OFFENBACH POST
4. April 2008

Opern-Drama aus dem Stand
Starke Sänger bei Verdis "Otello"

Wenn Paolo Carignani Verdi dirigiert, ist Italianata angesagt. So gedieh auch der "Otello" konzertant in der Alten Oper zum Fest der Stimmen. Mit dem Titelhelden Johan Botha an der Spitze, einem die Tragödie intensiv kommentierenden Opernchor und einem Museumsorchester, das in blendender Form aufspielte. Gleichwohl wurde offenbar, wie problematisch es ist, ein Operndrama um tödliche Eifersucht aus dem Stand zu absolvieren. Halbszenische Peinlichkeiten verhinderte indes der konsequent psychologisch durchwirkte Gesang.

Dazu bedarf es einer klanglichen Hingabe, wie sie Carignani vom ersten Takt an vehement fordert. Schon in der Gewitterszene knallt es so intensiv aus dem Orchester, das die verängstigten Chormassen nahezu zugedeckt werden, ein bewusster Kunstgriff, der das Bildhafte betont. Frankfurts Generalmusikdirektor setzt auf angerauten, rabenschwarzen, auch aschfahlen die Blechbläser strapazierenden Orchesterklang, der den Expressionismus vorwegnimmt. Im starken Kontrast hierzu steht die andere Verdi-Welt, die der lyrischen Streicher- und Harfentöne, wenn sich die Stimmen der Liebenden im Pianissimo umschlingen, die Holzbläser bei Desdemonas Lied von der Weide den schmerzlichen Abschied von der Welt feinfühlig programmieren oder am Ende das Liebesmotiv zart verlöscht. Und Carignani schärft auch jenes nervig plappernde Parlando an, wenn der Intrigant Jago die vermeintliche Untreue Desdemonas Otello schier liebedienerisch anträgt.

Ein Einspringer wird da zur Entdeckung: Marco Vratogna (statt des erkrankten Zelijko Lucic) gelingt das Umschalten zwischen Schmeichelei und Bekenntnis zum Bösen stimmlich ideal, ein Bariton mit Engelszungen, aber auch von teuflischem Format.

Obwohl er mit Otello kein leichtes Spiel hat, dem vom Balkon aus die Wogen glättenden Herrscher. Johan Bothas Tenor ist eine Macht, leidenschaftlich in den starken, mühelos platzierten Spitzentönen und empfindsam im stets klangrunden Pianissimo. Eine Stimme, die alle Lagenwechsel überwindet, sämtliche Phasen der Eifersucht und leidvoller Erkenntnis glaubwürdig durchlebt.

Ihm zur Seite steht Annalisa Raspagliosi, die als Desdemona ein großartiges Rollendebüt gibt. Mit einem Sopran der die psychischen Engpässe ebenso tief empfindet, wie er im Gebet anzurühren versteht. Bei den von Jago Missbrauchten wie dem lyrischen Tenor Daniel Behle (Cassio), dem Bass Magnus Baldvinsson als Gesandter, dem Tenor Peter Marsh als Rodrigo und Franz Mayer (Bass) als Montano, allesamt bewährte Frankfurter Opernkräfte, ragt Claudia Mahnke als Jagos Gattin mit dramatisch elastischen Sopran hervor. Statt an die Tür klopft sie final ans Notenpult. Dann wird die konzertante Situation wieder bewusst. Bleibt das Prinzip Hoffnung. Auf eine "Otello" -Neuinszenierung an der Oper. Natürlich mit Johann Botha.

KLAUS ACKERMANN

 

Frankfurter Neue Presse
04.04.2008

Der Dämon steckt in uns allen
Mit der konzertanten Aufführung des „Otello" in der Alten Oper Frankfurt bewies Paolo Carignani einmal mehr seine Qualitäten als Verdi-Dirigent.

Von Michael Dellith

Was für ein Anfang! Grelle Dissonanzen, peitschende Glissandi, sogar in den Posaunen – mit solch schaurigen Tönen und Geräuschen bricht Verdis „Otello" über die Zuhörer herein. Und damit ist nicht nur das grausame Unwetter gemeint, mit dem die Oper beginnt. Die apokalyptischen Klänge, die so sehr an das „Dies irae" aus Verdis Requiem erinnern, sind mehr als tonmalerische Naturschilderungen. Sie deuten auf die hochdramatische Handlung aus Neid, Hass, Mord und Eifersucht hin, auf die beiden schicksalhaft verbundenen Protagonisten, den Intriganten Jago und den Machtmenschen Otello, zwei Seelen einer Brust, wie uns Verdi sagen will. Denn: Der Dämon des Bösen steckt in jedem von uns.

Carignani und das fabelhaft aufgelegte Museumsorchester hielten die Musik über drei Stunden unter Hochspannung, ließen die Partitur dieses finsteren Opernkrimis in all ihren Ausdrucksfarben leuchten, fanden bei aller Wucht aber auch die Ruhe und den Atem für die wenigen Momente des Innehaltens. Unter vokalen Gesichtspunkten ist der „Otello" eher eine Männeroper: Überragend gestaltete Johan Botha mit seinem imposanten Tenor, der selbst ein Orchester-Tutti nicht zu fürchten braucht, die Titelpartie. Ein Glanzstück sängerischer und darstellerischer Präsenz lieferte Marco Vratogna als Jago. Seine grandiose Mimik ersetzte jedes Bühnenbild und ließ den Gedanken an eine szenische Ausgestaltung gar nicht erst aufkommen. Das Racheschwur-Duett der beiden Gegenspieler wurde zum umjubelten Höhepunkt des Abends. Als erfahrene Verdi-Sängerin setzte Annalisa Raspagliosi vor allem im dritten und vierten Akt mit zunehmender stimmlicher Wärme und Intensität Akzente. Mit groÀŸer Emphase fügten sich die Frankfurter Ensemblemitglieder Daniel Behle (Cassio), Claudia Mahnke (Emilia), Magnus Baldvinsson (Lodovico), Franz Mayer (Montano) und Peter Marsh als Rodrigo in das Spitzen-Team ein, wobei auch das große Choraufgebot (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) samt Kinderchor (Apostolos Kallos) viel zur Atmosphäre beitrug.

Bravos über Bravos.

 

Frankfurter Rundschau
4. Avril 2008

Eine Innigkeit der besonderen Art
Die Oper Frankfurt mit Verdis "Otello"
VON BERNHARD USKE

Zur Rechten Paolo Carignanis auf dem Podium des Großen Saals der Alten Oper Frankfurt, dort wo Jago und Otello postiert waren, da vollzog sich in der konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis Shakespeare-Adaption eine Innigkeit der ganz besonderen Art. Eine der bösartigsten und aggressivsten - ein vokaler Krebs, den Marco Vratogna mit seiner geschmeidigen und dynamischen Art in seinem ahnungslosen Kombattanten Johan Botha zur Entfaltung brachte.

Ein höchst ungleiches Gespann, diese beiden Sänger: der alerte, mimisch und gestisch hellwache Italiener und der schwergewichtige, ehern postierte Südafrikaner. Aber das war eine ideale Ausdrucksverbindung, bei der der aggressive Dynamo den ruhenden Pol befeuerte. Wunderbar passten die scharf markierende, sprungbereite, zwischen bleckendem Hohn und koketter Anbiederung pendelnde Stimme des einen zu dem weicheren und runderen Stimmprofil des anderen, das sich zusehends lodernder und gleißender ausprägte.

Die Stimmbeziehung herüber zur linken Seite des Dirigentenpodiums, dort, wo Otellos Geliebte Desdemona stand, hatte dagegen keine großen Chancen. Das lag nicht nur an Bothas wenig erotisch ausgeprägtem Rollenprofil. Die Desdemona Annalisa Raspagliosis blieb einfach zu verhalten, wirkte wie gefesselt an das Notenpult und hatte erst in der zweiten Hälfte des Abends die Fülle ihrer schönen Stimme ganz zur Verfügung. Sehr gut waren die pointierten Vokalsetzungen Claudia Mahnkes als Emilia, treffend waren auch die Darstellungen Daniel Behles (als Cassio), Magnus Baldvinssons (als Lodovico), Franz Mayers (als Montano) und Peter Marshs (als Rodrigo).

Ein herber, säuerlicher Geschmack ist vielen Intonationen des Shakespeare-beflügelten Verdi eigen, und Opern-GMD Carignani legte alles daran, dieses Klangklima in Form- und Harmonieschärfe zu vermitteln. Das Museumsorchester folgte ihm bei den wilden und unerbittlichen Partien stets engagiert; die Brüchigkeit und das Spröde manch lyrischen Moments hätte dagegen durchaus mehr noch ausgereizt werden können. Vorzüglich der Chor in Präsenz und reichem Ausdruck.

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Dokument erstellt am 03.04.2008 um 16:40:02 Uhr
Letzte Änderung am 03.04.2008 um 18:40:18 Uhr
Erscheinungsdatum 04.04.2008