"Parsifal" VON BERNHARD USKE Parsifal oder das Sängerfest auf der Gralsburg - so könnte, angelehnt an seinen Tannhäuser, die Darmstädter Neuinszenierung des letzten Werks von Richard Wagner heißen. Beeindruckend der mit kräftiger Kontur und variablem Ausdruck agierende Dimitry Ivashchenko als Gurnemanz, der geradlinig und offen artikulierende Tito You als Amfortas, der klare, oft strahlende Norbert Schmittberg in der Titelpartie. Die Kundry von Yamina Maamar war auch in den größte Festigkeit und Fülle benötigenden Partien markante Vermittlung der zentralen Gelenkfigur des Werks. Andreas Daum als Klingsor bot die intellektuell beherrschte Stellungnahme des gralsritterlichen Antipoden. Blumenmädchen-Sextett und Opernchor waren exzellent. Am Staatstheater Darmstadt also ein Sängerfest, aber auch ein Bühnenweihfestspiel, das diesen Namen verdient. John Dew, der Regie führende Hausherr, hatte beim " Parsifal" weder Lust auf gefällige Politklamotte mit Hakenkreuz und SS-Männern noch auf subjektivistischen Assoziationsmüll. Statt dessen wirkte ein Satz Richard Wagners, der am Ende des sechsstündigen Abends als Vorhangbeschriftung das letzte Bild beschließt: "Da wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten." Das ist Johann Sebastian Bach oder auch Olivier Messiaen besser gelungen als dem Meister aus Bayreuth, aber wenn man in dem Wagner-Satz "künstlich" durch "banal" ersetzen würde, hätte das sicherlich große Aktualität. Bei Dew sah man sich jetzt klar ritualisierten Schrittfolgen, Kniebeugen, Bekreuzigungen in einem Bühnenraum pathetischer Leere ausgesetzt. Die Grundierung war deutlich katholisch angelegt, gewissermaßen von benediktinischer Strenge. Gemessenheit auf allen Gestaltungsebenen war das Gebot der Stunde, die das Publikum offensichtlich fesselte. Ein kaum merklich sich änderndes Lichtklima, in äußerster Ruhe sich dem Blick entziehende oder im Boden versinkende Bühnenelemente (Heinz Balthes), die dicht sich zusammenziehende Ritterschaft mit der Erhebung des wirklich "hell erglühenden Grals". Große Wortskulpturen boten die Namen der Kirchenväter sowohl der sakralen als auch der profanen Welt - von den Heiligen Augustinus und Hieronymus bis zu Karl Marx und Friedrich Nietzsche. Vor einer dreiflügeligen Schultafel mit den einschlägigen Heilsschemata der Parsifalsymbolik doziert Gurnemanz, auf den Buchstaben eines aufgeschlagenen riesigen Buchs bewegt sich Klingsor. Zur Wandlungsszene senkt sich ein raumgreifendes Kreuz in Schrägansicht, wie Dalí es malte; im Zaubergarten windet sich dann eine Schlange mit zum Biss geöffneten Maul um den Kreuzstamm. Trotz aller Kultoper kam kein einziges Mal sakral-folkloristische Peinlichkeit auf, was nicht zuletzt an dem konzentrierten Dirigat Stefan Bluniers lag, der das Orchester in eine unsichtbare Gralsbruderschaft verwandelte: gedämpfte Klangbüßer, die ob ihres stupenden Könnens aber keine Reue zeigen mussten. [ document info ] Dokument erstellt am 11.02.2008 um 16:48:02 Uhr Letzte Änderung am 12.02.2008 um 11:05:10 Uhr Erscheinungsdatum 12.02.2008 |
Last mit der Lust an der Religion Musiktheater: John Dew inszeniert Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal" im Staatstheater Darmstadt Von Heinz Zietsch DARMSTADT. Wie ein Lehrstück beginnt der Darmstädter Intendant und Regisseur John Dew seine Inszenierung von Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal" im Großen Haus des Staatstheaters. Schließlich soll ja auch die Titelfigur, der unwissende Tor Parsifal, beim Anblick des Grals und des durch Menschen vollzogenen Rituals etwas lernen. So wie Gurnemanz anhand eines dreiteiligen Tafelbilds (Triptychons) den Knappen allein durch die symbolische Bildergeschichte die Zusammenhänge erklärt. Ja, es geht hier um die Lehre, das zeigen die in jugendstilischen Schriftzügen davor aus dem Boden ragenden Namen der Kirchenlehrer Augustinus, Hieronymus, Gregorius und Ambrosius. Zugleich ist dieses Bühnenbild von Heinz Balthes eine Reverenz an den Darmstädter Jugendstil, an die Darmstädter Theatertradition, vielleicht auch an die hiesige Erstaufführung des „Parsifal" in der Spielzeit 1915/1916, an welcher der kunstbegeisterte Großherzog ausstattungsmäßig beteiligt gewesen sein soll: „Die Abendmahlsszene im Gralstempel bot glanzvolle Lichteffekte mit den amethystfarbenen, transparenten Säulen, die im Gralswunder mystisch erglühten", schrieb Hermann Kaiser in seinem Theaterbuch über die damalige Aufführung. Bei Dew leuchtet nun eine Kreis mit Speeren phosphoreszierend auf; sie erinnern auch an die Kultstätte Stonehenge. In der Mitte der Speersäulen thront Amfortas, von Schmerzen gekrümmt. Sogleich wird der Zuschauer an die Qualen des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. erinnert. Der fantasievolle Kostümbildner José-Manuel Vázquez hat den Gralskönig entsprechend ausstaffiert. Doch nicht nur alleine aufgrund dieser Ähnlichkeit geht der Darmstädter Amfortas unter die Haut: der Sänger Tito You stellt das Leid des Schmerzensmannes höchst glaubwürdig dar. Derart intensiv hat man diese Partie kaum jemals gehört – noch nicht einmal in Bayreuth. Wie nuanciert und präsent in der Darstellung dieser fantastische Ausnahme-Sänger seine Stimme einsetzt und dabei immer neue Farben seinem Bariton hinzufügt, das ist einmalig. Als krasses Gegenbild, als Antithese zum ersten Akt ist der zweite ausgestattet. Um das riesige Christuskreuz, das sich im Gralszirkel wie ein Vogel herabsenkt, windet sich im zweiten Akt ein Schlangenmonster mit weit aufgerissenem Rachen. Im Vordergrund ragen, wiederum in jugendstilischen Lettern, statt der Namen der Kirchenlehrer die von Religionskritikern aus dem Boden: Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza. Dieses Antithesenbild ist weniger das Überraschende im zweiten Akt, vielmehr ist es das riesige Buch, woraus eine bestimmte Seite aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra" aufgeschlagen ist, die den Tod Gottes verkündet. In der Darmstädter Inszenierung ist Klingsor niemand anderes als Friedrich Nietzsche, der Wagner abtrünnig wurde – just durch dessen „Parsifal". Aus dem Buch windet sich Kundry schlangenartig hervor. Ihr hat man die Worte von Klingsor-Nietzsches Philosophie eingeimpft, sie trägt jetzt ein Kleid, das mit Worten bedruckt ist, wie auch später die Kostüme der Blumenmädchen. An Stelle des Zaubergartens steht jetzt also der bibliophile Garten – ein Florilegium, sozusagen eine Blütenlese aus Büchern. Wenn Kundry Parsifal zu verführen trachtet und dabei Haut zeigt, sieht man noch aufgeklebte Reste dieses Blumengartens. Statt erotisch wirkender Blumenmädchengirlanden, wie sie sich vor über 20 Jahren in René Kollos Darmstädter Inszenierung verführerisch aus dem Boden wanden, setzt Dew auf das Gegenbild der Intellektualität. Diese plakative Vereinfachung wirkt fragwürdig und kommt verdächtig einer Intellektuellenhatz nahe. Schließlich haben die Religionskritiker auf so manche wunden Punkte hingewiesen – und dadurch letztlich auch zu einer klareren Sicht auf den Kern der Religion beigetragen. Hier hat es sich die Regie kurzschlussartig wohl etwas zu leicht gemacht. Treffend einfach und raffiniert passend dagegen der dritte Akt mit der Quelle, deren Wasserläufe per Video auf eine Leinwand projiziert werden, als würden entfernt sichtbar die Notenlinien des Karfreitagszaubers die Wellenbewegungen verursachen. Dews Darmstädter Inszenierung ergibt eine sehr kontrastreiche Sicht auf Wagners „Parsifal", die außerdem weit weniger statisch und oratorienhaft wirkt als andere Aufführungen. Offensichtlich wegen ihrer Deutung des zweiten Aktes haben Dew und seine Mitstreiter nach der mit zwei Pausen insgesamt fünfdreiviertelstunden dauernden Premiere am vergangenen Sonntag vereinzelte Buhrufe entgegennehmen müssen. Während sich das Gros der Zuschauer begeistert zeigte, nicht zuletzt wegen der durchweg außerordentlichen musikalischen Leistungen. Hier ist vor allem Generalmusikdirektor Stefan Blunier zu nennen, der den Mut hat, sich auch mal Zeit zu lassen und der Musik genügend Raum bieten – schließlich heißt es im „Parsifal" in Wagners Text „zum Raum wird hier die Zeit". Ohne sentimental zu werden, breitet der Dirigent die Töne allmählich aus. Das ermöglicht ihm auch, dynamisch nachzuhaken und Töne im Vorspiel sogar einzeln lautstark anschwellen zu lassen. Flexibel vermittelt er den Sängern und den von André Weiss vorzüglich einstudierten Chören nachgebend Halt, damit sie sich einordnen können, und verleiht ihnen Raum für den Gesang. Entsprechend den dramatisch-musikalischen Erfordernissen und den Bewegungen auf der Bühne gestaltet er die Tempi und lässt es im letzten Akt im Blech auch mal ordentlich scheppern. Faszinierend, wie aufmerksam und behutsam das Orchester den Ideen des Dirigenten folgt, vor allem wie ausbalanciert und klarlinig-brillant und mit höchster Intensität, fast schon gesanglich die Streicher die Partitur umsetzen. In der Titelpartie bringt Norbert Schmittberg die Wandlung des jugendlichen Helden vom unwissend-verletzlichen zum souveränen Gralskönig überzeugend nahe. Faszinierend, wie er als von Gurnemanz Verstoßener im ersten Akt auf leerer Bühne vereinsamt zurückbleibt. Mit Geschick teilt er seine Stimmkraft ein, die im dritten Akt noch einmal mit Macht und grenzwertig herausgefordert wird. Verlässlich, sicher und mit gleichbleibender Balance, dabei immer sehr ausdrucksstark gestaltet Dimitry Ivashchenko den Gurnemanz. Großartig Yamina Maamar als Kundry, zunächst unnahbar, aber immer beobachtend, fast lauernd, schließlich mit mächtiger Stimme als Verführerin aufwartend, als wäre sie Brünnhilde oder Isolde, um am Ende (eben nicht sterbend) wie selbstverständlich in die Gralsritterschar aufgenommen zu werden. Sehr sachlich und intellektuell distanzierend klar zeichnet Andreas Daum den Klingsor. Während Thomas Mehnert als Titurel zu sehr aus der Ferne zu singen hat. In weiteren Rollen waren Sven Ehrke, Aki Hashimoto, Stefanie Schaefer, Markus Durst, Jeffrey Treganza, Allison Oakes, Margaret Rose Koenn, Anja Vincken, Niina Keitel und Elisabeth Hornung zu vernehmen. Was bedeutet „Parsifal" für uns heute, in einer Zeit, in der die Verwertbarkeit des Menschen wichtiger ist als menschliche Werte? Schon Wagner hatte in seinem Industriezeitalter die Gefahren erkannt, dass dem andere Werte entgegenzusetzen sind. Das Bühnenweihfestspiel „Parsifal" wird in Dews Sicht als Kunstwerk zum Retter der Religion. Der Wagnersatz auf dem Schlussvorhang macht dies deutlich: „Wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten". Weitere Aufführungen sind am 17. Februar um 14 Uhr, am 2. März um 16 Uhr und am 21. März um 15 Uhr sowie am 6. April um 16 Uhr. Kartentelefon 06151 2811600. |
Musiktheater: Darmstadt zeigt Richard Wagners "Parsifal" aus der Sicht von John Dew in DarmstadtProvokation nicht angesagt Von unserem Mitarbeiter Eckhard BritschIrgendwann macht jeder seinen Frieden. Mit der Kirche. Oder mit Richard Wagner und dessen ziemlich qualmiger Erlösermystik. Vielleicht darf solche Mechanik "Altersweisheit" genannt werden. Nun soll mit den Begriffen "Alter" und "Weisheit" dem Generalintendanten John Dew nicht zu nahe getreten werden, doch seine Sicht von Wagners "Parsifal" atmet den Geist überlegener Weltschau, eleganter Ästhetik und wunderschön austariertem Spiel mit den Mythen und Figuren. Manche mögen das artifiziell nennen, doch die Szenen, die Dew mit seinem Team Heinz Balthes (perfekt gestylte Bühne) und José-Manuel Vázquez (geschmackvoll eingepasste Kostüme) entwickelt, faszinieren durch ihre großzügige Bildsprache und eindringliche Wirkung. Merkwürdiges Mysterienspiel Die Sache mit dem Glauben ist natürlich ein "seltsam Ding". Was Wagner über die geheimnisvolle Gralsuche als christliches Mysterienspiel im Naivling "Parsifal" fokussiert, der plötzlich und unerwartet zum Heilsbringer mutiert, mutet aus einer gewissen Distanz schon reichlich merkwürdig an. Doch Dew lässt den Dingen ihren quasi-natürlichen Lauf, zeigt im ersten Aufzug eine Glaubensgemeinschaft im Selbstfindungsprozess, die sich an Kirchenvätern und Gründern orientiert: Augustinus, Hieronymus, Gregorius, Ambrosius heißen die Heiligen, die als Jugendstil-Schriftmauer (kleine Reverenz an Darmstadt!) den Sakralraum abgrenzen. Drinnen leidet Amfortas im weißen Gewand an seiner Wunde und - was Wunder bei Wagner - an sich selbst: Tito You singt diese Partie mit geschmeidiger Kraft und attraktivem Timbre. Auch Gurnemanz leidet, denn als Sekretär des Ordens trägt er schwer an der Verantwortung - Dimitry Ivashchenko zeigt ihn mit Intensität und durchwärmter Bassrundung. Im zweiten Aufzug erlebt das Publikum eine Art Destabilisierung der Glaubensgemeinschaft, denn eine neue Zeit sorgt für massive Irritationen. Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza heißen die kritischen Geister, die Gesellschaft und Religion hinterfragen und deshalb der Welt Unordnung bringen. Auch sie begrenzen als Schriftbarriere die Szene, und am übergroßen Kruzifix hängt nicht mehr der Gemarterte, sondern eine überdimensionale Schlange bringt nun den Querverweis aufs tückische Weib an sich. Das heißt Kundry, und Yamina Maamar lockt mit Eros und einer schönen, ausgeglichenen Stimme, die nicht mit hochdramatischem Ausdruck protzt, sondern auf perfekte Grundschwingung baut. Der Klingsor als Nietzsche Ende gut, alles gut? Jetzt ist Reinheit gefragt, und der Quell wird in herrlichstem Lichtspiel gespeist. Klingsor, den der ein bisschen als Nietzsche kostümierte Andreas Daum mit abgründiger Stabilität singt, fährt zur Hölle, Kundry salbt als geläuterte Maria-Magdalena-Figur dem Erlöser Parsifal die Füße: Norbert Schmittberg gibt ihm die Züge des reinen Toren, sein jugendlicher Heldentenor indes wirkt trotz der Materialfülle phasenweise leicht mattiert. Und im Schlussbild drückt sich Dew vor der Regie: Er lässt Wagner als Schriftband sprechen: "Da wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten". Musiziert wurde ausgezeichnet, homogen zur Szene und in konzentrierten, attraktiven Wölbungen. Stefan Blunier am Pult und sein Staatsorchester Darmstadt wurden für die ausgezeichnete Wiedergabe gefeiert. Weite Bögen, Raffinement in den Klangfarben, genau ausgesteuerte Zuspitzungen und große Chorszenen. Sehr viel Beifall, und nur ganz wenige, fast versteckte Buhs für Dew. Provokation ist nicht mehr angesagt. |
Die Kraft des Mitleidens Von Rudolf Jöckle Gewiss ein forderndes Unternehmen für ein Theater „kleineren" Formats, das zu einer eigenwilligen Variante in den Bemühungen ums Bühnenweihfestspiel geführt hat. Denn Dew hat hier den vermutlich „christlichsten" der „Parsifale" des letzten Dezenniums auf die Bühne gebracht, christlich vor allem in den Bildern und Zeichen – Bühne: Heinz Balthes –, die eingesetzt werden: etwa im riesigen Cruzifixus hoch über der Szene (1. und 3. Akt), dem schwingenden Weihrauchfass à la Santiago, in den „Talaren" der Gralsritter, vorne geknöpfte lange Röcke, wie sie die Geistlichen katholischer Gegenden noch in den 60er Jahren getragen haben, auch in der wiederholten, „korrekten" Bekreuzigung. Dies schafft bisweilen Momente, die zumindest merkwürdig berühren und die Ambivalenz der Mythe nicht eben verdichten. Andererseits ist Dew stets bemüht, die „inneren" Strukturen des Ablaufs zu verdeutlichen. So etwa in der aus alten Majuskeln geformten niederen Balustrade mit den Krichenlehrer-Namen von Augustinus bis Ambrosius (1. Akt) und dem „Atheisten"-Gegenstück von Voltaire bis Marx in Klingsors Reich – für Dew ein Bezirk ohne die Kraft des Mitleidens, dem zentralen Motiv. Der Raum wird dazu unterschiedlich genutzt, eher eng als Privatissimum des Gurnemanz im 1. Akt, in dem Amfortas wie ein Papst getragen wird, im 2. Akt gefüllt mit einem riesigen Folianten, aus dem Kundry als eine Art Kopfgeburt des Herrn entsteht, entsteigt. Die wohl-singenden Blumenmädchen, ausgewiesen durch Kränze im Haar, bleiben auf sechs beschränkt, der Rest singt unsichtbar. Gänzlich offen wird die Szene für den Schlussakt, der freilich der „freien, anmutigen" Gegend entbehrt. Entsprechend matt gerät der Karfreitagszauber. Recht eigenwillig kommt auch Parsifal zum leidenden Amfortas vom äußersten Punkt aus, wo er schon den Thronsessel besetzt hatte. Dennoch: In den großen, ruhigen Momenten der Aufführung ist die sanfte Trauer des Mitleidens schon zu spüren. Keine Triumphe also. Norbert Schmittberg als Parsifal trumpft in der Tat nicht auf, bleibt im Ausdruck eher kleinformatig, die Töne könnte er intensiver färben. Dimitry Ivashchenko ist bei aller Markanz ein eher introvertierter, auch nicht zu gradliniger Gurnemanz, Tito Tou singt gewichtig, vielleicht noch etwas zu gleichmäßig den Amfortas, während Andreas Daum als Klingsor die nötige Beweglichkeit und Agilität besitzt. Yamina Maamar als Kundry fängt ein wenig verhalten an (Muttererzählung), steigert sich dann zu eindrucksvoller Gefühlsdichte und Präsenz. Beweglich und stabil schließlich die eindrucksvollen, nie zu mächtigen Chöre. Stefan Blunier am Pult treibt das Vorspiel immer wieder zum harten Forte. Dann wächst die Balance. Er „mischt " ruhiger, genauer die Farben, verweist auf bedeutsame Details, ohne den großen Bogen zu vernachlässigen. Das Orchester überzeugt in den Steigerungen ebenso wie in schöner Piano-Kultur. Begeisterung. |
Riesenkruzifix mit Wagner-Zitat Von Axel Zibulski DARMSTADT Zu einer ganz und gar katholischen Angelegenheit lässt John Dew Richard Wagners "Parsifal" in seiner Darmstädter Neuinszenierung werden: Vor der Gralsenthüllung pendelt ein riesiges Weihrauchfass über die Bühne; im ersten Aufzug sind die Namen von Heiligen wie Augustinus und Gregorius als geschwungene Lettern wie ein Altar aufgestellt. Und Gurnemanz, der den Gralsorden mitgründete, erklärt den Knappen mittels kindlicher Symbolik auf einer Schultafel, wie einst Klingsor die Kundry auf den Amfortas ansetzte, auf dass sie ihn, den Gralskönig, seine gebotene Enthaltsamkeit vergessen ließe: Nur ein "reiner Tor" kann Amfortas erlösen; das ist Parsifal, den John Dew beim ersten Auftritt ziemlich blond und blöd ausschauen lässt. Ganz frei von Humor ist diese vom Publikum stark gefeierte Neuinszenierung glücklicherweise nicht; die Gralsenthüllungen, in denen der exzellente Darmstädter Chor auf weit offener Bühne im Kreis steht, erinnern übrigens deutlich an Wieland Wagners Neu-Bayreuth. Überhaupt zelebriert Dew das Bühnenweihfestspiel bisweilen zu statisch. Äußerlich erfrischend dagegen der zweite Akt: In der Klingsor-Sphäre dominieren Aufklärung und Religionskritik; an der Stelle der Heiligen-Namen stehen nun Voltaire und Marx, Spinoza und Nietzsche. Das riesige aufgeschlagene Buch, auf dem Klingsor balanciert, ist Nietzsches "Also sprach Zarathustra" (Bühne: Heinz Balthes). "Gott ist tot" in Klingsors Zauberschloss also, in dem die Blumenmädchen ihre Reize in Kleidern mit aufgedruckten Buchstaben ausstrahlen (Kostüme: José-Manuel Vázquez). Unbedenklich ist diese Verquickung von Verführung und Religionskritik natürlich nicht, und ein distanzierendes Element zeigt Dew erst ganz am Ende des dritten Aufzugs. Da ist die Karfreitags-Verhüllung des die Bühne überragenden Kruzifixes gefallen, und auf einem eingezogenen Vorhang wird Wagner zitiert: "Wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten." Dass freilich auch die vor allem im letzten Aufzug zu statischen Passagen der Inszenierung nicht spannungslos werden, liegt an der ganz überwiegend erfreulichen musikalischen Seite. Die Tempi, die Stefan Blunier im Vorspiel vorgibt, lassen einen extrem gedehnten "Parsifal" erwarten, doch löst Darmstadts Generalmusikdirektor die Tempo-Frage im Laufe des Abends so flexibel wie organisch: Auf knappe sechs Stunden (mit zwei langen Pausen) kommt er schließlich. Diese werden Norbert Schmittberg in der Titelpartie am Ende doch eine Spur zu lang; insgesamt ist sein etwas enger Tenor ein vokaler Gewinn, erst recht der so exakt deklamierende Gurnemanz des jungen, aber mit hoher Bass-Autorität agierenden Dimitry Ivashchenko. Yamina Maamar gibt keine schön, aber kühl und abgründig singende Kundry, Tito You einen klangschön leidenden Amfortas, Andreas Daum einen jugendlichen Klingsor. |
John Dews "Parsifal"-Neuinszenierung am Staatstheater Darmstadt Von Ernst Scherzer Innig: Yamina Maamar (Kundry) und Parsifal Norbert Schmittberg. Foto: Barbara Aumüller Eine ganze Reihe von Opernhäusern hat sich in den letzten Jahren Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" vorgenommen. Die Geschichte wurde uns vor lauter versuchten Neudeutungen nirgends erzählt, auch die musikalische Seite konnte nur in Ausnahmefällen überzeugen. Wer das Glück hatte, bei der "Parsifal"-Premiere in Darmstadt dabei sein zu dürfen, konnte alle diese "Konkurrenzunternehmungen" vergessen: Dem regieführenden Staatstheater-Intendanten John Dew war eine Arbeit gelungen, die zu seinen besten gehört und daran erinnert, weshalb er als Geschichtenerzähler unter den Regisseuren bezeichnet wird. Ungewohnt ausführlich hat sich John Dew im Programmheft über seinen Zugang zu dem Stück geäußert; abgesehen vom Ausgangspunkt seiner Inszenierung, innerhalb der er Gurnemanz als einen jener "einfachen, aber ehrlichen Ordensmänner" zeigen wollte, denen er in den Schulklassen seiner Kindheit begegnet sei, wird dort eine erstaunliche Fülle von Details ausgebreitet. Buch auf der Bühne Die Namen der Kirchenlehrer von Augustinus bis Ambrosius nehmen den Bühnenvordergrund im ersten Akt ein, dahinter die Lehrtafeln, die Gurnemanz zum Aufzeigen der Vorgeschichte dienen. Im zweiten Akt lässt Ruth Berghaus’ Inszenierung von Frankfurt aus dem Jahr 1982 grüßen, wenn Klingsor seine Zwiesprache mit Kundry auf einem geöffneten riesigen Buch führt. Eine Schlange mit weit geöffnetem Maul hat die Christusfigur von dem riesigen, den ganzen oberen Teil der von Heinz Balthes gestalteten Bühne einnehmenden Kreuz verdrängt. Wenn das Reich des Zauberers untergeht, wird eine von Neonröhren beherrschte Technik sichtbar. Von schlichter Schönheit dann die Karfreitagsaue des dritten Aufzuges: Im Hintergrund spiegelt sich die heilige Quelle, davor ausgebreitet ein Riesenleintuch, den allmählich dahinschmelzenden und dem frühlingshaften Grün weichenden Schnee symbolisierend. Keine rätselhaften Bilder stören den Handlungsablauf, wäre der Begriff nicht so verbraucht und missverstanden, man möchte fast von Werktreue sprechen. Wer damit auch Wagners angebliches Pathos verbindet, liegt in Darmstadt aber völlig daneben. Die Figuren sprechen auf durchaus natürliche Weise miteinander, was immer wieder auch eine Zurücknahme der sonst oft gehörten Lautstärke bedeutet. Unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Stefan Blunier überhaupt kein Problem für die Sänger. Der 44-jährige Schweizer lässt ihnen und den Musikern genügend Zeit und Raum zur vollen Entfaltung ihres Könnens und hält durch differenzierte Tempi doch unerhörte Spannung. Lob für Gurnemanz Norbert Schmittberg gab hier einen erfrischend jugendlich erscheinenden Titelhelden, Andreas Daum einen markanten Klingsor, Tito You einen zwar leidenden, aber gesanglich doch Würde ausstrahlenden Gralskönig Amfortas. Yamina Maamar war die Idealverkörperung der gespaltenen Kundry-Gestalt: Unwillig, mit fast brüchiger Stimme als Gralsbotin, dagegen sinnlich verführerisch in Klingsors Machtbereich. Das höchste Lob jedoch gebührt Dimitry Ivashchenko. Trotz seiner Jugend und dem erstmaligen Auftritt mit der Riesenpartie möchte man den russischen Bassisten jetzt schon nur mit den nicht allzu vielen namhaften (einschließlich der längst verblichenen) Gurnemanz-Interpreten in einem Atemzug nennen. |
Bühnenkunst als Kirchenersatz Premiere von Richard Wagners Oper "Parsifal" im Staatstheater Darmstadt Das Schlusswort dieser Inszenierung, präsentiert auf einem Zwischenvorhang und freies Zitat aus Richard Wagners Schriften, bringt es auf den Punkt: "Wo die Religion künstlich wird, bleibt es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten". Wagner spielte damit auf den von ihm so gesehenen Verfall der religiösen und gesellschaftlichen Werte an. Da er sich selbst als einen "Messias" der Kunst betrachtete, war es nur logisch, dass seine Werke - zumindest im aufstrebenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts - den Platz der institutionalisierten Religion einnahmen. Nur so lässt sich auch die Einrichtung Bayreuths als "Weihespielort" und die vor allem von seiner Frau Cosima vorangetriebene Mystifizierung von Wagners Werken verstehen. In diesem Kontext nimmt der "Parsifal", Wagners letztes Bühnenwerk, eine besondere Stellung ein. Nicht nur, dass die Idee dazu angeblich an einem Karfreitag entstanden ist, sondern auch die Tatsache, dass Applaus vor allem nach dem ersten Akt der Oper lange Zeit als verpönt galt, heben den "Parsifal" in ein quasi-religiöse Ebene. Erst der ideologische Missbrauch dieser Musik und die Nüchternheit der Nachkriegszeit haben die Blasphemie an den Tag offen gelegt, die in der Erhebung eines Schauspiels zum sakralen Akt liegt. Der Gralstempel Wagner hat in all seinen Werken mit den großen Themen der Menschheit gerungen. Bereits im "Tannhäuser" setzt er sich mit Themen wie Eros und Entsagung aueinander, und im "Parsifal" hat er sich schließlich des Erlösungsthemas angenommen. Das Werk des französischen Dichters Chrétiens de Troyes und seines deutschen Übersetzers Wolfram von Eschenbach dringt tief in den Mythos der Erlösung ein, der schon den Juden des Alten Testaments in der Person des Messias bekannt war und schließlich in der christlichen Religion und ihrer zentralen Figur Jesus Christus ihren Höhepunkt fand. Der Parsifal-Mythos stellt den "heiligen Gral" - der Kelch, aus dem Jesus und seine Jüner das letzte Abendmahl nahmen und in den ein römischer Soldat das Blut des Gekreuzigten fließen ließ, sowie der Speer, mit dem eben dieser Soldat das Blut zum Fließen brachte - in den Mittelpunkt der Handlung. Die Heiligtümer werde in der Burg Montsalvant bewahrt und von den zur Keuschheit verpflichteten Gralsritter bewacht. Ziel eines jeden mittelalterlichen Ritters war, Gralsritter zu werden, und als der Bewerber Klingsor abgewiesen wird, baut er ein Zauberschloss und wird zum mächtigen Gegenspieler des jeweiligen Gralkönigs. Amfortas, Sohn des Gralkönigs Titurel, fällt denn auch den Verführungskünsten der schönen - Hexe! - Kundry zum Opfer, verliert den heiligen Speer an Klingsor und wird dabei schwer verwundet. Die Wunde findet als Symbol der untilgbaren Schuld und der Hoffnung auf Erlösung keine Heilung und lässt Amfortas dauerhaft leiden, ohne die Hoffnung auf den erlösenden Tod. Nur ein "reiner Tor" kann ihn mit seinem Mitleid erlösen. So stellt sich die Situation zu Beginn des ersten Aufzugs dar. Tragende Figur ist hier Gurnemanz, in der Parsifal-Sage sein langjähriger Lehrer. Bei Wagner jedoch bringt er den jungen Messdienern (und dem Publikum) die Geschichte des Grals und das Schicksal des Amfortas nahe. Als plötzlich ein junger Ritter auftaucht, der in jugendlichem Übermut einen symbolträchtigen Schwan erlegt hat, erkennt Gurnemanz in ihm einen möglichen Erlöser für Amfortas und lässt ihn teilhaben an der Gralsenthüllung durch den schwer leidenden König. Vorher ist noch Kundry mit einer Medizin für Amfortas aufgetaucht, wird jedoch von den Messdienern - und mit Abstrichen auch von Gurnemanz - wie ein lästiger Bettler behandelt. Verschiedene Kritiker haben Kundry als Personifizierung des hässlichen Juden im Werk des antisemitischen Wagner interpretiert. Parsifal erlebt das unendliche Leiden des Amfortas, schaut jedoch nur zu und findet keinen emotionellen Zugang zu dem Geschehen, worauf er als versagender Hoffnungsträger fortgeschickt wird. Norbert Schmittberg (Parsifal) Der zweite Aufzug beschäftigt sich ausschließlich mit der mephistophelischen Gegenwelt. Man kann hier durchaus Bilder aus Goethes "Faust" bemühen, ähnelt doch Klingsor dem Begleiter des nach dem Absoluten strebenden Faust in vielen Belangen. Klingsor hat Parsifals Eignung für die Erlöserrolle erkannt und plant seine Ausschaltung durch die Kraft des Eros. Gegen ihren Willen zwingt er Kundry, ihre Künste wie schon einmal bei Amfortas jetzt auch bei Parsifal anzuwenden. Vorher jedoch gerät dieser in den Lustgarten des Klingsorschen Zauberschlosses und wird von sechs reizendenZabermädchen umgarnt, die ihn ablenken und in die richtige Stimmung bringen sollen. Natürlich kann sich ein "Held" wie Parsifal schon aus dramaturgischen Gründen nicht von subalternen Wesen verführen lassen, also widersteht er den süßen Stimmen, weil ihn die Erinnerung an seine Mutter und an seine Schuld gegenüber Amfortas plagt. In der dann folgenden Szene zwischen ihm und Kundry spitzt sich das Verführungsspiel zu. Kundry versucht mit allen Mitteln, sich seiner Sinne zu bemächtigen. Dabei kann nicht nur der Auftrag Klingsors maßgeblichen Anteil haben; vielmehr sucht Kundry aus eigenem (An-)Trieb die sinnliche Nähe zu Parsival. Offensichtlich sucht auch sie nach Erlösung, denn nach dem Frevel an Amfortas wandert sie als ewig Verfemte durch die Welt. In dieser Szene offenbart sich die seltsam verquere Moral der christlichen Religion und auch Wagners. Die einzige Frau in diesem Bühnenwerk - von den Zaubermädchen einmal abgesehen - ist eine Hexe, deren Kunst nur in der Verführung besteht. Einzige Aufgabe eines gestandenen Ritters ist es, der Verführungskraft dieses sündhaften Wesens zu widerstehen. Abgesehen davon, dass der Keuschheitswahn der Kirche bei konsequenter Befolgung längst die (christliche) Menschheit hätte aussterben lassen, zeigt sich darin eine unbewältigte Angst der Männer vor den Frauen und ihrer sinnlichen Kraft. So gewinnt denn auch Kundrys Kuss für Parsifal eine besondere Bedeutung: jedoch keine sinnliche im üblichen Sinne, sondern die Ahnung einer Erlösung von den Sorgen und Gewissensbissen, die ihn quälen. Doch am Ende dieser langgezogenen Szene wiedersteht er allen Verführungsversuchen Kundrys, die ihn daraufhin verflucht und Klingsor zur Hilfe ruft. Als dieser den heiligen Speer nach Parsifal wirft, fängt dieser ihn auf und vernichtet seinerseits Klingsor. Im letzten Aufzug findet er schließlich nach Jahren zur Gralsburg und zu Gurnemanz zurück. Dieser erkennt ihn erst nicht in der Rüstung des "Schwarzen Ritters", nimmt ihn dann aber hocherfreut auf. Die ebenfalls anwesende Kundry, nun wie einem Schweigegelübde in sich gekehrt, nähert sich ihm unterwürfig. Sie hat sich mittlerweile entschieden, im Dienen Erlösung und Vergebung zu erlangen, ist sich für keine Dienstleistung zu schade und wäscht und salbt Parsifal die Füße. Die Parallelen zum Neuen Testament sind unübersehbar. In der Gralsburg hat sich derweil nichts geändert: Amfortas siecht immer noch dahin und weigert sich, den Gral zu enthüllen. Doch noch einmal können ihn die Tempelritter anlässlich des Todes seines Vaters Titurel überzeugen, die heilige Handlung zu vollziehen. Gurnemanz führt Parsifal heran, der nun die richtigen Worte findet und Amfortas erlöst. Die Szene endet in der Enthüllung und im sanften Erstahlen des heiligen Grals. Norbert Schmittberg (Parsifal), Yamina Maamar (Kundry) Dieser Mythos zeigt in seiner Schlichtheit ebensoviel Größe wie Anfälligkeit für religiöse Sentimentalität. Nur Wagners kompromisslose, auf jede vordergündige Gefälligkeit oder gar Süße verzichtende Musik ermöglicht es, die gefährlichen Untiefen des Kitsches zu umschiffen. Von den ersten Takten des Vorspiels an geht es auch musikalisch um letzte Weihen und Erkenntnisse. Wagner lädt bereits das Vorspiel mit einem hohen Maß an musikalischen Bildern für das (Mit-)Leiden auf. Die Größe dieser Musik liegt gerade darin, dass sie vom ersten Augenblick an authentisch klingt und berührt. Menschen werden vor dieser Musik zu Metaphern - große Geste und Gefahr zugleich. Denn wo der Mensch zur Metapher der Religion wird, verliert diese ihren ursprünglilchen Rang. Bühnenbildner Heinz Balthes lässt im ersten Aufzug Gurnemanz seine Erzählung über den Gral vor einem Altar aus Buchstaben vortragen, die zusammen die Namen der vier Kirchenväter Augustinus, Gregorius, Hiernonymus und Ambrosius ergeben. Dahinter erhebt sich eine Wand mit naiv-modernen (Kinder?-)Zeichnungen des Grals, der Burg, des Gralskönigs und des gefährlichen Klingsors. Damit ist der Grundtenor dieses Aufzugs vorgegeben. Später, wenn Amfortas und die Gralsritter zur Gralenthüllung und zum Abendmahl schreiten, senkt sich ein überdimensionale Christusfigur am Kreuz über die Bühne. Doch um auch hier ein Umschlagen ins allzu Plakative und Peinliche zu verhindern, ist die Figur aus dem Zuschauerraum nur perspektivisch stark verzerrt aus der Vogelperspektive sichtbar. Der Gralstempel wird angedeutet durch eine Reihe schmaler Stelen mit Lichtpunkten auf den Spitzen. Parsifals Aufzug in weißer Rüstung wirkt im ersten Moment etwas lächerlich, verstärkt durch sein nassforsches Auftreten, doch gerade dies erweist sich als gezielte Absicht, um Parsifals Naivität gerade im Gegensatz zur würdigen Gestalt des Gurnemanz und der tragischen Gralsgesellschaft hervorzuheben. Es liegt geradezu auf der Hand, dass dieser Parsifal den König nicht wird erlösen können. Dagegen tritt Parsifal im letzten Bild im schlichten schwarzen Gewand auf, ähnlich dem des Gurnemaz, und zeigt dadurch auch optisch seine über die Jahre erworbene Reife. Neben der geradezu sakralen Wirkung der Gralsenthüllung im ersten Akt wird die Auseinandersetzung zwischen Parsifal und Kundry im zweiten Aufzug zur Schlüsselszene. Um das Kreuz aus dem ersten Akt windet sich nun eine Schlange, die mit ihrem offenen Rachen das Publikum geradezu anfaucht. Aus dem Bühnenboden hebt sich ein überdimensionertes Buch, in dem eine Doppelseite aus Nietzsches "Zarathustra" aufgeschlagen ist und aus dessen Buchstabenwald Kundry heraussteigt. "Gott ist tot" ist dort deutlich zu lesen und einige markige Feststellungen des ehemaligen Wagner-Fans und späteren Renegaten Nietzsche. Eine Buchstabenwand - diesmal kein Altar! -, der sich die vier Namen Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza entnehmen lassen, ergänzt den Verweis auf den Gottesmord der modernen Philosophie. Alle vier haben mit den religiösen Riten und Regularien ihrer Zeit aufgeräumt oder sie sogar bekämpft. Insofern stehen sie alle vier für Klingsors Zauberschloss, von dem dieser die im religösen Ritus erstarrte Gralsburg bekämpft. Amfortas' Leiden könnte auch für die offenen Wunden der Kirchengeschichte stehen. Und wenn man - nicht Wagner! - in Klingsor statt des Unholds auch den konsequenten Aufklärer sehen könnte, so könnte Kundry auch als Vertreterin einer natürlichen Sinnlichkeit erscheinen, die in einer patriarchalisch, homophilen Gesellschaft keinen Platz findet. Trägt Kundry anfangs einen roten Umhang, der sie - aufrecht stehend gegenüber dem sitzenden Parsifal - ausgesprochen dominant und distanziert wirken lässt, so zeigt sie nach dem Abwerfen des Umhangs ein laszives rotes Dessous, unter dem die bemalte (vermeintliche) Nacktheit durchschimmert. Kostümbildner José-Manuel Vázquez hat die Nacktheit täuschend ähnlich mit einem fleischfarbenen Trikot nachgebildet, dessen Übergänge zur natürlichen Haut aus der Entfernung kaum zu erkennen sind. Jetzt löst sich auch die Asymmetrie der Stellung - stehend wie eine Lehrerin und sitzend wie ein Schüler - zur gleichberechtigten Auseinandersetzung auf. Jetzt verlangt Kundry von Parsifal emotionelle und erotische Nähe, und dafür muss sie sich zu ihm hinunterbegeben. Tito You (Amfortas), Dimitry Ivashchenko (Gurnemanz), Thomas Mehnert (Zweiter Gralsritter) Der dritte Aufzug flacht gegenüber den ersten beiden ein wenig ab, da die relevanten Auseinandersetzungen und Tragödien bereits geschehen sind. Nun bleibt nur noch die Erlösung darzustellen. Zu der absinkenden Spannung trägt auch der Umstand bei, dass Amfortas ein weiteres Mal als schwer Leidender auf der Bühne erscheint, sich die Bilder aus dem ersten Aufzug also in gewisser Weise wiederholen. Die Ermüdung des Publikums nach über vier Stunden mag ein Übriges dazu beigetragen haben. Doch es geht ja in diesem Werk nicht unbedingt um die dramaturgisch perfekte Zuspitzung eines Konfliktes, der erst zum Schluss aufgelöst wird, sondern um die Darstellung eines religiösen Reifungsprozesses, der buchstäblich in einer erlösenden Entspannung endet. Daher mag der Eindruck des Spannungsverlustes einem herkömmlichen Verständnis von Theater- und Opernkultur geschuldet sein, mit dem Wagner sowieso auf Kriegsfuß stand. Die Sparsamkeit des Bühnenbilds, dessen Hauptakzente die wechselnde Beleuchtung setzt, konzentriert die Aufmerksamkeit auf die Protagonisten der Handlung. Sie müssen die wesentlichen Akzente dieser Inszenierung setzen, und sie tun dies weitgehend im Sinne des Werks. John Dew verzichtet auf modische Aktualisierung des Stoffes, was im Zeitalter der Esoterik und verschiedener Heilslehren durchaus möglich gewesen wäre. Sogar Parsifals Ritterrüstung bleibt weitgehend im Stil des Mittelalters, ohne jegliche ironische Accessoires. Die Protagonisten agieren vollständig im Kontext des Mythos, auch wenn sie nicht alle eindeutig historische Kostüme tragen. Diese sind in ihrer Schlichtheit zeitlos - ausgenommen vielleicht Kundrys anfänglicher Hippie-Look und Klingsors Gehrock - und fügen sich damit nahtlos in das Gesamtbild ein. Klingsors Kostümabweichung symbolisiert damit auch seine Distanz zur Welt des Grals, und Kundrys "Schlampenlook" markiert sie als Außenseiterin. Parsifal dagegen wirkt zu Beginn in seiner weißen Ritterrüstung wie ein Überangepasster, Diensteifriger, dessen spätere schwarze Rüstung seine Verzweiflung über seine Schuld sowie seine Distanzierung von der Umwelt symbolisiert. John Dew gelingt es, mit der Geradlinigkeit seiner Inszenierung die wichtigen Elemente dieser Wagnerschen Spätwerks herauszuarbeiten. In gewissem Sinne verwirklicht er tatsächlich Wagners Idee, das Musiktheater zum Kirchenersatz umzufunktionieren. Schlackenlos präsentiert er die zentralen christlichen Riten wie das Abendmal oder das Streben nach Erlösung. Duch diese Konzentration auf das Wesentliche gewinnt die Inszenierung außerordentlkich an Dichte, sodass am Ende auch die über fünfstündige Aufführungsdauer nicht zur Qual wird. Bis zum Ende nimmt die Geschichte um Amfortas und Parsifal den Zuschauer gefangen, auch wenn der Mythos lange bekannt ist und nichts Neues mehr bietet. Yamina Maamar (Kundry), Andreas Daum (Klingsor), Nietzsche-Buch und Philososphenwand Dazu leisten natürlich außer der Regie die Darsteller den entscheidenden Beitrag. Dabei ist an erster Norbert Schmittberg als Parsifal zu nennen, der schon allein wegen seiner permanenten Präsenz in den Vordergrund tritt. Er hat ein immenses Pensum zu absolvieren, nicht nur hinsichtlich der reinen Bühnenzeit sondern auch wegen der stimmlichen Anforderungen. Wer bisher nicht gewusst hat, warum es typische Wagner-Sänger gibt, lernt hier, dass diese besondere Qualitäten besitzen müssen: überdurchschnittliches stimmliches Volumen, das auch nach mehreren Stunden nicht nachlässt, und entsprechende körperliche Kondition. Norbert Schmittberg zeigt diese Qualitäten bis zuletzt und hält den Spannungsbogen bis zur letzten Minute. Die darstellerischen Anforderungen sind aufgrund der eher verinnerlichenden Inszenierung nicht so hoch, doch auch hier überzeugt er. Auf gleicher Höhe agiert Yamina Maamar als Kundry. Auch sie ist stimmlich außerordentlich gefordert und zeigt, welchen durchsetzungsstarken Sopran sie ihr eigen nennt. Fast mühelos schwingt sie sich in den expressiven Passagen zu der benötigten Ausdruckskraft und Tonhöhe auf, zeigt aber auch in den getragenen Partien mit ihren Halbtonschritten Ausducksvielfalt und Intensität. Daneben hat sie als Kundry in deren verschiedenen seelischen Verfassungen auch noch einige schauspielerische Bravourstücke zu absolvieren. Dimitry Ivashchenko besetzt als Gurnemanz eine wichtige Schaltstelle in dieser Oper. Im ersten und dritten Akt stellt er den Dreh- und Angelpunkt der Handlung dar, jeweils, um die Handlung zu erklären, voranzutreiben oder die Personen - Kundry, Amfortas, Parsifal - einzuführen. Diese Aufgabe verlangt sowohl darstellerisch wie auch gesanglich eine große Ausdrucksbreite, mit der der Zusammenhalt der Handlung steht und fällt. Die Dichte dieser Inszenierung ist nicht zuletzt ihm zu verdanken, dessen Präsenz auf der Bühne keine Sekunde nachlässt. Tito You als Amfortas leidet ein wenig unter der Eindimensionlität dieser Rolle - immer nur leidend - entledigt sich jedoch dieser Aufgabe auf hervorragende Weise und mit einem bestechend raumfüllenden Bariton. Andreas Daum spielt den Klingsor als kalten Verwalter der Macht mit diesmal schneidendem Tenor, und Thomas Mehnert schlüpft kurz in die Rolle des alten Titurel. Bleiben noch zu erwähnen die zwei Gralsritter (Sven Ehrke, Thomas Mehnert), die vier Knappen (Aki Hashimoto, Stefanie Schäfer, Markus Durst und Jeffrey Treganza) sowie die Zaubermädchen (Aki Hashimoto, Allison Oakes, Stefanie Schuster, Margaret Rose Koenn, Anja Vincken und Nina Keitel). Man sieht: auch in den Nebenrollen agieren erste Kräfte! Stefan Blunier hat das Orchester hervorragend auf diese Premiere eingestellt. Bereits das Vorspiel mit seinen bewusst gesetzten Pausen stellt das Publikum auf Handlungsebene ein. Anschließend zeigt sich das Orchester in einem kontinuierlichen Strom von Musik - nur unterbrochen durch die Pausen - nicht nur als gekonnter Begleiter der Akteure auf der Bühne sondern als Gestalter des musikalischen Raums um die Gesangssolisten. Diese geben der einzelnen menschlichen Befindlichkeit Ausdruck, das Orchester dem gesamten (gesellschaftlichen) Kontext der Einzelnen. Gerade bei Wagner ist der Einzelne immer in ein gesellschaftliches, mythisches oder religöises Kontinuum eingebettet, das er nicht verlassen kann. Dieses Kontinuum verdeutlicht Wagners Instrumentalmusik derart zwingend und vereinnahmend, dass ein Nietzsche darüber schrieb: "Wagner wirkt wie ein fortgesetzter Gebrauch von Alkohol". Heute würde man vielleicht Drogen als Metapher wählen. Wie dem auch sei, das Premierenpublikum gab sich diesem Rausch gerne hin, wenn auch zum Schluss ein wenig ausgedünnt, und dankte dem gesamten Ensemble durch lang anhaltenden Beifall, mehr als einzelnen "Bravo"-Rufen und zum Schluss mit "stehenden Ovationen". Frank Raudszus Alle Fotos © Barbara Aumüller |
Merkwürd'ger Fall Kritik von Midou GrossmannZur ersten Pause verließen schon viele Besucher das Darmstädter Staatstheater. Der erste Akt schien endlos, auf der Bühne geschah nicht viel, aus dem Orchestergarben klang ein eindimensionaler breiter Klang, der die eintönigen Geschehnisse auf der Bühne noch verstärkte, und doch blieb das Darmstädter Staatsorchester mit seinem Chef Stefan Blunier in der Zeit, denn 105 Minuten sind ein durchaus übliches Zeitmaß für den ersten Akt. Im Programmheft erklärt John Dew mit vielen Worten seine Sicht auf den Parsifal, da sind Sätze zu lesen, wie: „Wenn Wagner als Mensch selten sympathisch wirkt, so ist er als Theatermann immer wieder nicht nur sympathisch, sondern geradezu liebenswert." (…) „Ich werde die Vermutung nicht los, dass Wagner die ganze Weihfestspiel-Idee in Gang setzte, damit seine Familie ein festes Einkommen nach seinem Ableben hätte." Gleichzeitig versucht John Dew zu erklären, dass Wagners ‚Parsifal’ viel katholischer, dogmatischer, sei, als allgemein angenommen, und natürlich ist das auch wieder die Schuld der prüden Cosima, zumal sie ja in ihrer Kindheit mit La Imitation du Christ malträtiert worden sei. Papier ist geduldig! In Kundry sieht er die Figur des ‚ewigen Juden’, auch eine Anschauung, die schon öfters durchgekaut wurde. So komplex und intellektuell Dews Thesen gedruckt klingen, auf der Bühne wirkt sein Konzept wenig überzeugend. Oberflächliche Direktheit Der erste Akt spielt wohl in einem katholischen Kloster. Auf großen Lettern sind die Namen der Kirchenlehrer Augustinus, Hieronymus, Gregorius und Ambrosius wie eine Mauer aufgebaut, die auch eine Spielfläche für die jungen Ministranten darstellt. Gurnemanz (Dimitry Ivashchenko, stimmlich ein noch Suchender) trägt natürlich die schwarze Soutane, Amfortas (Tito You, ziemlich überzeugend) das Bischofsgewand. Der zweite Akt zeigt dann die Buchstaben der Namen von Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza. Klingsor (Andreas Daum, mit etwas enger Stimme) erinnert an Nietzsche, mit seinem Gehrock, der Brille und einem Kragen, der den Hals abschnürt. Kundry (achtbar Yamina Maamar) kommt aus einem riesigen Buch gekrochen, auf dem Klingsor promeniert. Sollte es sich hier um den Kampf zwischen Religion und Philosophie handeln? Das Treffen zwischen Kundry und Parsifal zeigt sich dennoch als gänzlich misslungen, selten wurde diese Szene mit einer solchen Steifheit und Hilflosigkeit auf die Bühne gebracht, wie von John Dew, danach verließen wieder viele Zuschauer das Haus. Der dritte Akt dann werkgetreu mit der grünen Aue und der heiligen Quelle in Form von Projektionen. Die große Schlussszene findet wieder in dem hohen, dunklen Kirchenraum statt, es dominiert das Kreuz, in dem Parsifal schon im ersten Akt als stiller Zeuge zugegen war. Übrigens, das gelunge Bühnenbild von Heinz Balthes, mit vielen interessanten Effekten, ist die einzige wirklich kreative Arbeit des Abends. Dew verzichtet gänzlich auf eine ausgefeilte Personenregie und keiner der Sänger kann den darstellerischen Dimensionen gerecht werden, die das Stück fordert. Scheinbar ohne innere Beteiligung singt man den vorgegebenen Text. Dimitry Ivashchenko zeigt keine Seelenregungen, die langen Dialoge werden für den Zuhörer zur Geduldsprobe, die schlurfenden Schritte und die fatalen Tempi des Orchesters treiben alles auf eine unerfreuliche Spitze. Auch Norbert Schmittberg (Parsifal) kann, obwohl stimmlich akzeptabel, darstellerisch kein schlüssiges Rollenporträt abliefern. Die niedliche weiße Ritterrüstung, im letzten Akt ist sie schwarz (Kostüme José-Manuel Vázques), ist so schon in unzähligen anderen Inszenierungen zu sehen gewesen. Überhaupt, immer wieder taucht die Frage auf, ob Dew nicht letztendlich eine Parodie des Parsifals angestrebt hat. Darauf deuten auch die unzähligen Posen hin, die man von vielen Bildern der Rezeptionsgeschichte des Parsifals kennt, angefangen mit denen der Uraufführung in Bayreuth. Fast 1:1 werden hier diese vom Bild bekannten Szenen nachgestellt, und die Frage stellt sich, warum man ein Werk inszeniert, dem man offensichtlich nicht traut? Stimmlich rangieren die Leistungen auf einem homogenen Mittelmaß, Highlights kann leider kein Protagonist setzen, einzige Ausnahme, der großartige Chor. Die gute Nachricht Noch einmal zurück zur enttäuschenden Orchesterleistung. Sicherlich, es gab schön gespielte Passagen, doch zumeist fehlten Dynamik und Gestaltungswille. So gab es auch keine Steigerung in der Passage ‚von Bade kehrt der König heim’, mit der darauf folgenden Verwandlungsmusik konnten ebenfalls keine Akzente gesetzt werden, Kundrys Verführungsszene blieb seltsam eindimensional, ebenso der Karfreitagszauber. Nur in den letzten Minuten der Schlussszene, flackerten doch einige helle Klanglichter auf, vielleicht einfach nur aus der Freude der 74 Musiker heraus, dass der sehr lange Abend in einem extrem engen Orchestergraben endlich zu Ende ging. |