"Kinder! Macht Neues! Neues! Und abermals Neues! - hängt Ihr Euch an's Alte, so holt Euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Kinder."
Richard Wagner
in einem Brief an Franz List 8. September 1852

Neue Parsifal-Inszenierung

Trotz aller Querelen um Nachfolge und Finanzierung soll natürlich das Programm im Mittelpunkt der Festspiele stehen. Mit Spannung wird die neue Inszenierung des "Parsifal" erwartet, mit dem am 25. Juli auf dem "Grünen Hügel" der Festspielsommer eröffnet wird. Der norwegische Regisseur Stefan Herheim verspricht eine Art Zeitreise durch die deutsche Vergangenheit. Die Stationen reichen vom Wilhelminismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts über den Ersten Weltkrieg, die 1920er-Jahre, die Nazizeit bis hin zur Gründung der Bundesrepublik und zur Wirtschaftswunder-Zeit. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des italienischen Dirigenten Daniele Gatti, die Titelrolle singt Christopher Ventris. Die Neuinterpretation von Stefan Herheim löst die umstrittene, äußerst bilderreiche und assoziative Inszenierung von Christoph Schlingensief ab, die von 2004 bis 2007 gespielt wurde.

Herheim versteht den "Parsifal" als Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen.

"Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, die durch die Grenzüberschreitung von Raum und Zeit ineinander fallen und sich zum Begriff Erlösung positionieren. Kundry ist ihre Projektion von Weiblichkeit, die als 'Andere' überwunden werden muss. Dabei geht es nicht um Emanzipation, um gesellschaftlich realisierbare Befreiung, sondern um Erlösung, um gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustands durch eine höhere Macht. Doch das hört sich sehr theoretisch an - sobald sich der Vorhang hebt, ist man in einer magischen Kindergeschichte des 19. Jahrhunderts, in der viel Unheimliches passiert."

(Stefan Herheim)

 

DAS OPERNGLAS
juli/august 2008

IM BLICKPUNKT
STEFAN HERHEIM

Seine Inszenierungen sorgen stets für Aufsehen, regen an – und regen auf. Jetzt widmet sich der norwegische Regisseur dem Bühnenweihfestspiel "Parsifal" in Bayreuth. Ralf Tiedemann traf ihn in Berlin.

Stefan Herheim
Stefan Herheim
Foto:  Das Opernglas / Olah

Herr Herheim, wo liegen für Sie als Regisseur die Schwierigkeiten im "Parsifal"?

Zunächst einmal ist "Parsifal" ein sehr nacherzählendes Werk. Man hat große Passagen zu füllen, ohne dass realiter etwas passiert; einen signifikanten Teil der Handlung erfährt der Zuschauer durch Erzählungen. Dabei geht es nicht nur darum, zu hören, „was" Gurnemanz erzählt - es geht darum, „wie" er diese Geschichte erzählt. Warum erlebt er das genau so? Was ist das für ein sublimierender Geist? Was hat er mit dem ganzen Problem des Siechtums durch Sünde zu tun - er, der das alte Prinzip Titurels immer bis aufs Blut verteidigen muss? Das sind zum Teil fanatische Verdrängungsmechanismen, die Wagner komponiert hat, für menschliche Figuren, die das Bedürfnis haben, etwas zu verklären. Das möchten wir entsprechend auf der Bühne zur Erfahrung bringen.

Worum konkret geht es in "Parsifal"?

Das ist natürlich die Gretchenfrage des Inhalts, die jenseits der Handlung von jedem Interpreten beantwortet werden muss. Das ist hier umso schwieriger, als die Frage selbst dazu verführt, einen religiös-ideologischen Antwortstandpunkt einzunehmen, von dem aus man das mehrfach perspektivierte Ziel verfehlen muss. Konkret geht es also um die Vergegenwärtigung der Erkenntnis, dass die Suche nach Reinheit und Absolutheit eine so gefährliche ist, dass sie ausschließlich in der Kunst versucht werden darf. Diese Kunst wäre natürlich nur für eine Gesellschaft geeignet, die genau zwischen falsch und richtig zu trennen weiß, gerade weil Ästhetik und Ethik sich annähern, ja geradezu verschmelzen. Allerdings bräuchte eine solche Gesellschaft überhaupt keine Kunst. Wagner versucht auf ganz restaurative Art und Weise für das, was er in seinen früheren Werken immer kritisch und ganz revolutionär-radikal theatralisiert hat, eine Art Notausgang zu finden. Er kommt immer zurück auf den Glauben, der Kern einer Wahrheit sein muss, und kocht für "Parsifal" Religion, Psychologie, Politik und Mythos so stark zusammen, dass man schon fast nicht mehr weiß, zu welchem Mahl man geladen ist. Sein vierfacher Rezepttitel „Bühnenweihfestspiel" macht deutlich, dass es sich um ein ganz außergewöhnliches Gericht handelt. Wagner hat damit eine Weihe um seine eigene Person gestiftet, die letztendlich auf etwas ganz anderes hinaus will. In der eigenen Feier des Egoistischen liegt die totale Selbstaufgabe - also die Quadratur des Kreises. Was Wagner im "Lohengrin" komponiert hat, wird im "Parsifal" verraten. Hier wird etwas am Ende erlöst, was keinesfalls in der Realität greifen kann - und von daher eigentlich auch gar nicht darstellbar ist.

Zuweilen hat man das Gefühl, Regisseure müssten heute immer erst ihr „Konzept" erklären. Sollte nicht aber eine Inszenierung für jedermann, wenn schon nicht in jedem Detail verständlich, so doch aber immerhin für jeden und aus sich heraus rezipierbar sein?

Prinzipiell ja, sonst wäre sie kein funktionierendes, kommunizierendes Medium. Doch inwiefern der von Ihnen erwähnte „Jedermann" tatsächlich den Zuschauer im Opernhaus, besonders in Bayreuth beschreibt, bleibt zu hinterfragen. Es gibt immer Zuschauer, die nur sehen und hören wollen, was sie bereits wissen und kennen, die Fragen nicht ertragen, auf die sie keine Antworten bereit haben. Ich erwarte niemals, dass das Programmheft gelesen ist, bevor die Aufführung losgeht. Aber für mich bedeutet lebendiges Theater nicht die Erfüllung bekannter Bedürfnisse, sondern das Wecken und Entdecken neuer Sehnsüchte. Dabei reduziere ich meine Arbeit bestimmt nicht auf meine Fragen, sondern versuche vielmehr mit meinem Team und den ausführenden Künstlern die Partitur in ihrer immensen Farbigkeit und vielfältigen Fülle auf die Bühne zu bringen. Man macht mir ja daher eher den Vorwurf, dass es zu viel wird und man sich zuweilen von einer Ideen- und Bilderflut überschwemmt fühlt. Andere wiederum lieben genau das und versichern, sie können so auch fünfmal in eine Inszenierung gehen und jedes Mal Neuland entdecken.

Das wird sicher auch eine Generationenfrage sein. Zuschauer, die mit der großen Bilderflut in TV und Internet aufgewachsen sind, werden damit weniger Probleme haben.

Das ist richtig. Gleichzeitig scheint die Fähigkeit, musisch zu hören in unserer Welt immer degenerierter. Viele Menschen sind teilweise gar nicht mehr in der Lage, auditiv wahrzunehmen; sie hören nicht, was sich selbst in einer einfachen Tonreihe abspielt und sind nicht in der Lage, sinnliche Eindrücke mit einem Bewusstsein zu korrelieren.

Wäre es nicht gerade deswegen die Aufgabe eines Regisseurs, hier unterstützend zu wirken und eben nicht von der Musik abzulenken?

Für mich funktioniert Oper nicht nach der Formel: Musik und dazu ein Bild. Opernmusik ist Drama per se und will veranschaulicht werden! Schauen Sie auf MTV: Da werden Sie erschlagen von einer wild opulenten Bilderkaskade - und musikalisch passiert selten etwas. Dagegen ist Musiktheater extrem reich und vielschichtig, gerade weil es gesamtkunstwerklerische, grenzensprengende Ansprüche erhebt und in Musik, Text und Darstellung Inhalte vermittelt.

Sie kommen aus einem sehr musikalischen Elternhaus, spielen selbst Cello. Ihr Vater spielte im Orchester der Osloer Oper, wodurch Sie schon in früher Jugend mit dem Musiktheatervirus infiziert worden sind. Da sind Sie unter den heutigen Opernregisseuren fast schon eine Ausnahme.

Ich fühle mich bei meiner Arbeit nach wie vor als Musiker; ich bin nicht über den Text an viele Werke gekommen, sondern über ein quasi religiöses Erleben, das die Musik in mir bewirken und das Theater erheblich intensivieren kann. Zunächst war Oper für mich eine mit sinnlicher Ekstase und extremer Weltflucht verbundene Kunst. Die Reflexion darüber, dass Musiktheater auch unsere Kulturgeschichte im besten Sinne widerspiegelt und kritisch analysiert, kam erst wesentlich später.

Das Verlangen nach dem reinen kulinarischen Genuss, dem „Rausch durch Musik" wie Sie es vorhin im Zusammenhang mit "Parsifal" formulierten, müssten Sie von daher akzeptieren?

Was heißt akzeptieren? Das ist ein Naturgesetz! Oper ist Sinnlichkeit pur, ist Lebenslust. Aber in Sinnlichkeit steckt auch viel Sinn, deswegen hat diese Kunst auch vierhundert Jahre überlebt. Die Oper ist heute sogar lebendiger denn je und das obwohl ein großer Teil unserer Gesellschaft sich auf das Infantile zurückzieht und nicht erwachsen werden will. Viele wollen einfach nicht sehen, dass unsere Kultur verpflichtet, dass Kunst erst dann wirklich unterhaltsam wird, wenn sie engagiert anregt und eben nicht nur entspanntes Zurücklehnen im Amüsement liefert.

 

DER STANDARD.at
19.07.2008

Variationen über die Erlösung

Er provoziert mit ungewohnten Sehweisen und begeistert mit Opulenz. So wurde Stefan Herheim im Vorjahr zum "Regisseur des Jahres" . Jetzt stehen dem smarten Norweger aber erstmal die Bayreuther Hügelweihen bevor, und er wird mit seiner Sicht auf Parsifal sicher Wagnerianer in Rage bringen. Auch, weil er dessen Rezeption mit ins Visier nimmt, das Sterben im Ersten Weltkrieg thematisiert und auch Hakenkreuzfahnen über Wahnfried wehen lässt. Eine Mini-Götterdämmerung zu Klingsors Ende ist auch dabei.

Standard: Ist der Grüne Hügel wirklich so ein magischer Ort?

Herheim: Als ich das erste Mal auf Einladung von Gudrun und Wolfgang Wagner hier eine Aufführung erlebt habe, war ich von der Aura des Ortes beeindruckt; doch sie ist eine parfümierte Nebelwolke, die schnell verfliegt - das wirklich Magische liegt woanders. Für mich ist der Genius Loci der Inszenierungsarbeit hier in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit motivierten Künstlern auf allen Ebenen zusammenarbeiten zu dürfen. Der Mythos Bayreuth ist dabei besonders für den Parsifal entscheidend, nicht nur weil er erst seit dem Kriegsjahr 1914 andernorts aufgeführt werden darf, sondern weil er erst durch Festspielhausakustik authentisch wiedergegeben wird.

Standard: Es gibt ja eine Debatte um die Zukunft der Festspiele. Was würden Sie sich denn wünschen?

Herheim: Zunächst einmal, dass die unwürdig spekulierende Gerüchteküche aufhört zu kochen und wir uns den eigentlichen Zutaten und Rezepten eines guten Mahls zuwenden. Inhaltliche Diskussionen um die Zukunft werden gebraucht. Das avisierte Team Katharina/Eva hat frische, produktive und vor allem öffnende Ideen, die sich bereits jetzt auf administrativer und kreativer Ebene spüren lassen.

Standard: Wie gehen Sie denn mit der quasi religiösen Aura beim "Parsifal" um? Darf man da mit einem Frontalangriff rechnen?

Herheim: In Parsifal haben wir es nun mit einer kunstreligiösen Aura zu tun, die zum Teil des Werkes geworden ist. Mir ist dabei immer an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur gelegen und niemals an Provokation als Effekt. Ihrer Frage legt ja nahe, dass wir es im Werk oder bei den Zuschauern mit "dem Feind" zu tun hätten. Im Gegenteil: Wir zeigen das von Wagner so genannte Bühnenweihfestspiel: Mit Bühne und Spiel wird der theatrale Erzählrahmen gezimmert, in dem dann das Bild eines überhöhten und überhöhenden Weihfests gefasst wird.

Standard: Ihre Inszenierungen waren bisher immer temporeich. Verträgt sich das mit dem Parsifal? Müssen Sie sich ausbremsen?

Herheim: Nein, ich muss im Werk die disponierte Dynamik inszenieren, d. h. meiner Musikalität dienend gehorchen. Musik beflügelt meine Fantasie und Bilderfindung. Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden - denken Sie nur an die nüchtern klare Aufnahme von Boulez und die opulent breite Einspielung von Levine: Es wird schnell offensichtlich, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können. Das Aufregende am Musiktheater ist ja, dass erst in der Aufführung diese Kunst entsteht.

Standard: Darf man damit rechnen, dass Sie in einen Diskurs mit Vorgänger-Versionen treten?

Herheim: Mein Team und ich fangen immer mit der Partitur an. Kulturgeschichtlich verorten wir unsere Interpretation zunächst im wilhelminischen Deutschland. Wir aktualisieren nun nicht eine bayreuthianische Verklärung, sondern versuchen, die psychologisch ausgestaltete Biografie des reinen Toren und die kulturgeschichtlich vergrößerte Identitätsfindung der deutschen Nation zu erzählen. Bei beiden Erzählsträngen geht es um die Versprechen und Perversionen des Kernbegriffs Erlösung.

Parsifal erzählte die Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen. Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, der wir in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen - immer in Positionierung zum zentralen Begriff der Erlösung. Dieser bezeichnet eine gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustands durch eine höhere Macht und nicht etwa Emanzipation als eine realisierbare Befreiung.

Mein Theaterverständnis unterscheidet sich grundsätzlich von jenem Christoph Schlingensiefs, dessen Inszenierung ich mehrfach gesehen habe. Während er dem nüchternen Dirigat von Boulez einen geballt eigenen Kosmos entgegengesetzt, ist mir an einer Entfaltung der Partitur in enger Zusammenarbeit mit Maestro Daniele Gatti gelegen.

Standard: In Essen haben Sie den Don Giovanni in der Premiere selbst gespielt - mal unernst gefragt, welche Figur im "Parsifal" würden Sie denn doubeln, zu welcher Figur haben Sie einen besonderen Draht?

Herheim: Die Personengalerie in Parsifal bietet eigentlich keinen "identifikatorischen" Einstieg in das Geschehen. Umso wichtiger schien es uns, durch das Lesen des Werkes als unheimliche Kindergeschichte aus dem vorletzten Jahrhundert und Initiationserzählung einer Nation mehrfach Möglichkeiten zur Identifikation zu schaffen. Der Wutausbruch Kundrys am Ende des 2. Aufzugs ist mir ebenso nah wie Amfortas' leidenschaftliche Aufforderung, ihn abzustechen, und auch die aus falschem Ehrgeiz getätigte Selbstkastration Klingsors wird vielen Künstlern ebenso vertraut sein, wie das anfängliche Unwissen Parsifals ... Ich habe einen Draht zum Wagner'schen Welt-Theater, sehe mich aber nicht in der Rolle einer dieser Figuren. Am liebsten wäre ich die Taube im dritten Aufzug!

Joachim Lange

Zur Person
Stefan Herheim (geboren 1970 in Oslo) sorgte einst in Salzburg mit Mozarts "Entführung" für Tumulte und ist einer der originellsten Regisseure der Gegenwart.

 

festspiele.de
16.07.2008

Regisseur Stefan Herheim über seine Inszenierungsarbeit in Bayreuth
"Dem Werk stand ich lange skeptisch gegenüber"

Bayreuth - "Dem Werk stand ich lange skeptisch gegenüber", sagt Stefan Herheim über Richard Wagners Oper "Parsifal". Mit der Neuinszenierung des norwegischen Regisseurs werden am 25. Juli die Bayreuther Festspiele eröffnet. Herheim erzählt darin "die Geschichte eines reinen Toren, der Auswirkungen von Gewalt zu erkennen und somit seine eigene Biografie zu reflektieren lernt".

"Parsifal" ist für Bayreuth ein besonderes Werk - für das Festspielhaus geschrieben, Jahrzehnte lang nur dort aufgeführt. Was bedeutet es für Sie, an diesem Ort zu inszenieren?

Herheim: Der Mythos Bayreuth ist sicher gerade durch dieses Werk lebendig, nicht nur, weil es erst seit dem Kriegsjahr 1914 andernorts aufgeführt werden darf, sondern weil durch die Festspielhausakustik das Werk sozusagen erst authentisch wiedergegeben werden kann. Der konkrete Einfluss dieses Ortes für unsere Inszenierung wird sich in der Thematisierung genau dieses Raumes erweisen; wie sagt Gurnemanz doch so treffend: "Dem Heiltum baute er das Heiligtum." Dieses Heil, dieses Ganzsein, ist ein Anspruch, dessen Perversionen und Einlösungen im Werk ausgestaltet sind und die wir hier zum Thema machen werden. Für mich ganz persönlich bedeutet die Inszenierungsarbeit in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit hochmotivierten Künstlern auf allen Ebenen zusammenarbeiten zu dürfen.

Die Oper ist auch eines der Hauptwerke der Festspielgeschichte, an das stets besondere Erwartungen gerichtet werden. Wie gehen Sie damit um?

Herheim: Dem Werk stand ich lange skeptisch gegenüber ganz zu schweigen von seiner dubiosen Aura, die als kunstreligiöses Erlösungsversprechen wabert. In der intensiven Auseinandersetzung mit "Parsifal" haben mein Team und ich genau diese Erwartungshaltung an das Erlebnis dieses Werkes in Bayreuth zum Thema genommen und spielen mit der Erlösungsbedürftigkeit, Erlösungsmöglichkeit und der Erlösungsfähigkeit des Werkes und der Erfüllung dieser Momente in der Geschichte.

Wie sehen und verstehen Sie die Oper, welche Geschichte wollen Sie dem Publikum erzählen?

Herheim: Die namentlich vier Aspekte dieses "Bühnenweihfestspiels" weisen schon auf eine Mehrschichtigkeit, die wir sinnlich ausgestalten wollen. Einmal auf individueller Ebene, denn "Parsifal" erzählt in einem musiktheatralen Reifungsprozess über Leben und Tod die Geschichte eines reinen Toren, der Auswirkungen von Gewalt zu erkennen und somit seine eigene Biografie zu reflektieren lernt. Diese Reflexion wird aber in einem kulturgeschichtlichen Raum zu einer kollektiven Identitäts- und Heilssuche, zur Geschichte einer Nation, die sich auch politisch immer wieder Erlöserfiguren verschrieben hat bis hin zur Hoffnung der globalen Gesellschaft, Erlösung in Bayreuth zu finden. Doch das hört sich alles schrecklich theoretisch an sobald sich der Vorhang hebt, ist man in einer poetisch magischen Kindergeschichte des 19. Jahrhunderts, in der viel Unheimliches passiert.

Wo liegen für Sie die Schwierigkeiten und Herausforderungen der Inszenierung?

Herheim: "Parsifal" ist kein Werk, bei dem man sich klar mit einer Figur identifiziert. Eigentlich erzählt "Parsifal" die Geschichte von Männlichkeit. Es gibt im Werk nur einen Mann, dem wir immer wieder in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, die durch die Grenzüberschreitung von Raum und Zeit ineinanderfallen und sich zum Begriff Erlösung positionieren. Kundry ist ihre Projektion von Weiblichkeit, die als "Andere" überwunden werden muss. Dabei geht es nicht um Emanzipation, um gesellschaftlich realisierbare Befreiung, sondern um Erlösung, um gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustand durch eine höhere Macht. Diese Überlegungen in eine Ästhetik zu bringen, die der sinnlich aufgeladenen Musik entspricht, war ohne Frage eine immense Herausforderung.

Hatten Sie sich schon mit dem Werk beschäftigt, ehe Sie das Angebot bekamen, in Bayreuth zu inszenieren?

Herheim: Ich wurde bereits vorher von der Berliner Staatsoper eingeladen, "Parsifal" zu inszenieren, doch lehnte ich aus verschiedenen Gründen ab auch weil die Geschichte um das Werk zunächst einmal sehr viel Unlust in mir produzierte. Als aber die Festspielleitung anfragte und sich die Möglichkeit bot, an diesem einmalig mythisch aufgeladenen Ort sich genau damit auseinanderzusetzen, habe ich zugesagt.

Eine "Parsifal"-Aufführung kann dreieinhalb, aber auch fast fünf Stunden dauern. Welche Rolle spielt das für den Regisseur, wie beeinflusst es seine Arbeit?

Herheim: "Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden gerade bei sonst so transparent zügigen Dirigenten wie Toscanini überrascht die weihrauchgeschwängert erhabene Breite. Die Aufnahmen von Boulez und Levine belegen eindrucksvoll, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können. Doch das Aufregende am Theater ist ja, dass erst in der Aufführung die Kunst entsteht und nicht auf dem Papier oder der Leinwand verewigt ist.

Welche Rolle spielt dabei die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Daniele Gatti?

Herheim: Dass es zu einer wirklichen Zusammenarbeit gekommen ist, gehört für mich zu den schönsten Erfahrungen dieses Sommers. Als wir Maestro Gatti mit unserem Konzept vertraut gemacht haben, war er zunächst enorm skeptisch, es fehlte schlicht auf beiden Seiten das Vertrauen. Doch als die tatsächliche Umsetzung begann, wurde ihm schnell klar, dass ich eine sinnliche Konkretisierung der Partitur wollte, und so haben wir beide in den Proben unsere Vorstellungen kommuniziert und konnten sie gemeinsam angehen mit dem Ziel, dass in der Aufführung die Augen zu hören und die Ohren zu sehen beginnen.

Anders als viele Regisseure kommen Sie von der Musik her. Gehen Sie deshalb anders an das Inszenieren heran?

Herheim: Die Oper ist die letzte Bastion der Heiligkeit in unserem kulturellen Kunstbetrieb heilig nicht nur im Sinne von "besonders", sondern im ursprünglichen Sinne von "heil", "ganz". Die Partituren gelten immer noch weitgehend als unantastbar; sie sind eine Art Kunst-Evangelium. Darin unterscheidet sich beispielsweise auch meine Arbeit von Christoph Schlingensiefs Ansatz, dessen Inszenierung ich mehrfach hier auf dem Hügel gesehen habe. Während er dem transparenten Dirigat von Boulez seinen höchst persönlichen Kunst- und Kulturenkosmos entgegengesetzt hat, ist meinem Team und mir an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur gelegen. In langen Konzeptionssitzungen entdecken und definieren wir für uns die Koordinaten aus dem Werk, mit denen wir dann nicht nur die Handlung erzählen, sondern die Mechanismen und vielschichtigen Aspekte des Werkes inklusive seiner Rezeption vermitteln wollen.

Stephan Maurer

 

Für Stafen Herheim bedeutet die Inszenierungsarbeit in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit hochmotivierten Künstlern zusammenarbeiten zu dürfen. Foto: Lammel

"Als aber die Festspielleitung anfragte und sich die Möglichkeit bot, an diesem einmalig mythisch aufgeladenen Ort sich genau damit auseinanderzusetzen, habe ich zugesagt."

 

festspiele.de
23.07.2008

KURIER-Interview mit dem Regisseur Stefan Herheim über seine „Parsifal"-Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen
„Was, bitteschön, ist denn Genuss!?"

Von Gert-Dieter Meier

BAYREUTH. Nach Wolfgang Wagner und Christoph Schlingensief nun also Stefan Herheim. Der gebürtige Norweger, von renommierten Kritikern in der „Opernwelt" zum Regisseur des Jahres 2007 gekürt, inszeniert bei seinem Bayreuth-Debüt Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal", der am Freitag die 97. Richard-Wagner-Festspiele eröffnet. Der KURIER sprach mit Herheim über seine erste Bayreuth-Arbeit.

Frage: Herr Herheim, Sie sind erst der Neunte, der den „Parsifal" in Bayreuth inszeniert. Was machen Sie aus dem Stück? Und was macht das Stück aus Ihnen?

Herheim: Das Stück hat mir immer Angst gemacht. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich in meiner Heimatstadt Oslo als Statist im „Parsifal" mitgewirkt. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich Musiktheater nicht nur in einer anregenden Wirkung auf mich gespürt habe, sondern auch in einer wirklich einschüchternden. Ich empfand das Stück als tatsächlich beängstigend, doch das überwindet man in der konkreten Auseinandersetzung – gerade dann, wenn man sich ausgerechnet in Bayreuth intensiv damit beschäftigen kann. Für mich hat der Schwanengesang „Parsifal" extrem viel mit dem Heil Richard Wagners selbst zu tun. Wagner macht hier eine Kehrtwende – in den Augen vieler ist das ein großer Verrat. Da ist was dran, denn er verrät manche Aussagen früherer Werke und verwirft gänzlich den Gedanken an eine Revolution bzw. betitelt er sie nun im „Parsifal" als seine Kunst der Erlösungslehre. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Menschheit allein durch diese gute und schöne Kunst irgendwann zum reinen Glauben kommt, wobei nur derjenige dieses Ziel erreichen kann, der bereits reinen Glaubens ist.
Im „Parsifal" kommen so viele künstlerische, ästhetisch-ethische Momente zusammen, dass man als Künstler in der Auseinandersetzung mit diesem Werk, dem Selbstverständnis Richard Wagners und dem, was aus seinem Werk gemacht wurde – nämlich die Perversion des Komponisten und seines Werks – sein eigenes Selbstverständnis extrem in Frage stellen muss. Das alles hat sehr viel mit der deutschen Geschichte zu tun. 1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet, zehn Jahre später, in einem Zeitalter des absoluten Umbruchs, entstand der „Parsifal" als ein Werk, das sich selbst zu einer neuen Kunstreligion erhöht. Das „Bühnenweihfestspiel" erweist sich als absolute Schimäre, um die sich ein hysterischer Kult entwickelt.

Frage:  Sie verorten dieses mystische Bühnenweihfestspiel sehr stark in Bayreuth. Haus Wahnfried, der Garten davor, das Grab Richard Wagners – all das kommt nicht nur vor auf der Bühne, es spielt eine zentrale Rolle. War das von Anfang an Ihre Grundidee?

Herheim: Die Idee, dass „Parsifal" – entstanden in dieser Umbruchphase der deutschen Geschichte – mit der kollektiven Suche nach Identität und ihren Auswirkungen zu tun haben muss, ist mir sehr früh schon gekommen. Allerdings habe ich ein halbes Jahr bevor ich den Auftrag für Bayreuth bekam, einen „Parsifal" in Berlin abgesagt. Auch damals wollte ich schon eine deutsche Zeitreise zur Selbstfindung via Katastrophe realisieren. Aber ich war aus den verschiedensten Gründen noch nicht in der Lage, mich darauf einzulassen. Als ich dann für Bayreuth zugesagt hatte, habe ich zunächst mal richtig Schiffbruch erlitten. Weil ich, zunächst auch mit einem etwas anderen Team, in eine völlig andere Richtung gehen wollte. In der Folge haben wir eine große Kehrtwende gemacht. Und ich habe mich – sicherlich auch unter dem Eindruck der „Rheingold"-Inszenierung, die ich zwischenzeitlich in Riga gemacht habe – voll und ganz auf die Selbstreferentialität des Wagnerschen Werks und den Ort seiner Entstehung eingelassen.

Frage:  Wie haben Sie sich diesem Ort Bayreuth, wie dem Komponisten Richard Wagner genähert?

Herheim: Bayreuth hat mich immer fasziniert. Allerdings habe ich es, bevor ich den Ruf erhalten habe, nie nach Bayreuth geschafft, wobei ich mich natürlich mit der Geschichte Wagners und seines Werks ausgiebig befasst hatte. Jetzt hier sein zu können, das Theater für sich zu gewinnen und sein Motto „Kinder, macht Neues!" aktiv zu leben, ist ziemlich wunderbar.

Frage: Hatten Sie die Möglichkeit, Schlingensiefs „Parsifal" zu sehen?

Herheim: Ja, sogar die letzten drei Jahre.

Frage: Fanden Sie darin Ansätze, die Sie beflügelt haben? Stichwort Religion?

Herheim: Selbstverständlich! Ein sehr spannendes Projekt. Allerdings hat Christoph ein völlig anderes Theaterverständnis als ich. Insofern kann man unsere Arbeit kaum miteinander vergleichen.

Frage: Sie sind ausgebildeter Cellist, Musiker also. Dass Ihnen die Musik daher wichtig ist, versteht sich von selbst. Aber: Können Sie sich vorstellen, bei Ihrer Arbeit in bestimmten Situationen bewusst gegen die Musik zu arbeiten?

Herheim: Jetzt könnte ich zwei Stunden lang reden! Musik ist für mich immer Drama und erst recht Opernmusik will veranschaulicht werden. Ich liebe es, wenn man die Musik mit den Augen hört und mit den Ohren sieht. Wenn beides zusammenkommt – Regie und Musik –, findet dieses Wunder statt, das sich Musiktheater nennt und dem ich mich seit meiner Jugend nie entziehen konnte. Das, und nur das, ist mein Metier. Ich wollte nie zum Schauspiel, auch Filmarbeit interessiert mich an sich nicht. Meine Liebe galt immer dem Musiktheater. Wenn ich scheinbar gegen die Musik arbeite, dann gehe ich nicht gegen die Musik vor, sondern gegen das, was die Musik vortäuscht. Musik ist eine universelle Sprache, die jeder verstehen kann, aber immer subjektiv anders erfährt. Eine Inszenierung stellt also immer den Versuch dar, diese Subjektivität zu lenken, sie sinnlich überzeugend zu objektivieren. Dagegen auch mal vorzugehen, mit Menschenkörpern gegen den vermeintlichen Strich der Musik zu bürsten und gleichwohl zu ihrer vermeintlichen Aussage zu kommen, das ist die größte Herausforderung für mich.

Frage:  Sie erwähnten, dass Sie auch schon mit einem ganz anderen „Parsifal"-Ansatz beschäftigt haben.

Herheim: Das war ein völlig anderer ästhetischer Ansatz, eine andere Annäherungsweise an das Stück. Das geht mir häufig so. Wenn ich eine neue Partitur aufschlage, dann stehe ich davor wie ein Vollidiot, habe das Gefühl, keine Noten lesen zu können und nie ein philosophisches Werk gelesen zu haben! Jedes Mal, wenn ich ein neues Stück anpacke, muss ich mich also auch als Regisseur neu entdecken. Ich versuche erst einmal das Werk per se kennenzulernen. Es fordert, dass man seine Koordinaten in ein völlig neues Bezugssystem setzt. In dieser Auseinandersetzung und in ausführlichen Gesprächen mit meinem Team, findet sich ein Weg zur künstlerischen Umsetzung. Das ist ein langer Reifungsprozess, in dessen Verlauf sich die Bilder erst einstellen, auf die wir dann vertrauen. Das ist oft auch ein schmerzhafter Prozess, eine Art Selbstsuche. Man muss die Kraft finden, von sich behaupten zu können, die Wahrheit gefunden zu haben. Dabei ist Kunst Magie, von der Lüge befreit, Wahrheit zu sein. Diese Weisheit Adornos erweist sich in der konkreten Arbeit als ein immenser Widerspruch, denn dort muss man sich immer entscheiden. Musiktheater ist das unmögliche Kunstwerk schlechthin, weil es von uns verlangt, etwas festzuhalten, was sich nie gänzlich fassen lässt. Aber genau darin steckt ja auch eine große Chance: Nämlich die, Werke immer wieder neu zu interpretieren und unsere Wechselhaftigkeit und Wandel zu erkennen.

Frage:  Auf diesem Weg wird es viele Selbstzweifel geben. Und die Versuchung, auch wieder „das andere" Konzept hervorzukramen …

Herheim: Natürlich – das ist ein ständiges Hin und Her. Und man sucht, immer wieder, nach neuen Quellen, nach Fragen und Antworten.

Frage: Insofern muss Ihnen doch auch der Aspekt der Werkstatt Bayreuth gefallen?

Herheim: Ja, sehr sogar. Mein Selbstverständnis und meine Arbeit ist hier bestens aufgehoben. Für mich ist die Vorstellung geradezu absurd, vier Jahre zu einem Werk zurückzukehren, ohne daran etwas verändern zu können.

Frage:  Stehen Sie sich mitunter auch selbst im Weg? Man hört allerorten, dass Sie ein sehr penibler Arbeiter seien, der bis ins Detail alles plant? Sind Sie ein Perfektionist?

Herheim: Die Bedeutung von Perfektionismus muss jeder für sich definieren. Ich bin von der Aufgabe, ein Werk wie „Parsifal" zu inszenieren, ebenso an- wie aufgeregt und habe natürlich aus Liebe zu dem, was ich machen darf, auch Angst, der Aufgabe nicht gerecht werden zu können. Eine ausgezeichnete Vorbereitung setzt ein bestimmtes Niveau, was ein riesiger Vorteil sein kann. Dadurch bleibt natürlich wenig Raum für Improvisation, aber dafür wäre hier die Zeit sowieso nicht ausreichend. Es ist ein Segen und ein Fluch gleichermaßen, die Arbeit perfektionistisch anzupacken. Wobei ich hier in Bayreuth bei meinen Darstellern den gleichen Drang verspüre: Die wollen absolut nichts dem Zufall oder der Beliebigkeit überlassen, sondern arbeiten extrem hart und intensiv an allen Facetten ihrer Partien.

Frage:  Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Daniele Gatti?

Herheim: Wir kannten uns zuvor nicht. Anfangs hat wechselseitig das Vertrauen gefehlt und auch nach unseren Treffen im Vorfeld blieb oft ein skeptisches Gefühl zurück, weil es uns nicht wirklich gelungen war, theoretisch uns gegenseitig klarzumachen, was wir wollen und wie wir das Werk sehen. Zu unserer beiden Erleichterung hat sich das inzwischen in der praktischen Umsetzung sehr stark verändert. Wir kommen uns praktisch stündlich näher und verschmelzen sozusagen in der gemeinsamen Feinarbeit. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, gemeinsam die Zeit zum Raum werden zu lassen.

Frage: Flößt Ihnen dieses „heilige Theater" Respekt ein? Immerhin arbeiten Sie in einem total verrückten Raum, den einer gebaut hat, nur um seine Werke darin zu spielen?!

Herheim: Es ist ein dämonischer, manischer, fantastisch-genialer Geist, der hinter diesem Haus steckt. Wagner war insofern maßlos, dass er sich um jeden Preis selbst realisieren wollte, indem er das Thema Willenlosigkeit monumentalst feiert. In dem für diesen Raum komponierten Werk versucht er auf ganz bemerkenswerte Art und Weise für das, was er in seinen früheren Werken immer kritisch und ganz revolutionär-radikal theatralisiert hat, eine Art Hinterausgang zu finden. Er kommt mit „Liebe, Glauben, Hoffen?" zum Kern seiner Wahrheit, kocht aber für „Parsifal" Religion, Psychologie, Politik und Mythos so stark zusammen, dass man schon fast nicht mehr weiß, zu welchem Mahl man geladen ist. Sein vierfacher Rezepttitel „Bühnen-Weih-Fest-Spiel" macht deutlich, dass es sich um ein ganz außergewöhnliches Gericht handelt. Wagner hat damit eine Weihe um seine eigene Person gestiftet, die letztendlich aber auf etwas ganz anderes hinauswill: In der eigenen Feier des Egoistischen liegt die totale Selbstaufgabe! Stellt man sich vor und rechnet in Arbeitsstunden um, was Wagner an Musik und Gedanken produziert hat, wirkt der Widerspruch genial! Natürlich hat dieser Anspruch und der Tempelgedanke zunächst etwas Bedrohliches im Erhabenen. Gleichzeitig fühle ich mich in dieser Welt sehr zu Hause. Für mich war das Theater immer auch eine Religion und damit jedes Opernhaus auch ein Tempel.

Frage:  Und wohl auch bei Wagners Ansatz des demokratischen Theaters?

Herheim: Natürlich stecken höchst humane Gedanken drin, die allerdings auch ideologisch furchtbar gefährlich sind, weil Wagners Musik zur Verführung taugt. Wagner schafft in seiner historischen Situation absolutes Illusionstheater. Umso mehr hat Bayreuth nun auch eine Verpflichtung, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, warum wir uns auf Illusionen einlassen wollen und welche Erlösung wir uns selbst versprechen, wenn wir nach Bayreuth pilgern. Das alles sind Fragen, die mich und mein Team beschäftigen und deren Antwortmöglichkeiten wir hier zu geben hoffen.

Frage:  Sie leuchten ja auch die dunkle Seite Bayreuth aus?

Herheim: Den Missbrauch, ja, und das Missverständnis, einfach alles „Heilige" willenlos aufzunehmen, ohne in Frage zu stellen, welche Mechanismen dabei am Werkeln sind. Wagner wollte nicht, dass wir zu Kreuze kriechen, hat aber gerade mit unserer Lust dazu, ja unserer Erlösungssucht kunstvoll spekuliert. Ein kongenialer, nicht aufzulösender Widerspruch! Und wenn man diesen nicht begreift, hat man schnell verloren: Sowohl als Regisseur für ein Publikum, das womöglich diesen Prozess nicht mitmachen will, als auch als Individuum, das daran glaubt, in Bayreuth ein Heilsversprechen eingelöst zu bekommen.

Frage:  Haben Sie Sorge, wie Ihre Arbeit beim Publikum ankommt?

Herheim: Aber ja! Es geht mir ja um Kommunikation, um einen lebendigen Prozess. Das gehört doch zum Wesentlichen des Theaters: Jemanden an die Hand nehmen und in ein Thema sinnlich hineinziehen. Natürlich darf man das Publikum auch schütteln und verstören; es wäre naiv zu erwarten, dass das Verhältnis Regisseur – Publikum ein freundschaftlich-vorsichtig-liebevolles sein muss. Nein, es geht um intensive Begegnungen auf unterschiedlichen Ebenen, die aber von einer gemeinsamen Liebe geprägt sind.

Frage: Es kann also nicht nur um Genuss gehen?

Herheim: Was, bitteschön, ist denn Genuss!? Wenn alle Widersprüche und Brüche geglättet sind, ist der Gegenstand für mich nicht genießbar. Kunst ist dann unterhaltsam, wenn es sich ambivalent mit dem auseinandersetzt, was Leben ausmacht. Darum geht es im Theater: sich mit allen Sinnen zu vergegenwärtigen, was Dasein bedeutet bzw. bedeuten kann.

Frage:  Einige radikale Gemüter sagen ja: Lasst den Vorhang unten. Und ich gebe mich ganz der Musik hin.

Herheim: Die sollen sich zu Hause eine Platte auflegen. Wenn sie dann wirklich zuhören, werden sie entdecken, dass die Musik keineswegs nur schön ist. Das ist doch der Irrglaube: Alle warten auf diese vier, fünf Stellen in einem Werk, von denen man sagen kann: O höchste Wonne! Aber ohne die Brüche davor, ohne die Klüfte dazwischen hätten ja diese Stellen keinerlei Effekt, die man mit dem überstrapazierten Wörtchen „schön" etikettiert.

Frage: Wie geht es weiter mit der Beziehung Herheim-Wagner? Kommt irgendwann der „Ring"?

Herheim: Ich hatte allein in der letzten Spielzeit inzwischen fünf Angebote für den „Ring"! Zunächst einmal mache ich im April nächsten Jahres den „Lohengrin" an der Staatsoper Berlin, im Jahr darauf den „Tannhäuser" in Oslo. Und schließlich vier Jahre lang den „Parsifal" in Bayreuth. Das reicht mir erst einmal. Ich freue mich auf den „Ring" – und werde ihn irgendwann sicher in Angriff nehmen. Doch brauche ich auch andere Farben des Musiktheaters und male gerne mit der opulenten Palette Händels, Rossinis, Berlioz’ und auch Meyerbeers …

 

Muenchner Merkur.de
22.07.2008

Bayreuther Festspiele
Rundgang durch deutsche Geschichte


Stefan Herheim (38) sorgt mit seinen Arbeiten regelmäßig für Aufsehen

Bayreuth - Auf jede Bayreuther Premiere richten sich die Augen der gesamten Musikwelt. Doch bei „Parsifal" ist die Spannung stets ein wenig größer, gehört der doch wie kein anderes Wagner-Werk zum Selbstverständnis des Grünen Hügels. Der norwegische Regisseur Stefan Herheim (38) ist verantwortlich für die Neuinszenierung, die an diesem Freitag Premiere hat und mit der die Festspiele eröffnet werden.

Seine Arbeiten, etwa Verdis „Macht des Schicksals" in Berlin, vor allem aber Mozarts „Entführung" in Salzburg, haben für Furore gesorgt und waren heftig umstritten. Bayreuth darf sich auf einen heißen Abend gefasst machen.

-Was thematisieren Sie im „Parsifal"?

Es ist ein Rundgang durch die deutsche Geschichte. Dabei geht es um die Aufarbeitung des Deutschtums. So wie es Richard Wagner verstand - und so wie es von vielen anderen missverstanden und pervertiert wurde.

-Sie zeigen Villa Wahnfried. Ist es auch die Geschichte des Wagner-Clans?

Selbstverständlich. Wir fragen nach Strukturen, auch nach solchen, die über die Geschichte hinweg Bestand hatten. Das passierte vor allem in Wagners Bayreuth. Es ist fast ein Stellvertreterort.

-Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Wagner?

Es hat sich eine große Nähe entwickelt. Anfangs fiel mir das schwer, vor allem aufgrund der religiösen Grals-Dimensionen. Es gab Berührungsängste. Umso wichtiger war für mich der Befreiungsschlag. Einfach sagen zu können: Vielleicht muss man genau diese Berührungsängste zum Thema machen.

-Wie viel Prozent Ihres ursprünglichen Konzepts konnten Sie hier umsetzen?

Es gab Momente, in denen ich erst bekannt gemacht werden musste mit den Traditionen und Tücken des Hauses. Es ist nicht so, dass es hier nur optimale Bedingungen gibt. Akustisch und optisch ist sehr viel zu bedenken. Ich musste auch Rückzieher machen.

-Diese Festspiele sind ja nicht das, was Wagner eigentlich wollte.

Das stimmt. Seine Kunst wurde nicht nur missverstanden, sondern missbraucht. Es war ihm zuwider, was schon zu seinen Lebzeiten in Bayreuth stattfand. Ihm, der eine Demokratisierung der Kunst wollte. Stattdessen kam es zu einer arroganten Versammlung hedonistischer Wilhelministen.

-Wann war Ihre erste Begegnung mit „Parsifal"?

Mit 13 Jahren war ich in diesem Stück Statist an der Oper in Oslo. Ich war hinter der Bühne, habe mir während der Proben, wenn nichts zu tun war, die Aufführung angeschaut. Und da habe ich gemerkt: Das ist mir fremd, da ist etwas ganz Unangenehmes, Unheimliches dabei. Davon ist manches hängengeblieben. Viel später kam dann der Auftrag von der Berliner Staatsoper, dort „Parsifal" zu inszenieren. Da habe ich mich stärker mit dem Stück auseinandergesetzt - und gleichzeitig eine große Liebesenttäuschung erlebt. Ich sagte also ab. Wenige Monate später kam das Bayreuther Angebot. Da dachte ich mir: Diesem Ruf des Grals sollte ich endlich folgen und den Kelch nicht an mir vorübergehen lassen.

-Sie sind auch Musiker und spielen Cello. Wie gehen Sie mit Dirigent Daniele Gatti um?

Von Anfang an war es mit ihm extrem schwierig. Wir hatten wirklich Angst voreinander und fühlten uns einander sehr fremd in unserem Theaterverständnis. Und dann ist ein kleines Wunder passiert: Ab dem ersten Probentag begann ganz langsam eine Verschmelzung.
Mittlerweile könnte ich mir die Zusammenarbeit nicht glücklicher vorstellen. Wir sprechen ganz offen über alles.

-Bayreuth steht vor einer neuen Ära. Wie erleben Sie das?

Es weht ein neuer Wind. Hier werden Türen geöffnet. Es gibt nicht mehr diese falsche Weihe, das Geheimnis. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht, was die Aufgeschlossenheit dem künstlerischen Team gegenüber betrifft.

-Der Grüne Hügel ist eine Wallfahrtsstätte. Das Publikum wartet zehn Jahre auf die Karten, kann manchmal die Partitur auswendig. Wie inszeniert man für Fans, die alles wissen?

Na ja, ob sie alles wissen, das weiß ich nicht. Das Bayreuther Publikum weiß zumindest mehr, das finde ich wunderbar. Meine Vorbereitung unterschied sich nicht von der bei anderen Inszenierungen. Ich selbst war erstmals bei den Festspielen, nachdem ich den Regie-Auftrag bekommen hatte. Als Kind war für mich Bayreuth wie ein Walhall, das irgendwo in Franken in den Wolken schwebt.

-Sie haben bei vielen Inszenierungen intensiv mit dem Material gearbeitet. Etwas hinzugefügt, weggenommen. Wenn das bei Wagner nicht tabu wäre: Wo würden Sie streichen?

Ich würde auf keinen Fall streichen. Das ist in sich logisch komponiert. Aber: „Parsifal" und „Parsifal" sind unterschiedliche Stücke, je nachdem, wer am Pult steht und wer inszeniert. Gefühlte Zeit ist hier sehr relativ. Wagner hat ja - „zum Raum wird hier die Zeit" - 50 Jahre vor Einstein die Relativitätstheorie vorweggenommen. Daniele Gatti bevorzugt ein erhabenes, getragenes Tempo. Das macht mir ab und zu Schwierigkeiten, die Spannung zu halten. Andererseits weiß ich zu schätzen, dass er extrem differenziert.

-Wie hat Familie Wagner Ihr Konzept aufgenommen?

Sehr positiv. Ich habe das Gefühl, dass dies sehr begrüßt wird: den Ort Bayreuth zu thematisieren. Und sich befreien zu können von einer Art Verklärungstheologie, um sie theatral in Frage zu stellen.

-Sie schreiten in Ihrer Inszenierung von der Entstehungszeit des „Parsifal" über den Nationalsozialismus bis in die Gegenwart voran.

Es ist ein relativ einfaches Konzept. Das haben die Griechen entwickelt: über die Katastrophe zur Erkenntnis kommen. Parsifal erlebt eine kollektive Geschichte, in der aus einem Angstgefühl heraus Dämonen auftauchen.

-Die Bundesrepublik demnach als Erlösung?

Womöglich ist die Demokratie das einzige Prinzip, das erlösungstechnisch greifen könnte. Dass die aber nicht unbedingt funktioniert, wissen wir ja auch bereits.

-Katharina Wagner veranstaltet in diesem Jahr erstmals ein Public Viewing in Bayreuth, bei dem ihre „Meistersinger" gezeigt werden. Später gibt es eine DVD. Würden Sie sich freuen, wenn Ihr „Parsifal" berücksichtigt würde?

Diese Politik ist sehr konstruktiv. Auch weil dies eine Öffnung des Hauses bedeutet und mehr Menschen Zugang zu Bayreuth finden können. Ich finde aber, dass das Medium Fernsehen oder DVD kein Theatererlebnis vermitteln kann. Ich habe Angst davor, dass etwas völlig anderes von einer Produktion herübergebracht wird. Ich warte da auf eine erlösende Neuerungsmöglichkeit (lacht).

Das Gespräch führte Markus Thiel

 

Frankfurter Rundschau
21. Juli 2008

Interview
Stefan Herheim über Orts- und Zeit-Geister


Stefan Herheim provoziert mit ungewohnten Sehweisen und begeistert mit Opulenz. (ddp)

Ist der Grüne Hügel wirklich so ein magischer Ort? Was ist das Besondere hier?

Als ich das erste Mal auf Einladung von Gudrun und Wolfgang Wagner hier eine Aufführung erlebt habe, war ich von der Aura des Ortes beeindruckt; doch diese Aura ist nur eine parfümierte Nebelwolke, die schnell verfliegt - das wirklich Magische an diesem Ort liegt woanders. Für mich ist der Genius Loci der Inszenierungsarbeit hier in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit hoch motivierten Künstlern auf allen Ebenen zusammenarbeiten zu dürfen. Der Mythos Bayreuth ist dabei besonders für den "Parsifal" entscheidend, nicht nur weil das Werk erst seit dem Kriegsjahr 1914 an anderen Orten aufgeführt werden darf, sondern weil erst durch Festspielhausakustik das Werk authentisch wiedergegeben werden kann.

Ihre "Don Giovanni"-Inszenierung in Essen hatte so etwas wie einen antiklerikalen Biss. Wie gehen Sie mit der quasi religiösen Aura von Wagners Bühnenweihfestspiel um? Darf man mit einem Frontalangriff rechnen?

Es geht im Essener "Don Giovanni" nicht um antiklerikalen Biss; schließlich wird in Mozarts Oper Liebe verhandelt, und die Kathedrale ist der Stein gewordene Raum eines Liebes-Verständnisses, der für dieses Werk entscheidend ist: Kein irdisches Gericht kann die Verbrechen des Don Giovanni vergelten, sondern ein Höllenchor zerreißt ihm die Seele. Dieses barocke Welt-Theater spannt also den Bogen zwischen Diesseitsfreude und Jenseitssehnsucht und zeigt die Ideale und Perversionen dessen, was wir als Liebe bezeichnen und das den Körper ebenso wie die Seele umfasst. In Wagners Bühnenweihfestspiel haben wir es nun mit einer kunstreligiösen Aura zu tun, die zum Teil des Werkes geworden ist. Mir ist dabei immer an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur gelegen und niemals an Provokation als Effekt. Die kriegerische Metaphorik eines "Frontalangriffs" in Ihrer Frage legt ja nahe, dass wir es im Werk oder bei den Zuschauern mit dem Feind zu tun hätten. Ganz im Gegenteil: Wir zeigen das von Wagner so genannte Bühnenweihfestspiel: Mit Bühne und Spiel wird der theatrale Erzählrahmen gezimmert, in dem dann das Bild eines überhöhten und überhöhenden Weihfests gefasst wird.

Ihre Inszenierungen waren bisher immer temporeich, wenn man etwa an die "Entführung aus dem Serail" in Salzburg denkt - wie verträgt sich das mit dem weihevollen, getragenen Tempo der "Parsifal"-Musik?

Ich muss im Werk die disponierte Dynamik inszenieren, das heißt, meiner Musikalität dienend gehorchen. Musik beflügelt meine Fantasie und Bilderfindung. Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden - denken Sie nur an die nüchtern klare Aufnahme von Boulez und die opulent breite Einspielung von Levine: Es wird dann schnell offensichtlich, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können. Das Aufregende am Musiktheater ist ja, dass erst in der Aufführung diese Kunst entsteht.

Das Bühnenweihfestspiel ist so vielfältig gelesen worden. Werden Sie in einen Diskurs mit Schlingensiefs Version treten?

Mein Team und ich fangen bei jeder Arbeit mit der Partitur an. Kulturgeschichtlich verorten wir unsere Interpretation zunächst im wilhelminischen Deutschland. Wir aktualisieren aber nicht eine Bayreuthianische Verklärung, sondern versuchen, die psychologisch ausgestaltete Biographie des reinen Toren und die kulturgeschichtlich vergrößerte Identitätsfindung der deutschen Nation zu erzählen. Bei beiden Erzählsträngen geht es um die Versprechen und Perversionen des Kernbegriffs der Erlösung. Gurnemanz betont ja: "Dem Heiltum baute er das Heiligtum." Dieses Heil, dieses Ganzsein, ist ein Anspruch, dessen Perversionen und Einlösungen im Werk ausgestaltet sind. "Parsifal" erzählte die Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen. Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, der wir in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen - immer in Positionierung zum zentralen Begriff der Erlösung. Dieser bezeichnet eine gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustands durch eine höhere Macht und nicht etwa wie Emanzipation eine gesellschaftlich realisierbare Befreiung.
Meine Arbeit und mein Theaterverständnis unterscheiden sich grundsätzlich von denen Schlingensiefs, dessen Inszenierung ich mehrfach hier auf dem Hügel gesehen habe. Während er dem nüchternen Dirigat von Boulez einen geballt eigenen Kosmos entgegengesetzt, ist mir an einer Entfaltung der Partitur in enger Zusammenarbeit mit Maestro Daniele Gatti gelegen. Wir nähern uns hier gemeinsam Wagners Werk, seiner Zeit und dem Umgang mit beidem und entdecken darin eine Zauberkraft jenseits eines Wahrheitsanspruches, die die Magie der Theatermaschinerie zu entfalten vermag.

Interview: Joachim Lange

[ document info ]
Copyright © FR-online.de 2008
Dokument erstellt am 20.07.2008 um 16:44:01 Uhr
Letzte Änderung am 20.07.2008 um 17:37:09 Uhr
Erscheinungsdatum 21.07.2008

Stefan Herheim ist 1970 in Oslo geboren, gelernter Cellist, hat bei Götz Friedrich Regie studiert und macht seit Jahren mit seinen Inszenierungen Furore, provoziert mit ungewohnten Sehweisen und begeistert mit Opulenz. Im vorigen Jahr wählten ihn Kritiker der Fachzeitschrift Opernwelt zum Regisseur des Jahres. Seine Parsifal-Inszenierung eröffnet am kommenden Freitag die Bayreuther Festspiele. War beim Vorgänger-Parsifal die Personalie Schlingensief Anlass zu medialer Hysterie, so fällt Herheims Hügeldebüt in den bereits spürbaren Generationswechsel an der Spitze der Festspiele.

 

Focus
25.07.08

Bayreuth 2008
Der fliegende Norweger
Der norwegische Regisseur Stefan Herheim eröffnet die Bayreuther Festspiele mit seiner Inszenierung des „Parsifal". Im Interview spricht er über Glauben und den gesellschaftlichen Festspiel-Zirkus.

Von FOCUS-Redakteur Gregor Dolak


Der Regisseur Stefan Herheim

FOCUS: Sind Sie Katholik?

Herheim: Ja. Für einen Norweger relativ ungewöhnlich, denn wir sind dort eine Minderheit. Meine Mutter stammt aus Franken und so wurde ich katholisch erzogen. Als Junge habe ich ministriert, im Chor gesungen – auch für den Papst in Rom – und habe die Passionsspiele in Oberammergau besucht.

FOCUS: Gehen Sie regelmäßig in den Gottesdienst?

Herheim: Nein, das Bedürfnis habe ich nicht mehr. Aber mich fasziniert die Phänomenologie des Christentums, das mit der kulturellen Identität Europas untrennbar verbunden ist. Vor allem die theatralen Aspekte der Liturgie begeistern mich, die Musik und die Rituale.

FOCUS: Wo finden Sie auf der Bühne religiöse Momente?

Herheim: Für mich ist die Oper die letzte Bastion der Heiligkeit in unserem Kulturbetrieb. Heilig im ursprünglichen Sinne von „heil", von „ganz". Die Partituren gelten immer noch weitgehend als unantastbar, als eine Art Evangelium. Im Gegensatz zu Schauspieltexten, die seit Jahrzehnten im Regietheater zerlegt und zerfasert werden.

FOCUS: Da müsste Ihnen der „Parsifal" doch gerade recht kommen, oder?

Herheim: Ja. Im „Parsifal" hat die Verwandlung die Bedeutung, wie sie im Kern des Glaubens wirkt. In diesem „Bühnenweihfestspiel" definiert Wagner die menschliche Fähigkeit zur Verwandlung als Voraussetzung für die Rezeption seiner Kunst.

FOCUS: Erscheint Ihnen das obskur?

Herheim: Einerseits ja. Zumal es in Bayreuth ja groteske Formen annahm. Wagners Witwe Cosima hat den „Parsifal" im Kreise der Bayreuthianer auf dem Grünen Hügel in Weihrauch genebelt. Eine Verehrung, die man nur als bigott bezeichnen kann. Dass dann Onkel Wolf (so nannte die Familie Wagner Adolf Hitler, die Red.) dorthin pilgerte und diese Gemeinde in seine misanthrope Ideologie eingliedern wollte – unglaublich wie das so zusammen kam.

FOCUS: Wie empfinden sie die Wagner-Wallfahrerei zu den Festspielen?

Herheim: Grundsätzlich sehr anregend. Weil es verspricht, dass sich Menschen auf etwas besinnen wollen, sich auf das Gesamtkunstwerk konzentrieren, um sich selbst zu hinterfragen.

FOCUS: Wirklich ...?

Herheim: Das ist die Frage! Nimmt man das Ganze so ernst wie vom „Meister" gefordert? Der gesellschaftliche Zirkus und die Reise zum Selbst gehen hier Hand in Hand.

FOCUS: Wie sieht Ihre Kontemplation über „Parsifal" aus?

Herheim: „Parsifal" ist eng mit Wagners Festspielgedanke verknüpft. Deshalb spielt auch der der Ort für mich die zentrale Rolle. Nicht nur der geografische, sondern der rezeptionsgeschichtliche Raum Bayreuth, in dem das Werk zum Mythos stilisiert wurde.

FOCUS: Wie haben Sie sich diesem Ziel angenähert?

Herheim: Über meine Unlust.

FOCUS: Wie bitte?

Herheim: Das Stück erschien mir lange äußerst dubios, unzugänglich. Den „Parsifal" hatte mir vor vier Jahren schon mal die Berliner Staatsoper angeboten. Damals lehnte ich ab, sodass Bernd Eichinger dort inszenierte. Aber ich musste erst ertragen lernen, dass man bei diesem Werk nie richtig ankommt. Es dreht sich um die Relativität von Wahrheit und entzieht sich förmlich jeder Art von Eindeutigkeit.

FOCUS: Eine nebulöse Geschichte, deren Dramaturgie in endlosen Klang- und Sangorgien versinkt?

Herheim: Nein, Wagner verklärt bewusst die Möglichkeit, real überhaupt anzukommen. Der „Parsifal" revidiert all seine revolutionären Ziele von einst: Das Göttliche, das Heilige, wie es im „Lohengrin" aufscheint, das lässt sich unter Menschen nie verwirklichen, ohne sich in seine Perversion zu verkehren.

„Leben und Tod liegen hier dicht beieinander"

FOCUS: Wie fassen Sie solche abstrakten Gedanken in Bühnenbilder?

Herheim: Der „Parsifal" erzählt die Geschichte von Menschen auf einer Identitäts- und Heilssuche. Darin spiegelt sich auch eine kollektive Suche nach einem nationalen Bewusstsein, das Schuld und Sühne, Liebe, Glaube, Hoffnung über individuelles Glück hinaus greifbar machen soll. Die Erlösungssucht, die im Deutschtum Richard Wagners liegt, ließ erahnen, was das 20. Jahrhundert an Katastrophen bringen würde. „Zum Raum wird hier die Zeit", lautet der zentrale Satz des Dramas. Den gestalten wir sinnlich aus, um mit Parsifal einen deutschen Psychofall aufzudecken.

FOCUS: Was sind das für Räumlichkeiten?

Herheim: Unter anderem die Villa Wahnfried, wo Wagner große Teile des „Parsifal" komponierte, wo der Inschrift über dem Hauseingang zufolge Wagners „Wähnen Frieden fand". Schon seit Bezug des Hauses war seine und Cosimas Grabstätte im Garten festgelegt, die nach seinem Tod zur Pilgerstätte wurde. Das Heimliche und das Unheimliche, Heil und Unheil, Leben und Tod liegen hier dicht beieinander.

FOCUS: Zeigt Ihr Bühnenbild die Künstlervilla?

Herheim: Ja. Die musikalische Dramaturgie in „Parsifal" rekapituliert fortwährend Vergangenheit. Das heißt, dass die Räume und Zeiträume kaleidoskopartig verdreht und auf der Bühne sichtbar werden.

FOCUS: Was ist zu sehen?

Herheim: Sowohl geschichtliche Referenzen wie assoziative Bezüge zur deutschen Geschichte seit der Uraufführung des „Parsifal" 1882. Bild- oder Videozitate aus dem Wilhelminismus, der Weimarer Republik, der Gründung der Bundesrepublik. Die freudianische Geschichte des reinen Toren, die einen suggestiven Brückenschlag in unsere Gegenwart ermöglichen soll.

FOCUS: Richard Wagner, ein Schamane der deutschen Nation?

Herheim: Wagner war ein Illusionist, ein Hohepriester des Theaters. Er war aber auch ein zerrissener Geist, der im „Parsifal" seinen eigenen Beschwörungskünsten verfiel. Die Realität seiner Festspiele, für die er sein letztes Werk ja schrieb, hatten ihn ebenso enttäuscht wie das gerade gegründete Kaiserreich. Der Gründergeist des neuen Staates, wie er sich bei den Festspielen im Aufmarsch des Erb- und Geldadels repräsentierte, war ihm zuwider. Mit „Parsifal" artikulierte er seinen Protest in Form einer Kunstreligion.

FOCUS: Verfolgen Sie, was sich hier auf dem Grünen Hügel derzeit personell verändert?

Herheim: Ja. Mit Wolfgang Wagner verlässt ein Opernmacher nun endgültig die Bühne, wie es ihn sonst nicht gibt.

FOCUS: Was erwarten Sie von den Nachfolgerinnen?

Herheim: Frische, konsequente und vor allem öffnende Ideen. Katharina und Eva Wagner wollen hier mit einem anderen Theaterverständnis arbeiten.

FOCUS: Ihnen wurde die Leitung der neuen Oper in Oslo angetragen – warum haben Sie nicht zugeschlagen?