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16.3.2008

Oper Frankfurt, 16. März 2008
"The Rape of Lucretia" von Benjamin Britten

Nach der für großes Orchester und Ensemble konzipierten Oper Peter Grimes (1945) legte der britische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) seine dritte Arbeit für das Musiktheater mit der Kammeroper The Rape of Lucretia vor, die am 12. Juli 1946 im Festspielhaus von Glyndebourne uraufgeführt wurde.

Dale DuesingDer berühmten Altistin Kathleen Ferrier gewidmet, bemühte sich Britten in diesem Werk, die Vielfalt des britischen Opernschaffens zu repräsentieren. Der englische Barockkomponist Henry Purcell (um 1659-1695) und dessen Oper Dido and Aeneas (1689) dienten ihm hierbei als Vorbild. Britten lässt den Ablauf der Handlung durch einen weiblichen sowie einen männlichen Erzähler aus einer christlichen Perspektive kommentieren und steuern, was im Gegensatz zu der heidnisch geprägten Geschichte steht. Wegen dieses scheinbaren Widerspruchs wurde der Komponist oft von seinem Publikum kritisiert.

Das Libretto von Ronald Duncan (1914-1982) greift auf die Tragödie Le Viol de Lucrèce (1931) von André Obey zurück: Rom, 500 v. Chr.; Prinz Tarquinius, Sohn des etruskischen Tyrannen Tarquinius Superbus, erörtert mit seinen Generälen Collatinus und Junius die Untreue der römischen Frauen. Einzig Lucretia, die Gattin des Collatinus, gilt als Ausbund an Tugend. Um ihre Standhaftigkeit auf die Probe zu stellen, nähert sich ihr Tarquinius unter einem Vorwand und vergewaltigt sie in ihrem eigenen Haus. Die so gedemütigte Lucretia sieht keinen anderen Ausweg und ersticht sich vor den Augen ihres inzwischen heimgekehrten Gatten. Beide Erzähler verweisen auf die Erlösung Christi durch das Kreuz.

Die musikalische Leitung dieser Neuproduktion liegt bei dem international tätigen Maurizio Barbacini, der kürzlich mit Rossinis Il turco in Italia an der Bayerischen Staatsoper in München gastierte. In Frankfurt stellte er sich bereits mit Puccinis Manon Lescaut, Donizettis L’elisir d’amore und Rossinis Il viaggio a Reims vor. Die zuletzt genannte Produktion war gleichzeitig die erste Frankfurter Regiearbeit des renommierten amerikanischen Baritons Dale Duesing, der auch für diese aktuelle Neuinszenierung verantwortlich zeichnet. 2007 feierte er einen großen Erfolg als Alberich in Wagners Der Ring des Nibelungen unter Sir Simon Rattle bei den Festivals von Aix-en-Provence und Salzburg. Angeführt von Claudia Mahnke (Lucretia) sind aus dem Ensemble Peter Marsh (Male Chorus), Nathaniel Webster (Prince Tarquinius) und Simon Bailey (Collantinus) besetzt. Die deutsche Sopranistin Anja Fidelia Ulrich (Female Chorus) wurde an der Würzburger Musikhochschule ausgebildet und sang an der Oper Frankfurt bisher kleinere Partien in Strauss’ Elektra, Zemlinskys Der Zwerg, Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria und L’Orfeo sowie Barbarina in Mozarts Le nozze di Figaro. Weitere Gäste sind Andrew Ashwin (Junius), Arlene Rolph (Bianca) und Krenare Gashi (Lucia).

 

Frankfurter Rundschau
15. März 2008

OPER
Schweres mit leichter Hand
VON STEFAN SCHICKHAUS

Wenn Opernsänger sich berufen fühlen, Regie zu führen, kommt nicht eben oft etwas Gutes dabei heraus. Bei Dale Duesing ist das anders. Der amerikanische Bariton, der in den neunziger Jahren ein Stammgast an der Oper Frankfurt war, durfte hier seine erste Oper inszenieren: Es war Rossinis "Il viaggio a Reims" und sie gelang ihm brillant: witzig, leicht - das Publikum damals gluckste vor Begeisterung.

Jetzt hat sich Dale Duesing einen weniger locker sitzenden Stoff gesucht: Benjamin Brittens "The Rape of Lucretia", eine stilistisch eigentümliche, weil an Henry Purcells Barockoper "Dido and Aeneas" orientierte Kammeroper. Das Stück stammt aus dem Jahr 1946, ist also ziemlich genau so alt wie der Sänger-Regisseur auch, die Handlung aber spielt im Jahr 500 vor Christus: Die römische Edeldame Lucretia wird, weil sie die tugendsamste ist, von einem Tyrannen vergewaltigt, woraufhin sie sich ersticht. Zwei Erzähler, die Britten das grausame Geschehen kommentieren lässt, bringen das Selbstopfer in Verbindung mit Christi Tod am Kreuz - eine Passionsgeschichte also gut 500 Jahre vor dem eigentlichen Ereignis.

Die musikalische Leitung dieser Produktion im Bockenheimer Depot hat Maurizio Barbacini. Die Lucretia wird gesungen von der Mezzosopranistin Claudia Mahnke, einer der stärksten neuen Stimmen im Frankfurter Ensemble.

Jung sind die Akteure in dieser Britten-Produktion, reif ist der Mann am Regiepult: Die Sängerlaufbahn des 60-jährigen Dale Duesing könnte sich dem Ende nähern. Wird also Zeit, sein zweites Standbein zu stabilisieren. Wem das Leichte so großartig leicht gelingt wie bei seinem Debüt mit Rossini, dem kann auch das Schwere gar nicht mehr zu schwer sein.

The Rape of Lucretia, 16.3., 20 Uhr (Premiere), weitere Vorstellungen am 19., 21., 23., 26., 28. und 30.3.

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Dokument erstellt am 15.03.2008 um 00:08:02 Uhr
Erscheinungsdatum 15.03.2008 | Ausgabe: R1NW | Seite: 13