Schlosstheater Sanssouci: Rossinis "Seidene Leiter" bringt italienisches Temperament in die "Potsdamer Winteroper" ANTJE RÖSSLER Giulia und ihre Cousine Lucilla leben im Haus ihres Vormunds. Heimlich hat Giulia ihren Geliebten Dorvil geheiratet. Der Vormund will sein Mündel jedoch mit dem Weiberhelden Blansac vermählen. Um dem zu entgehen, versucht Giulia, Blansac mit ihrer Cousine zu verkuppeln. Dass am Ende zwei glückliche Paare auf der Bühne stehen, ist von Anfang an sonnenklar. Zuvor aber führen die Indiskretionen des Dieners Germano zu Verwicklungen: Zum Rendezvous zwischen Giulia und ihrem Dorvil findet sich nämlich auch Blansac ein. Gioacchino Rossini vertonte diesen Stoff in "La Scala di Seta". Das 1812 in Venedig uraufgeführte Stück steht eher am Anfang der Kette von Rossinis insgesamt 39 Opern. Den Titel, zu Deutsch "Die seidene Leiter", hat dieser Einakter, weil Dorvil allnächtlich über eine geflochtene Leiter das Zimmer seiner Geliebten erreicht. Solch ein Sujet mit Verwicklungen um eine heimliche Heirat traf den Nerv des italienischen Publikums vor 200 Jahren. Dass Rossinis geistreicher Witz heute ebenso zu amüsieren vermag, bewies die Produktion der "Potsdamer Winteroper" im Schlosstheater Sanssouci. Das Projekt steht ganz im Zeichen Italiens: Aus dem Vaterland der Oper stammen Dirigent, Regisseurin und das Gesangsensemble. Als Cousinenpaar glänzen Raffaella und Giorgia Milanesi mit perlenden Koloraturen, lebendigem Parlando und erotischem Stimmschmelz. Der eitle Proll Blansac erhält durch Maurizio Leoni die rechte stimmliche Kontur. Jedoch läuft die Spielfreude der Darsteller so manches Mal ins Leere. Als Ersatz für originelle Einfälle in der Personenregie dient allzu oft die eingefahrene Operetten-Gestik. Schön ist zwar der Einfall, auch die Fläche vor dem Orchestergraben in das Bühnengeschehen einzubeziehen, wird dem Sänger fern der Kulissen jedoch nicht einmal ein Requisit an die Hand gegeben, so ist bei langen Arien dramaturgischer Leerlauf programmiert. Völlig überzeichnet wiederum ist die Figur des Blansac, der zum Rendezvous in Cowboy-Kluft erscheint; mit Fransenweste, Lederhut, Kaugummi. Überhaupt besteht bei den Kostümen ein ziemliches historisches Durcheinander. Welches Konzept verbindet hier schwarzweiße Zofen-kluft, modernen Zweiteiler, Unterwäsche der 1920er und Petticoat der 1950er Jahre? Allerdings muss man der Regisseurin Caterina Panti Liberovici zugute halten, dass es nicht leicht ist, die vorhersehbare Story der "Seidenen Leiter" mit Leben zu erfüllen. Der Einakter erreicht längst nicht Anspruch und Vielschichtigkeit von Rossinis Meisterwerken wie etwa dem "Barbier von Sevilla". Musikalisch war die Premiere ein uneingeschränktes Vergnügen. Der temperamentvolle Dirigent Felice Venanzoni spornte die Kammerakademie Potsdam zu schmissigem Spiel an. Seine Rezitativbegleitungen am Hammerflügel perlten einfallsreich und szenisch stimmig dahin. Historische Spielweise, kleine Besetzung und das intime Flair des Rokoko-Schlosstheaters – man dürfte eine recht authentische Aufführung wie zu Rossinis Zeiten erlebt haben. |
Heißblütige „Winteroper" Von Peter Buske
Bis auf jene „Leiter", mithilfe derer der von Mündel Giulia heimlich geheiratete Gatte nächtens über’n Balkon ins kuschlige Ehebett kraxelt. Der Vormund Dormont (welch vortrefflicher Name für einen vertrottelten Alten) darf davon nichts wissen, will er doch die reizende Giulia an den machohaften Möchtegern-Casanova verheiraten. Auf den hat aber auch Giulias Nichte Lucilla gleich bei dessen Eintreffen ein Auge geworfen. Die Verwicklungen und Missverständnisse, Liebesschwüre und Treueprüfungen nebst Eifersuchtsaubrüchen und Rendezvous-Versprechen (bei dem jeder den anderen belauscht) sind vorprogrammiert – wie das Leben eben so spielt. Und das ist von Sergio Mariotti mit einem mehrräumigen Interieur (Bad, Terrasse, Wohn- und Schlafzimmer) sehvergnüglich auf die Bühne gebracht. Rollhänger assoziieren großbürgerlichen Lebensraum. Über Bodenmarkierungen springen die Darsteller mühelos von einem Zimmer in das andere. Die stilsicheren Kostüme von Cristina Aceti und die einfallsreiche, witzige und tempogeladene Inszenierung (Caterina Panti Liberovici) sorgen für weitere gute Laune. Deutsche Übertitel erleichtern das Verständnis für’s italienisch Gesungene, wobei es solcher „Nachhilfen" ob des prägnanten und glaubhaften Spiels des italienischen Ensembles gar nicht bedürfte. Musikalisch steht es gleichfalls zum Besten. Die Kammerakademie Potsdam gibt sich den rossinischen Intentionen genauso sicher hin wie es die Anregungen des Dirigenten Felice Venanzoni per Taktstock und Hammerflügel in akzentuierten, munter parlierenden, dann wieder sentimental sich verströmenden oder rasant quirligen Klang verwandelt. Man musiziert eine Belcantokomödie, keine Klamotte. Daran halten sich auch die Kehlkopfartisten, denen es größtenteils nicht an Geschmack und koloraturenflinker Beweglichkeit mangelt. Allen voran Raffaela Milanesi als reizend anzusehender, selbstbewusst auftretender, ein wenig durchtriebener Giulia, deren blitzsauberer Sopran durch eine gedeckte Mittellage sehr einprägsam klingt. Sie sucht trotz manch misslicher Entwicklung die Handlungsfäden in der Hand zu behalten. Und kann auch innig sein, wenn sie von ihrer Sehnsucht nach Dorvil, dem geliebten Mann singt. Aber ist sie ihm auch immer treu? Als selbiger stellt Daniele Zanfardino sie auf die Probe („Sehe ich diesen großen Liebreiz"). Ein lyrischer Spinto-Tenor: klar, leichtstimmig und beweglich, dem strahlende Spitzentöne mühelos gelingen. Ständig auf Lauschposition ist auch der etwas einfältige, als clownesk-dummer August in Erscheinung tretender und die Verwicklungen auslösender Diener Germano, der in Enrico Marabelli (Bassbariton) eine vorzügliche Inkarnation erfährt. Als Gärtner (im nächtlichen Park) oder wandelnder Tisch erfährt er so manche Dinge – und versteht sie gründlich miss. Köstlich, weil nicht klamaukig serviert. Von dieser komischen Dezenz ist Maurizio Leoni (Bassbariton) als Frauenheld Blansac frei. Er mimt einen wandelnden Testosteronbomber in Cowboygehabe, singt kraftvoll und mit großer Geste. Und wechselt sogleich die Fronten, als er Lucilla erblickt, die in Giorgia Milanesi mit ihrem entzückend tramplig gespielten Sexappeal und Mezzosopran-Esprit eine vorzügliche Vertreterin gefunden hat. Nicht so Vormund Dormont alias Christian Dietz, der über’s Chargieren leider nicht hinauskommt. Und die immer wieder erwähnte „seidene Leiter"? Sie entpuppt sich als eine gegen Stückende aufgezogene Wäscheleine mit seidener Reizwäsche. Ende gut, alles gut. Die richtigen Paare finden sich. Der Beifall brandet. |