Frankfurter Rundschau
30. November 2008

Frankfurter Museumsorchester
Der Streik der Musiker
VON STEFAN BEHR UND CLAUS-JÜRGEN GÖPFERT


Draußen vor der Tür: Streikende und Operngäste.
(Bild: Oeser/FR)

Früher saßen die Räuber im Wald und froren. Am Sonntagabend steht Jean-Marc Vogt vor der Frankfurter Oper und friert. Er ist kein Räuber, er ist Musiker. Und er spricht heute für das Frankfurter Museumsorchester, das heute streikt. Ausgerechnet am Premierenabend von Verdis "Die Räuber".

"Das ist keinem Kollegen leicht gefallen", sagt Vogt. Die Premiere ist allerdings nicht wie geplant ausgefallen. Drinnen begleitet Felice Venanzoni die Sänger. Der Repetitor hat das schon bei den Proben getan, er weiß Bescheid, und wie man auch draußen hören kann, macht er drinnen einen großartigen Job. Ein Streikbrecher? Nein. "Ein lieber Kollege, wir schätzen ihn sehr." Er sei tariflich aber nicht an die Streikenden gekoppelt. Dafür ist er jetzt der Held des Abends.

Und der Held von Bernd Fülle. Der Geschäftsführer der Städtischen Bühnen musste um 18 Uhr vor 1300 Premierengäste treten - und erklären, dass die heutige Vorstellung ein wenig piano ausfällt. Einige verlassen unter Buhrufen den Saal. Die meisten bleiben. 85 Prozent, schätzt Fülle. 70 Prozent, schätzt ein Premierengast zur Pause. "Ich bin vor die Leute hingetreten und habe es ihnen erklärt", erzählt Fülle. Der Intendant improvisiert: Binnen zehn Minuten organisiert er Venanzoni als Ersatz.

Fülle hatte den Streik freilich kommen sehen: "Wir wussten es seit Sonntagmittag." Alle Versuche, in Verhandlungen mit der Deutschen Orchestervereinigung die Eskalation noch abzuwenden, scheiterten. "Der Orchestervorstand hat mir am Sonntag erklärt, dass er mit den anderen Orchestern in deutschen Opernhäusern solidarisch sein muss; deshalb konnten wir gegen den Streik nichts mehr tun." Fülle bestreitet die Behauptung des Orchestervereins, dass der angestrebte neue Tarifvertrag für die Musiker Verschlechterungen mit sich bringe.

Kurz nach halb Acht ist Pause, die Tore öffnen sich, einige Gäste kommen zum Rauchen vor die Tür und bedenken Vogt und seine Mitstreiter - ausgestattet mit Transparenten und Streikwesten - größtenteils mit wohlwollendem Desinteresse.

"Endlich widerspricht mal keiner dem Dirigenten", sagt eine ehemalige Kollegin, die namentlich nicht genannt werden will und meint, dass das Orchester ruhig öfter mal streiken sollte. Hans-Klaus Jungheinrich, Musikkritiker der Frankfurter Rundschau, treibt angesichts der Vorstellung Venanzonis die doch eher scherzhafte Sorge um, dass künftig kein Mensch mehr ein Orchester vermissen werde, wenn nur ein anständiger Pianist zur Hand ist.

"Es ist schade", sagt eine Besucherin die ebenfalls nicht genannt werden will, " es wäre wunderbar, das Orchester zu hören". Aber "Klavier geht auch". Verständnis für den Streik habe sie aber schon.

Premierengast Markus Benzing findet es "bisher ganz gut". Nicht den Streik, die Aufführung. Beim Streik "weiß ich ehrlich nicht so genau, worum es geht". Das Flugblatt, das die Streikenden verteilt haben, habe er zwar eingesteckt, aber noch nicht gelesen. Benzing nimmt es wie die meisten Gäste mit heiterer Gelassenheit.

Immerhin: Gast Volkmar Scherow ist hundertprozentig solidarisch mit dem Orchester. "Ja, natürlich ist das in Ordnung, die Leute wollen schließlich ihr Geld haben." Und das einzige, was den Arbeitgebern einfalle, sei die übliche "Outsourcing-Scheiße".

Es ist nun mal so, finden Leute wie Scherow: Die Räuber sitzen nicht mehr im Wald und frieren. Sie sitzen mittlerweile in den Chefetagen, wo die Heizung bollert und sich so etwas wie Kälte nur noch ansatzweise im Temperierschrank findet.

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Dokument erstellt am 30.11.2008 um 21:56:02 Uhr
Letzte Änderung am 01.12.2008 um 14:37:08 Uhr
Erscheinungsdatum 01.12.2008

Der Orchester-Streik

Der Tarifkonflikt eskaliert jetzt, nachdem Mitte Oktober die Gehaltsverhandlungen für die 90 deutschen Opern-und Konzertorchester gescheitert waren. Mehr als 200 Warnstreiks und Protestaktionen an 80 Bühnen hat es schon gegeben. Am Wochenende kam es nun zu den ersten tatsächlichen Streiks.

Am Freitagabend fielen Vorstellungen am Gewandhausorchester Leipzig und am Theater Dortmund aus, später wurde auch in Münster, Magdeburg und Duisburg gestreikt.

Am Sonntagabend war neben der Oper Frankfurt auch das Opernhaus in Stuttgart betroffen. Im Konflikt geht es um die Anpassung der Musiker-Tarifverträge an den Öffentlichen Dienst.

Die Deutsche Orchestervereinigung sieht darin eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, der Bühnenverein bestreitet das.

 

Frankfurter Rundschau
2. Dezember 2008

Porträt
Einer statt alle
VON CLAUS-JÜRGEN GÖPFERT

Diesen Abend wird er nie vergessen. "Auf italienischen Bühnen geschieht das leider oft", berichtet Felice Venanzoni. In der Frankfurter Oper war es dagegen eine Erstaufführung: Zum ersten Mal gab es am Sonntagabend eine Premiere vor ausverkauftem Haus - ohne Orchester. "Die Räuber" von Guiseppe Verdi stand auf dem Spielplan, die 85 Musikerinnen und Musiker des Opernorchesters aber streikten.

Und so avancierte Felice Venanzoni unfreiwillig zum Held der Stunde. "Kurz nach 17 Uhr habe ich es definitiv erfahren, vorher gab es nur Gerüchte", sagt er. Um 18 Uhr sollte die Vorstellung beginnen. Opern-Intendant Bernd Loebe griff zu einer Notlösung: Venanzoni am Klavier ersetzte das Orchester, die 1300 verblüfften Besucher wurden vom Geschäftsführenden Intendanten Bernd Fülle auf der Bühne informiert.

Am Tag nach seinem Einsatz ist der Pianist noch regelrecht erschöpft. "Für mich ist das wie der erste Januar nach einer langen Silvesternacht", sagt er. Gewiss, er kannte von der "Räuber"-Partitur "jede Ecke und jede Kante", hatte er doch seit sechs Wochen mit den Sängern die Aufführung einstudiert. Das ist die eigentliche Aufgabe des Studienleiters der Frankfurter Oper, der einem Team von acht Repetitoren vorsteht. Und doch ist es eine große Kraftanstrengung und Konzentrationsleistung, alleine am Piano ein Orchester zu ersetzen. Venanzoni spielte denn auch nur bis zur Pause, danach ging Karsten Januschke ans Klavier.

Für die Leistung der Pianisten gab es Szenenapplaus. Und doch hofft Venanzoni, dass sich diese Ausnahmesituation nicht wiederholt, dass der Streik bald endet. "Es gehen nur mit dem Klavier doch sehr viele Klangfarben des Orchesters verloren." Er sieht auch "kritische Grenzen" für diese Ersatzlösung: "Man kann Verdi-Opern oder auch Mozart-Opern auf diese Weise spielen. Bei vielen anderen Opern geht das nicht."

Der Studienleiter hat einen Solo-Vertrag, er darf nicht streiken. Am Tag danach fühlt sich der 40 Jahre alte Musiker aber auch nicht als Streikbrecher, sondern getragen von den streikenden Kollegen: "Nach der Aufführung ging ich hinaus in die Dunkelheit, eine Zigarette rauchen. Da standen die Streikenden, und plötzlich bekam ich von denen Beifall, einfach so." Nein, auch nach dem Streik sagt Venanzoni: "Wir haben ein super Verhältnis, kollegial und echt."

Venanzoni, der an italienischen Bühnen ausgebildet wurde, steht in seiner neunten Spielzeit in Frankfurt, wo er bleiben wird. In seiner Heimat seien Streiks längst eine ständige Begleiterscheinung des Opern-Lebens. "Das Publikum dort ärgert sich sehr", sagt er. In Frankfurt soll der Sonntagabend eine Ausnahme bleiben.

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Erscheinungsdatum 02.12.2008