrogante
Due opere senza legami diretti, ma in qualche modo "comunicanti"

Adriana HölszkyDa anni, accanto ad un nutrito programma di musica antica e da camera, il Festival di Schwetzingen mette a confronto barocco e contemporaneo in due produzioni operistiche. L’unica produzione dell’edizione 2008 propone dunque nella stessa serata due lavori ispirati al mito di Niobe, arrogante regina e fertile madre di dodici figli, vittime dell’ira di Latona: la Niobe, Regina di Tebe di Agostino Steffani e la prima assoluta di Hybris/Niobe, dramma per voci della compositrice di origine rumena Adriana Hölszky.

Composta nel 1688 per Monaco, dove Steffani fu musicista di corte, la Niobe potrà contare sulla direzione musicale dall’esperto barocchista Thomas Hengelbrock alla guida del suo Balthasar Neumann Ensemble. Il direttore tedesco collabora da anni con Schwetzingen, cui, dal 1995, riserva il recupero di capolavori del barocco come La Didone di Cavalli, Telemaco e Mitridate Eupatore di Scarlatti, La divisione del mondo fino al Giustino di Legrenzi presentato al Festival 2007. Sulle ragioni del suo interesse per questo repertorio desueto, Hengelbrock ci dice: "Un’occhiata ai programmi operistici attuali rivela una lacuna sbalorditiva. Dopo la Poppea

di Monteverdi del 1643 si passa all’Agrippina del 1708: oltre 50 anni di storia dell’opera sono sconosciuti al pubblico e anche a parecchi musicologi. Quando anni fa mi sono trovato fra le mani La divisione del mondo a Parigi, non potevo crederci: questa musica aveva davvero qualcosa di diverso rispetto a quello che si conosceva fino ad allora ed il suo valore era tale che si doveva semplicemente far conoscere al pubblico. Quanto sia avvincente e accessibile la musica del tardo XVII secolo per il pubblico moderno lo abbiamo visto lo scorso anno con Il Giustino".

Dopo i veneziani Lotti e Legrenzi, l’approdo a Steffani sembra quasi naturale per la ricerca musicologica ed esecutiva di Hengelbrock, che ha curato anche la revisione della partitura: "Steffani proveniva dell’ambiente veneziano e ne conosceva bene il linguaggio musicale. A Monaco l’interesse per la musica italiana era molto elevato ma anche la musica francese ebbe un influsso crescente alla corte di Massimiliano Emanuele II. Steffani visitò diverse volte Lully a Parigi e, ben prima di Telemann, riuscì a combinare le nuove conquiste della musica italiana e francese in maniera molto originale".

Sulla modernità dell’opera di Steffani, Hengelbrock dimostra pochi dubbi: "Arroganza e alterigia, due temi importanti nella Niobe, non sembrano materia del tardo barocco, ma si ritrovano piuttosto nella sezione economica di un quotidiano. Con Steffani, però, non siamo nello stereotipo ma nello stile dell’opera da camera: il tratto dei personaggi è molto individuale, un aspetto che rende l’opera tremendamente interessante per la scena d’opera moderna".

Il legame con la modernità si materializza anche nella scelta di far precedere l’opera di Steffani da una nuova composizione di Adriana Hölsky, che però nega qualsiasi legame diretto con l’opera di Steffani: "I legami con la Niobe di Steffani, di cui conosco solo il libretto di Orlandi, sono solo indiretti. Il libretto della mia Hybris/Niobe, scritto da Yona Kim, è costruito su frammenti delle Metamorfosi di Ovidio, da Shakespeare e da Die Landplagen di Jakob Lenz. La mia Niobe si esprime con un linguaggio completamente diverso: è un teatro di voci, una composizione a cappella per coro e solisti. Il mio lavoro non è descrittivo come quello di Steffani, ma molto essenziale, costruito su frasi brevi, anche se del barocco ho ripreso il trompe l’oeil, il gioco imitativo dei coristi, che simulano l’orchestra con le voci e con il corpo. Anche gli spazi sonori sono diversi: Steffani andrà in scena nel Rokokotheater, mentre nel mio lavoro il coro, attorno al pubblico, definirà lo spazio dell’ascolto e darà spazialità al suono".

La doppia Niobe aprirà a Schwetzingen il prossimo 25 aprile con repliche il 27, 30 aprile, 1 e 3 maggio. http://www.schwetzinger-festspiele.de

Stefano Nardelli

 

Schwetzinger Zeitung
26. April 2008

57. Schwetzinger Festspiele: Verantwortliche bekennen sich kurz vor der Premiere nachdrücklich zu dem großen Kulturereignis
Startschuss für die erste Festival-Edition

Von unserer Mitarbeiterin Sibylle M. Derr


Lukas Hemleb, Klaus-Peter Kehr, Intendant Peter Boudgoust, Bernhard Hermann, Peter Stieber und Michael Sieber (v. l.) machen sich für die Festspiele stark.
Bild: Lenhardt

Eine Festival-CD ist das Novum bei den 57. Schwetzinger Festspielen. "Damit haben wir uns einen lange gehegten Wunsch erfüllt", freute sich Bernhard Hermann, dem die Leitung des größten Radioklassikfestivals der Welt obliegt, bei der Eröffnungspressekonferenz gestern Nachmittag.

Von großem kulturellen Wert

Zwar bringe eine solche Produktion heute nicht mehr viel Geld ein, meinte SWR-Intendant Peter Boudgoust, doch sei sie von großem kulturellem Wert. Die Edition "Schwetzinger Festspiele" kommt rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft heraus.

Die Schwetzinger Festspiele 2008 starten in die neue Saison mit fünf Doppelabenden großen Musiktheaters, 39 Konzerten und neun thematischen Projekten. Es beschert den Klassikliebhabern 100 kostbare Stunden, davon alleine 90 Radio- und zehn Fernsehstunden. Weltweit werden 50 Millionen Menschen in seinen Genuss kommen. Daran maßgeblich beteiligt ist nicht nur der Südwestrundfunk als unverzichtbare Säule, sondern auch die Europäische Fernsehunion als wichtiger Kooperationspartner. 600 Mal werden die Schwetzinger Festspiele 2008 in die Welt ausgestrahlt.

"Die Festspiele sind keine museale Einrichtung", so Hermann und müssten sich Jahr für Jahr wieder unter Beweis stellen. Diesen Anspruch erfüllen Neuentdeckungen wie Agostino Steffanis Barockoper "Niobe, Regina de Tebe".

"Wir sind kein Begräbnisinstitut. Wir graben nichts ein und nichts aus, sondern entdecken neu", stellte der künstlerische Leiter des Musiktheaters, Prof. Klaus-Peter Kehr augenzwinkernd fest.

"Das Besondere an dieser Oper ist, dass sie eine alt überlieferte Geschichte in eine komplexe Intrige einbettet", erläuterte der Regisseur Lukas Hemleb. Beeindruckt ist er von dem Raumgefühl, das die sehr tiefe Bühne des Rokokotheaters erzeugt.

Drei Abende für die Bratsche

Auf neue Sicht-, Denk- und Hörweisen setzt der Geschäftsführer der Schwetzinger Festspiele und künstlerische Leiter des Konzertprogramms Peter Stieber. Das diesjährige Komponistenportrait ist dem Stuttgarter Helmut Lachenmann gewidmet.

Ein Stiefkind unter den Instrumenten ist die Bratsche. Dieses Jahr steht sie an drei Abenden im Mittelpunkt. Gastland bei der Woche der Begegnung ist dieses Jahr die USA, die auch im Zyklus "Aus der Neuen Welt" zur ihrem Recht kommt.

 

Schwetzinger Zeitung
25. April 2008

Interview: Prof. Dr. Klaus-Peter Kehr, der Schwetzingen verlässt, blickt zurück und schaut nach vorn
"Wunderbare Jahre mit vielen Höhepunkten"

Von unserem Redaktionsmitglied Stefan M. Dettlinger

Klaus-Peter KehrEin Doppelabend im Rokokotheater beschließt eine ganze Ära: Klaus-Peter Kehr, seit 1996 für Opernproduktionen der Festspiele zuständig, scheidet nach 13 Jahren aus. Verfolgte Kehr immer mit zwei Werken an zwei Abenden Altes und Neues, so tut er es mit "Hybris/Niobe" und "Niobe, Regina di Tebe" am heutigen Freitag. Wir sprachen mit dem Mann, der hauptberuflich Mannheims Operndirektor ist.

Sie hören nach 13 Jahren als künstlerischer Leiter des Festspiel-Musiktheaters auf. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?

Klaus-Peter Kehr: Es waren wunderbare Jahre mit all den Schwierigkeiten, die es immer gibt. Die Ergebnisse waren von Aufs und Abs geprägt. Aber es gab, und das ist das eigentliche Wunder, mehr Aufs als Abs.

Wo sehen Sie den künstlerischen Höhepunkt Ihres Wirkens?

Kehr: Es gab viele Höhepunkte - die Arbeiten mit Achim Freyer, die vielen wundervollen Neuentdeckungen der Kompositionen von Francesco Cavalli, Alessandro Scarlatti, Giovanni Legrenzi, Agostino Steffani. Die neuen Kompositionen von Salvatore Sciarrino, Adriana Hölszky, Bernhard Lang zum Beispiel.

Sie sind bei der Programmatik der "Schwetzinger Dramaturgie" immer einem dualen System gefolgt. Alt und Neu. Inwieweit haben Sie Ihr Ziel erreicht, das Publikum für eine neue Ästhetik zu gewinnen?

Kehr: Am Anfang gab es für weniger bekannte Komponisten, sowohl für die alten als auch für die neuen, wenig Zuspruch. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Jetzt sind auch die unbekannten Opern nach wenigen Wochen schon ausverkauft.

Auffällig an den rund 13 Uraufführungen, die Sie verantwortet haben, ist ja die Häufung von drei Werken Sciarrinos. Was fasziniert Sie so an seinem Musiktheater?

Kehr: Salvatore Sciarrino ist einer der ganz wenigen lebenden Komponisten, der eine genuin musiktheatralische Klangfarbe schreibt, die mich sehr fasziniert. Er hat in den drei Opern, die er für Schwetzingen geschrieben hat, einen eigenen faszinierenden Gesangsstil entwickelt, der alt und neu zugleich und in hohem Maße emotional ist.

In diesem Jahr bringen Sie so etwas wie Ihr dramaturgisches Opus summum auf die Bühne. Das Alte und das Neue - verschmelzen die beiden, oder stehen sie berührungslos nebeneinander?

Kehr: Beide haben dasselbe Thema: Hybris und setzen sich aus unterschiedlichen Perspektiven damit auseinander. Es war für mich spannend zu erleben, wie neue Musik andere Ausdrucksformen dafür findet und dabei doch auf die barocke Schwester Bezug nimmt. Das neue Stück von Adriana Hölszky und Yona Kim schlägt einen Bogen zurück zu den Vorformen der Oper, den Madrigalen.

Warum scheiden Sie aus?

Kehr: Weil ich es so wollte. Nach 13 Jahren muss man sich einfach neuen Herausforderungen stellen.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie?

Kehr: Mit Stolz. Ich bin stolz auf diese 13 Jahre und glücklich über die vielen Begegnungen mit wunderbaren Künstlern. Aber auch mit Erleichterung, dass ich mich nun mehr dem Mannheimer Nationaltheater widmen kann.

Ihr Nachfolger, Georges Delnon, folgt einer ähnlichen Schule. Ein radikaler Bruch ist nicht zu erwarten. Ist das der richtige Weg?

Kehr: Man kann anders sein, ohne ganz anders zu sein. Wir sind unterschiedliche Personen, und deshalb wird eine möglicherweise ähnliche Herangehensweise bei Delnon zu ganz anderen Ergebnissen führen.

Trotzdem ist mit Delnon ein Akzent auf Kontinuität gesetzt.

Kehr: Kontinuität muss nicht falsch sein.