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Schwetzigen, im Dezember

Olympioniken mit goldenem Lendenschurz
Die deutsche Erstaufführung von Antonio Vivaldis "L'Olimpiade" am Theater Schwetzingen


Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiss gesetzt

Manchmal mahlen die Mühlen der Musikgeschichte langsam: Erst 1939 wurde "L'Olimpiade" nach ihrer Uraufführung in Venedig 1734 wieder präsentiert - als erste der anderthalb Dutzend verschollen geglaubter Opern-Partituren Antonio Vivaldis, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts auf einem Dachboden eines Klosters und in einer chaotischen Privatbibliothek in Turin aufgefundenen wurden.

Ein halbes Jahrhundert dauerte es dann, bis René Clemencic eine Gesamtaufnahme wagte, seltene Aufführungen in Italien - etwa 1997 in Cosenza mit der jungen Vivica Genaux - gingen der exemplarischen und ungekürzten Einspielung unter Leitung von Rinaldo Alessandrini im Jahr 2002 (Naïve) voraus. 2005 kam es unter Alessandro de Marchi zur französischen Erstaufführung und nun endlich - beim "Winter in Schwetzingen" - zur ersten Aufführung in Deutschland.

Kein großes Haus wie München oder Hamburg, die so stolz sind auf ihre zahlreichen Händel-Projekte, sondern das kleine Stadttheater Heidelberg stemmte nach der Wiederaufführung von Vivaldis "Motezuma" im letzten Jahr jetzt "L'Olimpiade" im putzigen Rokokotheater von Schloss Schwetzingen.

Vivaldis wunderbar verrückte, virtuos farbige, manchmal geradezu wilde, dann wieder traumverlorene Musik spielten Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Heidelberg, die auf Originalklang getrimmt waren; zwei hervorragende Musiker eingeschlossen, die auf Naturhörnern bliesen, und zweier Spezialisten: dem Theorbe-Spieler Julian Behr und dem phantasievoll souveränen Cembalisten Marc Meisel. Wer mitverfolgt hat, wie lange es dauerte, bis etwa das Bayerische Staatsorchester auf authentischen Händel eingeschworen war, kann die Leistung der hier agierenden knapp zwanzig Mitglieder des weit geringer dotierten Philharmonischen Orchesters Heidelberg nicht hoch genug schätzen. Wenn der eine oder andere Einsatz bei der Premiere nicht perfekt synchron gelangen, dann ist das unerheblich gegenüber der Verve, der sehnigen Gespanntheit, der prallen Lust, mit der ansonsten unter Michael Form in der nur geringfügig gekürzten Aufführung musiziert wurde.


Fotos: Theater Heidelberg/Stephan Walzl

Durchwachsener war da schon die Leistung des jungen Sängerensembles, das nicht nur mit Verzierungen in der Wiederholung der A-Teile der Da-Capo- Arien enorm gefordert war: Vor allem die Mezzosopranistin Jana Kurucová konnte allerdings auf ganzer Linie beglücken - mit einem schillernden Timbre und Gestaltungskunst in der Hosenrolle des Megacle, der für seinen Freund Licida bei den Olympischen Spielen das geliebte Mädchen als Trophäe erringen soll und dabei unwissentlich die eigene Freundin verrät. Fast ebenso überzeugend: Rosa Dominguez als seine Aristea. Auch der - als indisponiert angesagte - Sebastian Geyer setzte seinen agilen, schönen Bariton als Clistene, dem Vater Aristeas, gut ein. Countertenor Alexander Schneider ist kein männlicher Altist der Extraklasse (den könnte sich Heidelberg auch nicht leisten), aber er besitzt eine schöne Tiefe. Allerdings singt er oftmals mit zuviel Druck, was einen runden, schönen Klang beschädigt. (Dass aber nach seiner zweiten Arie ein Zwischenrufer Schmerzensgeld einforderte, war geradezu ein Akt von Vandalismus, der zu Aufruhr im Theater, der ironisch verbitterten Antwort des Dirigenten: "Das ist interaktives Theater!" und einem umso heftigeren Einsatz des folgenden Rezitativs führte.)

Werner Pichler hatte relativ kurzfristig die Regie übernommen, sah sich mit vielen Krankenständen im Ensemble konfrontiert und konnte wohl seine Vorstellung nicht immer im Detail umsetzten. Sein Konzept war interessant, wollte er doch die antiken Kämpfer mit Sportlern im Jahr 2007 konfrontieren: Manchmal war dieser Zeitsprung schlüssig, etwa wenn Boxer von heute einen Akteur als Furien peinigen. Nicht ohne Witz wurde die Umkleide junger Muskelprotze auf offener Bühne inszeniert. Fast nackte Olympioniken erstarrten im goldenen Lendenschurz zu Statuen - und mussten sich immer mal wieder genervt die Muskeln lockerten. Lilia Milek wechselte als Amintas, dem Onkel Licidas? als Drahtzieher des Ganzen mit dem Geschlecht auch immer zwischen Antike und Neuzeit.

Spannend ist die Personenregie gleichwohl kaum zu nennen, und sie erzählte auch wenig über die Beziehung der Figuren zu einander. Nicht hilfreich war außerdem das Bühnenbild von Klaus Teepe, der zwar versuchte, barocke Muster zu adaptieren, aber mit seiner kargen "Drehprismen-Bühne" und allerlei buntem Tücher-Zauber arg belanglos blieb.

Klaus Kalchschmid

 

Badische Zeitung
10.12.07

Der Sieger nimmt alles
Antonio Vivaldis Oper „Die Olympiade" zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt

Von Thomas Rothkegel

Kaum zu fassen: Das Werk war noch nie in Deutschland zu erleben. So gebührt dem Theater der Stadt Heidelberg das Verdienst, Vivaldis Sportoper dem Vergessen entrissen zu haben. Zum zweiten Mal gastiert das Theater mit einem aufsehenerregenden Programm im Schwetzinger Schloss. Die Sommerresidenz der pfälzischen Kurfürsten erhält eine weitere Saison: „Winter in Schwetzingen" nennt man die Sache. Elf Aufführungen von Vivaldis „Olympiade" und ein Konzertprogramm mit hochkarätigen Spezialisten für Alte Musik versprechen barocke Hochgenüsse.

Das Philharmonische Orchester der Stadt Heidelberg hat mit Michael Form einen ausgewiesenen Experten in Sachen Alter Musik als Dirigenten verpflichtet. Neunzehn Musiker hat er im Graben versammelt, die mit weitgehend altem Instrumentarium italienische Barockmusik absolut stilsicher spielen mit schnellen Tempo- und Dynamikwechseln und rasanten Läufen. Ein federnd leichter Swing kommt aus dem Graben, der dann sich plötzlich düster eintrübt, wenn Megakles seiner Geliebten mitteilen muss, dass sie nicht glücklich werden können. Streicher mit Dämpfern sowie sauber und wie getupft spielende Naturhörner begleiten bei der Arie des Lycidas, in der er seinen traurigen Freund in den Schlaf singt.

Das Heidelberger Theater hat seit dem Amtsantritt des jungen Generalmusikdirektors Cornelius Meister und des Operndirektors Bernd Feuchtner ein vorzügliches Sängerensemble zusammengestellt, das mit ein Garant dafür ist, dass die Heidelberger Oper einen echten Lauf hat. Ein musikalisch hoch erfreulicher Abend.

 

Die Rheinpfalz
10.12.07

Fitness-Studio im antiken Olympia
Vivaldis Oper „L’Olimpiade" im Schwetzinger Rokokotheater

Von Frank Pommer

Eine wunderbare Jana Kurucová in der Rolle des Megakles, eine die vermeintliche Nebenpartie des Aminthas stimmlich wie darstellerisch zur Hauptfigur umgestaltende Lilia Milek. Auch Sebastian Geyer schlug sich ebenso tapfer wie die keck auftrumpfende Rosa Domínguez (Aristea). Ein kleines Theaterwunder ist der Barockklang, den ein Stadttheater-Orchester wie das Heidelberger zu erzeugen vermag. Wohl gemerkt: Das sind keine Spezialisten, diese Musiker müssen heute Puccini, morgen Mozart spielen.

 

Rhein-Neckar-Zeitung
10.12.07

Wenig Bewegung im Sportlercamp
„Winter in Schwetzingen": Heidelberger Produktion von Vivaldis Oper „L’Olimpiade" im Rokokotheater überzeugt vor allem musikalisch

Von Matthias Roth

Was Adam Fischer mit Mozart in Mannheim oft nur unzureichend realisieren konnte – das „Musikerkarussell" in der Probenphase war nicht zu bremsen – hat nun in Heidelberg mit Vivaldi tatsächlich eine Chance. Ein kleiner Trupp der Philharmoniker hat Gelegenheit, sich unter Anleitung von Fachleuten und ohne Ablenkung mit barocken Geigenbögen, Strichtechniken und Artikulationen sowie Naturhörnern über längere Zeit ausgiebig zu beschäftigen. Das hört man. Unter der musikalischen Leitung von Michael Form zeigen sich die instrumentalen Olympioniken bestens trainiert und medaillenverdächtig gut in Schuss. Man hat begriffen, um was es geht.

Im minimalistischen Bühnenbild von Klaus Teepe, das mit bunten Tüchern mehr Verwandlung erreicht als durch die flexiblen, aber kaum zu unterscheidenden Stellwände, erscheint die auf wenige Ideen reduzierte Inszenierung von Werner Pichler letztlich kaum adäquat barock (Kostüme: Frank Bloching).

Von hohem Format zeigte sich in der Sängerriege vor allem Jana Kurucová als Megakles, die mit vokalem Glanz und bebender Leidenschaft ihre Rolle gestaltete. Rosa Domínguez’ Aristea, die als Preis dem Sieger der Wettkämpfe gehören soll, Maraile Lichdi als Hirtin Argene und Lilia Mileks Aminthas sind stimmlich ebenfalls ausgezeichnet, und die Sängerinnen schmücken koloraturensicher alle Dacapos mit bravourösen Verzierungen. Die oft atemberaubende Virtuosität der Musik meistern sie mit großem Können und vokaler Leichtigkeit. Besonders bemerkenswert sind bei dieser Heidelberger Produktion die sängerische Einstudierung sowie die Begleitung der Rezitative durch den Cembalisten Marc Meisel und Julian Behr (Theorbe). Das zeigt deutlich: Man ist auf dem richtigen Weg.

 

www.Opernnetz.de
10. Januar 2008

Sportliche Assoziationen

Vivaldis L’Olimpiade ist das Highlight des Barockfestivals des Theaters Heidelberg im Rokoko-Theater Schwetzingen . Und so kann es nicht ausbleiben, dass den Machern der Gaul mit dem Sport durchgeht – es gibt natürlich kein „sportliches Barock" in der Musik, es gab zu Händels Zeiten keine Olympischen Spiele, es gab keine Millionäre in Turnhosen, es gab Doping höchstens in Form von Trunkenheit bei den dörflichen Ball-Kämpfen in England oder Italien. Aber es gibt Barock-Kompositionen, die sich mit einiger Lust am Skurrilen – und eben im Kontext der „Olimpiade" – sportlich assoziieren lassen (allerdings ließe sie sich so auch mit Krimis oder Politik verfahren).

Nun denn – Wolfgang Katschner moderiert sehr zurückhaltend, verweist eher beiläufig auf Eitelkeiten von Dressurreiterinnen, Erschöpfung von Schachspielern, dem Martialischen von Mannschafts-Einmärschen, der Freude bei Siegesfeiern, verfällt Gott sei Dank nicht in die Reporter-Attitüde, Alcina wird nicht zu Segel-Regatta-Reportage, es werden keine falschen Beziehungen hergestellt.

Katschners Lautten Compagney spielt mit der bewährten Kombination von Streichern und Continuo; die perfekt-engagierten MusikerInnen intonieren bravourös, mit kalkulierten Facetten und gezügeltem Temperament – lassen sich vom sportlich-rekordverdächtigen Thema nicht aus der antrainierten Strategie bringen, gewinnen erst auf der Zielgeraden „Siegeswillen" und finden Kontakt zu ihren „Konkurrenten". Vivaldis Concerto g-Moll und Telemanns B-Dur-Ouvertüre sind perfekt vorgetragene Piècen barocker Musikentfaltung – bleiben aber im sportlichen Kontext Aufwärmübungen, es fehlt das Glühen des Endspiels.

Dem sympathisch-strömenden Altus Alexander Schneiders bleibt mit wunderschönen Arien von Händel und Vivaldi die sportliche Rolle des harmonischen passaggio-sicheren „Hoffnungsträgers". Die brillant-vibratofrei phrasierende Jana Kurucova wird mit ihrer jugendlich-erotischen Ausstrahlung und einem Feuerwerk an Trillern, Läufen und Koloraturen, emotionaler Intensität und organischer Dynamik zum „Publikumsliebling". Doch für den letztendlichen „Sieg" ist das traumhaft sichere Zusammenspiel der Solisten ein Garant, und zum „Mannschaftsspiel" wird der Barock-Abend durch die erwachende Leidenschaft des „Kollektivs": So wie im Finale mit Händels Cesare hätte man sich das „Team" während der ganzen „90 Minuten" gewünscht. In der Sportler-Sprache: „Hauptsache gewonnen."

Und so wie bei einem nicht-entscheidenden „Freundschaftsspiel" reagiert das anwesende Publikum im nicht ausverkauften „Stadion" – kenntnisreich, mit einigen deplazierten Unkundigen, aber auch ohne vibrierende Leidenschaft, mit verhalten-akzeptablem Applaus für die Stars des Vereins. Die Manager sollten ein neues Konzept entwickeln. (frs)

nnnnn Musik
nnnnn Gesang
nnnnn Regie
nnnnn Bühne
nnnnn Publikum
nnnnn Chat-Faktor