WAZ
12.11.2007

Fulminanter Abschluss

Von Norbert Fischer

Herne. Händel-Oratorium beendete am Sonntagabend die Tage Alter Musik, die ihr Publikum mit hohem künstlerischem Niveau und intelligenter Programmgestaltung überzeugten

Opulent, mit hochkarätiger Besetzung und von Bravorufen begleitet, beendete Händels "Il trionfo del tempo e del disinganno" am Sonntagabend die diesjährigen Tage Alter Musik in Herne. Die bis auf die Eröffnungsveranstaltung durchweg gut besuchten Abendkonzerte begeisterten ein auffallend konzentriertes Publikum mit hohem künstlerischen Niveau und intelligenter Programmgestaltung.

Pathos, Innerlichkeit und lutherische Orthodoxie. Ein wahres Spannungsfeld von Weltanschauungen und Emotionen versprach der Abend, den Ton Koopman, ein ganz Großer der Alten Musikszene, für Herne zusammengestellt hatte. Mit seinen abgezirkelten Bewegungen beim Begrüßen, Verbeugen und Händeschütteln vermittelt dieser Künstler schon körperlich eine Perfektion, die bald darauf auch akustisch zu Tage trat. Zweifellos einer der Höhepunkte des Festivals war dieser Freitagabend, der ganz dem Vorbild Bachs, dem Organisten und Komponisten Dietrich Buxtehude gewidmet war. Dessen künstlerisches Schaffen war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht unwesentlich geprägt von reformatorischen Strukturen.

Das Amsterdamer Barockorchester & Chor interpretierten u.a. die liturgischen Arbeiten des alten Meisters mit werkgetreuer Instrumentierung und ausgefeilter Präzision. Die hervorragenden Gesangssolisten boten besonders in der "Missa brevis" transparente Mehrstimmigkeit erster Güte. In der Kantate "Ich bin die Auferstehung und das Leben" bestach vor allem Klaus Mertens mit seinem schlanken und beweglichen Bass. Dank stimmlicher Flexibilität der Solisten in Verbindung mit ihrer dynamischen Bandbreite gelang eine facettenreiche Verbindung mit Chor und Or-chester. Einen frenetisch be-klatschten Schlusspunkt setzte das "Benedicam Dominum", in dem nochmals alle Register restaurativer Gestaltungskunst gezogen wurden.

Geistliche Musik etwas anderer Art bot das Ensemble Accentus Austria mit seiner Musik zu barocken "autos sac-ramental". Diese religiösen Dramen verschiedenen In-halts verherrlichten und be-gleiteten im Spanien des 17. Jahrhunderts die traditionelle Fronleichnamsprozession.

Hauptsächlich Vokalwerke zum Thema der (himmlischen) Liebe waren am Samstagabend Gegenstand einer sehr gelungenen Veranstaltung der eher leisen Töne. Olga Pitarch intonierte mit sehr feinem Sopran und fesselte das Publikum mit geschliffener Artikulation und dezent illustrierender Mimik. Sehr präzise agierende Musiker unter der versierten Leitung von Thomas Winner standen ihr zur Seite. Die Aneinanderreihung der Vokalstücke über einen längeren Zeitraum wirkte aufgrund ihres Charakters zwischenzeitlich etwas eintönig. Reine Instrumentalsätze mit sehr agilen Solisten wie Michael Posch (Blockflöte) und Pierre Pitzl (Barockgitarre) ließen jedoch immer wieder, besonders bei tänzerischen und folkloristischen Abschnitten, eine Lebendigkeit aufkommen, die das Publikum mitriss und denen durchaus mehr Gewicht hätte zukommen können. Nichtsdestotrotz waren den Gästen zwei Mal 50 Minuten und die obligatorische Zugabe nicht genug. Eine weitere sowie lang anhaltender Beifall mit Händen und Füßen ließen die Liveübertragung etwas "überziehen".

Als Abgesang auf barocke Dekadenz und oberflächlichen Pomp versteht sich schließlich Händels Oratorium, welches den 32. Tagen Alter Musik einen fulminanten Abschluss bescherte. Die "Akademie für Alte Musik Berlin" unter der Leitung von Georg Kallweit und Jan Frei-heit sowie vier fantastische Gesangssolisten gestalteten dieses Mammutwerk bis zur letzten der über 150 Minuten gradlinig, ausdauernd und stilsicher.

Die Allegorien Schönheit, Vergnügen, Ernüchterung und Zeit verkörperten Christine Wolf, Salomé Haller (Sopran), Popupiç (Mezzosopran) und Emiliano Gonzales Toro (Tenor) mit gestalterischer Fines-se und stimmlicher Bravour. Die Stille nach der letzten verklungenen Silbe war gewaltig.

Der hereinbrechende Applaus nicht minder. Im nächsten Jahr gibt es wieder Tage Alter Musik.

 

Ruhr Nachrichten
13. November 2007

Chor des Papstes offenbart viel Volumen

Von Klaus Lipinski

HERNE Der eine Chor bietet eine Tradition, die so weit zurück reicht wie bei keinem anderen. Die anderen zeigten, dass sie diese Musik heute perfekter singen.

In den Reihen des päpstliches Chors "Capella musicale pontificale Sistina" sangen einst Palestrina und Desprez. Auftritte außerhalb des Vatikans sind eine Rarität. Das Konzert bei den 32. Tagen alter Musik in Herne offenbarte Volumen, aber keine göttliche Klangkultur. Die gab es von Rinaldo Allessandrini und seinem Concerto Italiano sowie von Ton Koopmans Amsterdamer Barockchor samt Orchester.

Ensemble nimmt sich Freiheiten

Bei Rinaldo Alessandrini prägt der Textinhalt auf radikale Art die Musik. Da wird intensiv gefleht, geliebt, gewütet, getanzt und gestritten. Sein Ensemble nimmt sich Freiheiten: In der Lust, chromatische Effekte auszureizen, bei der Phrasierung, die sie manchmal sehr frei handhaben.

Neugier auf mehr

Koopman setzte dagegen auf ein Klangbild, in das alles perfekt integriert wurde. Der immer hell strahlende Chor und die federnden Orchesterklänge machten neugierig auf die Buxtehude-Gesamtausgabe, an der er im Moment arbeitet. Zu den Überraschungen gehörten die leichtfüßigen und doch temperamentvollen spanischen Rhythmen von Accentus Austria unter Thomas Wimmer.

Olga Pitarchs Stimme passte hervorragend zum Ensemble. Brigitte Lesne gab in einem Solokonzert den Texten der Troubaritz den verschollenen Klang zurück, und fand eine ruhige, fast melancholische Musik.

Auch die Akademie für alte Musik setzte auf extreme Umsetzung des Inhalts. Quicklebendig und mit exzellenten Holzbläsern. Bei Händels Oratorium "Il trionfo del tempo et del desinganno" stachen gesanglich Christine Wolf und Emiliano Gonzales Toro hervor.