Neue Zuercher Zeitung
2. Dezember 2008

Bretter, die nicht die Welt bedeuten
Fragmentarische Erstaufführung von Verdis "I masnadieri" in der Oper Frankfurt

Trotz Kälte und Wind stauten sich am Sonntagabend die Premierenbesucher vor der Frankfurter Oper: Transparente verkündeten "Streik", Handzettel lieferten Informationen. Es geht um den seit längerem schwelenden Konflikt zwischen der deutschen Musikergewerkschaft und dem Deutschen Bühnenverein. Die Musikergewerkschaft fordert, dass die für den öffentlichen Dienst ausgehandelten Lohnerhöhungen auch auf die Orchestermitglieder übertragen werden. Der Deutsche Bühnenverein hat zwar am 13. Oktober die Anpassung der Tarife beschlossen, der Abschluss eines neuen Tarifvertrages mit den Orchestern ist aber bisher gescheitert, weil Uneinigkeit darüber besteht, wie die Umsetzung der Lohnerhöhungen erfolgen soll. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Orchestermusiker – nicht nur in Frankfurt – am vergangenen Wochenende Streikaktionen durchgeführt.

Klavier statt Orchester

Die Premiere von "I masnadieri" hat unter der musikalischen Leitung von Zsolt Hamar trotzdem stattgefunden, allerdings nur mit Klavierbegleitung. Und das bedeutete trotz dem professionellen und temperamentvollen Spiel der zwei sich ablösenden Pianisten eine gravierende Einbusse. Denn "I masnadieri", die zweite der vier Schiller-Opern von Giuseppe Verdi, findet höchst selten den Weg auf die Bühne. Selbst in der Verdi-Hochburg Zürich war sie seit einer konzertanten Aufführung in der Spielzeit 1982/83 nicht mehr zu hören. Nicht nur von der Musik, auch von den Sängerstimmen liess sich in der gleichsam skelettierten Frankfurter Wiedergabe kein gültiger Eindruck gewinnen. Zwar verhinderte die Klavierbegleitung das heute weitverbreitete Forcieren, doch sie konnte den Solisten umgekehrt auch nicht den orchestralen Klangteppich ausbreiten, der stimmliche Unebenheiten und Intonationstrübungen schluckt.

Unter diesen Umständen und angesichts der akustisch schwierigen offenen Bühne war es bewundernswert, wie souverän Olga Mykytenko (Amalia), Alfred Kim (Carlo), Ashley Holland (Francesco) und Magnus Baldvinsson (Massimiliano) sich den Gegebenheiten anpassten, wie gut dosiert und expressiv sie ihre wohlklingenden, substanzreichen Stimmen einsetzten. Gravierend war das Fehlen des Orchesters aber auch deshalb, weil die Produktion szenisch wenig zu bieten hat. Dass der Regisseur Benedikt von Peter Verdis Adaptation der Schillerschen "Räuber" auf einem die ganze Bühne bedeckenden, schräg ansteigenden Bretterboden spielen lässt und mit mobilen Scheinwerfern, vom Schnürboden herabgelassenen Bäumen, historisch kostümierten Figuren und künstlich erzeugten Naturlauten arbeitet, schafft von vornherein eine theatralisch verfremdete Spielanlage (Bühne Annette Kurz, Kostüme Ursula Renzenbrink). Zwar wird so die Isoliertheit der einzelnen Personen betont – die Chöre placiert der Regisseur mehrheitlich im Orchestergraben –, aber das, was an diesem Werk vor allem interessiert, der Konflikt zwischen einem alten Vater und seinen zwei ungleichen Söhnen, gewinnt in diesem Bühnenraum keine Konturen.

Vom Sterben des alten Mannes

Leitthema ist für Benedikt von Peter das Sterben des alten Grafen Moor (bei Verdi Massimiliano genannt). Dieses beginnt schon im Vorspiel und mit einem Knalleffekt: Der im Parkett sitzende Darsteller der Rolle fingiert einen Kollaps, die neben ihm sitzende Sopranistin beginnt hysterisch zu schreien, beide werden auf die Bühne gebracht, wo Moor fortan meist auf einem Schragen liegt, umgeben von alten Männern, die sich später in Carlos Räubertrupp verwandeln. Doch es gelingt dem Regisseur nicht, das Sterben Moors mit der Dreiecksgeschichte zwischen seinen zwei Söhnen und Amalia, der Nichte des Grafen und Geliebten Carlos, zu verknüpfen. Weder Carlo, der Ältere, Bevorzugte, infolge einer Intrige des Bruders Verstossene, noch der von Neid und Hass erfüllte Francesco nehmen hier lebendige Gestalt an, so dass Amalia in ihrer koloraturverzierten Opferrolle für einmal den dankbareren Part hat. – Etwas Positives lässt sich der fragmentarischen Frankfurter "Masnadieri"-Erstaufführung dennoch abgewinnen: Dass sich die Premierenbesucher zum weitaus grösseren Teil trotz dem Angebot, auf eine spätere reguläre Vorstellung umzubuchen, für die Aufführung mit Klavierbegleitung entschieden, zeugt von der Verbundenheit der Frankfurter mit ihrem Opernhaus.

MARIANNE ZELGER-VOGT

 

OFFENBACH POST
2. Dezember 2008

Helden zerfleischen sich in mordsmäßiger Geschichte
Pianisten retten Frankfurter Opernpremiere von Giuseppe Verdis "Räubern"


Massimiliano (Magnus Baldvinsson) hat seinen Stammplatz auf der Bahre eingenommen,
von Amalia (Olga Mykytenko) angemessen bedauert.
Foto: Monika Rittershaus

Novum in Frankfurt: Ein bundesweiter Orchesterstreik hat die Premiere von Giuseppe Verdis Oper "Die Räuber" in Schwierigkeiten gebracht; mit glücklichem Ausgang. In Person der Pianisten Felice Venanzoni und Karsten Januschke, die sich beim Orchesterpart abwechselten und zu Helden avancierten - wie das mit Jetzt-erst-recht-Elan antretende Solistenensemble und der heftig geforderte Chor. Dagegen zog die zwischen Tragödien-Realität und Fiktion unentschlossene Inszenierung Benedikt von Peters den Unwillen eines Großteils des Publikums auf sich.

Der Überraschung vor den Toren folgt der Schock beim Vorspiel. Gellende italienische Klagelaute im Parkett: Maximilian, Graf von Moor, ist vor Kummer über seinen missratenen Zweitgeborenen, der den Lieblingssohn Karl denunziert hat, zusammengebrochen und wird auf einer fahrbaren Bahre - künftig sein Stammplatz - auf die Bühne gekarrt. Dort ist er von alten Männern umgeben, die seinen röchelnden Atem per Mikrofon verstärken und sich in die von Karl befehligte Räuberbande verwandeln.

Eben noch in zerrupfter Alltagskleidung, schlüpft das verbal auf Morden und Vergewaltigen spezialisierte Kollektiv in historischen Räuberfummel, mit dem es einst im Spessart nicht aufgefallen wäre; Kostümdesignerin Ursula Renzenbrink hat ganze Arbeit geleistet. Auch Ausstatterin Annette Kurz, deren angeschrägte Bühnenplattform in der doppelbödigen Geschichte viele Untiefen (sogar als Grab nutzbar) und lockere Planken aufweist, wie sich der Müll wieder häuft.

Die von Textdichter Andrea Maffei aus Friedrich Schillers Drama eines selbstherrlichen Geistes gefilterte Familientragödie genügt von Peter nicht, der sie in einen surrealen, angelegentlich märchenhaften Kontext stellt. Etwa wenn mit viel Theaterdonner Galgenstricke vom Bühnenhimmel fallen, an denen Nadelhölzer hängen, aus denen das Käuzchen ruft.

Ob das die Musik hergibt, die den Trauermarsch in Liebessehnsucht erinnerndes "Hmtata" umbiegt und melodische Strahlkraft in Arien, Duetten und Ensembles bezeugt, wird die Orchesterfassung zeigen. Vorerst konzentriert sich Dirigent Zsolt Hamar auf die für breite Klangflächen zuständigen, auf ironische Distanz gebrachten Schmetterchöre, sauber einstudiert von Matthias Köhler. Und auf die einander zerfleischenden Protagonisten der mordsmäßigen Geschichte.

Da weiß vor allem Olga Mykytenkos feinstimmiger, für steile Koloraturengänge prädestinierter Sopran zu begeistern, als Amelia zwischen den Fronten zerrieben. Aber in treuer Liebe zu Karl, der sie indes am Ende ersticht, seiner Räuberbande ein Opfer bietend, um sich danach zu stellen. Alfred Kims Reue kommt glaubwürdig rüber, mit einem Tenor, der emotionale Tiefe hat. Wie auch Ashley Holland als Franz Moor, ein abgefeimter Egomane, der schon das Hochzeitskleid unter dem Arm hat, wenn er Amelia bedrängt: Sympathiepunkte erzielt sein geschmeidiger Bariton, der Überheblichkeit und Angst gleichermaßen auf den Punkt bringt. Auch die übrigen Protagonisten - Bassist Magnus Baldvinsson als todgeweihter Graf Moor, die Tenöre Michael Gown als Kammerherr und Hans-Jürgen Lazar als Karl Moors Gefährte - nutzen die Situation, um auf ihre stimmlichen Qualitäten aufmerksam zu machen.

Es spricht für den Ensemblegeist, dass der massive klangliche Aderlass so klaglos kompensiert wird. Auf sein Publikum kann sich Intendant Bernd Loebe eh verlassen. Nur 15 Prozent der Premierengäste machten vom Angebot Gebrauch, eine spätere Aufführung zu besuchen. Fatale Erkenntnis für Streikende: In finanziell lausigen Zeiten tut’s ein Klavier ...

KLAUS ACKERMANN

 

Frankfurter Neue Presse
02.12.2008

KULTUR
Die bestohlenen "Räuber"
Wegen des Streiks hatte Verdis Oper "I Masnadieri" nach Friedrich Schiller in Frankfurt ohne Orchester Premiere.

Von Rudolf Jöckle

Grund für diesen einzigartigen Vorgang: Die gescheiterten Gespräche um tarifliche Meinungsverschiedenheiten waren erfolglos geblieben (siehe nebenstehenden Bericht). Und dies gebar wohl die Idee, ein Klavier einzusetzen, um wenigstens die Premiere zu retten. In der Tat: An dem Flügel erwiesen sich Studienleiter Felice Venanzoni, nach der Pause abgelöst durch Repetitor Karsten Januschke, nicht nur als technisch versierte, sondern auch die Stimmen sensibel tragende Pianisten, von ihrem dramatischen Impetus ganz abgesehen – sie kennen halt ihre Sänger, wobei natürlich Zsolt Hamar am Pult mit eindrucksvoll ausgewogenen Tempi sich als der souveräne Lenker des Ganzen erwies.

Unter solchen "ungewohnten" Umständen sind zwei Debüts besonders zu bewerten. Olga Mykytenko stellte sich als Amalia vor: kein "großer" Sopran, sondern eine sicher tragende, reine Stimme, ob im zarten Pianissimo oder in Ausbrüchen des Leides mit stets kontrollierter Intonation und präzisen Koloraturen, deren Virtuosität sie bestechend in den dramatisch-psychischen Augenblick einband. Und Alfred Kim als der gute Sohn Carlo ist ihr der gefühlvoll-zerrissene Liebhaber, nicht zu mächtig, jedoch beweglich in der Stimme, die auch bei wehmütigem Leid oder im letzten Rest von Hoffnung das Espressivo stets kontrollierte.

Ashley Holland als Bösewicht Francesco überzeichnet nicht, imponiert jedoch mit seiner gleichsam "präzisen" Falschheit. Magnus Baldvinsson singt bei allem Schmerz und aller Not recht flexibel und markant ein genaues Bild des alten Massimiliano. Und zwingend wird der Kammerherr Arminio, eine Art neutraler Bote zwischen den Fronten, von Michael McCown gesungen und gespielt. Schlagkräftig (wie heute "Fußballfans" – eine rechte Definition der Regie), aber auch elastisch der Chor der Räuber. Die Klavierbegleitung gibt seinem Gesang dabei eine merkwürdige Distanz, die wiederum in Dringlichkeit, in eine eigene Realität, ja fast "religiöse Qualität" umschlagen kann.

Dabei mag auch geholfen haben, dass dieser Räuberchor vornehmlich aus "alten" Männern besteht (der Oper fehlt ja die politische Dimension Schillers), Regisseur Benedikt von Peter will damit die Auseinandersetzung mit dem Tod, die das Werk immer wieder reflektiert, verdeutlichen. So bleibt denn auch das Kollektiv in sich geschlossen, eine Bande, die eher vom Zufall lebt, zumal sie keine einzelnen Namen mehr kennt.

Die Bühne von Annette Kurz bleibt dabei weit und leer (was ja auch rasche Wechsel möglich macht), vor allem aber auch konsequent antinaturalistisch. Der Wald (als "deutscher Sehnsuchtsort", so Regisseur von Peter) sinkt bestenfalls in gewaltigen Ästen und Tannenbüscheln vom Schnürboden, merkwürdige Blechroboter stehen an seinen Grenzen. Keine schöne Welt, aus der es ja auch kein Entrinnen gibt. Manches wiederholt sich dabei, die Bilder, an deren Anfang Benedikt von Peter die ganze Familiengeschichte gleichsam als Exposition gestellt hat, ehe die Räuberei Stimme erhält, verlieren bisweilen doch ihren Gegendruck. Und missglückt scheint der Auftakt mit dem fingierten Herzinfarkt des Massimiliano in Reihe 8. Das heißt mit dem Entsetzen, mit des Nächsten möglicher Not und dem Schrecken seines Nachbarn zu spielen.

Am Ende große Begeisterung des doch mit über 80 Prozent besetzten Hauses, Bravos. Und Buhs für die Regie.

 

Frankfurter Rundschau
2. Dezember 2009

Verdi-Premiere
Die Tugenden der Kargheit
VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Das Klavier ist doch immer etwas Praktisches. Bei den Vorvätern diente es, stellvertretend für die noch nicht erfundene Schallplatte, der Verbreitung klassischer Meisterwerke in handlich-hausmusikalischen Bearbeitungen. Noch immer braucht man es als Orchester-Simulator bei jeder Operneinstudierung. In sozialpolitisch nun wieder frostigeren Zeiten könnte seine Ersatzrolle noch andere Dimensionen erreichen.

Nach längerem Tarifgrummeln verschärft sich jetzt der Streit zwischen der Musikergewerkschaft DOV und dem Deutschen Bühnenverein. Jüngste Etappe der Auseinanderesetzung war die vom Museumsorchester bestreikte Verdi-Premiere "I Masnadieri" ( "Die Räuber") im Frankfurter Opernhaus. Als Retter in der Not trat das Klavier in Aktion. Heute Ausnahme, übermorgen die Regel?

Das wohl doch nicht, denn wenige Opern lassen den Orchestersound vergleichsweise so unschwer vermissen wie die in ihrer Klangfaktur schlichte, klar konturierte, vielfach noch sterotype Partitur aus Verdis Galeerenjahren. Hier eine Violoncello-Solokantilene, dort eine lakonische Holzbläserpassage oder zünftige Blechattacke kann sich die Hörerphantasie billig hinzu imaginieren. Glück im Unglück also, dass nicht instrumentatorische Finessen wie "Tristan" oder "Tosca" auf dem Programm standen oder gar Aribert Reimanns "Lear", dessen Klavier-Extrakt wenig mehr denn ein monochromer Mulm gewesen wäre. Felice Venanzoni und Karsten Januschke, die korrepetitorischen Studienbegleiter, ließen bei subtil abtönender Vortragsart keinen Ton unter den diesmal so kargen Tisch des Hauses fallen.

Ansprechende Kargheit regierte auch das Regiekonzept Benedikt von Peters. Nach einem gerade in dieser Situation besonders irritierenden Einstieg - die Vaterfigur des Grafen Maximiliano wird aus einer Parkettreihe auf die Bühne geschleift, Handlungsfiktion mithin aus kruder, diesmal besonders verstörter Premierenrealität generiert - bot sich gleich zu Beginn und für eine ganze Weile ein Bild desolater Personenbeziehungen auf riesig kahler Bühne. Annette Kurz schuf eine weite, leicht geneigte, von Bohlen bedeckte graue Spielfläche, die sich oft vor einem unbestimmbar dunklen Hintergrund verlor.

Nach der Stückmitte kam dann doch so etwas wie gestandene Räuber-, Wald- oder gar Lagerfeuerromantik auf. Spektakulär wurden Nadelbäume (die Wipfel nach unten) vom Schnürboden gezogen, eine ironisch-bedrohliche Adventsgabe. In summa: kontrastiv reizvoller Wechsel von Beckett'schen Vereinzelungen und opernhaften Massenszenen. Mitunter sang der Chor (wohlpräpariert von Matthias Köhler) aus dem Orchestergraben, während auf der Bühne ein Bewegungs-Chor-Rentnertrüppchen agierte, hübsch abgestimmt zwischen Ganoven- und Domestikenhabitus.

Verdis "Masnadieri" sind sein erster Griff zu dramatischer Weltliteratur. Andrea Maffeis Libretto ist jedoch, mit Modifikationen, die man auch als Verbalhornungen deuten kann, ein kühner Sprung in die handfesteste Operndramaturgie. Bemerkenswert, wie unmissverständlich sich alles jener Konstellation des fatalen Leidenschafts-Dreiecks zuneigt, die auch fast jede weitere Verdioper obsessiv einfärbt. So gibt es bereits den Bariton, der das Unheil bringt - hier heißt die Kanaille Francesco (hernach wird es Graf Luna, endlich Jago sein) - und seinen positiven Gegenspieler, den Tenor-Bruder Carlo. Dazwischen Amalia, das ewig weibliche Objekt der Begierde. Dazu den Vater, ambivalent-autoritativ Katastrophen auslösend.

Doch im Frühwerk drückt sich Raserei noch in gebahnterem Belcanto aus und ein. Die Frankfurter Protagonisten hatten Potenz genug, auch im noch rudimentär Expressiven den Ernstfall dramatischer Berührtheit zu demonstrieren. Magnus Baldvinsson war, fast immer an die schäbige Krankenliege fixiert, das Zentralrequisit der Aufführung, ein betont ungreisenhafter, in weiche Sonorität getauchter Graf. Alfred Kim gab dem Carlo differenzierte Tenorfarben eines Verletzlichen, mit leicht ansprechbarem Organ zwischen Ausbruch und Melancholie vermittelnd. Ashley Holland war der Francesco mit taumelnd pizarrohafter, gleichsam triebgepeitschter Körpersprache und einem von metallischer Schwere gezeichneten Timbre. Im männergesellschaftlich verminten Gelände suchte sich Olga Mykytenko in zarter Verzweiflung ihren Weg, im Tutu (Kostüme: Ursula Renzenbrink) durch den Wald irrlichternd als Inbild engelhafter Unschuld; ihr Gesang, ein von Kühle umwehtes Blühen, immer wieder wunderbar ins Leise abschattierend, im fliegenden Allegro zu virtuoser mezzo voce gezügeltes Flehen um eine Welt ohne Gewalt und Demütigung.

Und das alles mit Klavier, das in dieser Aufführungssituation wohl auch zur Chiffre jener Unerlöstheit zu werden vermochte, mit der das personale "Trio infernale" die wüste Handlung pflügte. Der umsichtige Dirigent Zsolt Hamar ließ es sich nicht nehmen, das Orchester der zwei Pianisten genau so voller Inbrunst zu dirigieren, als habe er ein Orchester zum Sprechen zu bringen. Das Orchester sprach.

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Dokument erstellt am 01.12.2008 um 16:48:03 Uhr
Letzte Änderung am 01.12.2008 um 17:36:03 Uhr
Erscheinungsdatum 02.12.2008

 

Wiesbadener Tagblatt
03.12.2008

Der Reiz der Reduktion
Auch ohne Orchester ein Erlebnis: Verdis "Räuber" in Frankfurt

Von Volker Milch


Feindliche Brüder an Vaters Bahre: Alfred Kim als Carlo (rechts),
Magnus Baldvinsson als Massimiliano (liegend) und Ashley Holland als Francesco.
Foto: Rittershaus

FRANKFURT Man möchte Frankfurts Orchestermusiker ja nicht mit einer Räuberbande vergleichen, aber die Rebellion vor dem Opernhaus anlässlich der Premiere von Verdis Schiller-Oper "I Masnadieri" schlug doch einen spannungsvollen Bogen aus der rauen Realität des Arbeitskampfes zum schönen Schein auf der Bühne, wo bald die organisierte Unbotmäßigkeit von Carlo Moors Bande in kraftvollen Räuber-Chören zu erleben sein sollte.

Denn sie fand statt, die Premiere, obwohl die Orchestermusiker in einen bundesweit koordinierten Streik gegen die von ihnen befürchtete Abkopplung vom öffentlichen Dienst getreten waren: Zsolt Hamar dirigierte nicht den üblichen Klangkörper, sondern die über Lautsprecher verstärkte Klavierfassung, für die sich Studienleiter Felice Venanzoni und (nach der Pause) Karsten Januschke mit pianistischem Elan ins Zeug legten.

Diese Reduktion hatte durchaus ihre Reize. Vor allem aber sorgte der Einsatz eines vorzüglichen Sänger-Aufgebots dafür, dass die Oper auch ohne Orchester zu einem musikalischen Erlebnis wurde: Olga Mykytenko glänzte als Amalia mit beweglichem Sopran, und Alfred Kim zeigte sich den tenoralen Anforderungen der Partie mit Kraft und Schmelz gewachsen. Der Bariton Ashley Holland lieh dem bösen Bruder Francesco seine Stimme, während Magnus Baldvinsson die Vaterfigur des Massimiliano, des alten Grafen Moor, mit Format und Würde ausstattete.

Viel Applaus gab es dafür vom Publikum, das kaum von seinem Kartenrückgabe-Recht Gebrauch gemacht hatte (15 Prozent nach Opern-Angaben). Dabei kann man gerade im Parkett von Frankfurts Oper von starken Sympathien für die Arbeitgeberseite ausgehen.

Zwischen Realität und Kunstwelt gab es allerlei Überschneidungen. Während der Streik-Schock noch in den Knochen sitzt, verschreckt der junge Regisseur Benjamin von Peter das Publikum, indem er den alten Moor in den Zuschauerreihen zusammenbrechen lässt. Er wird auf der Bahre versorgt, während sich auf der Bühne ein Methusalem-Komplott aufbaut. Die Ausgestoßenen sind keine jugendlichen Draufgänger, sondern durch das kahle Bühnenbild von Annette Kurz schlurfende Greise, die sich zum pittoresken Räuber-Theater im Stil des 18. Jahrhunderts verkleiden werden. Trotz solcher Brechung wird Verdis Werk keineswegs demontiert. Detailscharf ist die Inszenierung bis in die Kostüme. Ein starker Abend, dem man nur noch die Verstärkung durch das Orchester wünschen kann.

 

Deutschland Radio
02.12.2008

KULTUR HEUTE
Aufstand gegen die Verhältnisse
Giuseppe Verdis Oper "I Masnadieri" in Frankfurt

Von Frieder Reininghaus

Giuseppe Verdis Oper "I Masnadieri" basiert auf dem Theaterstück, mit dem Friedrich Schiller ein Menschenalter zuvor berühmt geworden war: "Die Räuber". Der Plot und dessen soziale Grundierung dreht sich um die Frage nach der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung und die nach dem Recht auf Aufruhr. Gestern Abend hatte das selten auf den Bühnen gezeigte Stück Premiere an der Oper Frankfurt.

"Die Räuber" stellten sich auf der Opernbühne ein, als Giuseppe Verdi auf dem Sprung war, Verdi zu werden. Und dies hieß: mehr als nur der emsige und effektsichere Zulieferer eines Musiktheaterbetriebs, der sich einen der großen klassischen dramatischen Stoffe nach dem anderen anverwandelte und ausbeutete. Shakespeares, Lord Byrons, Schillers, Victor Hugos Texte wurden rüde eingekürzt und umgeschneidert. Bei diesen Einverleibungen blieb allemal - die Weiterverarbeitung der Schillerschen "Jungfrau von Orleans" zur "Giovanna d'Arco" ist dafür ein abschreckendes Beispiel - allzu viel vom guten Gehalt der zugrunde liegenden Stücke auf der Strecke. Der Wert des Zugewinns durch die nur zu oft holzschnittartige Musikalisierung war meist auf den emotional-sentimentalen Sektor beschränkt. Dies erklärt auch, warum die frühen Verdi-Opern - mit Ausnahme von "Nabucco" - sich in der Konkurrenz mit den originalen Dramen nicht behaupten konnten.

"I Masnadieri" aber stehen, wie gesagt, auf der Schwelle zu dem, was sich dann mit der Fortspinnung der Schiller-Kabale "Luisa Miller" andeutete und zum grandiosen "Don Carlo" führte: der Neuerschaffung der Tragödien aus dem Geist der Musik.

So in etwa hätte es bei der Premiere der Verdischen "Räuber" in der Frankfurter Oper klingen sollen. Bei der Generalprobe am Freitag konnten sich Olga Mykytenko und Alfred Kim, die fürstliche Waise Amalia und der auf die schiefe Bahn geratende Grafensohn Carlo, noch auf den Klangteppich der Damen und Herren des Frankfurter Museumsorchesters stützen. Doch am Sonntag Abend kam es überraschend anders: Die gewerkschaftlich gut organisierten Mitglieder der Kapelle streikten - es geht um die Grundsatzfrage, ob die Theaterorchester in Deutschland vom öffentlichen Dienst abgekoppelt werden sollen und dürfen (was die Arbeitgeberseite ebenso anstrebt wie tiefere Einschnitte in die den Orchestermitgliedern seit langem zugute kommende Privilegienstruktur).

In Frankfurt wurde aus der Not eine Tugend: Zwei Korrepetitoren betätigten sich als Streikbrecher und absolvierten den Instrumentalpart am Klavier. Zu hören war, wie Nahe gerade die effektivsten Nummern der "Masnadieri" der Trivialmusik der späten 1840er Jahre sind - das, was Franz von Suppé damals in Wien schrieb, klang fatal ähnlich. Verdi war eben doch noch nicht so ganz Verdi. Das kam erst gerade (und noch nicht durchgängig) zum Vorschein.

Das Orchester also stand draußen vor der Tür. Seine eloquenteren Mitglieder warben (in dekorativen gelben Plastikwesten) bei den teilweise völlig verständnislos und verärgert reagierenden teuren Anzügen und Pelzmäusen für ihr Anliegen. Und dann setzte sich drinnen das Klavier in Bewegung. Da der Regisseur Benedikt von Peter auf ein Bühnenbild zunächst verzichtete, wirkte das Unterfangen wie eine Klavierhauptprobe. Und die Sänger, des warmen Klangmantels entkleidet, wirkten in der ungemütlichen Situation tatsächlich teilweise recht bloßgestellt - vornan Ashley Holland als der böse Francesco, die Kanaille Franz. Es ist mit der angeblichen Kunst des Intendanten Loebe, kompetente Stimmen zu versammeln, keineswegs so weit her, wie ein Teil der Frankfurter Presse im Wohlwollen pro domo gern behauptet.

Auch die Regieleistung des jungen Herrn von Peter ist kein Geniestreich. Sie schwankt zwischen halbherziger Aktualisierung in Zonen des heutigen Lebens oder Sterbens und der Ausstaffierung der böhmischen Räuberbande als Altherrenclub einer Zeit, die längst vergangen ist. Der Böhmerwald wird über den Räubermützen abgeseilt - kopfüber kommen die Fichtenwipfel nieder. Dieser einzige optische "Einfall" mag den Comic-Charakter des Librettos unterstreichen. Er rettet das obsolete Stück nicht in ein neues Theaterland. Schillers Drama mit neuer Bühnenmusik wäre womöglich die künstlerisch verantwortliche Antwort auf das Problem.

 

klassik.com
04.12.2008

Benedikt von Peter zeigt keine wirkliche Dramatik
Gezähmte Räuber

Kritik von Midou Grossmann

Warum Bernd Loebe Verdis 'I Masnadieri' (nach Schillers ‚Räuber’) im großen Haus aufführen lässt, erschließt sich dem Zuschauer nicht so ganz nach der zweiten Aufführung, die eigentlich eine Premiere ist, denn das Orchester sitz an diesem Abend tatsächlich im Orchestergraben, und man musiziert unter der Leitung von Zolt Hamar recht beachtlich, trotz einer teilweise enorm trockenen Partitur. Sicherlich gibt es interessantere Raritäten, die eine Ausgrabung verdient hätten, als ausgerechnet Verdis frühe Oper, die er für London komponierte und auch selbst dort aufführte. Wahrscheinlich setzte man in Frankfurt auf die Neugier der Opernfans für die Mischung Schiller, ‚Räuber’, Verdi. Doch schon in der Pause sah man im Publikum viele ratlose Gesichter.

Die schräge Bühne (Annette Kurz), die bis zum Waldzauber gänzlich schwarz bleibt, kann sinnbildlich für eine Inszenierung stehen, die in Schieflage geraten ist. Sicherlich ist der Nachwuchsregisseur Benedikt von Peter ein brillanter Denker, doch seine Inszenierungen zeigen sich allzu oft recht selbstverliebt. Wie auch in Heidelberg mit seinem ‚Onegin’, setzt er in Frankfurt immer wieder auf Effekte, die seine Arbeit nicht vertiefen, sondern zumeist blockieren. Was wollte er sagen mit den vielen Statisten, die als etwas ‚ausgefranste’ Senioren den ganzen ersten Akt verloren über die Bühne schlurfen durften? Höhepunkt dieser Wanderung ist allerdings das Zusammenbasteln einiger Mikrophone, in die die Senioren kurz singen dürfen. Auch der Gag des Regisseurs ganz am Anfang, als während der Ouvertüre Vater Moser im Publikum wohl einen Herzanfall erleidet, zahlt sich nicht aus, denn in den Rängen ist von diesem Event nichts zu sehen. Der ganze erste Akt kommt nie auf der Ebene einer intensiven Spannung an. Verdis Partitur scheint zudem rückwärts gerichtet zu sein, sicherlich hat er mit diesem Werk keine Zukunftsmusik komponiert, das hohe Londoner Honorar erweckte leider keinen wahren Schaffensdrang in ihm. Bevor die großen Chorszenen (gut vorbereitet von Matthias Köhler) im Räuberlager beginnen, hangelt sich die Handlung von Arie zu Arie, alles klingt sauber, aber ungemein brav. Obgleich technisch auf hohem Niveau gesungen wird, zeigen die Stimmen – Ausnahme Magnus Baldvinsson mit der Partie des unglücklichen Vater Massimiliano/Moser – durchweg keine persönliche Ausdrucksgestaltung. Olga Mykytenke (Amalia) wirkt immer gleich bieder, ebenso die beiden Brüder, die um ihre Liebe kämpfen: Alfred Kim (Carlo) und Ashley Holland (Francesco). Letzterer ließ sich wegen eines grippalen Effekts schon vor Beginn als gehandikapt melden, und deshalb musste die die Albtraum-Erzählung mit der Schilderung vom Jüngsten Gericht gestrichen, bzw. übersprungen werden.

Die Tristesse der Inszenierung wird durch die Waldszene etwas aufgelockert, aber die von der Decke herabgelassenen Kieferzweige sowie die Lagerfeueratmosphäre hat man so auch schon in unzähligen anderen Inszenierungen erlebt, ob nun in 'Carmen' oder im 'Freischütz'. Warum Benedikt von Peter als großes Ausnahmetalent eingestuft wird, erschließt sich dem Zuschauer anhand dieser Inszenierung allerdings immer noch nicht.

 

Der neue Merker
1. Dezember 2008

Oper Frankfurt
Giuseppe Verdi I MASNADIERI

Bei dieser Aufführung kommt es meines Wissens zum 1.Orchesterstreik bei einer Oper im deutschsprachigen Raum. Was man aber von der Mailänder Scala kennt, daß sich dort R.Muti an den Flügel setzte und die Sänger somit auf seinem Teppich trug, kann hier natürlich nicht erwartet werden, wenn 2 Korrepitoren im Orchestergraben sich mühen, das Orchester zu ersetzen. Natürlich ist es ein großes Manko für die Wiedergabe in dieser Premiere, wenn man den Korrepititoren auch nicht absprechen kann, alles mögliche pianistisch aus der Partitur herausgeholt zu haben.

Benedikt von Peter stellt in seiner Inszenierung den Konflikt als langes Siechtum des Vaters Moor dar, der nach seinem Zusammenbruch auf der großen Bühne mit dem Boden aus grauen Holzplanken (Annette Kurz) präsent bleibt und von der Schwiegertochter in spe Amalia in den Armen gehalten wird. Diese Regie arbeitet einerseits mit modernen Mitteln (Scheinwerfer auf offener Bühne, umgekehrte Bäume vom Bühnenboden herab), andererseits mit alten, wie es z.B. in den Räuber-Kostumierungen zum Ausdruck kommt, die aber phantasievoll ausfallen (Ursula Renzenbrink). Einen Fingerzeig legt die Regie aber auch auf heutige gesellschaftliche Verhältnisse, wenn die Räuber allesamt von älteren Männern als displaced persons, die aus Alteheimen und Krankenhäusern entflohen sind, darstellt werden. Dem jüngeren Sohn laufen ebenso die älteren wenig treuen Diener davon, so daß er letztlich scheitert.

Diese Räuber aus der Opernstatisterie setzen die Ideen des Regisseurs im Spiel bestens um. Auch Der Chor kommt (bei fehlendem Orchester) ganz klanggewaltig herüber. Hans-Jürgen Lazar gibt die kurze Rolle des Rolla, Gefährte des Carlo, mit gut sitzendem Tenor. Auf der anderen Seite ist sein gutes Pendant Michael Mc Cown als Kammerherr Arminio. Ashley Holland kann den Bösewicht nur zum Teil mit sensatönellen stimmliche Mitteln zeichnen, er ist zuförderst ein schön timbrierter Bariton. Eine Szene, die wie ein Vorgänger für das Credo des Jago im Otello anmutet, gelingt ihm aber ohne letzte stimmliche Tiefenzeichnung. Besser ist er wieder im Dialog mit dem Pastor, der als Doppelrolle mit dem Vater von Magnus Baldvinsson mit seinem leuchtend balsamischen Baß auch darstellerisch einzigartig geformt wird. Alfred Kim ist ein Tenor ohne Fehl und Tadel und macht als Carlo auch beste Figur, wenn man ihm auch die Tötung der Amalia mit einem Messer als letzte Konfliktbewältigung gar nicht zutrauen würde. Olga Mykytenko reussiert in diesem Zwischenfach mit hoher stimmlicher Sensibilität, und trägt zu glanzvoller musikalischer Ausgestaltung bei. Sie läßt sogar zeitweise das fehlende Orchester vergessen.

Friedeon Rosén

 

Il giornale della musica
1 dicembre 2008

NEL SEGNO DEL PADRE
Nonostante lo sciopero degli orchestrali "I masnadieri" vanno in scena all'Oper Frankfurt

I venti della crisi economica cominciano a far salire la tensione e le orchestre tedesche scendono in sciopero per difendere lo stipendio e perché la Germania resti il paese della musica e della cultura. E così come a Stoccarda per l'"Onegin", anche a Francoforte si opta per l'accompagnamento al pianoforte per salvare la prima dell'opera verdiana, finora mai eseguita in questa città. Il pubblico comunque c'è sebbene mostri qualche segno di nervosismo a causa dell'incertezza che fa ritardare di una quindicina di minuti l'inizio. Benché monco di una componente essenziale che priva l'opera dei corruschi colori orchestrali concepiti dal giovane Verdi per un'opera affatto disprezzabile anche se drammaturgicamente sbilanciata, lo spettacolo soffre fino ad un certo punto. Ne beneficia l'intelligente regia di von Peter, il cui occhio è rivolto più a Schiller che a Maffei, del quale disseziona il testo e lo ricompone in una successione di scene che accentua la presa drammatica e aiuta il suo progetto drammaturgico centrato sull'idea della perdita del padre e sui parallelismi esistenziali dei fratelli Francesco e Carlo. Evitati schematismi e ingenuità del libretto, von Benedikt però non resiste alle sirene modaiole del trash e a qualche facile banalità, che gli costa il severo giudizio del publico. La stoffa del professionista comunque c'è. Quanto agli interpreti, sospeso il giudizio sul direttore Hamar, la Mykytenko supera a pieni voti le asperità del ruolo di Amalia. Ottime anche le prove di Kim e Holland, mentre un po' opaco è parso Baldvinsson. Festeggiati dal pubblico come autentici salvatori della serata i due bravi pianisti Felice Venanzoni e Karsten Januschke, che hanno fatto del loro meglio (soprattutto il primo) per far dimenticare l'assenza dell'orchestra.

Stefano Nardelli